
Sonntag, 21. Mai 2006

Das Leben und der Flohmarkt lehren: Irgendwas fehlt immer. Da heißt es improvisieren. Mal über seinen eigenen Buchstaben springen. Das hohe C gerade sein lassen. Und bevor man das Alphabet vor dem Abend lobt, nachschauen, wie die Zahlen stehen. Es sind nämlich auch nicht alle Ziffern im Schrank.
Aber die wichtigsten schon, ein Glück.

Freitag, 19. Mai 2006

Post aus Berlin? Nicht immer bettet Freude sich beim Nennen dieser Stadt. Neulich aber frohe Kunde im Briefkasten. Ein Geschenk von der Strychnin-Galerie.
Was Mrs. Young mir schickte, was birgt der schwarze Schrein?
Das Geheimnis nicht zu lüften, so tapfer muß ich sein.
Heute abend jedenfalls mache ich mich auf die Suche nach meinem inneren Kind. Stapfen durchs Dunkel, huh, huh, und dann womöglich die ein oder andere schwarze Träne verdrückt. Paul Booth, Großmeister der Tätowierkunst, zeigt zehn neue Gemälde und setzt vielleicht die Nadel an. Ich möchte die betenden Hände, einen Engel und Flügel, mit denen ich über der Stadt schwebe. Über mir selbst am besten. Was braucht man für einen Motor, wenn das Herz so pocht? Ich bringe Regen mit, ein kleines Geschenk. Ich bringe zwei oder drei Gedanken mit, das Bild eines blutenden Fingers und schreibe alles auf, was ich sehe, höre und schmecke. Da in der großen Stadt, in den tiefen Kellern, am Rande. Am Rande von irgendwas.
(Paul Booth, The Inner Child. Noch bis Mitte Juni in der Strychnin-Galerie, Berlin.)

Donnerstag, 18. Mai 2006
Ricky King, der "hervorragende, manchmal zu Unrecht unterbewertete Gitarrist" [sic!], ist nach wie vor musikalisch aktiv. So gibt er am Samstag ein Konzert in Coswig (Kreis Meißen) und im Augst in Horumersil, Durchhausen und Weinheim. Hans Langenfelder, wie Ricky King mit bürgerlichem Namen heißt, mag laut Internet Blau- und Brauntöne, Pferde, Rosen, Beatles, Barbara Streisand, Celine Dion, Julio Iglesias, Cliff Richard, Hank Marvin, während er Abhängigkeit, Intoleranz, Heimlichkeiten und Aufdringlichkeit nicht mag. (via)
(aus: Dinge, die man immer mal wissen wollte. Danke an für Text und Recherche.)

Mittwoch, 17. Mai 2006

Vor zwei Jahren sah ich die etwas umfangreichere Version der Ausstellung in der Berliner Galerie Camera Works. Dort lernte ich auch den Fotografen Elliott Erwitt über gemeinsame Bekannte kennen, schlug dummerweise eine Einladung zum Essen aus, und muß mich bis heute fragen, wieso ich mit dem Präsidenten der Agentur Magnum nur ein paar launige Worte wechselte, anstatt ihm gleich mein Portfolio unter die Nase zu halten.
Erwitt ist ein sehr humorvoller älterer Herr, aber das ahnt man gleich, wenn man seine Fotos kennt. Berühmt sind neben seinen Porträts von Leinwandhelden die Aufnahmen aus dem Central Park, auf denen meist Frauenbeine mit irgendwelchen ridikulen Hündchen zu sehen sind. Hunde, Hände und menschliche Selbstentlarvung in skurrilen Momenten voller Alltagskomik sind seine Themen, dabei ist er nie boshaft, immer nur schalkhaft. Entspannt und leicht ein wenig verloren wirkt er, dabei ist er hochwach und zu Späßen aufgelegt. Ebenso nett übrigens seine Frau, die mich auf der Vernissage wiedererkannte und sich erinnerte, daß ich - sagte ich es bereits? - dieses Essen ausgeschlagen hatte. Ich bin sicher, der Mann hätte es reizvoll gefunden, wenn ich mir einfach ein Käsebrot bestellt hätte.
(Elliott Erwitt, Personal Exposures,
noch bis zum 12. Juli in der Galerie Robert Morat, Hamburg.)

Montag, 15. Mai 2006
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.
(Georg Heym, "Berlin III". 1910.)
Och nee, nicht der schon wieder. Doch, doch. Die dritte Station meiner kleinen Lesetournee führt mich also in die ewig heitere Stadt. Berlin, du dumpf brüllender Moloch, Heimstadt moribunder Menschen... Äh, ja.
(Sorry, got carried away.)
Die geschätzte Frau Modeste hat geladen und so ist es mir eine Freude, die Arbeit an den doppelköpfigen Kälbern kurz beiseite zu legen und in drei Wochen mit den Herren Burnster und Ole aus Absurdistan total wahre Geschichten, strammnüchterne Berichte sowie aus Beipackzetteln garantiert rezeptfreier Kräutermischungen zu lesen. Wie immer nehme ich auch die Beichte ab, kuriere Zahnleiden und schwindsüchtige Tiere und schwitze biblische Motive in mein T-Shirt. Spontane Seligsprechungen vor Ort nach Absprache. Um freundliche Anteilnahme wird gebeten, außer, Herr Burnster plant etwas anderes.
Wir sind bis dahin flitzegespannt.

Sonntag, 14. Mai 2006
You've got to have a dream
To just hold on.
(Pia Zadora, "When The Rain Begins To Fall")
In manchen Städten gilt es bekanntlich nur als gelungenes Wochenende, wenn man sich anschließend von der Neigungsgruppe Selbst&Gegenseitig ordentlich auf die Schulter klopfen kann (lies nach in meinem Erstlingsroman Manwatthamwerjelacht). Im stilleren Hamburg legt man sich notorisch lieber selbst an die Kette und wandert die Flohmärkte ab. Erst Höllenbrook, die extravagante Ramschrutsche. Hundehalsband nur ein Euro, womöglich lege ich mir ja mal einen wirklich treuen Gefährten zu, Beständigkeit ist schließlich hard to find. Ein dreibeiniger, einäugiger Kampfhund vielleicht. Einen, den keiner mehr will, wir verstehen uns blind, und sonst nehme ich es zum fotografieren. Deko. Ich kaufe immer nur Deko, das ist man klar.
Für 50 Cents, und damit unwiderstehlich, diese Kinderdruckerei. Ich könnte ja mal was publizieren, das soll Spaß machen und vielleicht Aufmerksamkeit bringen (Talking about me and my Aufmerksamkeitsdefizit). Wenn ich mal was mitzuteilen habe, unter Druck von tief unten. Leider, und damit kommen wir zum verlorenen Auge und den drei Beinen, fehlen schon ein paar Buchstaben. Ick firmesse Dükk als Liebes- und Kostennote ans Kopfkissen gepinnt, keine Ahnung, ob man damit Freunde gewinnt. Zum Muttertag gehen vielleicht auch andere Optionen.
Macht auch nichts, denn Sonntag gab es ja noch Hamburgs vielleicht schönsten Flohmarkt am Immenhof. Zwar nicht in Begleitung von Heidi Brühl, aber mindestens so attraktiv. Kurz überlegt, Texas Chainsaw Massacre in der Tobe-Hooper-Variante für einen Euro auf DVD, aber dann ließ ich mir lieber eindringlich von "The Hostel" erzählen, das reicht auf nüchternem Magen auch. Darauf lieber schnell etwas Kuchen selbstgebacken von den Lieben Händen der Gemeinde St. Gertrud am wonnigen Kuhmühlenteich (mein verstecktes Haus dort mußte ich zeigen, das kaufe ich eines Tages für meine sieben Kinder).
Dortselbst konnte man lauschen dem wunderbarsten Flohmarktgitarrenspieler der Hansestadt. Ein reiferer Herr mit schütteren Haaren saumseligen Schnitts klampft sich tapfer und mit verlorener Stimme durch die Klassiker der 60er, vage erkennt man die Beatles. Schrummschrummschrumm, immer auf einem Ton. "Hey Jude", nanananaa, und "Octopus's Garden" (Ah, der zärtliche Sex der Tintenfische!). Während er "Ruby Tuesday" von der Gegenpartei einstreut, erkläre ich gewichtig und weil ich mich gerne reden höre, das sei der verschollene fünfte Beatle. Der war damals schon in Hamburg dabei. Und dann, irgendwann 1961, als sie zurückfuhren nach London, hätten sie ihn beiseite genommen und mit treuherzigem Augenrollen "Werner" gesagt. "Werner" sagten JohnPaulGeorgeundPeteBestRingo, "wer hollen dick nak, sobald Kontrakt fertig." Werner - und jetzt wird es ein bißchen traurig, holt schon mal die Taschentücher raus - wartet noch heute. Treu und tonlos und immer ein wenig gegen den Rhythmus der schrammelnden Gitarre singt er die alten Songs, "Love me do", nur böse Zungen würden sagen leiernd, und wir spendeten im Schatten von St. Gertrud (dortselbst schon der Sl. Herr Mequito gesungen hat nämlich) auch ein bißchen Geld und Aufmerksamkeit (Geben und Nehmen!).
Anschließend fuhr ich in einem etwas betagterem Automobil, da muß ich sagen, wäre ich nicht auf Buckelvolvos abonniert, ich hätte eine Schwäche in meinem Herzen seismographieren können. Aber im nüchternen Hamburg blogt man darüber ja nich.

Samstag, 13. Mai 2006
I'm not aware of the passing of time
And I'd like to say to those who accuse me
Could you do it while you looked in my eye
(New Order, "Primitive Notion")
Endlich zeigt er sich, der fette rote Sack. Kein richtiger Blutmond, aber dreist und feist genug, die Hirne zu walken, die Gedanken zu blähen und tontöpferne Inspirationen zu zerschlagen. Genug Saft im aufgepumpten Beutel, um ordentlich "Prost" zu sagen und freundlich anzustoßen. Mancher hat für solche Himmelsbeobachtungen ja gar keine Zeit mehr, wenn man nur in rauchvergorenen Kaschemmen sitzt. Nicht jeder möchte in den Nächten auch wach sein, nicht wenn man sie zum Tage machen kann. Meine Nächte kennen lang schon keinen Tag. Rückwärts, seitwärts, Wechselschritt wird hier heimlich nur getanzt. Zum Schlafen nur das Eisenbett, zum Sitzen nur die Planke.
Zum Trinken nur brackiges Wasser, das ist hier kein Spaßverein. Zum Spielen nur Geziefer, dem kann ich getrost was husten. Man grüßt ja fast als alter Freund. Und in wortloser Stille sprechen die Handlungen bekanntlich doppelt so laut. It's been winter for a whole year. But you couldn't hurt me if you tried. (ebd.)
