Donnerstag, 23. Februar 2006


Bloggerlesungen

Termine, Tips und Tatankündigungen über den "Ausverkauf der Bloggerszene", "Podcasting live", "Gestammel auf der Bühne" und unglaublich lustigen, schönen, vor- und nachtragenden Momenten nunmehr hier auf Bloglesungen.

Tentakel | von kid37 um 21:27h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Haiku am Werktisch

Das Pling der Rundmail
Langsam wandert das Echo
durch den Büroflur


 


Mittwoch, 22. Februar 2006


26 1/2

Wir tanzten bis zum Ende
Zum Herzschlag der besten Musik,
Jeden Abend, jeden Tag
Wir dachten schon, das ist der Sieg.

(Fehlfarben, "Das war vor Jahren")

Nein, Campino möchte ich wirklich nicht mit einem Fehlfarben-Lied hören. Der Mann, der jedes Stück schreideklamiert und bei jedem Anlaut ein ganzes Stadion im Kopf hat - nein, der hat die stillschreiende Einsamkeit und schüchterne Verlorenheit der Fehlfarben-Klassiker nicht im Empfinden. Jetzt hat er aufgespielt mit anderen Freunden der Band, eine bunte Mischung mit Grönemeyer, Begemann, Distelmeyer, Gudrun Gut und Françoise Cactus, Helge Schneider, Frank Spilker und anderen.

26 Jahre Fehlfarben, ist das also auch schon wieder so lange her. Ach.
Man muß das verstehen. Damals leuchtete uns ja nur das fahle Blau der Neonlichter. Damals war ja nur grauer Beton (noch nicht mal brennen wollte der). Erstes Bier zwischen Ratinger Hof und Wuppertaler Börse, verstörter Sex unter Pferdepostern, Mitschüler in olivgrünen Bundeswehrparkas und dünnen Spaghettihaaren, die aussahen wie in Öl gelegt. Und nur weil sie nicht hören wollten. Schneid' dir die Haare, bevor du verpennst, wollten sie nicht hören, Peter Hein.

Denn niemand hat so wie Hein das seltsame, verlorene Lebensgefühl dieser Generation auf den Punkt gebracht, die das Pech hatte, ihre prägenden Jahre ausgerechnet in den Achtzigern zu verbringen. Die Generation, in der sich jeder als Zuspätgekommener, als Außenseiter fühlte, und die deshalb den darauf folgenden Techno und die seligmachende Kraft des Gefühls, in einer Masse aufzugehen, nie so recht verstanden hat. (Thomas Winkler in SpOn)

Monarchie und Alltag, nur gültig in der LP-Version, niemals in der remixten CD-Fassung von 2000, leistete genau das: kalte, nüchterne Gitarrenklänge, wie aus den ewigen Nieselregenwänden des Bergischen Landes herbeigeweht, dünnes treibendes Schlagzeug und ein White-Funk-Bass, der Peter Heins Textzeilen nach vorne schleuderte. Dahin, wo aggressiv getanzt wurde, dahin, wo man an die Wände kritzeln konnte. Edding-Generation. Zum Geburtstag ist 26 1/2 ein nettes Geschenk. Schneider, Distelmeyer, Cactus. Schön und Gut. Das neue Stück "Chirurgie 2010" aber deutet an, was fehlt, das was das abgehangene Alterswerk Knietief im Dispo schon versprach. Mehr davon, bittebittebitte.
Letzter Aufruf, Peter Hein. Werde Superstar titelte die Spex vor 20 Jahren.

Der Hein, der fehlt. Sagte ich einumsanderemal im stilleren Kämmerlein. Mach mir doch die Jugend nicht kaputt, sing mir den rheinischen Rotz- und Trotzton, jeden Abend, jeden Tag. Es gibt keinen Sieg.

Radau | von kid37 um 21:05h | 14 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 21. Februar 2006


Gastspiel

Herr Bandini hat getrommelt, und ein kleines kosmopolitisches Quartett trifft sich nun passenderweise im Café International zum Plaudern.


Da ich so nett gefragt wurde und denke, daß man auch in der Hessenmetropole Ringelstrümpfe trägt, konnte ich nicht widerstehen. Am 11. März werden also die berückenden Damen Andrea Diener und Suna sowie Herr Bandini und ich ein wenig vortragen. Schön, wenn jemand kommen mag.

Weil es Frankfurt/M. ist, sage ich es aber besser gleich: Wer tuschelt und lacht, dem reiße ich den Spiralblock aus den Händen, daß es weh tut. Nicht, daß mancher vor Mitternacht wieder keinen Schlaf findet.


 


Montag, 20. Februar 2006


Furchtbare Dinge passieren oft ganz natürlich

Burning my bridges
And smashing my mirrors
Turning to see if you're cowardly
Burning the witches with mother religious
You'll strike the matches and shower me

(Echo and the Bunnymen, "Seven Seas")

"Warum spielst du nicht mit deinen Freunden?" - "Die sind alle tot."
Die Brutalität der Kinderspiele. "Eben, der Heuler!" Wer erinnerte sich nicht? Vielleicht nicht die Alpha-Kinder hier im Saal. Doch dann ist Eben tot...

Selten gezeigt, dafür ein heimlicher Klassiker:
Der Schrei in der Stille mit dem damals noch nicht so bekannten Viggo Mortensen. Letzteres tut wenig zur Sache, wirft der spätere Ruhm des Mimen doch bloß ein verzerrendes Licht auf diese grimmige Erzählung aus den Tiefen der 50er Jahre.

Der junge Seth wächst auf im ländlichen Nirgendwo. Sein lebensschwacher Vater betreibt inmitten endloser Kornfelder, verrosteten Autos und anderem Strandgut der Landstraße eine Tankstelle - wenn er nicht billige Vampirgeschichten liest. Die hartherzige Mutter erwartet sehnlich die Ankunft von Cameron (Mortensen), dem von allen vergötterten älteren Bruder. Die Zeit scheint still zustehen.

Doch Stück um Stück entfaltet sich die Katastrophe. Während ein Kindsmörder sein Unwesen treibt, setzt die uneigentliche Sprache der Erwachsenen, ihre ironischen und metaphorischen Wendungen im kindlichen Gemüt von Seth ein schreckliches Mosaik von "Wahrheit" zusammen: Beeindruckt von den Trivialromanen seines Vaters ist er bald überzeugt, daß die englische Nachbarin Dolphin Blue ein echter Vampir sein muß.

In schlichten, aber symbolisch aufgeladenen, streng komponierten Bildern, eine Art bewegtes American Gothic, entwickelt sich der Stoff, aus dem auch die Geschichten von Nick Cave gewoben sind: Platzende Frösche, Blut, Kuhschädel und bigotte Frömmigkeit: Das Grauen entspinnt sich im gnadenlosen Gelb von Sonne und Kornfeld, durch das lautlos ein schwarzer Cadillac als unheilvoller Todesbote gleitet.

Die grauenhafte, eigentliche Wahrheit, entblättert sich dem distanzierten Blick des Zuschauers: Aus der Diskrepanz der unterschiedlichen Interpretationen von "Wirklichkeit" von Erwachsenen und Kindern (deren unbekümmert-anarchische Lust am Töten und Zerstören die fragilen Lügen der Erwachsenenwelt gleichfalls auf den Kopf stellen) entwickelt sich eine Wahrheit, in der die entrückten Symbole eine bedrückend-ver/rückte Wirklichkeit zimmern. Die Suche nach Wahrheit inmitten rigider, fanatischer und naiver Überzeugungen und Vorurteile endet in Mord, Selbstmord und Erschütterung aller Weltbilder. Vom "Albtraum der Kindheit" spricht Dolphin Blue und sagt: "Unschuld kann wie die Hölle sein."

Am Ende, wenn der kindliche Beobachter zum Handelnden wird, ein Urteil spricht und so die Unschuld verliert, wird wie in jedem Märchen die "Hexe" büßen...

Der britische Autor und Regisseur Philip Ridley ("Die Krays") hat bis heute nur drei Filme gedreht. Vor zehn Jahren erschien zuletzt sein "Die Passion des Darkly Noon" (wieder mit Viggo Mortensen und Ashley Judd). Das Schreiben phantastischer Kinderliteratur scheint ihn mehr zu befriedigen (oder die Rechnungen zu zahlen).

Schrei in der Stille (The Reflecting Skin, GB/Kan. 1990.) Regie: Philip Ridley

Super 8 | von kid37 um 13:44h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 17. Februar 2006


Der gefundene Satz, 28

Wenn sie solche Reden führt, frage ich mich, ob wir nicht eine besonders privilegierte und verwöhnte Generation sind. Aufgewachsen zwischen den Entbehrungen der Nachkriegszeit und den Grausamkeiten der achtziger Jahre, sind wir Kinder unschuldigen Konsums und Erben jener Freiheiten, die die rebellierende Generation vor uns in den sechziger Jahren erstritten hatte. Wir kamen in den Genuß einer freien, vorzüglichen und doch irgendwie trödelnden Ausbildung, lebten dann die nächsten fünf Jahre von der Stütze, um unseren selbstgerechten politischen Überzeugungen hinterherzujagen, und begannen schließlich, in der Medienwirtschaft zu arbeiten und viel Geld zu verdienen. Weder Moral noch Religion hemmten uns sonderlich. Musik, Tanz, Ficken bis zur Besinnunglosigkeit, das waren unsere Götzen. Wir brüsteten uns, die freiesten Menschen aller Zeiten zu sein.

(Hanif Kureishi. Intimacy. 1998.)


 


Donnerstag, 16. Februar 2006


{Das Wunder in der Petrischale}

Bakterien, Bakterien - die mag ich nicht entbehrien! So geht ein altes Medizinerlied.
In Zeiten wie diesen{tm} scheut mancher den Kontakt zu Keim & Co. Der Fotograf Edgar Lissel jedoch hat tobende Mikroben gebändigt und 2001 eine Vanitas-Serie mit lichtsensiblen Bakterien angefertigt. Vergängliches wie Obst und Tier bildete er so organisch nach. Das Raunen im Mikrokosmos, die Poesie des Szientismus.


 


Mittwoch, 15. Februar 2006


Mit Bang und Uffzen

Herr Mequito läßt mich meinen Ringelschal heute stolzer durch den Regen tragen. Der gute Mann liest, wie Herr Kid ein Nilreptil zum Elektrofachmarkt führte. Ich habe es noch nicht hören können, empfehle aber blind: BlogRead

Merci, Herr Mequito!

Nachtrag: Mittlerweile habe ich es gehört - wenn auch auf meinen Computerlautsprechern - und möchte Herrn Mequitos extrem inspirierte Tonschöpfung ausdrücklich empfehlen! (Gerade war der Sever etwas langsam, vermutlich weil sich derzeit unzählige enthemmt kreischende, minderjährige weibliche Mequito Hotel-Fans die Datei laden.)


 



Den Flug der Vögel lesen

Im Verkehrsfunk heute morgen bereits die erste Warnung. Ein toter Vogel liege auf der Autobahn. An der Ampel fährt ein Lastkraftwagen an mir vorbei. Firma Sowieso, Germany - Recycling.

Rückgewinnung ist zurecht ein ernstes Thema. Wir sind doch alle schon benutzt. In der Gartenzwergfabrik große Versammlung: Proaktiv werde nun mit uns gesprochen. Und das ganz konkret. Bei dem Wort "konkret" malt die Frau, die es sagt, mit den Händen Gänsefüße in die Luft.

Wie unvorsichtig. In Zeiten wie diesen. Ich schließe halb die Augen und sehe, wie sich flugs die Vogelgrippeviren im Konferenzraum verbreiten. Viele fühlen sich bereits verschnupft. Vielleicht eine proaktive Reaktion.