Freitag, 20. Januar 2006


Mal nicht Adorno



Damit es nicht heißt, Radio, Radio - und wo bleibt der Kulturbeitrag?
Alfred Döblin als Radiobastler, bitteschön.


 


Freitag, 20. Januar 2006


Radio - Live Transmission

Well I could call out when the going gets tough.
The things that we’ve learnt are no longer enough.
No language, just sound, that’s all we need know,
To synchronise love to the beat of the show.
And we could dance.

(Joy Division, "Transmission")

Heimwerkblogger wären entzückt: Im hermetischen Café waren Basteltage angesagt. Mein einst günstig erworbener alter Radiowecker von Toshiba, sozusagen meine graue Verbeugung vor dem Pantone- Design, hatte durch Alter und mehrere Umzüge schlapp gemacht.

Nun waren einer meiner Vorsätze für das neue Jahr, endlich wieder zeitiger in der Gartenzwergfabrik zu erscheinen, um nicht länger den Spott der Kollegen ertragen zu müssen, die immer wieder einmal mit kaum verstellter Häme fragen, ob ich nun halbtags arbeiten würde.

Da der kleine Motor des Klick-Klack-Uhrwerks sich nicht mehr zum Leben erwecken ließ, besorgte mir Väterchen Kid aus dem schier unendlichen Fundus eines alten Radiosammlers ein komplettes Uhrwerk mit passenden Digitalklappziffern als Ersatz. Den ein derart gesuchtes Stück gibt man nicht so einfach auf. Und seit meinen ersten Operationen, habe ich viel dazugelernt.

Heute nun war der große Tag. Mit ordentlichem Werkzeug, Aortaklemmen, Zange, Lötkolben und Nervenstärke bestückt machte ich mich gleich Christian Barnaard vor seiner ersten Herztransplantation ans frohe Werk. Der Korpus wurde mit mutigen und kräftigen Handgriffen geöffnet. Schon lag das fragile Innenleben vor mir: das ehemals pochende Herz Uhrwerk tot und still, die Lebensadern schlaff herabhängendend. Mit der Zange löste ich sie nach und nach, bis ich zum Schluß die Aterien das Hauptkabel trennte. Die heikle Frage Roter Draht? Grüner Draht? war schnell gelöst: Natürlich der gelbe, das lernt man schließlich in Actionthrillern.

Das Ersatzherz lag steril verpackt parat, bereit zur Transplantation. Exakt passte es in den hohlen Brustkorb meines Radios. Schnell verlötete ich die Drähte (ich hatte die Reste extra stehenlassen, um die unterschiedlichen Farben später zuordnen zu können) mit heißem Schmelz und kühnem Mut, später wurde alles ordentlich isoliert. Denn Sicherheit ist Bastlerpflicht.

Alles brummt, alles summt. Dr. Frankenkid hat gute Arbeit geleistet. Dieser Wecker säuselt mich nun mit den letzten Kulturnachrichten auf DLF in den Schlaf - und weckt morgens Tote.


 


Mittwoch, 18. Januar 2006


Am Rand stehen. Weiteratmen





 


Dienstag, 17. Januar 2006


Annual Report

Die Musik entwickelt sich sehr eindrucksvoll:
sie wächst zu einem beängstigenden, schlimmen Flutsturm
von harschen Klängen an. Sie bestärkt eine unheimlich finstere Ahnung,
die sich im Magen eingräbt, und dennoch ist sie großartig.

(Reinhold Brunner über das Konzert von Throbbing Gristle
am 10.11.1980 in Frankfurt. In: Rock Session 6, 1982.)

Die Berliner Volksbühne scheint sich auf 20jährige-Reunionskonzerte zum Jahreswechsel spezialisiert zu haben. Vor ein paar Jahren feierten die Fehlfarben ihr Jubiläum mit einem Weihnachtskonzert, dieses Jahr trat an zwei Abenden eine Industrial-Legende auf: Throbbing Gristle machten in Originalbesetzung für Frank Castorf ordentlich Krach.

So um 1981, als ich anfing, mich für Burroughs, Gysin und neubautige Musik zu interessieren, hörte ich von diesen abgedrehten Engländern, die so "industrielle Musik" machten, wie das bei uns Unbedarften hieß. Skandale im Londoner Insitute of Contemporary Arts (später durchbohrten die Neubauten bei einem Konzert den Betonboden des ICA mit der Begründung "Ihr habt eine destruktive Performance bestellte, hier habt ihr sie"), irgendwas mit merkwürdigen Sexpraktiken, subliminalen Botschaften und Infraschall, rauchenden Schloten von Todesfabriken, medizinischen Lehrfilmen und allerlei psychopathologische Narretei schien da im Spiel - alles natürlich hochinteressant. Schräg, neu, Zickzack - mehr wollte man damals ja nicht. War ja alles aus Beton, damals. Und wenn man schon blaue Mülltüten als T-Shirts trägt, will man auch sonst mehr deviant statt ordinary. Are We Not Devo?

Sordide Sentimentale: Die Musik exisiterte meist nur gerüchteweise, einmal schickte ich meine Mutter mit einem Weihnachtswunschzettel (SPK, Leichenschrei ) zu Karl vom Kothen, einem Wuppertaler Schallplattenhändler, der von sich behauptete, er habe "jede Platte". Natürlich mußte er passen. Machte kaum was, weil ich damals wie jeder zweite selbst mit alten Tonbandgeräten, zusammengeklebten Bändern und Endlosschleifen (heute hieße das Loops) experimentierte, mir wie Laurie Anderson eine Magnetbandgeige bastelte (einen bespielten Streifen Tonband auf eine Holzleiste geklebt, die man dann wie einen Geigenbogen an einem Tonkopf vorbeiführte), allerlei Gerät zu Schlagwerken umfunktionierte - was man halt so macht als junger Mensch, dem kein Experiment zu schwör erscheint.

(Dafür liebt man Berlin: Immer gleich die Gegenrede parat)

Throbbing Gristle war dann irgendwann Kunstkacke, fand ich da gerade doof, Gefiepe und Gesuhle in Atrocities, und der Humor, eines ihrer Alben "20 Jazz Funk Greats" zu nennen, kam bei mir nicht an. Wie so oft, war das Konzept, die Idee letztlich auch interessanter als die Musik. Aber da ahnte man ja noch nichts von den mediokren Epigonen, die in den 90ern mit ihrem modulierten Industrialkitsch die Lauschwege verstopfen sollten. Dr. Benway und ich zogen ihre Rezeptblöcke jedenfalls bald für andere Harmonien; Krach und Klanggeschredder rhythmisierten derweil Techno/Gabba (Chris Carter!) - und irgendwie ist Industrial auch für den heutigen Klingeltonwahn verantwortlich, da bin ich sicher. (Mehr gewagte Thesen wagen!)

Seit ich selbst keine Musik mehr mache, interessieren mich Klangexperimente nur noch stark am Rande. Krach ist ja auch am schönsten, wenn man ihn selber macht und Küssen kann man besser zu säuselnden Melodien.

Leider wummerte mir Neujahr selbst noch zu sehr der Kopf, so daß ich auf das Konzert verzichtete (trotz: Nostalgie, seltener Moment usw.), immerhin aber noch die (allerdings kleine) Ausstellung im Berliner KW besuchte. Education through Pain nämlich.

News from the Death Factory: Fotos, Plakate, Konzertfilme und Geräusche und einiges an seltenerem Fanmaterial werden da gezeigt. Unter anderem eine Auswahl von Kundenkarteikarten des bandeigenen Labels. Ein Detail, das wie schwarzer Marmor funkelt: Auf der Karte von Ian Curtis steht nüchtern der ultimative Verweis: "deceased".

(D.O.A.: Das neue Album "Part Two" von Throbbing Gristle erscheint am 20. März. Ausstellung noch bis zum 29. Januar im KW - Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin)

Radau | von kid37 um 10:38h | 13 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 15. Januar 2006


Kalt, aber nicht so sehr

Another head aches, another heart breaks
I am so much older than I can take
And my affection, well it comes and goes
I need direction to perfection, no no no no

(The Killers, "All The Things That I've Done")

Tief in der Nacht spuckt es mich aus, das rauchige Café, und durch frostige Straßen geht der Weg, der letzte des Abends. Immer zu lang, immer zu weit. In der U-Bahn der Plunder der Nacht: trunkene Jugend, verbrauchte Gesichter, schlafende Schönheiten. Die letzten Versprechen sind bereits vergessen. Das letzte Lied hängt noch in den Köpfen nach. Im fahlen Licht des Wagens indes kein Platz für Gnade. Schäbige Taschen, kaputte Schuhe, ein Rest verstreuter Glitter: Wenn die Nacht in Trümmern liegt, gilt es, das nackte Ich nach Haus' zu bringen. Hungrig kriechen wir noch ein wenig tiefer in die abgewetzten Mäntel.

Ich betrachte die Wimpern, das müde Blau in den Augen des Mädchens gegenüber. Ihren Freund, an dessen Arm sie sich schmiegt, wird sie bald verlassen. Noch weiß sie es nicht. Doch in einer Nacht, die ihm frostiger scheinen wird als diese, wird sie ihm sagen, daß sie nun gehen muß.

Was macht es schon. Die Züge fahren die ganze Nacht. Man muß nur wissen, wo man aussteigen muß. Und wo man bleiben kann.


 


Freitag, 13. Januar 2006


Ankomme Freitag, den 13., dein Vollmond

Und sie schlugen meine Blutangst tot,
Wie Himmelsbrand blühte das Morgenrot,
Und mein Blaß schneite von ihren Wangen.

(Else Lasker-Schüler,
"Es war eine Ebbe in meinem Blut". 1902.)

Der Vollmond macht mich schon jetzt rappelig. Heute den ganzen Tag mein Zimmer umgeräumt (das eine), weil ich dachte, ich müßte mal mein Zimmer umräumen. Klein- und Mittelmöbel von hier nach da und dort nach links verschoben, Teppiche gerückt, Staubnester entdeckt und mit Namen versehen ("Meer der einsamen Erdnuß", "Land des verlorenen Weinkorkens"), Kabel ("Strippen") gezogen, mit dem Kopf gewackelt (bedächtig), zurücksortiert, Krise bekommen (More Belastbarkeit, Baby!), gleich darauf Mut zum Neuen, Heftchen gefunden, erstmal langgelegt (Chaiselongue), geblättert & festgelesen.

Zwischendurch Wein geholt (Bordeaux, 75 Cent mehr ab diesem Jahr, neuer Luxus!), an dieses gedacht und an jenes auch, Geduld geübt. Zu einem Lied mitgesungen, (It was really nothing), ein Bild umgehängt, ein anderes endlich geradegerückt. Unruhe, alle Fenster aufgerissen, Heizungsluft gegen feuchte Kühle getauscht. Never, never, never stop. Festgestellt, die TÜV-Plakette vom Deckenhaken ist abgelaufen. Kurze Panik bekommen, dann Hoffnung. Brauche ich nicht mehr. Erstmal.

Ein Tag, um über Vorhersagen nachzudenken. Zum Beispiel beim Möbelrücken (Metapher, Metapher!) oder Haareschneiden. Selbsterfüllende Prophezeiungen niederschreiben, kleine Zettel unter die Fußmatte schieben. Schlüssel bei der Nachbarin abgeben (alle Fälle, alle Fälle!), ein Kleinmöbel zurückstellen, beschließen, schlaflos zu bleiben (Herr Kid, wieso sind Sie eigentlich nicht mehr somnambul?) und Untersuchungen in nächster Nähe anzustellen. Mit gerade einmal 37einhalb ein Bauchansatz, ich muß kämpfen. Immer kämpfen.


 



Die Eule und das Kätzchen

Das Jahr kann kaum schöner beginnen, das ist bekannt, als mit einer neuen sexy Ausgabe von Kitten Kitten. Kate Moss, Sex auf der Müllkippe, Mode, Tode, Tralala - und natürlich der fashionable Jahresrückblick. Stärkstes Zitat:
Dass die schwarze Gemeinde Anflüge von Selbstironie zeigt, versöhnt einen mit seiner Vergangenheit.

Die Yeah Yeah Yeahs heißen dieses Jahr Metric, weiß ich das also auch. Spannender, alberner, überraschender und konsequenter wie immer aber:
Der Ringelstrumpf der Woche bei Naughty James.
(Nicht nur deshalb. Ich mag dieses Projekt, bei dem Craig Cowling jeden Tag ein Bild postet und Fragmente seines Lebens streut. Ganz ungeschwätzig.)

Das Blog (wie die übrigen Serien) von Ernesto Timor sind zudem nicht genug zu preisen. Deswegen tue ich das auch. Immer wieder.

(Educati0n through Wiederholung)


 


Donnerstag, 12. Januar 2006


Eine Stadt hing dunkel...

Daily except for Sunday
You dawdle into the café
Where you meet her each day.

(The Sparks, "This Town Ain't Big Enough For The Both Of Us")

Die Kopierkatzen schleichen auch durch die fremde Stadt und legen sich an vorgewärmte Plätze. Stadt und Netz und Welt sind eben doch nicht groß genug. Von all den Dingen, all den Plätzen, die man wählt, all der Vielfalt, die man formt und pflückt - warum die greifen, die den Stempel schon tragen?

Hase, Igel und ein Fuchs. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Ein Vogel weht ein Lied mir zu, man nimmt es dann so wahr, wie den Gesang der Amsel. Und stutzt, in plötzlicher Erkenntnis: Das Vieh kann meinen Klingelton!

So mancher lädt dann gleich sein Salzgewehr, der nächste zuckt die Schultern. Ich hab' zum Glück für sowas keine Zeit. Aneignung. Abneigung.

And if you go into the woods today, you'll find that I am not there.

[Kryptozoologische Feldforschung zum Flaggenwechsel 2006]