
Mittwoch, 13. Juli 2005
Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen. Die Betonung liegt auf "stehen". Beim Aussteigen aus der U-Bahn, auf Rolltreppen, die Menschen haben viel Zeit.
In der Fabrik geht es zu wie in einem Zombiefilm. Erst wollen sie einen Arm. Dann auch noch ein Bein. Jetzt wollen sie meinen Urlaub.
Heute morgen ein interessantes Gruppenexperiment gesehen. Eine Horde Kindergartenkinder. Alle mit orangefarbenen Mützen und blauen Leibchen bekleidet. Staksig auf streichholzdünnen Beinchen. Dann mußten sie sich in einer Reihe aufstellen und an einem langen blauen Seil festhalten, ehe sie losmarschierten zu Planten und Blomen.
Idee für ein interessantes Gruppenexperiment bekommen. Alle Blogger mit orangefarbenen Mützen ausstatten, in einen Raum sperren und mit einem blauen CAT-5-Kabel verlanen. Dann den Kontakt zur Außenwelt kappen.
Abwarten a) wann sie es merken. Abwarten b) was passiert.
Das neue Tank hat wieder schöne Strecken. Leider teuer. Dafür an einer weiblichen Person ein durchscheinendes schwarzes Tank-Top gesehen, mit blauem BH darunter. Bin unentschieden.
Blau gemacht: Supersnazz verpaßt. Großen Ärger verspürt. Werde jetzt die Luft anhalten, bis ich blau anlaufe.
Nachtrag: Die Hitze unterm Dach treibt meinen Rechner immer häufiger zu Bluescreens. Das ist doch alles kein Zufall.

Dienstag, 12. Juli 2005
Die letzten Sargnägel schlagen die guten Freunde ein.

Sonntag, 10. Juli 2005
Heute war letzter Tag der Jahresschau der HFBK in Hamburg. Früher habe ich ja gegenüber gewohnt und ging schon mal mittags zum Essen in die Mensa.
(Das sage ich jetzt jedes Jahr). In den letzten Jahren schaute ich nur ab und an mal vorbei; aber den Akademierundgang lasse ich mir nicht entgehen.
Fast könnte man meinen, da feiert sich die Künstlerszene von morgen selbst. So aufgeregt und engagiert und bionade- flaschenübersät präsentieren sich die Werkstätten und Klassenräume und deren Bewohner. Aber ich diskutiere da nicht lange in Grundsatzfragen herum, sondern lasse einen paternalistisch gutmütigen Blick über die Exponate schweifen, murmele hier und da Sachen wie "hübsch pastoser Farbauftrag", fasele von "quasi haptischen Erlebnissen", tadele hier und da die Linienführung, um die jungen Menschen aufs Leben vorzubereiten und lasse ungefragt durchblicken, daß ich sozusagen in einer artverwandten Branche tätig bin.
Das kommt beim elternentrückten Nachwuchs immer gut an, denke ich. Und ob Kunst oder Gartenzwerge, seien wir ehrlich, wer will das schon immer so genau entscheiden?
Wenn man regelmäßig dorthingeht, kennt man seine Pappenheimer. Ich weiß, daß es kurz vor der Bildhauerklasse die besten Waffeln gibt, und ganz oben, bei der "Freien Kunst" die entzückendsten Ergebnisse. Wie jedes Jahr, kaufe ich eifrig Künstlerbücher, man weiß ja nie, vielleicht ist der nächste Immendorf dabei.
Nachdem man letztes Jahr deutlich die Sparmaßnahmen an der HFBK (Danke, Senat!) merken konnte, hat man sich dieses Jahr daran gewöhnt. Alles kleiner und kurzgeschorener. Inhaltlich zeigt sich mehr und mehr eine merkwürdige Versachlichung. Genitalbilder, vor ein paar Jahren noch das sine qua non der künstlerischen Selbstexploration, sind bis auf auffällige Ausnahmen kaum noch zu sehen. Die klassische Menstruationsblutmalerei scheint ebenfalls auf dem Rückzug. Man wagt nicht, man spielt Schach. (Das riesige Schachspiel war aber wirklich beeindruckend.) Man pinselt aber auch nicht mehr so viel im eigenen Bauchnabel herum (Vielleicht haben die jetzt auch alle Blogs!). Wie immer: Tasten, testen, tremolieren. Ich liebe das.
Musikalisch gab es viel Robocop Krauss und Interpol und Techno; aber an drei Örtlichkeiten habe ich eine akustische Gitarre, vulgo "Klampfe" gesichtet. Hark!
Bilder gibt es in den Kommentaren.

Die polnischen Künstler Jaroslaw Kubicki und Bartosz Hervy präsentieren eine morbide Geschichte voll rostzerfressener Engel. Wie häufig bei solchen surrealen, industrial-erotischen Gespinsten aus der Gothic-Szene hier und da ein wenig geschmäcklerisch - was auch für die Musk gilt - aber die ganze Präsentation ist schon ein optischer Genuß.
Über das polnische Web-Zine Web-Esteem (die meisten Beiträge sind ins Englische übersetzt) gelangt man unter anderem zu Zbigniew Reszka. Der polnische Fotograf erinnert mit seinen zerkratzten Negativen und braungetonten Barytprints von Ferne an Gilles Berquet oder Emil Schildt. Pierre Molinier könnte einem noch einfallen, aber der fällt einem ja immer ein, wenn schwarze Strümpfe durch eine fotografische Retro-Ästhetik wehen.
Streckenweise recht "in da face", also nicht safe for work.
Sollte es heute noch regnen, drinnen oder draußen, gibt es auf Web-Esteem viel zu entdecken (z.B. Ken Merfeld). Für die sonnigeren Gemüter empfiehlt sich das weitaus konsensfähigere Photoblog von Philippe Hirou. Muß ja nicht immer alles düster und kaputt sein (a.k.a. "Lügt euch doch was zurecht"). Treiben lassen.

Samstag, 9. Juli 2005
It was not a fear or dread. It was a nothing that he knew too well. It was all a nothing and a man was a nothing too. It was only that and light was all it needed and a certain cleanness and order. Some lived in it and never felt it but he knew it all was nada y pues nada y nada y pues nada. Our nada who art in nada, nada be thy name thy kingdom nada thy will be nada in nada as it is in nada. Give us this nada our daily nada and nada us our nada as we nada our nadas and nada us not into nada but deliver us from nada; pues nada. Hail nothing full of nothing, nothing is with thee. (Ernest Hemingway, "A clean well-lighted place". 1934.)

Das Organische im Anorganischen, gewunden wie Gedankenknäuel oder die Tentakelarme eines fortpflanzungsverzückten Oktopus'. Die Anordnung der Dinge findet im Zufälligen seine Form. Mehr gibt es auch zu Blogs nicht zu sagen. Links führen in die Tiefen einer absichtslosen Welt. Wie Perlboote umhergleiten, tasten, existieren, vergehen. Stelle einer seine Forderungen an einen Tintenfisch.
"Gesellschaftlich gesehen ist die bildende Kunst ein wichtiger, inhaltlich aber unterschätzter Teil unserer Kultur. Die Gesellschaft ist sich der daraus resultierenden Verantwortung immer weniger bewußt..."
(Interview in der Photonews 7/05 mit Vladimir Spacek, Professor für Fotografie an der Akademie für Bildende Künste, Mainz)
Alles soll verwertbar sein, höheren Zwecken dienen. Doch: Die Reste des toten Vogels waren heute wieder aus meiner Regenrinne verschwunden. Flüchtige Zeichen. Hier gibt es keine Erwartungen, keine Antworten. Nicht mal einen Keks. Der Sinn ist: es gibt keinen. Und jeden. Einatmen. Ausatmen. Vielleicht ist es nur eine Polymelie. Der Wurmfortsatz irgendeiner Ästhetik. Und wenn schon.
(File under Kryptozoologischer Brückenbeitrag)

Freitag, 8. Juli 2005
<aufgeregtindiecnnkameradiktier>Ich war gerade mittenmang am Entgraten in der Gartenzwergfabrik, als ich die Nachricht hörte. Friedensnobelpreis! Ein Preis für das Hermetische Café!
Doch, ich freue mich. Wirklich. Auch wenn ich durch Links in meinen Referrern sehe, daß der ein oder andere bereits mit den Augen rollt und lautstark fragt "Wieso die und nicht die oder die?"
Weil die Jury es so entschieden hat und diese Entscheidung auch anders hätte ausfallen können und genauso zu rechtfertigen wäre und weil es nicht darum geht, ein Blog gegen das andere auszuspielen. Mal abgesehen davon, daß Deutschland möglicherweise das einzige Land ist, in dem man sich für Auszeichnungen rechtfertigen muß.
Jeder Leistungssportler weiß, warum er trainiert: Für den Wettbewerb, die Weltmeisterschaft, Olympia. Darauf arbeitet er hin, um auf den Punkt fit zu sein und besser als die Konkurrenz. Bei Blogs ist das anders: Hier wird täglich vor Publikum trainiert, aber ein Messen gibt es nicht. Beim Bloggen geht es nicht darum, nach 100 Metern als erster vorne zu sein. Keiner muß sich "beweisen". Grad so aber wird offenbar von einigen ein solcher "Wettbewerb" verstanden - und paradoxerweise gerade von einigen Kritikern.
Ich freue mich, daß Texte wie der von Frau Wasweissich gewonnen haben. Das ist genau die Art von Relevanz, die ich mir wünsche. Und in der Tat: Trotz der etwas unglücklichen Begleitumstände während der Nominierungsphase und der Diskussionen im Anschluß, kann ich mich über diesen Preis freuen. Ich nehme es als Anerkennen für das, was hier seit 565 Tagen versucht wird: eine persönliche Auseinandersetzung, ein Experiment, ein subjektiv gefärbter Reisebericht. Mein Merzbau. Das mag manchmal funktionieren, oft auch nicht - aber das sind genau die Freiheiten, die man als Blogger (noch) austesten kann.
Leute: Hier gilt es keinen "Gegner" niederzuringen, keiner muß mehr Tore schießen als der andere, um sich zu beweisen. Jedermann sein eigener Fußball, so versprach und forderte einst ein dadaistisches Magazin.
Warum gibt es Filmfestivals, die Biennale in Venedig, den Grimme-, Turner- oder Bachmann-Preis? Mit der Stoppuhr ist da nichts zu messen. Cui bono?
Nun, unter anderem feiert auch immer eine Branche Szene sich selbst - und das nicht unbedingt zu ihrem Schaden. Und "feiern" heißt (ich erinnere mich dunkel) Spaß haben, nicht alles unnötig ernst nehmen.
Artig deshalb meinen Dank an die Zeit, die Jury und alle Leser.
Und morgen ist ein neuer Tag.</halleberrymodus>

Gerade großes Gezänk vor meinem Fenster. Ein Schwirren schwarzer Flügel, dort, wo sich zwei Krähen um die Reste eines Vogels streiten.
Nun bringt man mir die toten Tiere schon vors Haus. Ich muß jetzt los, den Briefkasten inspizieren.

Wenn einen die Mitarbeiter in der Fabrik morgens mit "Schön dich zu sehen, Gordon Freeman" begrüßen, ist Vorsicht geboten.
Die Aliens haben die eisernen Besen ausgepackt. Ein Drittel unserer Abteilung hat es in der ersten Welle dahingerafft. Rauch steht über dem Gebäude. Problem: Die überfluteten Gänge sind von funkenschlagenden Hochspannungs- synergiekabeln verstellt. Ich versuche den Weg durch den Lüftungsschacht.

Dienstag, 5. Juli 2005
Hm. Also wenn ich den Trailer so sehe, erwarte ich nicht viel.
Droht nach Big Fish die nächste Enttäuschung?

Montag, 4. Juli 2005

Heute mal endlich mein Fahrrad halbwegs flott gemacht und ein bißchen rausgefahren. In zehn Minuten bin ich unten am Billwerder Sperrwerk und am Entenwerder Stieg. Letzten Herbst war ich zuletzt dort hinterm Deich, in einer merkwürdigen Nacht zwischen Wahn, Regen und Kälte.
Hinter dem ehemaligen Sandfilterwerk kann man in Sichtweite des alten Holzhafens durch unwegsames Gelände fahren, außer unbeholfenen Kröten am Tage und Liebespaare in der Nacht kreuzt dort niemand den Weg. In der Nähe des Yachthafens parken Automobile der besonderen Klassen von SEK über SLK bis Mannschaftswagen, aber alle mit Stern. In einem ausrangierten Elbkahn befindet sich nun der Schießstand. "Zutritt verboten - Lebensgefahr", man glaubt es gerne, wenn man die Hunde und geparkten Ludenmobile Nobelkarossen dort sieht. Nur der grün-weiß lackierte irritiert, aber vielleicht ist die Besatzung nur im Restaurant "Zum Skipper", eine Brotzeit holen.
Die Gebiete dort unten, wo sich Speditionen an Schrottplätze und Chemiewerke reihen und stillgelegte Metallverarbeitungshütten hinter rostigen Toren liegen, haben ihre eigenen Gesetze. Frühstück ab sechs, verkünden windschiefe Tafeln an den Truckerrastplätzen. Davor und dahinter erfaßt das Auge nur Staub. Staub in der Sonne.

Einige kennen meine Begeisterung für die Hauptstadt unseres südlichen Nachbarlandes. Mein Freund, der nun schon seit über 15 Jahren in Wien lebt und sowas wie Kunst macht, sagt ja immer, komm' doch noch Wien, ist hier alles völlig überdimensioniert, kannst Du aber gut Kunst machen.
Na ja, ich bin dafür wahrscheinlich schon viel zu verkalkt. Am Wochenende höre ich jedenfalls nach wie vor gerne FM4, den Sumpf, die Neigungsgruppe "Sex & Gewalt", die Euroranch - alles Dinge, auf die mich unsere bewundernswerte und vielvermißte Frau Sonne aufmerksam gemacht hat.
Interessiert lese ich auch immer wieder gerne Wiener Blogs, wie z.B. das von Frau Gingerbox, die nicht nur liquiden Schmu redet, sondern auch austeilen kann, aber vielleicht gerade deshalb unter anderem auch eine "begehrenstechnisch ambivalente Projektionsfläche für ältere Herren" (Selbstaussage) darstellt. Außerdem, und das kann man kaum hoch genug loben, verlinkt sie Bilder eines meiner Lieblingsfotografen, Robert Parkeharrison.
Für uns alternde Fluxus-Situationisten sozusagen echter Sprengstoff!
