
Donnerstag, 21. April 2005
Wenn man morgens im Radio statt "NDR Info" die Worte "Endlich ein Ufo" hört, dann ist es tatsächlich an der Zeit, über das Thema "Nachtschlaf" nachzudenken. Vielleicht muß ich mich aber auch einfach mal richtig enthemmen. Schließlich ist Frühling, und man könnte zum Beispiel barfuß bloggen. Besser aber ist Exorzismus. Mit Klangrasseln bewaffnet durch die Ecken ziehen, ein bißchen Weihrauch wabern lassen und alle dunklen Raben der Erinnerung durchs offene Fenster treiben.
Dann weicht das Gekrächze tosender Stille. Tödlich oder wie ein Meereswogen, wer weiß das schon. In die Stille hinein bohrt sich nur noch eins: Kein Schreien, kein Stöhnen, nur das Ticken einer alten Küchenuhr.

Mittwoch, 20. April 2005
# Leute, die sich für jede Dummheit, für jedes bequeme "ich kann nicht" gleich eine eigene Kirche bauen. Sozusagen die Sünde zum Ideal erheben; Prahler, die voller Stolz sich noch brüsten. Auch eine Form von Superbia.
# Bei der nächsten Person, die vaterlos aufgewachsen ist und mir erklärt, daß sie diesen "ja nie vermißt" habe, verlasse ich sogleich rückwärts wieder die Wohnung. Notfalls lasse ich Mütze und Schal zurück.
# Man stellt es immer wieder fest: Leute, die sich selbst als "tolerant" bezeichnen, sind häufig die schärfsten Dogmatiker.
# Gilt für fast alles. Leute, die von "Freiheit" faseln und die Wohnung verriegeln, wenn die anderen gehen wollen.
# Heilslehrenverkäufer, die anderen "schärferes Nachdenken" ("Erwachet!") nahelegen und bei Gegenwind weinen oder gleich den großen Knüppel rausholen. Faschokeule ist auch immer gut. Oder "Spießer". In solchen Augen oftmals noch der schlimmere Vorwurf.
# Ich habe natürlich den Vorteil, einen Platz in der Vorhölle sicher zu haben. Bausparvertrag brauche ich also nicht.
# Im Zoo immer von links nach rechts laufen, um die Tiere zu foppen.
# Grübelsex. Ich mach's die ganze Nacht.
# Bei Diskussionen immer noch ein Förmchen oder Schüppchen im Ärmel haben, um dem anderen eins übern Kopf hauen zu können. Notfalls halt mit Sand werfen.
# ...
# Mal schlafen gehen.

Dienstag, 19. April 2005
Da nehmt doch lieber mich.

"Like no other girl did before..."
Herr Nase hat da sehr schöne Blumen gefunden. Merci!
(Emilie Simon, "Flowers")

Montag, 18. April 2005
Am Wochenende mußte ich meinem opulent sich verbreitenden Basilikum beim Wachsen zuschauen, deshalb kam ich mal wieder zu nichts. Jedenfalls nicht zum Bloggen. Dafür gab es leckere Sachen aus dem Wok, 'chön 'charf auch. (Wenngleich mir Frauen wieder beweisen mußten, daß sie es selbstredend noch schärfer draufhaben. Nun gut, als wohlerzogener Mensch gönnt man anderen gerne die kleinen Triumphe. Die kleinen.)

Die Bucherwerbungen der letzten Zeit verharren jedoch immer noch in devot-bettelnder "Lies mich bitte"-Haltung. Immerhin konnte mich Joachim Lottmanns Die Jugend von heute mit der ein oder anderen scharfzüngigen Beobachtung erfreuen. Jetzt wartet gerade der sehr hübsch aufgemachte Band über Claire Goll, Femme fatale des Expressionismus, mit wilden Gedichten und unzüchtigen Bildern auf mich. Dicht gefolgt in der Warteschleife von Leo Navratils Art Brut und Psychiatrie, über das sich sicher ein eigener Beitrag lohnt. (Ich wollte ja auch immer noch berichten, wie Frau Sonne und ich letztes Jahr durch die Wiener Irrenanstalt flanierten. Ein hochinteressanter Ort.)
Unzüchtige Bilder hatten dann auch die "Mädels vom Immenhof" für mich. Heidi Brühl fand ich als Kind ja richtig toll, aber dies nur nebenbei. Am Immenhof gibt es in Hamburg ab und an einen schönen Flohmarkt, auf dem auch immer wieder hübsche Fundstücke aus den 20er/30er-Jahren auftauchen. Meine Garderobe stammt von dort, und nun auch diese höchst aparten Fotografien unserer Großeltern.
Fast so anregend wie triebhaftem Basilikum beim Wachsen zuzuschauen. Ehrlich wahr.

Donnerstag, 14. April 2005
Als einfacher, aber auch eitler A-Z-Blogger möchte ich heute den Blick auf die Seifenoper von Frau Wortschnittchen lenken, die das ewige Ringen um Gut und Böse in der Blogwelt mit Sex, Intrigen und Serienmord anreichert und - best of all - mit Ringelstrümpfen.

Dienstag, 12. April 2005
Michael Hussar malt morbid-erotische Bilder von gefährlichen Mädchen und Köchen, die wie Dalí aussehen. Eine barock-surreale Welt, in der ich mich gleich zuhause fühle.
Freunde der pronografischen Kunst werden in diesem Röntgenraum weiter schauen können als jemals zuvor. Wim Delvoye setzt Eros und Thanatos in ziemlich aufregende Bilder, die - wie soll man es anders sagen? - unter die Haut gehen. X-Ray-Sex löst uns endlich von der Gefangenheit unserer Haut und den bloßen Äußerlichkeiten der Oberfläche. "Tiefer, tiefer" bekommt eine neue Bedeutung, transgressive Akte, radikal-pronografische Körpereröffnung eben- falls. Doch bislang gilt, don't try this at home!
(Ich hingegen habe mir soeben über eine Zeitungsanzeige so eine Röntgenbrille mit roten Spiralen vorne drauf bestellt. Damit kann man alle nackt sehen, wenn ich den Text richtig verstanden habe!)

Now my sweet knife rusts tomorrow
On my confession that is waiting to be heard
(Marilyn Manson, "Spade")
Der dunklere Zwilling lacht sein groteskes Lachen, Zähne frei, beiß gleich rein, hier mein Arm. Ruchlos, reuelos, mit Stolz sogar, von sich berauscht, stumpf.
"Man sucht sich diese Menschen", sagt sie und weiß das besser als ich selbst. Was also lernt man, braucht man, was sind die Nullstellen, die Löcher, die gefüllt werden müssen ausgerechnet durch solche Menschen. Die Intensität, das Drama, die "Reibung", sagt sie. Sie erzählt von sich. Gemessen daran, war ich auf einem Waldspaziergang. Aber Schmerz ist nicht teilbar, nicht vergleichbar. Wir sind hier nicht zum Wettkampf, kein Stierkampf, zum Glück. Wir sitzen hier nur so.

Montag, 11. April 2005
ich würde ja gerne mal einen Studenten aus dem Westen bei Ihnen sehen, der ausschließlich Fragen wie "Wer war der Herausgeber des Eulenspiegel?" oder
"Wie heißen die Abrafaxe?" beantworten muß.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr gelegentlicher Zuschauer Herr Kid



Wenn das Volk weg ist, wie wähle ich mir dann ein neues?
Schwarzgeteerte Fässer, gefüllt mit Erinnerungen, die zum Teil noch nicht einmal die eigenen sind. Dich halten, dich verletzen, eine Hand reichen, ein Messer verstecken. Wenn du weg bist, wohin wende ich mich dann? Abends stehe ich oft am Bahnhof, ein kalter Wind weht über den Bahnsteig, zerschneidet die Stimme aus dem Lautsprecher, trägt die Stümmelwörter fort über die Gleise. Ich gebe vor, auf jemanden zu warten.
Jemand, der doch nicht aus dem Fernzug steigt. Die Blume in meiner Hand, ich gebe sie weg, ich schenke sie dem jungen Mann, der um den Wagenstandsanzeiger kreist, aufgeregt, wie ein Hund vor der Jagd. Immer wieder schaut er auf die Uhr, vergleicht sie mit der Anzeige auf Gleis 11. Ich weiß, er hat die Blumen vergessen, und ich brauche sie sowieso nicht mehr.
Wir sitzen zusammen hinten im Bus und ich denke an The Sun Also Rises, den Kriegsverletzten und der Hungrigen und den Stierkämpfer. "Kriege, die ich gesehen habe", zitiere ich und spüre zwischen den Blumen deine Hand auf meinem Bein. Wir fahren zur Beerdigung, und ich versuche mich an die alten Bilder zu erinnern. Es war das letzte, was uns verband. Sie schickte mir regel- mäßig Bilder, immer neue Varianten, immer neue Versprechen. Sehe ich sie heute, das bedingungslose Kaspertheater, meine ich sie zu spüren, ein Geist, ein verschollenes Bataillon, das sich dem Feind ergeben hat.
Manche Dinge erlebt man nur einmal. Bei manchen Dingen ist dies auch genug. Was aber, wenn man merkt, daß man nichts anderes gelernt hat? Geht man dann zum Veteranentreff? Zeigt man seine Narben, flucht man auf die Monarchisten oder die Republikaner? Was, wenn man am Ende gar nicht mehr weiß, wer auf welcher Seite stand? War man Gegner, Alliierter oder wenigstens Komplize? Oder wie so oft doch nur Kanonenfutter?
Am Ende geht es nicht mehr um Sieger und Besiegte, denn der Sieger geht immer leer aus. Am Ende, dann nämlich, wenn die Party vorbei ist, das Fest fürs Leben, legt man die Stierhoden achtlos beiseite. Diese Trophäen auf dem Teller, wem bedeuten sie noch etwas. Längst ist man in einem anderen Land.
