Freitag, 25. März 2005


Death of a Clown

So ist das und nicht anders.

(Via Spreepiratin. Zu Richard Prince siehe auch hier.)


 


Donnerstag, 24. März 2005


Liebe ist süßer als Vitriol

Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben, nun in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen.

(Georg Heym, "Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen", 1912.)


Mit einer Lenore-Stimme, die direkt aus den dunkelsten, salpeter- verkrusteten Kellern des efeuumwölkten Hauses Usher zu kommen schien, gab sie mir Antwort. Ein grabestiefes, völlig unmoduliertes Hauchen, wie das leichte Stöhnen des Windes, der durch ein verwittertes Mausoleum fährt. "Wow", bemerkte meine Begleiterin trocken. "Die klingt, als hätte sie erst gestern einen Selbstmordversuch unternommen. Das wäre doch mal eine Frau für Dich!"

Leider sprach ich das schwarzgewandete morbide Mädchen an der Kasse nicht an, weil die Ausstellung mich ablenkte und auf andere Gedanken brachte. Das zeigt, daß die Kunst immer über der Liebe steht und auch recht daran tut.

Aber schön wäre es doch, das aufregend morbide Mädchen mit nach Hause zu führen und mit ihm einen gemütlichen Sonntagnachittag zu verbringen. Ich stellte die Flaschen mit dem zimmerwarmen Selbstmitleid ins hintere Regal, holte die Grüne Fee für die Liebe zu Dritt und zündete - der romantischen Stimmung wegen - ein, zwei Grablichter an. Wir sähen uns tief in die schmerzgeprüften Augen, vertrieben uns die Geister der Vergangenheit, prosteten uns zu und überlegten, wie wir sogar die Toten mit unserer Liebe zum Leben erwecken könnten.

Dann würden wir ein Auge oder zwei in den Katalog von
Van Dyke's Taxidermy werfen und überlegen, welches Zubehör wir noch bräuchten, um Saatkrähen, Ratten oder Eichhörnchen präparieren zu können, ohne daß ausgerechnet deren unschuldige kleine Körper für immer in sich zusammenfallen oder ihr Aussehen ins Unschöne verändern würden.

Unsere Liebe wäre ewiglich, die des schönen morbiden Mädchens und meine. Irgendwann legte ich ihr eine Hand auf den ringelbestrumpften Oberschenkel und strich ihr durchs opheliarote Haar. Wir verglichen unsere Narben und ich flüsterte "Niemalsmehr". Sie sähe mich an, ein wenig scheu vielleicht oder mit dem Anflug eines Lächelns, und hauchte mit ihrer lebensleeren Stimme "Hast du noch was von dem Zwirn?" oder "Reich mir bitte mal das andere Auge" - so was in der Art. Wir wären glücklich in unserer kleinen, zerstörten Welt. Ich würde sie zeichnen oder fotografieren, wie sie die kleinen Rattenkörper stopft und in putzige Positionen formt. Dann sähen wir uns eine Folge der Addams-Familie an und abends, in meinem schmalen Krankenhausbett, lägen wir eng aneinander- geschmiegt, und ich würde zum Einschlafen eine Geschichte von Edward Gorey lesen. Die vom Glücklosen Kind, vielleicht.

Sie würde mir alles glauben. Weil sie weiß, daß ich alles erfunden habe.


 


Donnerstag, 24. März 2005


Haus der Photographie

Am 14. April eröffnet anläßlich der 3. Triennale der Photographie nach einjähriger Umbauphase das Haus der Photographie.
Zur Einweihung des Hauses werden zwei Ausstellungen gezeigt: "Martin Munkácsi: Think While You Shoot" und eine Auswahl zeitgenössischer Künstler aus der Sammlung F.C. Gundlach unter dem Titel "bildwechsel 01".
(U. a. mit Walter Dahn, Dokoupil, Nan Goldin, Martin Kippenberger (!), Nick Knight, Tracy Moffat, Sigmar Polke, Richard Prince (!), Lucas Samaras, Andy Warhol, John Waters (!))

Ausstellung vom 15. April bis 24. Juli 2005, Deichtorhallen, Hamburg.

Flanieren | von kid37 um 00:59h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Ein oder zwei Dinge, die ich über dich weiß

Eckstein, Eckstein, einer muß versteckt sein! Jaja, wo ist er nur, der geheimnisvolle Text, den nur wenige sahen, der Google-Roboter allerdings nicht. Heute wurde eine kleine, sagen wir mal, Safari nach ihm veranstaltet. Ist er vielleicht hier?
Oder hier?
Hier könnte es sein!
Oder doch eher hier?

So interessant war das alles nicht. Ehrlich.
Und irgendwann erzähl' ich es halt noch mal.

Nachtrag: Haha, so liebe ich meine Leser. Die Suchanfragen kurze Zeit später:

1 Search request: kid37 der vollpfosten
1 Search request: kid37 ist doof :-D
1 Search request: kid37 so ist das wohl

Ja, so ist das wohl. ;-)

The Mercy Seat | von kid37 um 21:21h | | Link

 


Dienstag, 22. März 2005


Get me a Ray Gun, please

"She is trying to separate herself from a very traumatic event in her life, the end of her relationship with Tim," Ms. Ott added. "Her purpose is to move forward, and leave the past behind her."

Manchmal ist dies genau der richtige Weg. Zwei, drei Andenken, Fotos, etwas Persönliches - und dann Platz freischaufeln, weg mit dem bric-a-brac, den Infiltrationen, den feixenden Büchern, die fremde Gedanken atmen, dem aufgedunsenen Plunder aus einer fernen Galaxie. Andere Frauen wählen den Weg über eBay, aber so eine Haushaltsverkostung in der Garage hat vielleicht auch ihren Reiz.

Tim Burton war not amused, aber auch er wird dies ertragen wie andere Männer vor ihm.

Wäre bitte jemand so nett und gibt Ms. Lenora Claire meine Nummer? Danke.

Super 8 | von kid37 um 22:55h | 23 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Song To The Siren

Es wurde mir heute gewünscht. Zugedacht. Als Erinnerung, die unbeschwert und unbelastet ist. Erinnerungen tilgt man sowieso am besten, indem man einfach neue macht.

New Order Waiting For The Sirens' Call

(via Waldar)

Dank an k.tastrophe.

Radau | von kid37 um 01:00h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 20. März 2005


Ferry Cross The Elbe

Statt Bussen verkehren im Hamburger Hafen Fähren, das liegt auf der Hand.
Seit letztem Jahr gehört es zu meinen unregelmäßigen Sonntagnachmittags- vergnügen, mit der Linie 62 die Elbe runterzutuckern und nach Finkenwerder überzusetzen. Hier kann man aussteigen, umssteigen - oder einfach sitzen bleiben, die Sonne genießen, die Aussicht auf Docks und gaffende Spackos an der Strandperle dazu. Manche ziehen sich eine Tageskarte und einen Vorrat an Reisegetränken und verbringen manch lustige Stunde an Bord von "Harmonie" und "Simba", dem König unter den Löwenfähren. Als Übung für meine Ambitionen als professioneller Kreuzfahrtbegleiter schon einmal ein guter Start. Beim nächsten Mal singe ich auch.

(Bilder im Kommentar)


 


Samstag, 19. März 2005


Thieves Blogs Like Us

At night it gets cold and
You'd dearly like to turn away
The escape that fills
that makes you want to turn on heel
Alone, alone, alone, alone

(New Order,
"Procession")

Heute in der Therapiegruppe sollten wir was malen und frei assoziierte Begriffe dazuschreiben. Ich schrieb "Schlüsselkind", "Holzleiter", Gasmaske" und "Strumpfhalter". Ehrlich gesagt, schrieb ich das nur, um die fette Carola aus meiner Gruppe zu ärgern, die neulich erzählt hatte, wie sie sich mal ihre Strumpfhalter zerrissen hatte, weil sie an einer Holzleiter hängengeblieben war. Ich habe die Geschichte nicht geglaubt, aber Regel Nummer eins lautet "Erzählen - nicht Interpretieren". Dafür ist ja die Therapeutin da, die sich die ganze Zeit über Notizen macht und dann ein paar Fragen stellt.

Ich würde gerne was mit Tina anfangen. Die berichtet ab und an von ihren Albträumen, die ich irgendwie sexy finde, aber Regel Nummer zwei lautet "Don't fuck the Patientenkreis". Ich habe trotzdem vor ein paar Tagen Bernd nach ihrer Nummer gefragt, weil ich weiß, daß er sie hat. Bernd ist Tinas Exfreund und besucht dieselbe Gruppe, weil sie beide das gleiche Problem haben. Einander. Einmal war ich mit Bernd ein Bier trinken und habe ihn über Tina ausgefragt. In seinen Augen lag Hoffnung, in meinen bloß Gier.

Seither weiß ich, daß Tina nie Unterwäsche trägt, und Carola weiß das auch. Deshalb versuchte sie, sich mit dieser Strumpfhaltergeschichte wichtig zu machen. Ständig will sie alle übertrumpfen. Natürlich hat sie von uns allen die schwerste Kindheit gehabt. Einmal lachte ich ihr ins Gesicht, seither ist unsere Beziehung ein wenig gespannt. Heute fing sie an zu heulen, als ich meine Schlüsselwörter vorlas. Sie beschwerte sich, ich wolle mich über sie lustig machen, dabei ahnte sie gar nicht, daß sie recht hatte. Sonst hätte sie das erste Mal im Leben wirklich geheult.

Patrick drohte heute damit, die Gruppe zu verlassen. Das macht er ungefähr alle zwei, drei Wochen, obwohl er für sein pathetisches Gehabe nur Häme von Tina und Carola erntet. Ich glaube, Bernd hat Tina nie richtig rangenommen, dabei ist sie geil bis unter die Haarspitzen. Leider findet Tina meine Probleme langweilig, weshalb ich die gerne ein wenig aufbausche. Tina ritzt sich immer die Unterarme und hat dadurch alle Aufmerksamkeit für sich. Nur Bernd schaut dann beleidigt aus dem Fenster. Carola erschien in der nächsten Stunde mit einem verbrühten Bein, was sie stolz herumzeigte und dabei ihren Rock ein wenig zu weit hochzog. Ich sagte trocken, man könne auch verbrühte Beine rasieren - schon allein, weil ich mal gelesen hatte, daß zynische Männer auf manche Frauen anziehend wirken. Aber nur Tina kicherte anerkennend. Carola fing an zu weinen, und die Therapeutin schalt mich vor allen Leuten.

Neulich ging es um Wünsche. Ich sagte, ich würde gerne mal einen Kuchen mitbringen. Das fanden alle toll. Ich sagte, ich würde aber Rasierklingen darin einbacken. Daraufhin mußte ich den Raum verlassen. Die Therapeutin meinte nachher, meine sozialen Kompetenzen seien "fragwürdig". Ich sagte, das sei doch egal, ich ginge doch eh immer allein nach Hause. Sie wurde etwas lauter. Fragen wie, was eigentlich mit mir los sei, was ich mir einbildete usw. schallten durch den Flur.

Ich war etwas betroffen, obwohl ich weiß, daß die Therapeutin große Stücke auf mich hält. Oder vielleicht gerade deshalb. Dann mußte ich in die Tanzgruppe zur Körperarbeit. Das ist ein bißchen dämlich, wir müssen da zu Musik Szenen wie "Speck in der Pfanne" oder "Die Geburt" mimisch nachstellen.
Die Tanztherapeutin ist Tantrikerin und hat schon mit jedem und mit jeder aus der Gruppe was gehabt, außer mit mir. (Einmal wollte sie sich an einem Sonntag mit mir verabreden, ich sagte ihr aber, ich sei Katholik und müsse am Sonntag den ganzen Tag in die Kirche. Sie ist nicht getauft und glaubte mir jedes Wort.)

Am liebsten bin ich in der Tränengruppe. Das heißt "Affektive Emotionskonvulsionstherapie" und ist so gruppendynamisches Heul-Psychodrama. Man sitzt dabei im Kreis, hält sich die Hand und jeder versucht, eine möglichst traurige Geschichte zu erzählen. Ich gewinne jedes Mal.


 



Der gefundene Satz, 15

"Ich wiederhole, ich hatte nicht sonderlich darauf geachtet, was ich sagte. Vielleicht hatte ich sogar unbewußt gesprochen, aus unerklärlicher Lust und weil mein Gefühl mich dazu trieb. Aber Freunde sind ja Freunde nicht umsonst! Ich hatte kaum geendet, da verrissen sie mich um die Wette. Ich sei ein Poseur, ein verkommenes und beschämendes Subjekt, wirklich eine traurige Gestalt u.a.m."

(Paul Léautaud. Der kleine Freund, oder: Leichtfertige Erinnerungen. 1903.)


 


Donnerstag, 17. März 2005


Mehr Tunnel als Plan

Nach einem langen und regnerischen Tag in der Praxis kehre ich oft erschöpft heim, wickle meinen Ringelschal an den Haken der Garderobe, mich selbst aber nicht dazu, sondern vor den Monitor und entspanne mich im cyrealen Down under, einer Heimstätte für die Gestrandeten, Verwirrten und all jenen Nachtgestalten, die doch auch nur Spielen wollen.
Dann klopfe ich mir den Rost vom Herzen und schaue, was andere bereits in dunkleren Schubladen gesammelt haben.