Mittwoch, 8. Dezember 2004


Der Herr Kid kauft sich keine Hose, aber Schuhe und geht zwischendurch was essen (aber nichts besonderes)

Seit Wochen nerve ich die mit mir sozial interagierenden Menschen damit, daß ich neue Schuhe brauche. Ungünstigerweise weiß ich genau, was ich will, besser aber noch, was ich nicht will. Derbe, klassische Schuhe (keine Halbschuhe), aber nicht zu schwer, gern auch mit Haken, statt mit Ösen. Schuhe, die auf der Bühne trüge, wenn ich in Linz im Aturo Ui spielen würde. Aber keine Docs oder Rangers. Die sehen nur mit Stahlkappe gut aus, aber dann wiegen sie Tonnen. Und außerdem habe ich ja davon bereits ein Paar.

Nun ist es in Hamburg sozusagen unmöglich, vernünftige Herrenschuhe zu kaufen. In dieser durchnüchterten Hansestadt liebt mann das Unauffällige. Schnullianzug und Schnullischuhe, so sieht es aus in der Stadt der gepfefferten Kaufmannsseele. Es gibt entweder Schühchen - Slipper mit Troddeln vorne dran, ab dem 15. März dann ohne Socke drin, um Weltläufigkeit zu demonstrieren. Oder den rustikalen Allwetterschuh mit wasserabweisender Spezialbeschichtung und Sohlen aus Monstertruckreifen. Wer aus der Reihe tanzen oder im Rotlicht wirken will, auf den wartet der sogenannte Ludenschuh. Winklepickerspitze Treter aus vielfarbigem Schlangenleder, deren Sohlen sich wie von selbst mit dem Pflaster rund um die Reeperbahn verbinden. Man sieht sie aber auch in den Außenbezirken - und beim Großfilialisten in der Jugendabteilung.

Heute dachte ich mir, kaufe ich also lieber eine Hose. Nun geht ein Vorurteil so: Die Norddeutschen sind alle schlank und hochgewachsen. Das trifft sich gut, glaubte ich immer. Denn ich bin schlank und hochgewachsen. In der Hosenabteilung einer bekannten Modekette fand ich auch eine hübsches, derbes Modell, das vorzüglich zu meinen noch zu erwerbenden Schuhen passen würde. Der Preis - ein Geschenk. Aber was hingen da für Größen? 39/26 beispielsweise. Oder 52/32. Wer trägt so was? Werden hier kurzbeinige Pfeffertonnen bekleidet? In meiner Größe jedenfalls hing dort nichts.

Spaßeshalber also mal rüber zu den Schweden und auf jugendlicher Maxe gemacht. In der Herrenabteilung weiß ich ja nie, ob ich nicht doch bei den Frauen gelandet bin, wenn ich die rosafarbenen Pullöverchen oder angetuschelten Fransenjäckchen sehe. Aber gut, die Zielgruppe geht bis ungefähr 23einhalb, und ich bin hier nur Gast. Also Maul halten und Hose suchen. Als ich eine anprobiere, die angeblich meine Größe haben soll, trifft mich kurzzeitig ein schneidender Schmerz, wie morgens, wenn ich mir Japanöl in die Augen träufel, um schneller wach zu werden.

Der Schnitt heißt "Slim Fit", ist aber kein Diät- sondern offenbar ein Kastrationsprogramm. Wie zum Teufel bekommt man da etwas unter, was über die Größe eines Tamagotchis hinausgeht? Was haben die Schweden vor? Eines ist jedenfalls klar: Diese Jugend pflanzt sich nicht mehr fort.

Die anschließende Magenschwäche bekämpfte ich mit einem Teller Linsensuppe auf dem Weihnachtsmarkt. Ein Linsengericht, genau das richtige. Lecker, nahrhaft, günstig. Mehr kann ich mir ab 2005 sowieso nicht mehr leisten, wenn ich die Wirtschaftsmeldungen für meine Branche richtig interpretiert habe.

Auf dem Rückweg - nach wie vor ohne neue Hose - erspähe ich plötzlich ein Paar Schuhe. Der Preis - wahrlich kein Geschenk. Aber nun bin ich es leid. Ich schlage zu, obwohl ich fortan sozial geächtet sein werde. Denn sie sind - nun ja, braun. Fatal: Jetzt brauche ich also noch Schuhe für nach 18 Uhr.


 


Montag, 6. Dezember 2004


Stiefel und Rute



Als ich heute am Kanal entlang durch die Kleingartenanlage flanierte, bemerkte ich durch eine subtile Lichtführung, daß ja bald Weihnachten ist. Zum Nikolaus widme ich meinen Lesern also dieses dokumentarische Bild meines Nachmittagspaziergangs.

Ich hoffe, ihr ward alle brav. Wer es nicht war, darf sich dann privat bei mir melden.

PS: Das Reh, das da irgendwo in diesem Bild versteckt ist, kann sogar automatisch den Kopf senken und heben. Ganz groß.


 



Der gefundene Satz, 11

Die schöne Geliebte vergiftete ihn mit der Unlogik ihrer Liebe, mit der intermittierenden Veränderlichkeit ihrer Zärtlichkeit, mit der kalten Bosheit ihrer unter Starkstromspannung stehenden Nerven. Heute stieß sie ihn mitleidlos zurück, nachdem sie ihn mit den herzlichen Worten der einfachen Geliebten zu sich gerufen hatte; morgen peinigte sie ihn mit der ins einzelne gehenden Schilderung eines an ihm begangenen Verrats, und wenn sie sah, wie die Anzeichen einer ausbrechenden Raserei seinen Blick trübten, heilte sie ihn mit perfider Weicheit: "Kind! Ich habe dich nicht betrogen. Warum bist du nicht gekommen? Ich habe dich erwartet."

(Pitigrilli. Die Jungfrau von 18 Karat. 1927.)


 


Freitag, 3. Dezember 2004


Trompe-la-Mort

Alte Bekannte erhellen den Herbst: Der französische Fotograf Ernesto Timor hat seine Galerien frisch aufgefüllt. Auf seiner Seite Trompe-la-mort gibt es unter dem Motto "Bad Brain" mehr als hundert neue Fotos zu sehen.



 


Donnerstag, 2. Dezember 2004


A-Content

Das hermetische Café präsentiert leicht konsumierbaren, visuellen Premium-Content für Freunde des guten Geschmacks:

Rechtzeitig zur Weihnachtszeit möchte ich eine Reihe von Kinderbüchern vorstellen, wie es sie viel zu selten gibt. (via Frotz)

Sehr apart ist auch Chopping Block, der sympathische Serienkiller.
(via Kaltmamsell)

Tentakel | von kid37 um 23:36h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 2. Dezember 2004


Kid A


 


Dienstag, 30. November 2004


Koffer Hoffer


Wer in Köln am Hauptbahnhof aussteigt und auf die wahnwitzige Idee verfällt, seinen Koffer für eine bestimmte Zeit deponieren zu wollen, findet sich unvermutet in einem Technikexperiment wieder. An anderen Bahnhöfen der Republik, sei es Hamburg, Berlin oder Wuppertal, begibt man sich dazu ganz entspannt an eine Wand mit Schließfächern, sucht sich ein freies und stellt Koffer und Kleinkram einfach hinein.
Aber doch nit in Kölle! Die Kölner, sonst eher traditionsbehangen, haben bei der Umgestaltung ihres Hauptbahnhofes die Schließfächer kurzerhand ausgebaut und dafür drei große Blechhütten aufgestellt, die von ferne wie überdimensionierte Mülltrennungscontainer anmuten.

Von nahem erkennt man ihren Zweck: Es handelt sich laut in extraterrestrischer Sprache beschrifteter Hinweistafel um automatische Tiefgaragen für Koffer. Ein solches Sci-Fi-Terminal besitzt drei rollobewehrte Eingangsschächte, die wohl auch als Auswurf funktionieren. Dorthinein sollen für den stolzen Preis von 3 Euro Koffer, Mantel, Hut und Stock wandern, vielleicht auch gleich die hilflosen Reisenden. Hinein mit ihnen in eine undurchschaubare Black Box, ein möglicherweise aus Redmond gesteuertes Maschinenmonster, das unaufhörlich Gepäckstücke frißt.

Möglicherweise befindet sich darin auch eine Katze, und wenn man durch dieses Gummirollo hineinschaut, ist sie tot. Möglicherweise lebt sie auch, nicht einmal Schrödinger weiß es. Vielleicht ist also auch der Koffer noch da, vielleicht auch nicht. Ganz abhängig davon, ob im Inneren ein Cäsium-Atom unter den unsicheren Blicken der durchweg überfordert wirkenden Reisenden zerfällt oder eben nicht. Das alte Sprichwort When in doubt, leave it out fällt mir ein, sehr frei übersetzt: im Zweifel steck ihn lieber nicht hinein. Angeblich erhalten Mutige jedoch so eine Magnetkarte wie im Parkhaus, und wenn sie dann noch ganz viel Glück haben, spuckt diese merkwürdige Kiste den eigenen Koffer (Wartezeit: 40 Sekunden) später wieder aus.

Vielleicht auch den Koffer eines Fremden oder alle auf einmal. Wenn jedenfalls eine ganze Reisegruppe geschlossen ihr Gepäck zurückbeordert, dann sind Geduld und Technikvertrauen die Gebote von x mal 40 Sekunden. Aber wie die Bahn aus großflächigen Versuchen mit verpaßten Anschlußzügen weiß, hat der Bahnkunde ja vor allem eins: Zeit.


 



Selbstverwehung

Früher stand ich ja selbst gerne auf einer Klippe und verkündete das Absolute hinein in tosenden Sturm und aufgepeitschte See.

Die Süddeutsche mit einem hübschen Verriß zu einer angeblich neuen Platte von U2. Auf daß die Milch sauer werde.

Radau | von kid37 um 17:34h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 28. November 2004


Sofabloggen

Gammelwochenende. Schön ausspannen auf der Chaiselongue und ein bißchen in Zeitschriften blättern. Auf dem Stapel auch die Cara Mia!, wie ich sie hier einmal nennen möchte. So ein Frauenzeitschriftenteil. Ich denke, blätter ich das mal durch, ganz zwanglos, so vom Sofa aus.

Der berühmte Autor, der neulich nicht wußte, was "Türfüllung" sein soll, benutzt das Wort "Tampon-Ausziehfädchen". Rückholfaden!, schnaufe ich kurz. Wer will denn einen Tampon ausziehen? Ich blättere hin und her, schon leicht genervt. Eine Autorin berichtet vom Glück älter zu werden. Das interessiert mich. "Älter zu werden hat Vorteile", schreibt sie. Das finde ich auch. Sie vergleicht sich mit einer jungen Punkette, der sie im Zug begegnet sein will. "Ob Arschgeweihe auch faltig werden können?" fragt sie. (Nun, in der Regel bleibt der Rücken besser in Schuß als die meisten anderen Körperteile.) Die Punkette "trug schwer an der Last ihrer Piercings". Ja, natürlich. So schwer. Große Metapher. Ganz großer Lacher. Welch ein Glück, fabuliert die Autorin weiter, nicht mehr in WGs mit einer Ratte zusammenwohnen zu müssen. Ja, so ist das, wenn man jung ist. Immer diese Kleinsäuger um einen rum. Schlimme Sache. Schön, wenn man älter und Autorin bei Cara Mia! ist, da kann man die Wohnung mit seinen Windspielen teilen.

In Kassel steigt das junge Mädchen aus, geht zum Punkkongress, "unterwegs zur Revolte". Die Autorin zitiert kommentarlos den Flyer, findet das alles wohl unglaublich komisch. "Punk!Kongress!". Haha. Ja, und? Über Cara Mia! organisiert in 25 Jahren sicher keiner einen Kongreß, soviel ist schon mal klar. Und auch das darf vermutet werden: Die einzige Revolte, an der sich die Autorin beteiligte, war, als sie ihren Eltern 200 Mark für neue Turnschuhe aus dem Kreuz geleiert hat.

Vorteile des Älterwerdens? Viele. Man muß sich z.B. - hoffentlich souveräner geworden - nicht mehr auf Kosten anderer lustig machen. Sonst klingt es so verbittert und neidisch, dieses "Glück vom Älterwerden".

Dann kommt ein Jahresrückblick - und ich taste nach der Brechschale unter dem Sofa. Es geht um TV-Trash: "Ex-Freundin von Boris oder Bohlen, Ex-Pornostar, Ex-Viva-Moderatorin - anderes als der Bodensatz der Gesellschaft scheint kaum mehr der öffentlichen Aufmerksamkeit wert".

"Bodensatz der Gesellschaft", soso. Also damit sind nicht etwa Leser gemeint, die auf das subtil zelebrierte Spießertum der Cara Mia! stehen. Aber es geht weiter: "Wenn sich Frauen als Märtyrerinnen inszenieren lassen, wie Sibel Kekilli, die preisgekrönte Debütantin aus "Gegen die Wand", deren Pornovergangenheit aufflog [...], dann hält sich die Anteilnahme in Grenzen." Steht da so. Und neben Sibel Kekilli, der mehrfach preisgekrönten Schauspielerin aus "Gegen die Wand", wurde ein Szenenfoto gedruckt aus - na was? Etwa aus "Gegen die Wand"? Nö. Cara Mia!, die Fortsetzung der soeben von Sibel Kekilli erneut zurecht angeprangerten Boulevardhetze mit anderen Mitteln, druckt lieber ein Foto aus der "Pornovergangenheit" der "inszenierten Märtyrerin". Auf daß wir nichts vergessen.

Scheinheiligkeit, Spießertum - kultivierte Nörgelei und anorektische Neidkultur. Etwas Positives? Ach ja, Elfriede Jelinek, die hatten wir ja auch noch. Ganze drei (!) Worte zu ihr: "Immerhin eine Nobelpreisträgerin." Immerhin kein Bodensatz, möchte man denken.

Ein Kurzbeitrag über Blogs reißt dann alles raus. Großer Hinweis auf ein Blog, das wirklich beispielhaft ist. Es wird bestimmt einmal in der Woche aktualisiert. "Mr. Ausziehfädchen" wird auch erwähnt. Große Sache also.
Ich kaufe morgen gleich zehn Hefte davon. Unbedingt.