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Gammelwochenende. Schön ausspannen auf der Chaiselongue und ein bißchen in Zeitschriften blättern. Auf dem Stapel auch die Cara Mia!, wie ich sie hier einmal nennen möchte. So ein Frauenzeitschriftenteil. Ich denke, blätter ich das mal durch, ganz zwanglos, so vom Sofa aus.

Der berühmte Autor, der neulich nicht wußte, was "Türfüllung" sein soll, benutzt das Wort "Tampon-Ausziehfädchen". Rückholfaden!, schnaufe ich kurz. Wer will denn einen Tampon ausziehen? Ich blättere hin und her, schon leicht genervt. Eine Autorin berichtet vom Glück älter zu werden. Das interessiert mich. "Älter zu werden hat Vorteile", schreibt sie. Das finde ich auch. Sie vergleicht sich mit einer jungen Punkette, der sie im Zug begegnet sein will. "Ob Arschgeweihe auch faltig werden können?" fragt sie. (Nun, in der Regel bleibt der Rücken besser in Schuß als die meisten anderen Körperteile.) Die Punkette "trug schwer an der Last ihrer Piercings". Ja, natürlich. So schwer. Große Metapher. Ganz großer Lacher. Welch ein Glück, fabuliert die Autorin weiter, nicht mehr in WGs mit einer Ratte zusammenwohnen zu müssen. Ja, so ist das, wenn man jung ist. Immer diese Kleinsäuger um einen rum. Schlimme Sache. Schön, wenn man älter und Autorin bei Cara Mia! ist, da kann man die Wohnung mit seinen Windspielen teilen.

In Kassel steigt das junge Mädchen aus, geht zum Punkkongress, "unterwegs zur Revolte". Die Autorin zitiert kommentarlos den Flyer, findet das alles wohl unglaublich komisch. "Punk!Kongress!". Haha. Ja, und? Über Cara Mia! organisiert in 25 Jahren sicher keiner einen Kongreß, soviel ist schon mal klar. Und auch das darf vermutet werden: Die einzige Revolte, an der sich die Autorin beteiligte, war, als sie ihren Eltern 200 Mark für neue Turnschuhe aus dem Kreuz geleiert hat.

Vorteile des Älterwerdens? Viele. Man muß sich z.B. - hoffentlich souveräner geworden - nicht mehr auf Kosten anderer lustig machen. Sonst klingt es so verbittert und neidisch, dieses "Glück vom Älterwerden".

Dann kommt ein Jahresrückblick - und ich taste nach der Brechschale unter dem Sofa. Es geht um TV-Trash: "Ex-Freundin von Boris oder Bohlen, Ex-Pornostar, Ex-Viva-Moderatorin - anderes als der Bodensatz der Gesellschaft scheint kaum mehr der öffentlichen Aufmerksamkeit wert".

"Bodensatz der Gesellschaft", soso. Also damit sind nicht etwa Leser gemeint, die auf das subtil zelebrierte Spießertum der Cara Mia! stehen. Aber es geht weiter: "Wenn sich Frauen als Märtyrerinnen inszenieren lassen, wie Sibel Kekilli, die preisgekrönte Debütantin aus "Gegen die Wand", deren Pornovergangenheit aufflog [...], dann hält sich die Anteilnahme in Grenzen." Steht da so. Und neben Sibel Kekilli, der mehrfach preisgekrönten Schauspielerin aus "Gegen die Wand", wurde ein Szenenfoto gedruckt aus - na was? Etwa aus "Gegen die Wand"? Nö. Cara Mia!, die Fortsetzung der soeben von Sibel Kekilli erneut zurecht angeprangerten Boulevardhetze mit anderen Mitteln, druckt lieber ein Foto aus der "Pornovergangenheit" der "inszenierten Märtyrerin". Auf daß wir nichts vergessen.

Scheinheiligkeit, Spießertum - kultivierte Nörgelei und anorektische Neidkultur. Etwas Positives? Ach ja, Elfriede Jelinek, die hatten wir ja auch noch. Ganze drei (!) Worte zu ihr: "Immerhin eine Nobelpreisträgerin." Immerhin kein Bodensatz, möchte man denken.

Ein Kurzbeitrag über Blogs reißt dann alles raus. Großer Hinweis auf ein Blog, das wirklich beispielhaft ist. Es wird bestimmt einmal in der Woche aktualisiert. "Mr. Ausziehfädchen" wird auch erwähnt. Große Sache also.
Ich kaufe morgen gleich zehn Hefte davon. Unbedingt.

Ex Libris | 18:16h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
yvonnesonne - Sonntag, 28. November 2004, 18:54
grossartiger artikel! dankeschön.


leider muß ich in meiner grenzenlosen selbstbezogenheit etwas anmerken:

turnschuhe: 10 euro, windspiel: selbst gebastelt, soll fürs karma helfen, ratte: eigentlich eine maus, (alle drei dinge aber fast nicht mehr in verwendung) revolte: viele gescheiterte anläufe, schreiberin: für ein feministisches magazin, immerhin, und zwar ein artikel mit hilfe von 5 anderen frauen.

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fragmente - Sonntag, 28. November 2004, 19:49
Ich habe jetzt eine Stunde gebraucht, um rauszufinden, in welchem Blog der "Türfüllung"-Kommentar über die Bühne gegangen ist.

Und dabei war es doch so naheliegend.

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kid37 - Montag, 29. November 2004, 17:02
Frau Fragmente: Sie sind ein Fuchs! ;-)

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yvonnesonne - Montag, 29. November 2004, 23:42
vergleichen füchse ihre schwänze? ;)

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kid37 - Montag, 29. November 2004, 23:53
Glauben Sie mir, darum geht es nicht. Ich würde nicht tauschen wollen. Ich bin sehr zufrieden in der kleinen Gartenzwergfabrik.

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yvonnesonne - Dienstag, 30. November 2004, 00:02
ich weiß doch, dafür mag ich sie ja so gerne und dafür mag ich mich nicht wenn ich den holzhammer gebraten kriege aber niemand was dann tut und ich dann gemein werde weil ich die verletzungen nicht aushalten kann.


arghhhhhh

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kid37 - Dienstag, 30. November 2004, 00:07
Ich glaube, ich bin heute abend zu übermüdet/erkältet/gehirngetrocknet, um diesen feinsinnigen Anspielungen folgen zu können. Verzeihen Sie mir bitte meine Säumnisse, hier liegen noch unbeantwortete Mails, ichweißichweiß. Oder braten Sie mir bei nächster Gelegenheit mit diesem Holzhammer eins über. Vielleicht sehe ich dann das Licht ;-)

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yvonnesonne - Dienstag, 30. November 2004, 00:09
und ja! es ist die arroganz auf die ich reinfalle. verdammt. immer wieder das alte spiel aber ich kann das jetzt nicht ausführen weil das einfach zu komplex ist für einen kommentar und ich damit lieber mein blog anfülle und nicht ihr schönes cafè. aber ich bin nicht schuld. ich übernehme keine verantwortung mehr dafür daß ich verunsichert bin. daran sind die verdammten verhältnisse schuld und es ist nur gesund daß ich unsicher bin. weil natürlich.

danke für die aufmerksamkeit

nachtrag: ich las ihre antwort erst jetzt. von ihrer seite gab es keinen holzhammer! von anderer seite.

nachtrag2: sie sprachen mir ja eher aus der seele was diese idiotischen magazine angeht.

kein stress und gute besserung!

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kid37 - Dienstag, 30. November 2004, 00:22
Also "arrogant" ist jetzt wirklich mit dem Holzhammer. ;-)

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yvonnesonne - Dienstag, 30. November 2004, 00:24
*plärr*

doch nicht ihre arroganz! ich geh jetzt schlafen, das sind mir ein paar missverständnisse zuviel für einen abend.

schlafen sie gut! :)

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kid37 - Dienstag, 30. November 2004, 00:39
Ha. Sie haben es geschafft und mich just dorthin gelockt. Aus verschiedenen - nicht zuletzt justitiablen Gründen - möchte ich nicht überall kommentieren. Aber mir lag einiges zum Thema kalkulierter Zynismus heutiger Medienarbeiter und demzufolge Scheinheiligkeit auf der Zunge. Aber es steht ja eigentlich alles oben in dem Text. Ich denke, Sie wissen, worum es geht. Gute Nacht auch ;-)

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moppelchen - Sonntag, 28. November 2004, 21:26
Ohne jede Ironie.
Frauenzeitschriften können einem ganz schön die Gehirnwindungen verkleben. Nachher is immer schlechter als vorher.

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kopfherz - Montag, 29. November 2004, 21:35
ich les sie
z.b. beim friseur. um zu kapieren, wo sich große teile der weiblichen welt um mich herum ihre gehirnwäsche abholen.
und wie sie danach drauf sind.

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kid37 - Montag, 29. November 2004, 23:50
Es ist eine bittere, gehässige Welt. Ach, arrogant habe ich vergessen.

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ntropie - Dienstag, 30. November 2004, 02:22
die männerzeitschriften nicht zu vergessen (ja, auch beim friseur, bevor sie fragen).

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onlystardust - Montag, 29. November 2004, 18:26
What goes around, comes around
Also wer freiwillig in einem "Frauenzeitschriftenteil" blättert, der darf nicht klagem, wenn die Stimmung am Ende ruiniert ist. Meine Stimmung ist nach dem lesen des schönes Beitrags aber aufgehellt. Vielen Dank! :-)

Christian

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cassandra - Montag, 29. November 2004, 22:26
Also Herr Kid.....
man liest Frauenzeitschriften doch nicht! Man schaut sich die Bilder an. Darum sind ja auch so viele da drin. Das ist ähnlich wie beim Playboy. Ja ich weiss, alle behaupten, es stünden da auch interessante Artikel drin, jaja. Letzten Endes geht es aber nur um die Fotos.

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kid37 - Montag, 29. November 2004, 23:47
Eigentlich blätter ich auch nur durch die Modestrecken. Aber selbst da bieten DV, Sleek und Co. mehr. Hierzulande werden zu viele Fotos zugekauft und zuwenig selbst produziert. Man sollte nur das Horoskop lesen.

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moppelchen - Dienstag, 30. November 2004, 23:51
Modestrecken.
Seeeehr löblich. Das einzige, woraus man dort was lernen kann. Horoskope auch gut: zum Reflektieren, Bangen und Hoffen.

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kranelke - Montag, 29. November 2004, 23:25
Ausziehfädchen
Nichts für Frauenzeitschriften, aber ein Ausziehfädchen könnte ja auch das Fädchen zum Ausziehen des Tampons sein, zum Ausziehen aus seiner Folie. So wie die Ausziehfädchen eingeschweißter CDs: Damit die Dinger steril bleiben beim Hören. Kennten wir jetzt den Kontext, könnten wir darüber ein bisschen tiefer philosophieren.

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kid37 - Montag, 29. November 2004, 23:49
Des Thema war "Festtagsintimität". Heute in der Fabrik wurde auch darüber gesprochen; ich glaube danach, "psychologisieren" wäre das bessere Wort.

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mykoplasma - Dienstag, 30. November 2004, 03:15
Diese Diskussion ist mir zu modern
Daher ein Witz: Eingeschweißte CDs saugen überhaupt nicht gut. %]

Frauenzeitschriften dagegen sehr. Ich hab immer "Ein Herz für Tiere" gelesen, da stand drin, wie man Aquariumscheiben sauber kriegt.

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kid37 - Freitag, 3. Dezember 2004, 00:56
...
"Dabei ist aber zu beachten, dass in der Berichterstattung die Persönlichkeit der Betroffenen nicht mit den Rollen, die sie gespielt hat, identifiziert wird. Der Beschwerdeausschuss ist der Überzeugung, dass die Berichterstattung über Sibel Kekilli insbesondere durch die Kombination von Text und Bild diese Grenze deutlich überschreitet."

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