Freitag, 16. April 2004


Kein blog-Virus

Denn mein nächstliegendes Buch hat auf Seite 23 keine 5 Sätze. Jedenfalls, wenn man das Semikolon nicht mit dem Satzende gleichsetzt.

Der halb-fünfte Satz aber lautet: "oder vielleicht schreibe ich, wie andere auch, aus Ehrgeiz, um mich darzustellen: scire tuum nihil est nisi te scire hoc sciat alter [Dein Wissen ist nichts, solang nicht ein anderer weiß, daß du weißt]."

(Robert Burton. Die Anatomie der Melancholie. Mainz: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, 1988. Original von 1651.)

(via alle möglichen blogs zur Zeit)

Ex Libris | von kid37 um 23:37h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 16. April 2004


Vibrationsalarmwochen bei Karstadt



Die altehrwürdige Karstadtfiliale an der Mö(nckebergstraße) überrascht mit einer neuen Schaufensterdekoration. Kaum war Ostern vorbei, flogen die dicken Eier und scharfen Häschen raus. Nun gibt es die neugelistete Dessouslinie von "May B." zu bestaunen, die mir neulich schon in der Damenwäschabteilung auffiel. (Ja, ich ziehe mich zum Spülen immer schick an.)

Dazu ganz fachgerecht andekoriert passende Utensilien. Parfümflakons, biegsame Dirigierstäbe für Pferde, ergonomisch geformte Vibrationsalarme (nun sogar in schrillen Mustern, aber ohne Wechselschalen)... die Kundschaft staunt. "Ja, sind wir denn auf St. Pauli hier?"

Frühling, du bist's!


 



Rückwärts nimmer

"Eine 'Horror-Romanze' nennt die australische Schriftstellerin Anna Funder ihre Liebe zu Ostdeutschland."

(KulturZeit, 3Sat)

Nur zur Gedächtnisauffrischung die zehn Gebote.
Mehr Freundlichkeit, bitte. (via bara)

Homestory | von kid37 um 22:04h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 14. April 2004


Bin schon da

Meine Mutter hat mir ein Osterpäckchen geschickt. Ich habe meiner Mutter auch ein Osterpäckchen geschickt. Leider hat es der Hase weder auf dem einen, noch auf dem anderen Weg rechtzeitig geschafft. Nächstes Mal machen wir es wie die Igel, behalten unsere jeweiligen Päckchen und rufen feist: "Bin schon da!"

Die Hasen von der Post hatten mein Päckchen aber heute im Körbchen. Liebevoll verpackt allerhand Süßkram, den ich ja eigentlich nicht essen wollte, ein Päckchen Tempo-Taschentücher (rührend. Oder soll das heißen, flenn mal nicht immer so rum?!?), und ein Exemplar, der wichtigsten unbekannten Wochenzeitung der Welt: die Wuppertaler Rundschau (Ausgabe Ost).

Manche rümpfen vielleicht die Nase und sagen, ach, so ein Anzeigenblättchen. Na, das gibt es doch in Hamburg auch. Papperlapapp. Da leg ich doch das Feuilleton der FAZ beiseite und falte die Süddeutsche ganz klein. Die Wuppertaler Rundschau ist meine Nabelschnur zur skurillen Denke, für die dieses Tal an der Wupper so berüchtigt ist.

"Kreuzigung auf der Hardt" - "Hardt wird wieder zum Ölberg". (Die "Hardt" ist ein Parkgelände im Westen der Stadt)
So die Titelschlagzeile. Ein Bericht über die Karfreitagsprozession der italienischen Gemeinde. Als ich letztes Jahr im heimischen Hamburger Kreis davon berichtete, wollte man mir ja nicht so recht glauben.
"Bundesweit die größte Veranstaltung ihrer Art". Das wiederum wußte ich nicht. Der Jesus kommt dieses Jahr aus dem Barmer Stadtteil Wichlinghausen, in dem nicht nur Rita Süßmuth, sondern auch ich geboren wurde. Völlige Begeisterung! Jesus' Arbeitsplatz ist genau gegenüber meiner alten Wohnung. Großgroßartig! 15.000 Zuschauer waren letztes Jahr zugegen, bedauerlicherweise habe ich es dieses Jahr vergessen.

Was gibt es sonst Neues? Ein alter Geschichtslehrer meiner Schule und begnadeter Handballschiedsrichter ist gestorben. Leider verschweigt die "WR" pietätvoll sein Alter.
"Zentara mochte Menschen, schämte sich auch seiner Tränen nicht, die nicht selten flossen". Hat mal jemand "Der Krieger und die Kaiserin" gesehen? Tom Tykwer kommt ja auch aus Wuppertal und muß es wissen. "Ich weine leicht, das ist erblich bedingt", heißt es da sinngemäß. Damals erklärte ich meiner damaligen Herzdame: Das liegt entweder am Trinkwasser oder ist tatsächlich ein "Bergisches Land Gen". Ich hab das, Zentara auch.
Klaus Zentara. Auch schon tot.

Dann natürlich ausführlich der WSV. Ist ja jetzt Tabellenführer. Super, WSV! 20.000 Zuschauer beim Regionalliga-Derby Rotweiß Essen gegen den WSV. 20.000 Leute! Regionalliga! 20.000 Zuschauer.

Im Innenteil das "Langerfelder Geflüster". Fachhändler des kleinen Stadtteils stellen sich vor. Schön, daß man bei "Tinte Plus" in der Schwelmer Straße einen Euro Nachlass bekommt, wenn man die Anzeige - die ich nun habe - vorlegt. Und der kleine Florian aus der 4b ist der "Lesekönig" in der Engelbert Grundschule. Brav, Florian. Ganz toll hast Du das gemacht!

In der "Bandfabrik" stellen elf Künstler aus. Im "HSV-Museum" in der AOL-Arena gibt es Beiträge aus Wuppertal. Ja, Wuppertal ist überall. Neulich hörte ich, daß Wuppertaler Radwanderer die Gegend um Aurich unsicher machen. Als Jugendlicher war ich da ja auch oft.

Auffällig, wie viele Berichte über kirchliche Veranstaltungen hier enthalten sind. Ich muß das mal mit dem örtlichen Anzeigenblättchen vergleichen. Aber angeblich glaubt der Hamburger ja nur an den Pfeffersack.

Ich habe Frieden mit meiner Heimatstadt geschlossen. Aber ich bin ja auch selten da. Diese Karfreitagprozession aber hätte ich gerne einmal wieder gesehen. Die ist wirklich sehr ergreifend.


 



Peinliche Lieblingslieder

Psssst! Kommen Sie mal näher, ich mag es nicht so laut drehen.

Es geht um You're the storm.

The Cardigans sind ja auf dem schlechtestem Weg, die Abbas der Jetztzeit zu werden. Man schaue sich nur die gruseligen Klamotten an. Bärtige Musiker, schauder. Fludderflinsefransen an der Oberbekleidung.

Wer ganz böse sein mag, dem fällt noch "Vaya Con Dios" ein. Deren Zielgruppe haben die wahrscheinlich in einer freundlichen Übernahme erworben. Live aber rocken die Cardigans wie Sau. Wie eine wildgewordene Süßspeise sozusagen. Lekkerol.

Ich glaube, ich hatte heute morgen zu viel "Rise and Shine" im Tee.

Jetzt aber The Storm.

"The peace has been deceiving..."

Radau | von kid37 um 15:14h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 13. April 2004


Ästhetik im Alltag

Soviel Zeit muß sein:

"Haben Sie die Nabelschnüre abgetrennt?" erkundigte sich Jacquemort noch. "Binden Sie sie schön knapp ab."
"Ich habe Schleifchen gemacht", sagte das Kindermädchen, "das hält genauso gut und sieht besser aus."

(Boris Vian. Der Herzausreißer, 1953.)


 



Pulp fiction

Warum meine Nächte so aufregend sind?
Nun, abends lese ich das ganz harte Zeug.

Ich besitze selbst so ein paar dieser Schätze. "Summer in Sodom", etwa
("A daring novel of two handsome young men and their strange passion for each other!") oder "Blonde Dynamite" ("An intimate view of what some co-eds must go through to get educated").


Ganz große Literatur natürlich und faktisch allesamt auf authentisch wahren Tatsachenbegebenheiten beruhend. I Married a Dead Man ist so ein lebensnaher Fall, nach allem was man so hört. Ich denke, Jet Set Stud könnte hingegen mein Leben umschreiben. Aber Achtung: Wer Narco Nympho sagt, ist wahrscheinlich bald ein Doomed Sinner und endet im House of Perversion.


 


Sonntag, 11. April 2004


Les Triplettes de Belleville

"Nemo" war gestern. Und ist ja auch nett. Wer aber das Skurille liebt, wird sich vielleicht eher noch mit dem ganz wunderbaren "Das große Rennen von Belleville" anfreunden können. Bemerkenswert altmodisch am Zeichentisch entstanden, wirkt der erste Langfilm von Regisseur Sylvain Chomet wie eine nostalgisch charmante Adaption eines literarischen französischen Comix. Eine wohltuende Variante zum rehäugigen Kuschelappeal US-amerikanischer Produktionen.

Warum Marco Dettweiler* im Spiegel allerdings den englischen Titel eines französischen Films bemühen muss, um sich über die "Triplettes" auszulassen, ist mir nicht ganz ersichtlich. Ein Blick auf die offizielle Seite des Films könnte als Titel-Recherche genügen. Aber möglicherweise ist der generell etwas uninspiriert klingende Artikel lange im Voraus geschrieben worden.
Und für eine Schlussredaktion fehlt ja überall das Geld.*

Das aber nur als aside. Auf der Seite (unbedingt Ton einschalten) gibt es neben Fotos und Trailern auch eine wunderhübsche "Memo"-Variante** mit Madame Souza.

Les Triplettes de Belleville (F/GB 2003). Regie: Sylvain Chomet.

[* Edit: Ich hab's mal gecheckt: "Rendezvous" war der ursprüngliche Verleihtitel von 2003. Macht ja nix.

** Und hieß "Memo" nicht eigentlich "Senso"? Ich hatte das Spiel nie, wer weiß es?]

Super 8 | von kid37 um 15:04h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Nicht der Rede wert

I am the sword, the wound, the stain
scorned transfigured child of Cain
(Patti Smith, "Easter - La Resurrection")

Nächtliche Straßen, ich gehe zu Fuß. Durch die Speicherstadt, stockdunkle Nosferatu-Gassen und Triebtäterwege. Es ist Mitternacht, die Luft hallt vom Glockengeläut. Christmette. Aus St. Katharinen strömt eine Prozession. Jeder hält eine Kerze in der Hand, tritt hinaus, schweigend, in die Nacht.

Weiter, weiter. Ein stiller Weg. Es ist weit durch die Gewerbegebiete, tote Stadt, bis nach Haus. Der Brandgeruch der Osterfeuer kriecht durch die Straßen, klebt längst in meinem Haar.

"Easter" ist eines der traurigsten Lieder. Kein wehleidiges Gewinsel. Kein "The Drowning Man". Eine Trauer ohne Selbstmitleid und verwoben mit Hoffnung. Ostern eben. Das höchste Fest.
Sterben und wieder Auferstehen. Daran muß man nicht glauben.
"Stirb und werde" ist ein Naturprozeß. Wir sterben, sinken hinab, lösen die Schale, beginnen von vorn.

[...]


Nur eine Karte. Den Text kenne ich auswendig.

Später sangen die Smashing Pumpkins:
"You're a lover in my bed and a gun to my head". Der Reiz der Gefahr.
So wie nächtliche Wege durch einsame Gewerbegebiete.

Eine Prozession aus St. Katharinen. Was für eine Synchronizität. Alles wird neu.

Frohe Ostern da draußen.

I am the spring, the holy ground,
the endless seed of mystery,
the thorn, the veil, the face of grace,
the brazen image, the thief of sleep,
the ambassador of dreams, the prince of peace.
(Patti Smith, "Easter")


 


Samstag, 10. April 2004


Death Certificate



Heute haben mich meine investigativen Recherchen auf eine Spur gebracht, die leider einen traurigen Verdacht auf den Verbleib des vermissten Rosettenbocks begründen. (Wir berichteten.)

Auf dem Flohmarkt konnte ich für 2 Euro die Beweise sichern. Das jagdrechtlich einwandfreie Zertifikat besagt klar und deutlich: "Bock, 1 Jahr, zum Abschuß frei". Zwar sieht mir als waidmännischem Laien der dentale sterbliche Überrest nach einem beeindruckend großem Meerschweinchen aus. Aber wir alle können doch wohl zwei und zwei zusammenzählen.

Ich bedaure, keine vergnüglicheren Mitteilungen machen zu können.


 


Freitag, 9. April 2004


Passion

Hier stand eine Geschichte. Über Streit, Angst, emotionale Winterkälte. Einen Cutter, den ich mitten in der Nacht auf dem Wohnzimmertisch fand. In der menschen-leeren Wohnung. Über eine Taxifahrt, mitten in der Nacht, an mögliche und unmögliche Orte in dieser Stadt. Über Suche, Sorge und immer noch Angst.
Über Verzweiflung, als die Nacht immer dunkler und die Suche immer aussichtloser wurde.
Über das erste Mal, daß ich mich freute, so ein Mobil-telefon zu besitzen. Über Erleichterung, Sorge, Angst und aufsteigende Wut.

Über die Gleichgültigkeit und echte oder gespielte Begriffsstutzigkeit am anderen Ende. "Wieso denn im XXX? Da geh ich doch nicht hin." Über Erklärungen, Zorn und den Versuch, das zu halten, was längst schon entglitten war. Über die Erkenntnis, daß, wer andere wegsperrt, sich schon lange selber weggesperrt hat.

"Du willst mich doch nur kontrollieren." Danke. Ich lege auf. Man braucht keinen Cutter, um andere zu verletzen. Oder sich. Es ist fünf Uhr morgens, die Uhren wurden gerade umgestellt.

Auch schon wieder ein Jahr her.
Die Geschichte ist zu alt. Die schreib ich hier nicht.


 



Abgründige Niedlichkeit

Damit mir nicht wieder Klagen kommen. Modern gebliebene Menschen und Wertkonservative zugleich können sich am Samstag auf einer netten Vernissage erfreuen.

Jay Ryan ist anwesend, ansprechbar und guter Laune. Wenn nicht, dann beschwert Euch nicht bei mir.