
Samstag, 24. April 2004
'eute isch bekam une lettre electrique von meiner frankophilen Freundin A. aus D'dorf, sü die misch alle paar Jahre mal eine Welle à coeur treibt. Dann est-ce wieder Fünkstille. Das macht aber n'est-ce pas. Das sein Art de nous. Chacun a son gôut. Elle erinnert misch daran toujours, comme mon français unter aller Kanone ist. N'est pas trop bien. Malheuresement, hein?
Mais, egal ça. Elle m'inviter (pas de flektion) à ihr su 'ause in Städtchen tres belle à Rhein (rive gauche).
Deux Plattenspieler pour faire de musique grandiose, a grande table et ihr mütterlischer Büsen warteten.
Isch bin tres exaltiert. Elle veut savoir alles über Pool Viennese. Elle veut savoir tout. Elle me gebrochen de coeur vor lange Seit. Wir uns des'alb gut leiden können. Seit quinze ans. Baisers, toujours les baisers.
(Metrostation c/o Letterjames, via Tristesse Deluxe)

Da hat Tim Burton ja mächtig was am Haken gehabt. Aber anders als die beinahe einhellig begeisterte Kritikerschar, finde ich nicht, daß er seinen Fang auch an Land hieven konnte.
Ein Film vergißt sein Publikum. Burton verzettelt sich in seinen Ideen, die alle nur oberflächlich angerissen werden, aber schon deshalb zusammenhangslos bleiben, weil auch der eigentliche Grundkonflikt zwischen Vater und Sohn recht nebulös bleibt.
Der Sohn ist am Ende eine genauso blasse Schablone wie zu Beginn. Ein deplaziert und fehlbesetzt wirkender Stichwortgeber. Sicher, Finney ist großartig - aber viel hat er auch nicht zu tun.
Ästhetisch enttäuschend dieses 70er-Jahre Flair. Burton reduziert die Fotografie auf Gelb- und Brauntöne und übertreibt es mit diffusen Gegenlicht- und Weichzeichneraufnahmen. Ein Film ohne Kontraste. Die Computereffekte (vor allem die Stimme des Riesen) - ein Grauen. Das wirkt nicht traumhaft, sondern eher billig.
Ein Film, der seine Möglichkeiten verschenkt. Die Zirkusszenen verlieren sich in Halbtotalen, obwohl hier Gelegenheit für opulenten Ausstattungswahn und wirkliche Bizarrerien gewesen wäre. Die siamesischen Zwillinge? Ein running gag, mehr nicht. Es reicht doch nicht, bizarre Charaktere in die Landschaft zu stellen und mit ihnen nichts anzufangen. Was soll diese sehr dissonant wirkende Banküberfallgeschichte? Wieso werden die Papiere des Vaters durchsucht, obwohl er noch nicht tot war? Danny DeVito und Jessica Lange sehen aus, als warteten sie die ganze Zeit auf das Startsignal des Regisseurs. "Ok, Tim, wir haben jetzt ein wenig geprobt und auch gedreht - aber wann geht er denn nun los, der Burton-Film? Where's the Magic?"
Möglicherweise war Burton während der Dreharbeiten mit seiner eigenen Vaterwerdung so beschäftigt, daß er hormonell bedingt ein wenig weich in der Birne wurde und den Faden verlor. John Irving hat es ja in den besseren seiner Romane geschafft, viele Fäden aufzuknüpfen und am Ende doch noch "glaubhaft" zusammenzuführen. Hier bleibt vieles nur unverbundene Episode. Schade. Als Fan der Filme von Tim Burton (sieht man mal von Mars Attacks! und Planet der Affen ab) bin ich enttäuscht. Dieser Fisch kann nicht wirklich schwimmen.
Big Fish. USA 2003. Regie: Tim Burton

Donnerstag, 22. April 2004
Damals, als ich noch nicht in der Gartenzwergfabrik arbeiten mußte, verdiente ich mir mein Geld als Trapezkünstler. Wir waren ein Duo, die begnadete Lollo und ich, und als "The Flyin' Rabaukis" bekannt. Zweifachsalto, Dreifachsalto, Salto mortale , Zwillingsschrauben, Flügelschrauben, wir hatten alles drauf und hatten in der Zirkuswelt so etwas wie einen Namen. Hoch oben in der Kuppel, dreißig Meter über dem Sand der Arena - das war unsere Welt.
Kennengelernt hatte ich Lollo in Rumänien. Ihre Eltern waren im Widerstand gegen Ceausescu gewesen und hatten die kleine Lollo schon in Kindertagen auf die Zirkusschule geschickt. Sie hatte Talent und wurde bald als die "Begnadete" bekannt. Ich holte sie in einer Holzkiste im Laderaum einer Propellermaschine versteckt aus ihrer betonkommunistischen Heimat heraus.
Zum Dank unterwies sie mich im Trapezfliegen, und wir beschlossen, unser Glück beim Zirkus zu versuchen. Sie nannte sich fortan "Lollo", damit die Häscher der Sekuritat sie nicht finden würden. Zudem konnte niemand ihren wirklichen Namen aussprechen. Ich war "Tony Speciale, the Incredible Man on the Trapeze". Damals hatte ich noch öliges, schwarzes Haar und ging glatt als Italiener durch.
Wir hatten schnell Erfolg. Unsere Nummer kam an. Das Publikum liebte den zarten, fragilen Körper von Lollo und meine wagemutigen Übersprünge. Jedes Mal, wenn ich Lollo im letzten Moment beim Sturz in die Tiefe mit meinen starken Armen auffing, ging ein Raunen durch die Menge.
Ich war auch in Lollo verliebt. Aber ich glaube, sie hatte was mit Bolek, dem tschechischen Bärendompteur, der selbst aussah wie ein Bär.
Und so fing unser Unglück an. Zuerst war es nur der Stich der Eifersucht. Bald nagendes Mißtrauen. Lollo schien öfter unkonzentriert. Unsere gemeinsamen Schwünge schienen nicht mehr harmonisch. Eines abends entdeckte ich die beiden hinter dem Zelt von Manolo, dem Eisenbieger. Der stämmige, überall behaarte Bolek hielt meine zarte Lollo eng umschlungen. Ich raste. Der Puls schlug hart in meiner Brust.
An diesem Abend, als Lollo sich in einer spiralförmigen Bewegung bis unter die Kuppel schraubte, so daß sie fast die Zeltbahn berührte, griff ich zum ersten Mal daneben.
Das war das Ende der Flying Rabaukis. Es gab eine Untersuchung. Aber man konnte mir nichts beweisen.
Unter Zirkusleuten weiß man, solche Dinge können geschehen.

Donnerstag, 22. April 2004
Frau Sonne treibt es wieder mal besonders bunt.
Dies ist eine Kaufaufforderung. Die Frau braucht schließlich Käseschnittchenvorräte im Kühlschrank.

Heute exaltierte Träume gehabt. Lag wohl an den Gesprächen gestern nacht. Jedenfalls träumte mir, einige Tänzerinnen aus einem Pariser Nachtlokal namens "Rote Mühle", darunter eine Frau, die sich als Nicole Kidman ausgab, hätten mich mit einem bekannten amerikanischen Filmschauspieler verwechselt und mir gewisse Dienste angeboten. Ich war sehr überrascht und überwältigt, meine gemurmelten Proteste gingen aber in einer Flut französischer Küsse unter.
Meine Therapeutin meinte, ich solle mir darüber keine Gedanken machen. Der Traum bedeute wohl, daß ich gerne ein mittelaltes Dornspeckkäfermännchen wäre. Ein Leben als lästiges Ungeziefer. Aber so weit war ich doch schon.
Ich träume lieber weiter.

Dienstag, 20. April 2004
... oder ankommen und die Seele baumeln lassen. Im Dauerregen z.B.
Miss Monolog hat ihr Angebot wahrgemacht und ein paar Bilder aus der städtebauästhetisch heftig umstrittenen Stadt an der Wupper online gestellt. Ich habe mir schnell die CD mit dem "Bergischen Heimatlied" eingeworfen und mich gefreut.
Wo so wunderbar wonnig der Morgen erwacht,
im blühenden Tale das Dörfchen mir lacht,
Wo die Mägdlein so wahr und so treu und so gut,
Ihr Auge so sonnig, so feurig ihr Blut,
Wo noch Liebe und Treue die Herzen verband:
Da ist meine Heimat, mein Bergisches Land!

Bady Minck war mir entschlüpft. Nun taucht sie mit ihrem Film
"Im Anfang war der Blick" wieder in meinem Blickfeld auf.
Sieht äußerst vielversprechend aus.
Der Film.
(via Baronesse (die mit den ergreifend langweiligen Filmen, denen man stundenlang zuschauen möchte).

Arztbesuch, Praxisgebühr (plus Blutzoll): 10,-- €
Zuzahlung Medikamente: 16,74 €
Walter Mehring, Kleines Lumpenbrevier: 2,95 €
Franzobel, Jelinek et al., Österreich: 1,-- €
Erika + Klaus Mann, Das Buch von der Riviera: 1,-- €
Stewart O'Nan, Engel im Schnee: 1,-- €
T.C. Boyle, América : 0,50 €
Stapel alte Ansichtskarten: 0,50 €
Unterhose, H&M: 7,90 €
France Gall, Twenty Classic Recordings: 12,99 €*
Serge Gainsbourg, Comic Strip: 17,99 €**
Lebensmittel, Penny: 25,14 €
Einen schönen Tag verbracht haben, erschöpft nach Hause kommen und nicht angeraunzt werden: unbezahlbar
* als Alternative hatte ich Múm in der Hand. Aber diese Musik hat momentan dieselbe Wirkung auf mich wie die Betonschuhe eines sizilianischen Familienunternehmens.
** als Alternative hatte ich Kaizers Orchestra in der Hand. Aber diese verrückten Norweger sind zwar ganz groß, aber auch ein wenig anstrengend.

Montag, 19. April 2004
Weia. Statt ctrl+alt+del habe ich gestern doch tatsächlich Apfel+F12 gedrückt. Auf diesem Shortcut ist doch aber Pathos 5.17 abgespeichert.
Da lief ja ein hübsches Programm ab.
Durch leicht herablassend-gönnerhaft wirkende Gutwünschigkeit können bekanntermaßen arge Rückstürze induziert werden. Leider mußte ich den zweiten Kühlwasserkreislauf meines kurz vor der Kernschmelze stehenden Reaktorblocks mit Rotwein füllen. Der weiße - die Hausmarke hier - war nämlich alle.
Ein kurzer Systemcheck in der Betty Ford Klinik heute brachte aber immerhin das Kontrollzentrum wieder zurück in einen weitgehend autopilotgesteuerten operating mode. "I'll be back".
Dann gab es liebe kondolierende Grüße gespickt mit rheinischen Fotos. Dank noch mal an dieser Stelle. Sehr aufmerksam. Der Tag war verregnet, aber unten am Hafen ist es auch bei diesem Wetter interessant. Die Kehrwiederspitze wurde allerdings weiträumig umgegangen.
120 Tage heute. Da lasse ich am besten diese Mädels kommen, die für meine "Moulin-Rouge"-Revue ("Spektakulär, spektakulär!") vortanzen wollten.
Das ist so oder so die einzig richtige Antwort. Andererseits lauern wie überall auch hier Gefahren.

Vier Jahre. Jede Woche ein Brief oder eine Postkarte. Ziehen wir für Urlaube was ab. Macht 50 Wochen pro Jahr. Macht 200 Briefe oder Postkarten. Die Hälfte kam nicht an, aus diesen oder anderen Gründen.
Zurück kam nur eine Karte.
Deren Text kenne ich auswendig.
Die Quittung kam später.
"Du hast doch um meine Freundschaft gebettelt."
Ja, so war es dann wohl. Ein Versehen sicherlich. Wie konnte ich nur. Aber ich solle mir nichts daraus machen. Ich hatte es ja nicht gelernt.
Dann macht es ja nichts.

Montag, 19. April 2004
I don't know what to say
you don't care anyway
(New Order, "Crystal")

"Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte."
(Franz Kafka. Amerika. "Der Heizer". 1935.)
Heute war ein warmer Tag. Der Mann, weder sechzehn (zum Glück) noch vom Dienstmädchen verführt, sitzt am Kai an der Kehrwiederspitze und schaut nach Amerika. Keine falsche Moral treibt ihn hinaus. Es war ein Tag, wie mit dem Schwert gezeichnet. Früher oder später, sagt man dann für gewöhnlich. Früher oder später wäre dieser Tag so oder so gekommen. Nun war es früher oder später. Das ist keine Frage der Uhrzeit. Man hält es zusammen, so gut wie man kann. Und sieht es zerbrechen. Ein Uhrglas zerspringt.
Nachts ist es immer noch kalt. Stimmen aus einer Ferne. Hundegebell. Auf verrosteten Gleisen steht eine ausgebrannte Lokomotive. Am späteren Horizont eine Kette aus Licht. Das ist die Köhlbrandtbrücke. Man lauscht dem monotonen Gesumm eines öligen Generators. Auf halbem Weg, zwischen niemand und nichts, liegt ein russisches U-Boot vertäut. U-434, ein schwarz-metallener Wal, abweisend und kalt. Ich klopfe an.
Doch der Kapitän hat das Boot verlassen.
"Alle Angst der letzten Stunden verschwand." (Kafka, Fragmente.)

Samstag, 17. April 2004
There is no end to this
I have seen your face
But I don't recognize all these things
You must have left behind
Heute mittag auf dem Flohmarkt.
Zwei gefallene Engel. Mit gebrochenen Flügeln.
Sie haben aneinander nicht helfen mögen.
But then, this is only an assumption. Most possibly the girl is happy as a kitten in the sun. The boy though, like a worm, takes another path.
There is no room to move
Or try to look away
Remember, life is strange
But life keeps getting stranger every day
(New Order, "Procession")
