Samstag, 13. Mai 2006
I'm not aware of the passing of time
And I'd like to say to those who accuse me
Could you do it while you looked in my eye
(New Order, "Primitive Notion")

Endlich zeigt er sich, der fette rote Sack. Kein richtiger Blutmond, aber dreist und feist genug, die Hirne zu walken, die Gedanken zu blähen und tontöpferne Inspirationen zu zerschlagen. Genug Saft im aufgepumpten Beutel, um ordentlich "Prost" zu sagen und freundlich anzustoßen. Mancher hat für solche Himmelsbeobachtungen ja gar keine Zeit mehr, wenn man nur in rauchvergorenen Kaschemmen sitzt. Nicht jeder möchte in den Nächten auch wach sein, nicht wenn man sie zum Tage machen kann. Meine Nächte kennen lang schon keinen Tag. Rückwärts, seitwärts, Wechselschritt wird hier heimlich nur getanzt. Zum Schlafen nur das Eisenbett, zum Sitzen nur die Planke.
Zum Trinken nur brackiges Wasser, das ist hier kein Spaßverein. Zum Spielen nur Geziefer, dem kann ich getrost was husten. Man grüßt ja fast als alter Freund. Und in wortloser Stille sprechen die Handlungen bekanntlich doppelt so laut. It's been winter for a whole year. But you couldn't hurt me if you tried. (ebd.)

Sonntag, 7. Mai 2006
werden die Lacher durch den Park wandern.
(Prophezeiung)
Horror! Als wäre Hafengeburtstag nicht schon Drohgebärde genug mit seinem Zuviel an allem (Menschen, Alkohol, Zuckerwatte, Uffta und Klimbim), schlägt heute die Stunde der Gnadenlosen: Weltlachttag!
Sag, wohin kann man fliehen?

Freitag, 5. Mai 2006
Einsamkeit
Zwietracht
Drittmittelförderung
Viererbande
Fünfeck
Sextett
Siebensachen
Achtsamkeit
Neunmalklug
Zehnzwischenraum

Läßt man sie ein paar Tage allein, nehmen es einem die Sachen und Geräte übel. Die Chassis kühlen aus, fangen sich gerade im Sommer die Feuchtigkeit aus der Luft, dann kehrt man aus dem Urlaub zurück, schaltet ein und hat den Verweigerungssalat. Ist der Kondensator erst richtig entladen, murrt er gerne mal rum und mag es gar nicht, wird er sogleich unter Dauerstrom genommen. Reparaturwerkstätten wissen dies und sprechen im besten Handwerkerdeutsch von der Post-Absentale-Besitzer-Phase nach der Hauptsaison, wenn malade Fernsehgerätschaften und andere Hochstrommaschinerie in die technische Klinik eingeliefert werden. Begleitet vom klassischen Spruch "Und das, wo man nach dem Urlaub eh schon pleite ist". Aber dafür braungebrannt - so wie ihre verschmurgelten Kondensatoren, denkt der Reparateur stille und begrüßt den Beginn der eigenen Hauptsaison.
Aber das nur mal nebenbei erwähnt. Mein Concertino 55 von Telefunken sagte nach 50 Jahren einfach "Tschüß" und schwieg nach meiner Heimkehr still. Jeden Morgen NDR Info (gerne verstanden als: "Endlich ein Ufo"), jeden Abend Deutschlandfunk! Und nun! Sicher nur 'ne Sicherung, betete ich das Mantra der vom plötzlichen Gerätetod Überraschten, denn Gestern ging es doch noch! (die klassische B-Seite desselben Liedes). Für eine kleine Radiobastelei bin ich gut gewappnet, also erstmal die Rückwand abgeschraubt (Netzstecker ziehen!), alles entstaubt (die Spuren eines halben Jahrhunderts!) und die Sicherung ersetzt. Nachdem die Spannung nicht nur mental, sondern auch elektrisch zurückkehrte, ein fieses Geräusch: rhythmisches Knarren, oho, die Gleichrichtung! Weißer Rauch stieg auf und verkündete keinen neuen Papst, sondern den Tod eines Netzteils. Ja, Firma Telefunken. Da machen papiergewickelte Elektrolytkondensatoren nach 50 Jahren schlapp? Kein Wunder, kein Wunder, daß ihr nichts mehr baut. Da nützt auch die alte Röhrengarantiekarte, die ich im Inneren des Gehäuses fand, nicht viel.
Das kommt davon, wenn man Döblin zitiert. Nun heißt es wieder, den Radiobastler spielen und die Manuskripte beiseite geschoben. Zauberlehrling, du mußt warten!

Donnerstag, 27. April 2006
Dieser Anflug von Tragik. Morgens aufwachen und die Idee seines Lebens haben. Kurzer Taumel des Glücks. Dann bemerken, jemand anderes hatte sie bereits.

breitet es sich überall aus.
Neulich morgens wachte ich auf und war für einen verhältnismäßig langen Moment der Überzeugung, ich sei der wiedergeborene Michael Flatley. Zwar lebt der noch, versuchte ich mich selbst zu beruhigen, tänzelte und steppte aber dennoch, so gut es die langen Beine meiner Schlafanzughose (gestreift) zuließen, ins Bad. Der eher plumpe Aufprall auf den Badezimmerfliesen bereitete allerdings eine gewisse geistige und körperliche Ernüchterung vor. Das eiskalte Wasser der Morgendusche brachte mich dann vollends zur Besinnung. Glaube ich.
Als Tanzbodenfürst wäre mit mir kein Staat zu machen. Ich hatte aber gleich darauf eine neue Idee, wie ich zu künstlerischem Ruhm - und mehr noch - zu Geld kommen könnte. Ich werde nämlich einen Roman schreiben! Genauer gesagt, ein Kinderbuch, das muß man ja in Deutschland fein unterscheiden.
Seit ich diesen Film über die barfüßigen Typen gesehen habe, die mit einem Schmuckstück durch Auenwälder latschen, (das ist der, in dem auch die spitzohrige Prinzessin mitspielt, die aussieht wie Schneewittchen mit unheimlich großem Mund), ist mir nämlich aufgefallen, daß Themen mit Hokuspokus und Magie ziemlich gut laufen derzeit.
Also habe ich mir eine hübsche Geschichte ausgedacht. Held meines Romans wird ein kleiner Junge sein. Eine Waise, habe ich mir überlegt, um ihn ein wenig herauszustellen und besonders zu machen. Was der Junge anfangs nicht weiß: Er hat eigentlich Zauberkräfte! Wie das aber bei kleinen Jungen so ist, und bei Zauberlehrlingen allemal, muß er erstmal zur Schule, am besten also eine Zauberschule, um ordentlich zu lernen. (Pädagogische Botschaft muß sein im deutschen Kinderbuch!) Weil die Kinder, die mein Buch lesen, wie viele Leseratten bestimmt eine Brille tragen und deswegen gehänselt werden, mache ich meinen Helden auch zum Außenseiter und verpasse ihm ebenfalls eine Sehhilfe. Das verbindet und kommt an. Die Spreepiratin, der ich von dieser tollen Sache erzählte, weil sie sich mit Medien ein wenig auskennt, sprach mir gut zu war gleich Feuer und Flamme und schlug vor, dem jungen Helden obendrein eine Narbe anzudichten. (Ich glaube, sie hat da für so was ein gewisses Faible.)
Mein kleiner Held (Arbeitsname "Kid"), ich werde ihn später vielleicht Herbert nennen oder Horst, jedenfalls was mit "H", ist nun dreifach stigmatisiert: Brille und Narbe und Waise. Da hat er was zu überwinden und einen kleinen dunklen Schatten auf der Seele, ein Geheimnis vielleicht, das es im folgenden zu ergründen gilt. Natürlich muß er sich auch gegen Neider, verblödete Erwachsene und Schulhofterroristen zur Wehr setzen, damit werden sich meine jungen bebrillten Leser sicher gut identifizieren könen.
Das Ganze werde ich mit allerlei Quatschwörtern aufpeppen, denn in diesem Film mit der spitzohrigen Prinzessin gab es sogar eine eigene Sprache und Mythologie. Ich hörte, so was gibt echten Fans das Gefühl, "Insider" zu sein. Und echte Fans machen ein Buch erst zum Erfolg. Also werde ich Begriffe wie "Quuuuuggle" oder "Kramlat" einführen, die meine Insiderfans dann beiläufig in Partygesprächen fallen lassen können.
Später könnte man auch T-Shirts verkaufen mit Sprüchen wie "Mit Quuuuuggles rede ich nicht" oder "Wo ich bin, ist immer Kramlat".
Mein Held braucht noch ein Haustier. Da bin ich aber noch unsicher. Einen Hund? Den haben Zauberer nicht. Eine Katze vielleicht. Oder besser einen Vogel? Die werden ja immer seltener.
Ich glaube, ich mache daraus besser gleich eine Saga und lege das auf sechs Bände an. Ich bin sicher, das wird ein Hit. Dann bin ich stinkreich und tanze auf dem Dach der Welt. Wie Michael Flatley.

Mittwoch, 26. April 2006
Vor zwanzig Jahren, möglicherweise leicht verstrahlt: Tage nach dem Reaktorunglück. Caesium 137 wäscht sich seinen Weg in unsere Körper. Warum sollte es auch nicht schneller gehen, das Ende. Die Ernte ist verseucht, und die Dichter grübeln. Vielleicht erscheint uns nun eine Erscheinung: Ein Spiel ins [sic!] System. Ein Hustenbonbon ohne Nachgeschmack.
In der Woche nach der Katastrophe stammte plötzlich alles Gemüse, das kurz zuvor noch als "Freiland" deklariert gewesen war, aus Treibhäusern. Ganz Deutschland war offenbar über Nacht zu einem riesigen Gewächshaus geworden. Von Holland wußte man das ja schon. Der Begriff "Milchpulver" tauchte erstmals wieder im aktiven Wortschatz auf und weckte diffuse Bilder einer nicht erlebten Nachkriegszeit. Minister Zimmermann beruhigte jeden Abend: Für die Bevölkerung geht keine Gefahr aus. Die Rente war plötzlich auch sicher und wir glaubten es, weil nun klar war, daß dieses Alter keiner mehr erleben würde.
Als sicherer galt nur noch Neuseeland.

Donnerstag, 20. April 2006
Sie sind wie Krebse. Mit ihren Scheren klammern sie sich an das bißchen, was sie haben, gehen immer nur noch seitwärts, beharrlich, stur. Und ängstlich vor jedem Schritt nach vorne.

Montag, 17. April 2006
Ostern hat nicht nur Schokoladenseiten.

Donnerstag, 13. April 2006
The endless seed of mystery,
The thorn, the veil, the face of grace,
The brazen image, the thief of sleep,
The ambassador of dreams, the prince of peace.
I am the sword, the wound, the stain.
Scorned transfigured child of Cain.
(Patti Smith, "Easter")
Nun gehe ich fort. Die Kerze anzünden, den Blick in die Morgenröte halten. Überhaupt: inne halten. Morgen ist Freitag, da werde ich denken: Das Fleisch, die Wunde, das Ende der kargen Zeit. In den letzten Wochen, Monaten war so viel zu denken, noch mehr zu glauben und wenig zu sagen. Zuviel Funktionieren auch und zu wenig Versuchen, Tasten, Probieren. Hier muß es wieder raus aus den flachen Gewässern, mehr ins Licht, noch mehr vielleicht aber in die Dunkelheit.
Die streunenden Hunde, die falschen Rotkäppchen liegen lange am Waldrand schon zur Ruhe. "Wie Schatten hinter schwarzen Büschen stehen" (Trakl). Sangre de Dios, mag es also tropfen im dunklen Gehölz. Kein Kain, kein Abel, kein böserer Bruder.
Danach aber folgt das Osterfest. Der Stadt und dem Erdkreis. Auferstehung, Licht und all überall hoppelnde Kaninchen. Astartentanz auf der Mümmelmannwiese.
Ich ziehe dann weiter. Im Osten, so heißt es, wartet auf mich ein Tanz um ein Martiniglas. Eine Verheißung, der ich mich gerne hingebe. Frohe Ostern.
Seid bis dahin so brav wie ich es bin.
(via The Reverse Cowgirl)
