Sonntag, 16. Juli 2006


Harley Days

Dieses Wochenende sind in Hamburg ja die Harley Days, wo schwere Jungs sich um schwerere Motorräder drängen, in der Hoffung, leichte(re) Mädchen zu beeindrucken. Ich versuchte das früher ja immer, wenn ich mit meinem altersschwachen Hollandrad (drei schwere Gänge) und laszivem Schutzblechgeklapper runter zum Elbstrand fuhr, lässig wie der junge Bobby Vee, beim Versuch, sich eine flotte Vespafahrerin zu angeln. Heutzutage geht es natürlich brav und nur mit einem Zweiradmagazin ins Bett.

Schöne alte Scopitone-Musikfilme, alles angucken!


 


Mittwoch, 5. Juli 2006


Schlaaand 0 - Schauspieler 2


Die runde Sache lief nun lange rund und für einige glückliche Momente auch geringelt oder wenigstens gestreift. Heute abend dann das Projekt Füüünale, standesgemäß draußen auf der Straße auf St. Pauli, mit anderen Mediennutten Gartenzwergpolierern, Hartz-IV-lern und den mitfiebernden Jungs vom türkischen Büdchen nebenan. Erste Halbzeit mit "'Schlaaand! Schlaaaand!"-Rufen in Stimmung gebracht. Wir sind alle Frings - und zur Hälfte auch Odonkor. Gelungene Aktionen (weniger) und Einsatz (mehr) von Team Schland werden eifrig beklatscht. Die zunehmend dreister werdenden Aktionen von Team Thespis zugleich verächtlich ausgebuht.



Heim zu Mama! gellt es, wenn einer der Blauen, vom Windhauch berührt, sich theatralisch auf dem Boden wälzt. Bald wälzt ihr euch in der dritten Liga, brüllt einer. Ständig halten sie sich das Gesicht. Was ist los, rufe ich. Frisur kaputt? Die sehr schöne Frau™ ruft nach Udo Walz, während sie Würstchen grillt, was bis zum Abpfiff noch die neue Lebensart in Schland zu werden versprach. Straßenpartys, Fangesänge, Kulturaustausch. "Wir halten zu Deutschland", meint der türkische Ladenbesitzer. "Morgen dann vielleicht zu Italien", fährt er fort und lacht. Jaja, noch sind wir gönnerhaft und lachen mit. Irgendwann kurz vor Schluß lassen die in Blau Haare, Haare und Wehleidigkeit, Wehleidigkeit sein. Zwei Dinger schenken sie dem Fußballgott ein. Ballack dreht sich beim ersten verdächtig zur Seite, Lehmann machtlos. Ich lasse mich vom türkischen Nachbarn trösten, wir alle starren ausdruckslos ins Leere. Totenstille herrscht auf einmal über dem Viertel. Und doch: Wir haben Spaß gehabt.


 


Dienstag, 4. Juli 2006


So ist es so

Vom Boden essen. Gerne, spricht Demut. Und der alte Witz geht, aber werden wir satt? Geleckt und glatt und anschiegsam. Ich mag es ja mehr in den Brüchen und Kanten. Wenn einer zeigt, daß die Dinge größer sein können als der eigene Griff. Daß sie diesem entschlüpfen, weil das Heute größer oder quicker oder einfach bloß anders ist als das Gestern. Und vom Morgen wollen wir nur ahnen und furchtsamer raunen. Wer weiß schon, was kommt und ob es so ist, wie es ist.

Am hinteren Zaun wehten erst ein paar Haare. Als ich hintrat und nachsah, legte sich dort ein blutendes Tier. Und in silbernen Augen/Spiegeln sich die schwarzen Schatten unserer Wildnis/Gräßliches Lachen, das unsere Münder zerbrach. (Trakl, "Passion") Die klopfenden Herzen, das furchtsame Drängen, ein flatternder Puls in meiner Hand. Als es starb, war ich zaghaft, kein Wort fiel mir ein. Außer ein Ja und ein Nein. Und einem es, das ist, wie es ist.

Homestory | von kid37 um 20:19h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 3. Juli 2006


Mann über Bord!



Nachdem die Sonne sich senkte, das Geschrei verebbte, nur von Ferne noch gellten einzelne Triller einer Schiedsrichterpfeife, gingen wir runter zum Hafen. Ein leiser Wind kühlte die schwitzige Haut, und die Lampen der Marktbuden und die blauen Tore tauchten die Schiffe in ein farbiges Licht. Am Kai pullerte ein Betrunkener ins Hafenbecken. "Sieh dort!", rufe ich aus und ziehe sie am Arm. "Schau, wie romantisch!"

Ich deutete auf das Hausboot. Ein schnittiger Kahn, eine architektonische Studie in Retro-Design. Und seh mich schon draußen, dümpelnd und treibend, einen auf flokatiumhüllte Entspannung mimend. Oder so ein Feuerschiff! Mit dem druckvollen Strahl der Wasserkanone zeigte ich jedem Beckenrandpinkler, was seine Kümmerlichkeit ist. So ein Hafen ist Aufbruch und Sehnsucht, Fernweh und Ankunft: jeder Matrose sein eigenes Schiff. Und ob stolzer gesegelt oder träge nur treibend, manchmal geht es doch über Bord.


 


Montag, 19. Juni 2006


Standbild



Ein Wochenende, fünf Prints - bei dem Tempo bin ich dann in schätzungsweise fünfzehn Jahren fertig. Wohin ist die Zeit enteilt, frage ich mich. Derzeit also Blogentschleunigung. Denken Sie sich nichts dabei.


 


Sonntag, 11. Juni 2006


37

And you may find yourself living in a shotgun shack
And you may find yourself in another part of the world
And you may find yourself behind the wheel of a large automobile
And you may find yourself in a beautiful house,
with a beautiful wife
And you may ask yourself -
Well... how did I get here?

(Talking Heads, "Once In A Lifetime")

Merke ich nichts vom Vollmond, dann ist es bestimmt der Nebenmann, der nachts randaliert. Vergesse ich nichts von meinen Regelmäßigkeiten, dann sind es die Umstände, die (für sie umstandslos), Schwanken und Zögern, Knüppel werfen (die Beine! die Beine!) oder Dinge doppelt erledigen lassen, die auch einmal gereicht hätten.

Die Nacht dann plötzlich auf den Kopf gestellt. Mich selbst orientierungslos in kleinen Wohnungen finden. Küche, Bad, Aufstehen, Hinsetzen und doch nicht wissen, wo ich bin, außer daß ich plötzlich einen Bademantel trage. Das Display zeigt 37, und das ist so etwas wie eine Botschaft. Handeln, weitermachen, aber schön langsam. Zurück in die Grenzen finden, ins Vertraute. Durchs Internet wandern und liebgewordenen Plätze tot finden oder neu gewalzt. Wo seid ihr alle hin? Das Weblog wurde deaktiviert. Wenn Sie Administrator sind, können Sie es hier wieder reaktivieren. Activate yourself, denk' ich und ja, es ist auch Zorn dabei.

Ich muß mich selbst besser administrieren. Nicht verschüttgehen, Grubenlampe, Kanarienvogel, Notration immer dabeihaben. Nicht ohne Karte loslaufen, auch nicht in überschaubaren Wohnungen. Irgendwann, später dann, stehe ich vor dem Bücherregal und lese die Titel aus der Zukunft.


 


Freitag, 9. Juni 2006


Zu Gast bei Fremdsprachlern



Heute beginnt ja dieses Sportereignis, dessen Namen ich nicht besser umschreiben kann, aus Angst, auch dieser könne bereits durch die FIFA als Warenzeichen geschützt worden sein. Nachdem ich hörte, selbst "Hamburg" in Kombination mit der Zahl dieses Jahres sei registriert worden, bin ich nun dabei, mir die Begriffe "Abi 2007" bis "Abi 2037" schützen zu lassen. Die Lizenzgelder, die mir junge Golf- und Opelfahrer fortan zahlen müssen, werden mir hoffentlich einen angenehmen Lebensabend in gemäßigten Klimazonen bescheren.

Es geht also los, und die zahlreichen Gäste, die nun in die Stadt strömen, könnten morgen alle schon perfekt Deutsch sprechen, wenn sie willens und einigermaßen liquide sind. Ob sich der Wortschatz über das hinaus erstreckt, was ich meinen Lesern bereits vor einiger Zeit an Fußballwissen auftrug, entzieht sich allerdings meiner Regelkenntnis. Im Abseits werden die breitbrustigen Schweden und zierlichen Schottinnen in dieser freundlichen Stadt sicher so oder so nicht stehen.

Mein Favorit? Nun, ich denke, wenn Deutschland die Todesgruppe der Vorrunde überstehen sollte, nun, dann ist alles möglich, dann sind die Tore plötzlich weit offen. Nicht das deutsche, hoffen wir mal. Schon allein wegen der Binnenkonjunktur, so ein Ereignis muß sich ja schließlich rechnen. Apropos: Jens Weinreich, Sportchef der Berliner Zeitung und Träger des "Wächterpreises der Tagespresse", sagt: "Die WM-Macher behaupten, diese WM sei das größte privat organisierte Sportereignis seit Menschengedenken. Das ist eine faustdicke Lüge. Nach unseren Erhebungen wurden sechseinhalb Milliarden Euro aus verschiedenen öffentlichen Töpfen für die Finanzierung dieser WM investiert." (M, 6/2006)

Dann also Prost und have a ball!


 


Donnerstag, 8. Juni 2006


Bitte beachten Sie meine neuen Schuhe

Es verhielt sich nämlich so, daß ich neue Schuhe brauchte. Ein Graus, ein Schrei: Ich hab' nichts anzuziehen! Und Sally sagte zu mir, "Jack". Jack sagt sie zu mir, wenn sie nicht gerade Mr. Skellington sagt, was sie aber nur sagt, wenn sie mich ermahnen will. Also sagte sie, Jack, ich nähe dir ein Paar, kein Problem, laß mich nur an meine Nähmaschine eilen. (Wo sind eigentlich meine Hosen?)

Und so erhielt ich linken Schuh und rechten Schuh (unterschiedlich, wie es sich für liebevolle Handarbeit gehört), trés chic, und zufrieden bin ich auch. Eigentlich ist Sticheln ja mein Hobby, aber so reizvoll hätte ich es selbst nicht hinbekommen. Das ist kein Flickwerk, das ist Schusterkunst. Damit werde ich bestimmt wieder auf der Straße angesprochen könnte ich glatt in diesem Film von Sally Burton mitwirken. Schuhe voller Narben. Ganz wie das Leben selbst.


 


Dienstag, 30. Mai 2006


Florale Zierde

Bei Leiden und Schmerzen aller Art hilft bekanntlich die Ringelblume. Solches Naturwissen ist vielfach verschütt' gegangen, was schade ist, betrachtet man den generell eher unblumigen Alltag. Heute gleich zwei ältere Herren gesehen, beide in beigen Hosen und einem senffarbenen Bluson gekleidet. Was ist nur aus der Fliederfarbe geworden?

Für jemanden wie die Londonerin Veronica Read wohl eine triste Entwicklung.
(Die Installation von Kutlug Ataman ist derzeit übrigens in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.)

Neben der blumigen Rede führe ich hingegen gerne meine florale Kleidungspracht spazieren. Man nennt mich auch die schwarze Tulpe. (Oder war es die Tollkirsche?)


 


Donnerstag, 25. Mai 2006


Vatertagsretrospektive

Ich hab mich selbst zum Altglas gestellt.

(Taumelnd hinab ins Flaschengrün. Kennen wir uns? Von der Neige des Glases. Du Flasche, zischt sie. Ich habe dir gestern erst den Korken gezogen. Du steiler Zahn, nuschel ich zurück. Du Assoziationsschlampe, alkoholisches Luder, du. Grinsend ringelt sie ihren Strumpf wieder hinauf. Haltlos, lalle ich. Allohaltlos.)

Morgen arbeiten nur mit höchstem Unwillen. Das ganze monotone Leben wie eine Nagelbettentzündung. Selbst ein Kuß nur pilziger Atem. Mir war als hätte ich das Ticken der Uhr zu lange nicht gehört. Ticktack, der Stempelkasten. Aus dem Nebel wird auftauchen der Personalleiter der Gartenzwergfabrik. Mirdochegal wie ihr arbeitet, wird er grinsen. Fertig muß die Scheiße werden.

(Neulich beim Entgraten, der Kollege hebt die blutenden Finger, will den Boss der Bosse grüßen. Der aber schleicht vorbei, über die Flure, nickt & sagt nicht Guten Tag. Jasollnwirunsdennalleselbstentleiben? Nur für ein bißchen Augenblick?)

Ich habe es genossen. Im Regen sieht es aus, als söge meine faltige Haut mehr Tropfen auf als die Jugend, deren Glanz wie Sonne scheint. Im schrundigen Haus, zwischen welker Tapete und verschlissenen Hemden, die Trauer. Mit Bedacht, stillem Eifer und vorgespitzter Zunge wickel ich ein schwarzes Band, rundherumundrundherum ums Treppengeländer. Ich bin auf links genäht, Bruch der Schokoladenfabrik.

(Keine Himmelfahrt.)