Montag, 5. November 2007
(Gassenlied)
Draußen vom Herbstlaub komm' ich her, ich muß euch sagen: Ich habe bereits alle Weihnachtsgeschenke zusammen.
(Stille wie ein Donnerhall.) Nur ein Scherz! Aber langsam heißt es, Fahrt aufnehmen auf dem Weg in die rotbemützten Besinnlichkeitswochen. Der Anfang ist gemacht: Ein lieber Kollege brachte mir aus dem mittelfernen Hannover diesen wunderbaren Adventskalender mit. Und wenn schon, höre ich manche rufen. Doch gemach. Denn auf dem Kalender ist nicht nur das Frl. Anna Blume abgebildet. Hinter einem Baum grad mal leicht getarnt, lauert auch ein Hannoveraner Unruhestifter, über den wir mehr wissen als über jedes seiner Opfer: Fritz Haarmann.
Zur Weihnachtszeit, wenn nur Kinderaugen heller blitzen als schneebedeckte Tannenzweige, darf neben Dada auch das Grauen nicht fehlen, dachte sich wohl der im Auftrag des Tourismusbüros Hannover tätige Zeichner und malte den als Vampir von Hannover landesweit bekannten Serienmörder samt Hackebeil ins Bild. Zu fürchten ist da nichts, denn ein jeder weiß, daß Knecht Ruprecht zur Bestrafung seiner
Gespielen Opfer nur zur Rute greift. Bald fand die Stadt Hannover aber, nun völlig von der Leine, die Darstellung ihres berühmten Sohnes wenig christlich und stoppte den Verkauf.
Bibelleser jedoch werden dabei mit Recht einwenden, daß dies doch bloß eine säkularisierte Version der Herodes-Geschichte sei, der genau wie Haarmann auch nur Jungs tötete: "Da [...] ward [Herodes] sehr zornig und schickte aus und ließ alle Knäblein zu Bethlehem töten [...]" Matth. 2.16. Dieser Zusammenhang muß jedem gleich ins Auge fallen! Roland Barthes jedenfalls hätte bei der ikonographischen Exegese seine Freude gehabt und geschlossen, daß selbstverständlich auch der Adventskalender, wie eine geschriebene Überlieferung, der Film oder eine Fotografie, Träger eines Mythos sein kann.
Auch der Serienmörder an sich, da machen wir uns mal nichts vor, ist seit dem Erscheinen eines gewissen Hannibal Lecter am popkulturellen Horizont salonfähig geworden. Seither gilt der ritualisierte Mord nicht mehr nur ausschließlich als von niederen Instinkten bedingt, sondern fallweise auch als verfeinerte Ausdrucksform eines höheren Ziels, die sich ebenso kunstvoll wie ein klassisches Werk der Hochultur orchestrieren läßt. Haarmann, ein schlimmer Bettnässer¹ obendrein, entwickelte nun allerdings weniger einen Sinn für deliziöse Lebergerichte, sondern, so jedenfalls das hartnäckige Gerücht, ein eher bodenständiges Interesse für grobere Fleischwaren. Nicht so schön.
Während der fiktive Hannibal Lecter eine berühmte Gestalt des modernen Lagerfeuererzählens geworden ist, den nur die wenigsten kultiviert denkenden Menschen von der Türschwelle weisen würden, ist der echte Haarmann - völlig zurecht natürlich - ein Ausgestoßener geblieben. Immerhin: Seine Geschichte inspirierte Bänkelsang und Abzählreime und floß ebenso wie der Fall Peter Kürten², der "Vampir von Düsseldorf", in das Drehbuch von Fritz Langs berühmten Thriller M - Eine Stadt sucht einen Mörder ein. Und beschert (!) nun einem naiv-fröhlich gezeichneten Adventskalender einen grimmen Unterton, ein Memento mori, das an die oftmals prekäre Situation jungen Lebens erinnert - in einer Zeit, in der man die Weihnachtsbotschaft ungerührt vom Kommerz schlachten läßt. Für diesen geschliffen scharfen Hinweis, denn die Wahrheit tut oft weh, gebührt dem Zeichner nichts anderes als Dank und Lob.
24 Morde hatte Haarmann auf dem Gewissen. Jetzt bin ich nur gespannt, was sich hinter den 24 geheimnisvollen Türchen verbirgt. Warte, warte, nur ein Weilchen...
>>> Trailer zu M - Eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang (1931)
Fritz Haarmann bei Serienkiller.de
¹ P. und J. Murakami. Lexikon der Serienmörder. München, 2000. s.v. "Haarmann".
² Peter Kürten in der Wikipedia

Donnerstag, 1. November 2007
Starkstromelektrische Bloßgelegtheit. Denk, was du willst, aber never ever put it in an email, heißt die angloamerikanische Sozialparkettregel. Als eitler Faun übergebe ich natürlich das S7ensiegelbuch der Verbaläußerungsgalanterie als allererstes dem großmäuligem Feuer. Heute morgen fiel mir kurz ein, wie es war, als wir uns alle nicht kannten. Als man sich nur Worte telegraphierte, ahnungs- und oft rücksichtslos und ohne weitere Gewinnerzielungsabsicht.
Während der Rest der Republik auf der faulen Haut sich räkelte, mußte heute in Hamburg aber gearbeitet werden. Ein zähes Vergnügen, zumal wenn man weiß, daß einem am Ende doch wieder alles weggenommen wird.
Fremdevaluierung. Liv Ullmann, in Tokio geboren, so las ich heute, hielt sich für einen "uneitlen Menschen", bis Lars von Trier vor ihr die Preise in Cannes abräumte. Ich dusche jetzt morgens immer kalt, der Demut wegen und weil ich Angst verspüre. Das Zupfen und Zerren, das Wollen und Haben, auch das Anteilnehmen. Die Menschen, das hat Liv Ullmann jetzt nicht gesagt, nennen immer das falsche kokett. "Witzig", sagen sie und schauen sich interessiert bei mir um. "Auf der Ausstiegsluke steht Ausstiegsluke und auf der Schrotflinte Schrotflinte." Ich bin wohl eher kein Diplomat.
Da ist ein Licht, das niemals ausgeht. Merkwürdig, wie mir gerade dieses Lied nun schon zum zweiten Mal zugespielt wird. Ich sollte mehr auf Zwischentöne achten. Nächstes Mal gehe ich besser doch zum Punkkaraoke. Ich will eine Axt, das Eis zu brechen, sagt David Bowie. Ich aber sage: Jedermann sein eigener Leuchtturm.

Mittwoch, 31. Oktober 2007
das Herz des Einsamen
(Georg Trakl, "Am Abend")

Ein silberner Trost, ein fermentiertes Getränk und zwei oder drei trübe Lichter eines ranzigen Cafés: Kaum habe ich mich fröhlich auf einem Tisch gewälzt, legt sich tags darauf bereits die Schwermut wie ein nasser Lappen ins Genick. Morbide Schöne winken ach so angekränkelt mit ihren Strumpfbändern, derweil es mir noch nicht einmal gelingt, den eigenen Namen in eine Bierlache zu schreiben. Die vom Grünspan überzogene Überwachungskamera indes hält unverschleiert drauf, hochaufgelöst bis zum letzten Schweißtropfen.
Während wir Ende Oktober den Weltspartag begehen, metallgefüllte Schweine zur Monetenschlachtbank führen und aus Angst vor dem dreckigen Alter ein Rentenpaket erwerben, brechen anderenorts die Gräber auf, um mit zuckrigen Grüßen die alten Knochen tanzen zu lassen. Der Tag der Toten, mit Ringelblumen und Schokolade begrüßt, ist jedoch ein freudiges Fest.
Auf kühlen Steinen sitzen wir jetzt, unsere Finger gleiten vorsichtig über die Gravierungen, finden die Jahreszahl. Wer nämlich lange genug auf verwitterte Grabsteine schaut, meint schließlich, den eigenen Namen zu erkennen. Wem es glückt, sogar auf dem lustigen Friedhof.
Es stimmt, ich hätte dich gerne geküßt, doch du sahst weit in die Ferne. Nach den dunklen Vögeln.
>>> Wikipedia: Tag der Toten
Celebrate the Dead - Celebrate Life - Webseite (Fotos, Infos, Blog)
La Catrina - Diego Rivera
José Guadalupe Posada (Wikipedia)

Montag, 22. Oktober 2007
Mutter" rufe ich, "was ist das für ein Wein?" Stirnrunzelnd betrachte ich das Etikett. Die Mutter hat sich vergriffen, einen Merlot gekauft, den Aufdruck "lieblich" vielleicht aber auf sich bezogen oder einfach auch nur übersehen. Doch erinnern wir uns daran, was in unserer Familie immer galt: einfach immer weiter machen. Und frei nach Nestroy ("Einen Jux will er sich machen") beschließen wir tapfer: Dieser Wein wird getrunken.
Zwei Gläser später sind wir bereits leicht beschwipst und schauen gemeinsam mit einem unterschiedlichen Grad an Begeisterung "Astro-TV". Ich parodiere die hellsichtigen Gestalten, die für gute Provision arglosen Menschen Glückskekssprüche verkaufen. Auch meine Mutter findet bald Gefallen an dem TV-Trash. Als eine Frau anruft, um zu erfahren, ob's noch was wird, mit der Liebe und ob das Schicksal doch noch mal gnädig sein wird, rufen wir fast aus einem Mund: "Vergiß es!" Offenbar lebt der Sender auch vom voyeuristischen Katastrophentourismus.
Am nächsten Tag berichte ich der Mutter, daß nun viele Menschen über Dinge wie "Apfelkuchen" und "Mutterkreuz"* diskutieren, aber entweder das eine oder das andere gar nicht kennen. Meine Mutter, alles andere als eine gute Apfelkuchenbäckerin, kramt in der Schachtel mit den drei Familienandenken und präsentiert achtlos das silberne Symbol des Anstoßes. Verliehen an meine Großmutter sel., die sechs Kinder geboren hatte.
Angeblich, so lese ich, hatte man mit dem Ding einen Anspruch auf einen Sitzplatz in öffentlichen Verkehrsmitteln, doch ich bezweifle, ob meine Großmutter damals im tiefen Ostpreußen wirklich etwas davon hatte, blieb sie doch die meisten Tage daheim, um die Kinder zu versorgen und statt Apfelkuchen zu backen, lieber ein paar Hühner zu schlachten.
1945 blieben die Hühner und der schmale Kartoffelacker zurück, als "der Russe" kam. Der Großvater war schon längst "gefallen", irgendwo im Osten, so wie mein anderer Großvater auch, wie überhaupt die meisten Männer dieser Familie, bis auf einen später angeheirateten Onkel, der im Westen stationiert war und die lieblichen französischen Weinkeller bewachte, wie er später gern erzählte. Meine Großmutter aber packte wie eine Maria F. der Unterschicht Kind, Sack, Kegel und Mutterkreuz und flüchtete zur Küste, damals im Winter 1945.
In Gotenhafen versuchte die klamme Bagage über die Ostsee zu kommen, auf einem der großen und kleinen Schiffe, die von dort die schwierige Passage durch Eis, Minen und sowjetische U-Bootsperren wagten. Zu Tausenden hockte man dort, wartend und hoffend, Sand in einem Getriebe, das nun völlig aus den Fugen geraten war. Die Großmutter und die sechs Kinder schliefen in einem ehemaligen Kino, dessen Sitze verfeuert worden waren. Jeden Morgen packte man die Leichen auf Leiterwagen und füllte die freiwerdenden Plätze mit weiteren Flüchtlingen. Ein anderer Onkel, der bei der Marine war, besorgte über einen wendungsreichen Dienstweg Papiere, eines dieser trickreichen Manöver, deren Irrwitz 60 Jahre später auch keiner mehr versteht. Nachbarn, die es selbst nicht anders gehalten hätten, empörten sich, aber meine Großmutter, die resolute, packte ihre sechs Kinder und die paar Koffer, die sie noch hatten, denn auf der Fahrt mit der Eisenbahn, in - welch' böse Ironie - Güterwaggons, die man mit Stroh ausgelegt hatte, war eine Türe aufgesprungen, Koffer und Kinder oder Koffer oder Kinder fielen hinaus, die Großmutter hinterher, rennen, retten, flüchten, in den blauen Augen meiner damals fünfjährigen Mutter ein großes Abenteuer, von dem nichts blieb, außer dem halbnackten Leben, Papieren, Fotos und dem Mutterkreuz, packte also die Habseligkeiten zusammen und zwängte die Familie auf eines dieser umgebauten Minensuchboote. Die zwei älteren Brüder, die - sich einen Jux machen wollend - die Abfahrt verpassten, ruderten mit einem Boot dem auslaufenden Schiff hinterher, wurden aufgefischt und - ein weiteres Abenteuer - für eine deftige Standpauke vor den Kapitän zitiert.
Aber in diesen Tagen überlebte nicht unbedingt der, der erster war. In der schmalen Fahrrinne, die durchs Eis gebrochen war, tauchten, meine Mutter schwört es Stein und Bein, bald Holz- und Trümmerteile auf. Zwei Tage zuvor war hier die Wilhelm Gustloff auf dem Weg nach Kiel einem sowjetischen U-Boot ins Fadenkreuz gelaufen. Zehntausend Menschen waren wohl an Bord, in diesem Januar 1945, und nachdem der KdF-Kreuzer versunken war, wurden 1252 aus der eisigen See geborgen. "Das war es" sollen die Worte des Kapitäns gewesen sein, als erst der eine, dann der zweite und schließlich der dritte der vier abgefeuerten Torpedos unter der Wasserlinie einschlug. Es gab kein Weitermachen.
Das Minensuchboot mit meiner Mutter an Bord hingegen kam zwei Tage später durch, ohne Zwischenfall, mitsamt der Großmutter und dem Mutterkreuz. Für den sowjetischen U-Boot-Kommandanten Marinesko gab es nichts, nur die Erinnerung vielleicht an sein Fadenkreuz. Erst 1990 verlieh ihm Mütterchen Rußland postum einen Orden.
Am Ende trafen sie sich doch wieder, in ihrer Biografie jedenfalls, denn 1963 wurde ihr Schicksalsjahr. Meine ostpreußische Großmutter, die sechs Kinder geboren hatte, aber ihm entwischte, starb im Frühjahr jenes Jahres an Krebs. Marinesko, der elftausend auf den Grund der Ostsee geschickt hatte, folgte ihr ein halbes Jahr später.
Das Kreuz, sinnlos wie der Orden an Marinesko, ist nun in meinem Besitz. Eine Tante hatte sich unlängst beschwert, wie irgendeine Schwiegertochter aus der weitläufigen Familie, kaum, daß deren Mutter tot war, "alles weggeworfen hätte". Meine Mutter hingegen blieb stoisch. "So ist das halt." Vielleicht fielen ihr die Trümmer der Gustloff ein. Ich pflichtete ihr bei und bekräftigte, nach einem kurzen Blick auf ihr im Memphis-Stil gemustertes Geschirr, es nicht anders halten zu wollen, jedenfalls soweit ich ohne Astrologen-TV in die Zukunft blicken könne. "Ich würde mir auch nur ein paar Andenken raussuchen."
"Und", meinte sie. "Willst du sie jetzt schon haben?" Und wir lachten beide und nahmen einen letztes Glas von diesem widerlich lieblichen Merlot. Ich nahm dann das Mutterkreuz und ein paar andere Dinge. Muß ja immer weitergehen.
--
* In der Wikipedia und einigen anderen Quellen wird behauptet, das Kreuz hätte die Aufschrift "Das Kind adelt die Mutter" getragen. Diese Inschrift habe ich nicht gefunden. Auch die Fotos in der Wikipedia selbst liefern dafür keinen Beweis. Vielleicht fand sich ein solcher Aufdruck auf der separaten Verleihungsurkunde - oder aber es hat hier eine Quelle von der anderen abgeschrieben. Die Seite des Deutschen Historischen Museums erwähnt diese Inschrift nicht.

Freitag, 19. Oktober 2007
Die Herbstsonne, das ist bekannt, kriecht am schönsten in den Wäldern des Bergischen Landes durchs fehlfarbige Laub. Zeit also, die Streikpause der BundesBahn zu nutzen und kurz einmal eine Luft zu schnuppern, für die es keine maritime Notausrüstung braucht. Sie wird erfüllt sein vom Fangesang des Regionalligaführers, dem psychedelischen Wispern der Wupperfabelwesen, vielleicht aber auch vom Heulen der zerzausten Klageweiber. Aber in den Baumlöchern der Gegend ist sicher noch Platz für ausgehauchte Geheimnisse. Schwere Erde, karges Essen und eisige Gemütlichkeit bei geöffneter Balkontüre erwarten den Wandersmann. Eine Reise ohne Rettungsring. In den Labyrinthen des Bergischen vertraut man schließlich besser nur sich selbst.
In der Zwischenzeit erfreuen sich alle herzensguten Menschen an den bezaubernd animierten Expeditionen des Jasper Morello (IMDb). Trailer
Wie heißt es: Jede Reise führt zu sich selbst zurück.
Außerdem brauche ich neue Schuhe.

Montag, 8. Oktober 2007
Ich freue mich immer auf den Samstag. An diesem Tag nämlich ist in der hermetischen Anstalt Handtuchwechsel. Da kann ich mittags morgens nach der Dusche meinen bleichen Körper mit einem frischen, brettharten Frottiertuch abreiben.
Meine Hinz&Kunzt kaufte ich bei einem Mann, der aussah wie ich in zwanzig Jahren. Er trug sogar die gleiche Brille, nur daß seine am Rand mit Leukoplast geklebt war.
In der Fabrik beginnt langsam das Vorweihnachtsgeschäft. Feiertage müssen rausgearbeitet, Gartenzwerge mit Nikolausmützen versehen, Stiefel und Ruten gefaltet werden. Die Motivbanderole dieses Jahr heißt "Sonderschichten". Ich bin kaum zu bremsen, finde aber keine adäquaten Worte.
Meinem zweiten Roman Traumaland gleich bleiben alle Menschen stumm. Ich hingegen könnte eine Weile aus meinen geheimen A-Blog-Tagebüchern zitieren, in denen ich alles im Präsens schreibe. Und klein natürlich.
~ zufällig ferngesehen. eine seltsam verschobene szene: wie der mann von ganz links nach ganz rechts im bild geht. bis er sich selbst aufzulösen scheint am schwarzen rand der mattscheibe.
dabei an hegel gedacht. ~
Aber nun ist heute der wichtigste Tag für mich. Der erste nämlich vom Rest meines Lebens. (Erweiterte Sinnsprüche und Aphorismen, demnächst in Buchform. Gleich in zwanzig Sprachen übersetzt, 15 Millionen Auflage. Verkauft. Dann Tantiemen vom Verlag plus Scheck der VG Wort = finanziell sorgenfreie Zukunft.)
Als das Denken noch geholfen hat, wäre mir vielleicht ein Ausweg eingefallen. Nun hilft nur noch Notverriegelung. Nennen wir es einfach kreative Pause.
Bald ist wieder Samstag.

Mittwoch, 3. Oktober 2007
Herrliches Wetter am Nationalfeiertag also 17. Juni äh 14. Juli na, jetzt aber, Tag der Deutschen Einheit. Endlich wieder Kaiserwetter, Sonne satt für die Ausgehuniform, dazu ein leichter Wind, der die Fahnen spreizt, statt sie erektionsschlaff am Mast hängen zu lassen.
Auch auf dem Flohmarkt schwarzrotblonde Pracht. Mehr noch aber locken die Restbestände einer alten Zahnarztpraxis. Wieviel Geld man sparen könnte! Wieviel Nerven auch, drängte es nicht immer Menschen mit Kinderkarren und Fahrrädern durch dichtgedrängte Reihen. Was geht mit güldenen Oktoberwäldern und satten Flußlandschaften, möchte man rufen, Schuhe und Empfindliches in Sicherheit bewegend. Aber heute sind wir alle eins. Verbissene Mütter, die wie Großraumpflüge durch Herbstlaub mit Puki und Teutonia in bockige Grüppchenbildner preschen, schottergraue Heftchensammler, mit dem novemberfeuchten Geruch, der ihren Kleidern entsteigt, die Ein-Euro-Feilscher und angedellte-Ecken-Monierer, die Begeisterten und Zufriedenen, die Adressen-Austauscher und prospektiven Keller-Besichtiger. Kommt näher zu mir, ihr Beladenen, rufe ich, in einer seltenen Anwandlung von Leutseligkeit quer über den Platz zu den Kofferträgern, den Kindergeschminkten, den Kaffeetischsitzern. Laßt Schachern, laßt Feilschen! Doch schnell, schnell wie kleine flinke Mäuschen verstecken sie ihre Schätze tiefer in den Jackentaschen, äugen mißtrauisch und schräg, manch einer legt sogar die Stirn in Falten. Eine alte Dame umklammert ihren Gehstock, bis die Knöchel weiß werden.
Wir wollen doch eins sein, nur heute einmal. Gemeinsam singen, tanzen uns frei fühlen und kollektiv ausziehen vielleicht... Die letzten Worte entschlüpfen mir bereits tonloser, fast lautlos. Die ältere Dame ist empört, beginnt mit ihrem Krückstock quer über meinen Rücken zu schlagen. "Flegel", kreischt sie, während ich mich ducke, die Arme hochnehme, meinen frisch verheilten Kopf zu schützen.
Ach, denke ich traurig, stelle mich abseits und greife zur Stärkung zu einer Banane. Bald heißt es wieder, jeder Mann seine eigene Lichterkette. Wir sind wohl noch lange nicht eins.

Dienstag, 25. September 2007
Mit zusammengekniffenen Augen in der frischgekleisterten Ecke sitzen, dorthin, wohin man sich selbst gemalt hat beim Bodenstreichen. Hinschauen, dann mit verklebten Wimpern noch einmal schauen und die Fehler zwischen den Weltsichten finden. Wenn jeder neue Tag solche Rätsel bereithält, warum sollte ich da Sudoku spielen? Verschwimmen, ver-schwimmen, wegblenden (tausendfach klebrige Pechblende), Worte nur noch flüstern, Laut geben nur noch leise - dafür dann mal die Schiffssirene (einmal, zweimal, das Wasser trägt es schon weiter). Sich an Bord von irgendetwas anderem schleichen, den Traum eines anderen Menschen okkupieren, blinder Passagier sein im Prospekt eines anderen Lebens. Ein verträumter Parasit! werden sie schreien und mit Äpfeln nach mir werfen.

Sonntag, 23. September 2007
Liisa von Charming Quark, die bereits einen Tick früher (haha) auf Brian Dettmer hinwies (es kann sich nur um ausgeschlafene Minuten gehandelt haben), ruft seit einiger Zeit zum Frühstücks-Projekt auf. Hier also auch für andere der Weckruf, ein bißchen Zeit bleibt noch.
Morgens, das sei verraten, gibt es hier kein Käsebrot. Die Marmelade, auch dies sei verraten, ist selbstgemacht. (Nicht von mir, ich kann nur Früchtchen sammeln und, wie das Foto verrät, in der Sonne stehen.)

Donnerstag, 20. September 2007
Wir waren richtig ein bißchen radikal.
(Don Pascal, "Bloggen war nicht mein ganzes Leben".)
Heute morgen, als ich gerade von meinem Frühstück am Büdchen zurückkam, hörte ich im Radio von einer kleinen Sensation. Howard Carpendale arbeitet an seinem Comeback! Viele werden da vielleicht mit den Achseln zucken - mir hingegen wurde wehmütig klar, warum ich dieses Jahr im Urlaub in einer ebenso instinktiven wie nostalgischen Anwandlung die Nähe der Ostseebäder gesucht hatte. Ich war ja nicht immer so!
Bevor ich nämlich ein berühmter Maler wurde, drängte es mich in jungen Jahren als Sänger auf die großen bis mittelkleinen Bühnen - eine wilde Zeit und richtig eine kleine Karriere, an die ich nun schon lange nicht mehr gedacht habe.
Damals hatte ich unter dem Künstlernamen "Don Pascal" einen gewissen Erfolg. Mutig sang ich auf einer Talentprobe in Köln eines meiner selbstkomponierten Lieder ("Mädchen, um mich mußt du nicht weinen") und wurde prompt entdeckt. Neider spotteten zwar, damals wäre jeder, der drei Haare auf der Brust besaß und ein Mikrofon halten konnte, von einem Label unter Vertrag genommen worden, aber so war es bei der Gloriola nicht. Die suchten echte Künstler mit "einer eigenen Note", wie Wim Slooterhuijs, der große Produzent und mein erster Manager, mir immer wieder bestätigte.
Und eine Note hatte ich in der Tat! Ich war nämlich mit meiner wilden blonden Mähne so ein wenig verrückt, also ein bißchen flippig, und den kleinen Produktionskostenzuschuß für meine erste Single "Lass uns wilde Sachen machen" zahlte ich gern, denn viele Branchenberater sagten mir, daß es auf jeden Fall und schnell bergauf gehen würde. Und tatsächlich, bald ging ich auf Bädertournee und bespielte in den Kurhotels von Bad Breven bis Westerstede die Bühnen, die für viele die ganze Welt bedeuten. Damals hatte ich gerade den nur wenigen Leuten bekannten, augenzwinkernd gemeinten Hit "Mein Auto ist auch nur gelieh'n" im "Gepäck", wie man in der Branche sagt, und landete damit erstaunliche Erfolge. Wenn ich mich vom Rand der Bühne in der Konzertmuschel hinunter ins Publikum schwang, einer der meist recht stark gebauten Damen dort tief in die Augen blickte und die Zeile "Mädchen, um mich mußt du nicht weinen" heraushauchte - nun, dann wurde wirklich manches Auge feucht, und ich zog schnell ein fliederfarbenes Taschentuch, das ich eigens für diese Belange mit mir führte und in großer Stückzahl günstig von einem holländischen Im- und Exportunternehmer erwarb. Einer der vielen kleinen Tricks, ohne die ein Bühnenkünstler in der harten Welt des Schaugeschäfts nicht überleben kann.
Aber es gab auch Schattenseiten. Nach den Konzerten, allein in der Garderobe, überfiel mich oft eine düstere Stimmung, die alle Blumensträuße der Welt nicht aufhellen konnten. Diese Leere, die ich da spürte, nachdem der letzte Applaus verklungen war... manchmal habe ich geweint. Ich schrieb ein sehr persönliches Lied ("Ich bin nur ein trauriger Clown"), aber Wim war der Ansicht, es passe nicht zu meinem Image als junger, unkomplizierter Typ, mit dem man "dufte Sachen" machen könne. Ich habe dann manchmal heimlich getrunken.
Obwohl es noch heute gern zititerte Titel wie "Komm, du willst es doch auch" oder den kleinen Schmunzler "Wir können gute Freunde bleiben" erstmals vereinte, lief es mit meinem Debütalbum "In den Augen eines Träumers" ebenfalls nicht so gut. Die Plattenfirma, man muß es im nachhinein so sagen, unterstützte mich da leider nicht richtig. Wim war am Telefon oft nicht zu erreichen, Werbung wurde gleich gar nicht mehr gemacht, und auch ein versprochener Auftritt bei der Internationalen Funkausstellung platzte kurzfristig. Auch der Zusammenhalt mit den Kollegen aus der Schlagerszene zerbrach. Nun ja, Menschen kommen, Menschen gehen. War halt alles ein bißchen unglücklich.
Rückblickend kann ich also sagen, der Howard und ich, wir haben die Höhen und Tiefen dieses mörderischen Geschäfts kennengelernt. Wenn man auf der Bühne steht, so lautet eine alte Künstlerweisheit, ist es, als schaute man in den Rachen eines Krokodils. Aber, so hatte mir Wim, mein großer Mentor, immer gepredigt, man darf keine Angst vor dem Publikum zeigen. Man muß es beherrschen und zähmen - wie einen Freund.
Von meiner Langspielplatte wurde das mit einem modernen Discopolka- Rhythmus unterlegte Lied "Küssen, Knutschen - Kalamitäten" wohl in einigen Diskotheken auf Mallorca häufiger gespielt. Ein Bekannter schrieb das meiner Mutter. Aber leider kam es nicht mehr zu einer Tournee durch die spanischen Urlaubsorte. Ich bin sicher, es hätte meiner Karriere den letzten Schwung gegeben, denn Wim stand zu der Zeit, wie er mir immer versicherte, gerade mit Dieter Thomas Heck in sehr gutem Kontakt. Und so fiel es mir heute morgen wieder ein, wie ich fast gemeinsam mit Howard Carpendale in der Hitparade aufgetreten wäre. Von Kollege zu Kollege wünsche ich also viel Glück. Denk immer daran, Howie: Das Publikum ist ein Krokodil, aber du darfst den Rachen nicht fürchten!
(Ich widme diesen Beitrag meiner Mutter, die immer zu mir gehalten hat.)
