Der Grill und die Ameise

Heute habe ich das letzte Grillgut entsorgt. Ich glaube, das wird dieses Jahr nichts mehr. Das halbe Dutzend Gammelwürstchen balgte sich in meinem kleinen ***-Fach nur noch mit dem eingefrorenen Filmmaterial um den Platz und wie so oft im Leben hieß es, einer muß nun gehen. In diesem Fall waren es die armen Würstchen.

Seltsam und ungewöhnlich (Herr Kid, Sie sind so ungewöhnlich!) genug für mich, solche Dinge überhaupt zu besitzen, fand ich. Letztes Jahr war ich allerdings während der Fußball-WM irgendwo zum Spiel-schauen-und-Grillen eingeladen ("Kommste einfach nach der Arbeit vorbei"), stellte aber, sozial unbeholfen wie ich bin, erst vor Ort fest, daß für mich gar keine Wurst vorgesehen war. Das Bier mußte man sich eh im Büdchen nebenan holen, das war ok, aber zu Essen gab es nichts. Die Einladende bot mir an, kurz mal bei ihr (also bei ihrem Würstchen) abzubeißen, bzw. ihren Brötchenrest zu essen, was zwar lecker, aber auch irgendwie demütigend war und zudem den Hunger nicht stillte. Normalerweise wäre dies ein Zeitpunkt gewesen, mit überraschtem Blick aufs nackte Handgelenk zu starren und zu rufen "Oh, so spät haben wir schon! Na, da muß ich aber!", um sich dann, ohne einen allzugroßen sozialen Scherbenhaufen zu hinterlassen, heimlich zum nächsten Dönergeschäft zu begeben.

Aber nun wollte ich ja das Spiel sehen, das die deutsche Märchenmannschaft, wenn wundert das jetzt noch, als einziges verlor. Immerhin waren die anderen satt, und ich schwor, das alte Pfadfinderwort "Be prepared!" nicht noch einmal zu mißachten. Seitdem trage ich immer ein Würstchen in der Tasche mit mir herum, man weiß ja nie.

Es kam aber nie dazu, es auch irgendwo auf ein gut vorgeglühtes, zu allem bereites, hitziges Rost zu werfen, weshalb ich dann dieses Jahr (wir schreiten in der Erzählung voran) beschloß, Achtung, selbst einen Grill anzuschaffen. Denn ich dachte, das klingt doch lustig, da kann man in den Park gehen wie so viele und vielleicht kommt ja jemand mit, wenn Zeit ist oder so, dann muß ich das nicht alleine tun. Das war eine super Idee, denn kaum hatte ich Gerät und Holzkohle (Buche, extra) eingelagert, war es vorbei mit dem Sommer, also Ende Mai oder so. Falls sich jemand gefragt hat, ja, ich war's. Ich habe ihn auf dem Gewissen, den Sommer dieses Jahr.

Man soll eben bei seinen Leisten bleiben und nicht im vorgerückten Alter plötzlich wunderlich werden und Dinge tun, die man nicht beherrscht. Wieviele ältere Herrschaften brechen sich die Knochen, weil sie unbedingt noch Motorrad fahren oder einen Hengst reiten oder im Gebirge herumkraxeln wollen, während sie ihr Leben zuvor auf dem Bürostuhl verbracht haben. Wer weiß, welch häßlicher Grillunfall mir erspart blieb. Und den Würstchen erst.

Homestory | 18:13h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
mark793 - Samstag, 1. Dezember 2007, 18:49
Tja,
exakt das gleiche Malheur ist uns auch passiert beim Kindergarten-Grillfest: Mangels konkreter Ansage standen wir ohne adäquates Grillgut da und mussten Weißbrot mit Barbecue-Sauce und Nudelsalat reinstopfen, um nicht vor Hunger zu kollabieren.

Früher konnte man gewisse Dinge im sozialen Umgang einfach als bekannt voraussetzen, andere wurden nachvollziehbar chiffriert. Kein Mensch wäre etwa auf die Idee gekommen, lediglich mit Smoking angetan zu einem white tie event zu erscheinen. Stand hingegen "schwarze Fliege" auf der Einladung, konnte man den Frack getrost im Schrank lassen. Diese feinen Signale zu senden und zu empfangen haben wir wohl verlernt nach 68 (oder 77, je nachdem). Und so existiert eine große protokollarische Unsicherheit in der Frage, Grillgut mitbringen oder nicht. Die neue Regel, zumindest nach meinen Beobachtungen, scheint zu lauten: Wie mans macht, isses verkehrt...

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kid37 - Samstag, 1. Dezember 2007, 19:51
Die Regel lautet: Kümmer dich um dich selbst, dann kümmern sich auch andere. Also möglicherweise lautet die Regel so, keine Ahnung. Möglicherweise wollte man mich nur düpieren, aber ich sehe, Ihnen geht es glückerlicherweise ähnlich. Die machen das alle extra, soviel ist klar.

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gaga - Samstag, 1. Dezember 2007, 19:58
Verfall der Sitten
Noch nie gehört. Eine Frage der Ehre.
Wenn man pleite oder geizig ist, trumpft man nicht mit Einladungen auf.

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kid37 - Sonntag, 2. Dezember 2007, 01:56
Das waren verplante spontane Künstler. Der Grillchef konnte mich zudem nicht leiden, alles andere mag auch ein Mißverständnis gewesen sein. So hoch will ich das nicht hängen, aber in diesem Moment war ich etwas merkwürdig berührt - so als störendes Element in der traut kauenden Runde. Am Büdchen gab es aber auch Kaugummi und so was, ich hätte mich also flexibel zeigen können. Rückblickend war es aber, glaube ich, einer der vielen letzten Sargnägel, was diese Freundschaft betraf. Jetzt bin ich ja unabhängig, als Besitzer eines prima Grills. Das heißt, ich weiß nicht, ob er prima ist, ich habe ihn ja noch nicht ausprobiert. Vielleicht kehrt der Sommer auch nicht zurück, solange das Ding in meinem Keller steht, das muß man erst noch sehen. Man muß sowieso alles sehen.

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schein - Sonntag, 2. Dezember 2007, 00:33
Vom Elend des mitzubringenden Grillguts ganz zu schweigen,
aber mir ist es noch nie gelungen, meine 'Deutschländer Wurst' dann auch tatsächlich zu verzehren...spätesten beim vierten Griff zum selbstmitgebrachten Branntwein verliere ich stets den Überblick über das Grillgut. Rauchschwaden und tückisches Verschieben des Grillguts, ähnlich dem 'Hütchenspiel, tun ein übriges...Ich bin heilfroh, dass die Saison für solche Einladungen erst mal vorbei ist!

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kid37 - Sonntag, 2. Dezember 2007, 01:59
Es gibt doch bestimmt so VHS-Kurse, davon hängen schließlich ganze Überlebens-, Männlich- und Fruchtbarkeitsriten ab, wie ich immer wieder höre. Ich bin mal gespannt. Wenn nächste Saison dichte schwarze Rauchwolken über Hamburger Parks hängen, habe ich mein Grillgut grausam exekutiert. Und hoffentlich nur das.

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gaga - Sonntag, 2. Dezember 2007, 02:29
...spätesten beim vierten Griff zum selbstmitgebrachten Branntwein
Das wird ja immer schlimmer! Zustände - - - ich brauche einen Schnaps.
Sie sind alle recht herzlich eingeladen. (Rechnung geht auf mich!)

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fragmente - Sonntag, 2. Dezember 2007, 00:43
Ich hatte mal eine Freundin, die mich und und ein paar andere zum Spargelessen einlud. Nach dem Essen wurden alle Posten akribisch addiert (die Kosten für Spargel, Butter und Eier für die Hollandaise, Kartoffeln, Salat, Salatsoße) und durch die Anzahl der Anwesenden geteilt. Die Heizenergie zum Kochen hat sie uns großzügigerweise geschenkt, aber im Jahr 2000 war Strompreiserhöhung auch noch ein Randthema.
Ich bezahlte 5,32 (DM? Euro?) und habe sie seitdem nicht wiedergesehen. Was auch immer sie jetzt macht: ich wünsche ihr alles Gute.

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kid37 - Sonntag, 2. Dezember 2007, 01:57
Oha, da sitze ich gerade mit hochrotem Kopf vor dem Monitor. Ich habe mir mal ähnlich Kleinliches geleistet. Eine Bekannte brauchte vor sehr langen Jahren ein paar Fotoarbeiten, die ich gerne versprach - gegen Materialkosten. Das war nicht erwähnenswert viel, aber ich hatte zu der Zeit NULL Geld, ich war da wirklich ein wenig klamm. Jedenfalls kam sie, die Arbeiten abholen und brachte überraschend eine Tüte Filmmaterial mit. Das war mit ihr einmal nach Asien und zurückgereist, mehrfach an Flughäfen geröngt worden und auch sonst nicht mehr taufrisch - aber falls ich noch was damit anfangen könne... Ich nahm das Material ein wenig zweifelnd aber dankend an und war mir nicht zu blöde, TROTZDEM noch die paar Mark fuffzig zu verlangen. (Irgendwie war ich so verdrahtet, daß ich den ganzen Tag dachte, ach ja, nachher kommt ja die X. und gibt dir das Geld.) Ich glaube, ich habe sie auch nie wiedergesehen. Die Filme, deren Materialwert die paar Mark weit überstieg, waren natürlich astrein.

So jetzt ist es raus. Aber ich habe daraus gelernt! (Hoffe ich.)

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neo-bazi - Sonntag, 2. Dezember 2007, 23:41
Ameise?

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kid37 - Sonntag, 2. Dezember 2007, 23:47
Das sind die hartherzigen Gefährten, die einem Grill auch im Winter nix geben. Dachte ich so.

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kid37 - Montag, 3. Dezember 2007, 19:20
Oder so: Der eine hat die Wurst, der andere starrt auf den Grill. Ich habe gerade so eine Durststrecke; ich war auch als einziger nicht auf der Melancholie-Ausstellung, wie ich bei Herrn Synapse feststellte. Man muß sich die Wurst halt vom Rost klauen holen, solange sie heiß ist.

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