Dienstag, 21. April 2009
...führte mich gestern bereits bis zum Tierheim, vor dem sehr ernsthaft schauende Kinder mit Pappkartons standen, wohl, um die zu Ostern geschenkten Kaninchen zurückzugeben. Sie standen dort, schauten abwechselnd auf die Kartons in ihren Händen, auf die glänzenden Autos, an denen ihre Väter oder Mütter irgendetwas in den Kofferräumen richten mußten, und auf die Tür, an der Bitte klingeln stand, als wäre das pochende Geräusch in den Ohren nicht bereits laut genug.
Sonntag, 19. April 2009
Ich bin unachtsam geworden. Zum zweiten Mal innerhalb von drei oder vier Wochen habe ich mir wohl einen Zeh gebrochen oder angebrochen oder immerhin! schwer verstaucht. Vermutlich gebrochen. Neulich erst der Kleine, nun einer dazwischen am anderen Fuß. Grünblaudick, auftreten kann ich auch nicht. Aber dem Schrank ist gottseidank nichts passiert. Mit meinen Sachen passe ich auf.
Mehr als Tapen kann man ja eh nicht, also Salbe drauf, Füße hoch - dabei ist das Wetter viel zu schön, um lange drin zu bleiben, im Haus, zwischen den Zeitschriftenstapeln, den Gedanken und dem Staub, der mich anklagend ansieht als sei ich ein schlechter Hausmann.
Vielleicht ist es der neue Blick, den ich gestern einmal ausprobierte. Schließlich ist es Frühling, und eine andere Brille verschafft gleich eine neue Perspektive, Heart Shaped Glasses, ob das dazugehörende Video noch bei der Musikvideosammelstelle gelistet ist, weiß ich gerade auch nicht. Es sind diese Tricks aus dem Repertoire von Sammy Molcho: Man setze eine lustige Brille auf, und schon, man kann sich nicht dagegen wehren, wird auch der Träger lustig sein.
Das paßte gut, war doch Straßenbespaßung auf der Langen Reihe, Grillstände, Menschen und ein bißchen Trallala. Noch mehr Menschen in lustigen Kostümen oder einem Nichts von Kostüm standen auf improvisierten Bühnen, die anderen Menschen lachten, meist ohne Brille sogar, eine Bewegung, die aussah wie eine norddeutsche Version des Schunkelns, ging durch die Menge, und als eine muntere Sängerin tapfer die Marianne Rosenberg zu "Er gehört zu mir" mimte, war ich beim "Na nana na-nana" der Eifrigste. Huhu hu.
"Er gehört zu mir" wurde wohl noch fünf Mal gegeben, huhu hu, und später dann in derselben Nacht sang ich selbst das Lied am lautesten und meinte damit meinen Zeh. Ein bißchen Schmerz kann ja interessant sein, aber nicht, da lege ich mich fest, an solchen Stellen.
Jetzt fürs erste lieber vorsichtig auftreten.
Freitag, 17. April 2009
Seit Jahren hatte ich um das Bauwerk gebangt, zu lange war dort nichts getan worden, nun drohte der Verfall. Oft dachte ich, das sei doch eine ideale Wohnstätte, oben der Ort für eine Galerie, ein Bett und eine Bibliothek, unten dann ein Partyzimmer Wohnraum, die Küche, selbst Platz, um seine Weinflaschen kühl zu lagern, ist genügend vorhanden. Zudem ist das Gebäude verkehrsgünstig gelegen, der Bus hält genau gegenüber, und abends ist es dort fast erschreckend ruhig.
Mehrere dieser Mausoleen stehen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, und mittlerweile haben alle Paten gefunden, die dort die Sanierung übernehmen und die Grabstätten später für sich selber nutzen können. Während des traditionellen Osterspaziergangs nun traf ich einen der neuen Besitzer. Der freundliche Herr saß in der Nachmittagssonne, bat auf ein Foto oder zwei in die gute Stube nebenan und gab sich auch sonst sehr auskunftsfreudig. Während also andere im Kleingarten sitzen, genießen diese Menschen ("Wir sind mit unseren Nachbarn hier befreundet") den Sommer vorm Totenbalkon und richten auch die ein oder andere Feier dort aus: "Wie ein italienisches Fest", hieß es. Partyzelte, lange Tische, guter Wein. Denn wer später eine chic möblierte letzte Ruhe finden will, sollte ruhig vorher schon gut leben. Es wird keinen wundern - elektrisiert lud ich mich spontan dazu, denn Gartenfeste, Lampions und Sepulchralkultur sind mir sozusagen ein natürlicher Lebensraum. Kunst fehlt vielleicht, eine melancholische Lesung oder (Eros! Thanatos!) ein tableau vivant mit entzückenden Damen, die in stiller Andacht und nur mit ihrem langen Haar bekleidet, etwas von Mary Wigman tanzen, vielleicht maskiert, um das Geheimnis zu wahren. Ich hätte da schon ein paar Ideen, einen dunklen Anzug und auch die angemessene Blässe.
Sonntag, 12. April 2009
Rausfahren, heißt es, den Jahreskreis vollenden, aus dem Nebel treten und nur einmal melancholisch noch ins Feuer blicken. Den dicken Mond bei den Eiern packen, wieder etwas neu beginnen. Den Mund vom Boden nehmen, Rotz und Staub von der Nase wischen, Brille geraderücken, not so strong without these open arms*. Ich aber fühlte mich zu oft ankerlos, hafenlos. Fühlte mich vergessen, nur deshalb bin ich fort.
Und wie man ringt mit Stolz und Kränkung, verlorener Würde und Zurückkränkung, wie man sich selbst zusammennäht, die eigenen Fehler wie Handtücher zählt. Und wie die Zeit neue Schichten darüberlegt, dann endlich. Schatten um Schatten, durch die kein Glitter dringt.
Alles verbrennen. Den Rauch schmecken. Und selber wie die Igel flüchten.
* Yeah Yeah Yeahs, "Runaway"
Samstag, 11. April 2009
Wenn man just vergessen hat, einen L*nd-Schokoladenosterhasen vom Tisch der sonnigen Frühstücksloggia zu nehmen, will sich Vorfreude einstellen auf einen wunderschönen Herbst. Das Glöckchen um den Hals klang kläglich.
Freitag, 3. April 2009
Es ist an der Zeit, sich wieder draußen zu bewegen. Sich durch die eigene, ganz fadenscheinig gewordene Existenz pirouettieren, die drei K der protektorgestützten rollenden Rasanz (Kevlar, Karbon, Klettverschluß) zum Mantra einer blinkenden Schussfahrt machen. Aus Fliehkraft wird Fluchtkraft, den Malstrom entlanggleiten, immer schneller, wie eine Kugel in der Roulettescheibe. Alles auf die Null, die 37. Zahl.
Donnerstag, 2. April 2009
Ab und an lohnt der Blick ins Kaufhaus Stilbruch, diese kleine obskure Resterampe, es kann nicht jeder Tag ein Flohmarkt sein. Musik gab es diesmal, alte Radios und noch ältere Klaviere, fast wollte ich es kaufen; ich wüßte dann genau um seine Stimmung, was auch immer mir jemand erzählen will. Es sind die Dinge, die übrig bleiben, die erinnert werden oder verkauft, die man immer wiederfindet, Leuchttürme im Nebel des Dies und des Das. Die Profihändler kommen immer schon früh, rupfen das Verwertbare, die glänzenderen Stücke heraus. Der Rest ist hier nicht Schweigen, aber oft nicht mehr der Rede wert.
Ein wenig enttäuschend war diesmal die Abteilung "Kunst". Kaum was Selbstgemaltes, bloß Poster um Poster blieben zurück. Einzig ein kleiner rosa Elefant bat um Mitnahme, aber wer braucht schon eine Trompete im Haus, wenn es ein Klavier sein kann. Wo sind sie hin, die jüngsten Wilden, die Bauernmaler, die unbeholfenen Akteure?
Vielleicht beim Sport. Bälle werden wohl nicht viel geschlagen in diesen Zeiten. Aber Krücken wie damals gab es auch nicht mehr. Hamburg humpelt, alles perdu.
>>> Kaufhaus Stilbruch
Dienstag, 31. März 2009
benefits in marble.
(Benjamin Franklin)
Aufgemerkt. Material war beschafft und Zeit auch endlich gefunden. Tanzt den Pieter Bruegel, mein Tafelbild ist fertig geworden. Endlich kann ich mir im Internet mitgelesene Kochrezepte, Kulturempfehlungen und Geldanlagetips bequem notieren, spontanen Kreativitätseingebungen unkompliziert nachgeben und gesetzgebende Gedanken in Kreide schlagen. Möglicherweise halte ich mal einen Einfall fest, sollte mir einer begegnen, oder skizziere eine unerhörte Begebenheit. So eine Tafel ist übrigens mit beherztem Schwung schnell lackiert, und wenn es ordentlich sein soll, dauert es auch nicht viel länger. Wieviel Freude aber stellt sich ein - und das alles ohne Strom. Mag ich auch Feinde schelten, Freunde loben oder mich der eitlen Selbstanpreisung schuldig zeigen - nun heißt es, Schwamm drüber! Wir haben nichts gesehen. Flüchtig wie das Internet, heute hier, morgen editiert und übermorgen nur noch Staub.
Montag, 30. März 2009
All the kids begin to play
(Elvis Costello,
"(I Don't Want To Go To) Chelsea")
Rausströhmen, Regen atmen, vorglühende S-Bahn-Schunkler, langsam raus in die Nacht, tastende Schritte durchs Gewerbegebiet. Als ich eintreffe, drehen sie die Pixies ab, weil eine Band spielen will. Ein Fehler, denke ich, ihr dürft solche Vergleiche nicht suchen. Rotes Bier und blaue Blumen, ich summe in Gedanken "Alison" ("I know this world is killing you"), aber irgendwo hinter meinem Kopf drischt der Schlagzeuger das Nikotin der Luft entzwei. Füße immer so tapptapptapp, wir müssen auch mal jung sein heute Nacht. Lippen zischeln irgendetwas in mein Ohr, ich kann aber die Worte nicht hören, ich bin ein alter Mann, und hinter meinem Kopf hat immer ein Schlagzeug gestanden. Mit bedauerndem Lächeln deute ich auf mein Hörgerät. Im Dreck zu meinen Füßen liegt Geld, aber ich kann jetzt hier doch nicht Münzen aufklauben, auf allen Vieren kriechen, noch vor Mitternacht. Die roten Schuhe wollen nicht tanzen, ein blondes Mädchen fragt mich nach dem Pfand. Wie anders man diese Spiele spielt, ein Euro heißt das jetzt, und ich stecke mein Hemd wieder zurück in den Hosenbund.
Irgendwo wird geknutscht, ich glaube, die mögen sich, aber sicher kann man sich nicht sein. Ich würde gern den Sound einstellen, mir die Gitarre schnappen, also der Typ macht das schon gut, aber ich hätte da was zu sagen. What's so funny 'bout Peace, Love and Understanding, könnte man mal fragen, aber in deutlichen Worten. Der Raum hier ist angenehm angeranzt und abgerockt, man könnte hier schwitzen oder versacken oder jemanden kennenlernen, aber da werde ich schon nach draußen gezogen, bevor ich weiter auf den Mikroständer schiele. Ist doch auch nur Nacht, denke ich. Kenne ich schon, das ist wahlweise eine Tageszeit oder ein Zustand, ich weiß nicht, welches gerade gilt. Die haben soeben an der Uhr gedreht. Ich kann die beiden Freundinnen jetzt besser verstehen, diese Musik war ja doch recht laut. Die eine kommt quasi aus Wien, das verrät sie erst jetzt. Ach, sag ich, istjaeinDing und gehe im Geiste die Bezirke durch, während schon wieder Regen fällt und ich den Weg zum Bahnhof weise, irgendeinen, wasweißichdenn, wo ich gerade bin. Muß man hinfahren oder im Herzen tragen, sage ich unter meiner albernen Mütze hinweg, die den Regen abhalten soll. Die haben an der Donau sogar Rettungsboote.
Mittwoch, 25. März 2009
Gerade mit einem Kollegen über Träume, Zukunft und das Vergangene gesprochen. Was soll nur werden, sagte ich, kann ich doch nicht einmal Obstkuchen backen. Vier, fünf Jahre bleiben noch, sagte er und zeigte auf das Interview im Branchenmagazin. Wo gehen wir hin, fragte ich, wenn es kalt wird nachts? Nach Hause, meinte er, immer nach Hause. Man brauche keine schöne Kneipe, man brauche ein schönes Heim! Doch jetzt wo ich meine Wohnung im Zen-Stil entrümpelt habe, mir der Lack noch an den Fingern klebt, kommt mir diese Ausgestaltungsidee daher. Na toll, das Treppenhaus wurde gerade frisch renoviert. Natürlich derart konventionell, daß eine junge Dame mit singender Säge überhaupt nicht richtig zur Geltung käme. Ich glaube, es wird doch Zeit für ein eigenes Haus, irgendwo vor den Toren der Stadt mit Platz für prunkvolle Tränengefäße und eine eigene kardiologische Praxis. Und jede Menge Wandschränke für die Geister der Vergangenheit. Man könnte dort natürlich auch die Fenster öffnen, Frauen was vorlesen, vier, fünf Kinder zeugen adoptieren und ihnen Unsinn beibringen.
Etwas überladen vielleicht, aber Hauptsache, das Dach hält.
Einige Links via The Steampunk Home, wo es ziemlich viel nerdigen Kitsch, aber auch ein paar nette Ideen zu sehen gibt.