Montag, 22. Juni 2009
Mag das Wetter unbeständig sein und von eisig, regnerisch und schönster Sonne alle Orgelregister ziehen - raus kann man trotzdem, zumal zur Sonnenwende der Abschluß der Altonale lockt. Es lohnt sich bei solchen Veranstaltungen, ein paar Schleich- und Umwege zu gehen, an den dichtesten Menschentrauben vorbei, ehe man Zustände bekommt oder unversehens auf dem Mittelaltermarkt landet. Es ist zum Glück jedoch, ein Lob der Vielfalt, für jeden was dabei. Wie ein Netz aus Ameisenstraßen wuselt und wimmelt es mal in diese Gasse, mal in jene Twiete, immer auf der Suche nach Vergnügen - so jedenfalls darf vermutet werden. An den schöneren Straßenrändern werden Sardinen gegrillt, mit ernstem Gesicht noch ernsterer Tango gespielt, Kunst & Handwerk ausgebreitet und die freien Plätze insgesamt sehr wohnlich gemacht.
Am Stand der Station 17 ein bißchen eingekauft, dann einem alten Mann mit hörbar ostpreußischen Akzent ein ebenfalls altes Voltmeter abgehandelt. "Könnte aus einem U-Boot stammen", vermutete der freundliche Herr. Möglich ist es, immerhin ist es von innen ein wenig mit Wasser beschlagen. Da ich ab und an unter starker Spannung stehe, benötige ich so etwas. Nur falls sich jemand fragt. V für Victory, an Bord meiner Nautilus macht sich auch ein wenig Literatur sehr gut, die Besatzung will belesen sein. Leider fand sich nur bekanntes, aber solche Bücher sind ja wie kleine verlassene Kätzchen, die einem vom Boden eines Pappkartons her anmaunzen, und können folglich nicht zurückgelassen werden. Nachher, man hört immer wieder davon, landen die dann im Wasser, nur weil sie keiner wollte - und dann ist kein U-Boot, nichts, kein niemand, in der Näh’.
So war das.




Freitag, 19. Juni 2009

...Frank Zander? Der stadtbekannte Berliner Spaßmacher ("Ich trink' auf dein Wohl, Marie") hat sich wie viele seiner Kollegen aus Funk und Fernsehen in Hamburg ein zweites Standbein aufgebaut. Neben seiner Tätigkeit als Synchronstimme von Asterix verdient er sich mit einem Umzugsservice nebenher so manche gute Mark und ist dabei vermutlich mindestens so einnehmend und gut gelaunt, wie man es von seinen umjubelten Bühnenauftritten vermuten darf. Mit seinem Wahlspruch "Schwarzer Humor, aber keine schwarze Arbeit" führt der "Ur-Ur-Enkel von Frankenstein" sein Nebenerwerbsunternehmen korrekt und organisiert und eifert damit als geübter Parodist seinem zupackenden Berliner Kollegen augenzwinkernd nach. Ein Möbelrücker weiß eben genau: Wer den Aufschwung will, muß etwas bewegen wollen!

Donnerstag, 18. Juni 2009

... Uwe Friedrichsen? Der beliebte Hamburger Schauspieler, der dieses Jahr 75 wurde, betreibt neben seiner Arbeit für Fernsehen, Theater und als Synchronsprecher von Ringo Starr einen erkennbar florierenden LKW-Handel weit abseits der glitzernden Bühnen und glamourösen Viertel der Hansestadt. Dabei kommt ihm, das mag vermutet werden, seine Erfahrung als ehemaliger Zollfahnder zu Gute. Meine Mutter, das aber nur nebenbei, hat einmal im Urlaub den Bruder des Herrn Friedrichsen kennengelernt, auch ein netter Mann, wie ich hörte, und in einer interessanten Branche tätig. Das ist Herr Friedrichsen zweifelsohne auch, mit jedem seiner Standbeine. Ich finde das vorbildlich, daß die Schönen Menschen (The beautiful people, the beautiful people! Marilyn Manson) nicht nur tagelang mit ihren Fans durch die Szene-Bars ziehen, sondern - wie Blogger eben auch - ein zweites, ganz normales Leben haben, in dem sie jeden Morgen pünktlich auf ihrer Arbeitstelle erscheinen, den Kittel aus dem Spind nehmen und einfach ihren Job machen. Denn der Aufschwung kommt nicht lässig über den roten Teppich geschlichen. Er kommt mit Schwielen an den Händen.

Donnerstag, 11. Juni 2009
(Nick Cave & The Bad Seeds, Tupelo)
Abends dann beim Bucerius-Forum versucht, doch noch eine Karte für Sophie Rois zu bekommen. Vielleicht, so hieß es, sei noch eine an der Abendkasse erhältlich. Glück hatte ich nicht. Da will man einmal zur Hochkultur, und schon sind die Ellbogen draußen wie beim 999-Konzert. Menschen, die aussahen wie Roger Willemsen, um hier auch mal exotische Namen einzustreuen, waren schneller, entschlossener, huschten an mir vorbei in den Saal. Grüßt schön, dachte ich und setzte mich irgendwo an den Rathausplatz. Drinnen, einigermaßen verbarrikadiert, las die Rois aus dem Decamerone, diese Fluchtgeschichten vor der großen Pest. 1348 waren zehn junge Menschen aus Angst vor dem schwarzen Tod aus Florenz geflohen und hatten sich in ein Landhaus zurückgezogen. Weil es weder Fernsehen, Blogs noch Twitter gab, erzählten sie sich Geschichten. Eine Überlebensstrategie. Spät war die Sonne herausgekommen, strich über die golden glitzernde Fassade des Rathauses, und ohne rauchige Stimme im Ohr sah ich den Menschen zu. Es war ganz still geworden.

Montag, 8. Juni 2009
Abends telefoniere ich mit meinem Vater (3h 47m, zeigt das Display später an) und schaue dabei einen David-Lynch-Film. Ohne Ton.

Dienstag, 26. Mai 2009

Die heutige Andacht erinnerte mich daran, daß ich ja einiges nicht kann, man das Belastbare am Menschen dennoch nicht frivol unterschätzen sollte, denn mangelnde Kraft machen häufig Zähigkeit und Beharrlichkeit auf ihre Art wett:
Dein Wahlspruch muß heißen: "Immer besser." Nur der ist ein rechter Überwinder und wird am Ende die Krone empfangen, der so lange ausharrrt, bis die Kriegsposaune nicht mehr erschallt.
(C.H. Spurgeon. Abendandacht zum 26. Mai.)
Im guten Glauben also schritt ich durch die Türen des Palastes, die Säulen vor dem Eingang sangen das architektonische Lied vom großen Willkommen, Wilkommen, du mein schlafloser Prinz. Die Jungfrau dahinter jedoch empfing mich im Morgenmantel, grauer Frotté, ach holdes Feinliebchen, du spottest mich, hub ich an, den Scherz wohl erkennend. Du bist so schön wie dein Palast, deine Beine den schlanken Säulen gleich, die Augen ein einzig glänzender Schein, die Haut... ja, was ist mit der Haut? Was ist mit dem Haus, dachte ich und hob argwöhnisch das grausgeputzte Frottégewand, während draußen die Signaltrompeten der Automobile ihr fröhliches Lied von der Heimkehr nach Ithaka bliesen.
Paläste sollt ihr sein, ihr grauen Häuser. Mein Schreibtisch indes ein Ozeandampfer, ein tapferer Expeditionskreuzer, ein Kanonenboot. Man muß es einfach sehen wollen, glauben und beharren. Immer besser. Läuft.

Montag, 25. Mai 2009
Ein jeder übt behaglich seine Schnauze.
Die Erde ist ein fetter Sonntagsbraten,
Hübsch eingetunkt in süße Sonnensauce.
(Alfred Liechtenstein, "Sommerfrische". 1913)
Abends weiterhin Spargelzeit im Hermetischen Café, unten tuckern die Motorboote vorbei, ich gebe weißweinverstärkte Lichtsignale. Ich möchte jeden in seinem Hafen wissen, gute Fahrt, denke ich, wo kämen wir sonst auch hin. Am nächsten Tag dann einen sonnenverklärten Milchkaffee auf dem Flohmarkt, hinter dunkleren Gläsern den tieferen Blick.
Gegen Ende verschenkte ein Händler seine nichtverkauften Bücher. Alles gesittet, ein paar Interessierte, kein gieriges Gewühle. Geduld im Sonnenschein, heut ist nicht der letzte Tag auf Erden. Einen bedächtig alten vierbändigen Brockhaus lasse ich lieber liegen, ich weiß so schon nicht, wohin. Das Traumtagebuch von Elsa Morante in einer schönen Arche-Ausgabe hingegen nehme ich an mich. Und dann dieses wunderbare Werk in einer Ausgabe von 1894: Tauperlen und Goldstrahlen: Tägliche Morgen- und Abendandachten für stille Sammlung und häusliche Erbauung von C. H. Spurgeon, verlegt im schönen Hamburg-Borgfelde. Im Vorwort zu dieser (fünften) Auflage heißt es - ganz modern -: "In unseren Tagen, wo so wenig Ruhe ist, sondern ein Jagen und Rennen, ist es nicht leicht, sich mit der Familie in Ruhe zu sammeln... Und doch, wie notwendig ist es, wenn der innere Mensch nicht verhungern und verkümmern soll!"
Für jeden Tag (auch an den 29. Februar ist gedacht) gibt es zwei kurze Andachten, den Tau für morgens, die Strahlen für abends - eine Art immerwährender Kalender der inneren Einkehr. Heute, für den 25. Mai, heißt es: "Wenn das Schiff vom Steuermann verlasen wird, kommt's sogleich vom Kurs ab und treibt als Spielball der Wellen ziellos umher."
Sonst wird es sein wie in der aktuellen Autoreklame, die Alfred Liechtenstein bereits 1914 ahnte:
Im Windbrand steht die Welt.Für diesen Montagmorgen möchte ich also allen andächtig nahelegen: Haltet die Hände immer schön am Steuer. Und achtet auf die Lichtsignale.
Halloh, der Sturm, der große Sturm ist da.
Ein kleines Mädchen fliegt von den Geschwistern.
Ein junges Auto flieht nach Ithaka.
("Der Sturm")

Samstag, 23. Mai 2009

Heute morgen mittag erst einmal in Ruhe gebruncht. Brunch ist Frühstücken für Leute, die zu spät wach geworden sind, und eigentlich das englische Wort für "verpennt". Nach so einer Woche darf das aber mal sein. Ich möchte über meine Woche nicht sprechen. Unter der Dusche, also noch sehr deutlich vor zwölf, summte ich Fehlfarbens "Paul ist tot" - und zwar auf Kölsch. "Du jehst mit d'm Kelllner/Un isch weiß ens jenau waröm" (Kölner und andere Angehörige der ripuarischen Sprachfamilie mögen mir meine Schwächen mit der rheinischen Transkription verzeihen). "Was isch ham well/Das kriech isch eso nich/Un' was isch ens ham kann/Das jefällt mer nich" usw. Was erst ein Witz war, ging mir dann aber den halben Tag nicht mehr aus dem Ohr, führte mich jedoch zu einer weiteren tollen Idee: Joy Divison op Kölsch! "Leev werd uns eso usenand'r dreeve"
Lorens! Wenn man jetzt Dieter Bohlen wäre Zeit und Energie für so einen Quatsch hätte - man würde schnell ein Album aufnehmen und sozusagen Nouvelle Vague mit ihren Bossanova-Versionen alter New-Wave- und Post-Punk-Klassiker schön alt aussehen lassen. Ich gebe diese prima Idee aber einfach weiter - und zwar frei und umsonst! Junge Leute da draußen - macht was draus, Erwähnung auf dem Cover reicht, ich kann wirklich nicht alles selber umsetzen, was mir unter der Dusche einfällt.
Das Land hat seinen Bundespräsidenten wiedergewählt, acht Milliarden Menschen feiern in der Hauptstadt 60 Jahre ein Papier, das man im 61. kaum noch wiedererkennen wird, wenn es so weitergeht. (Deswegen schreibt man das von altersher auch besser auf Steintafeln.) Die Flucht heißt bekanntlich Konsum & Unterhaltung: Später im Elektrogroßmarkt habe ich ein kleines Kulturpaket (Mein kleiner Dussmann) zusammengestellt. Die Verkäuferin schaut kurz auf das Cover der Who's next und wünscht mir einen schönen Abend damit; ich glaube, sie hat Geschmack. In der TV-Abteilung haben sich Menschentrauben vor der HD-ready-Wand gebildet und schauen die Premiere-Konferenzschaltung. Das TV-Bild dieser Geräte ist nach wie vor erstaunlich schlecht, aber Cottbus macht erstaunliche Dinge, den Berliner Europagroßmachtträumen wird die Luft rausgelassen (Global denken, lokal handeln!), Gladbach ist durch, Wolfsburg schießt das 4:1 (Endstand 5:1), und viele tragen ein Grinsen auf dem Gesicht. Es gab schon enttäuschendere Endtabellen. Darauf vielleicht ein Kölsch.
Um ein Produkt zu kaufen, das es nur dort gibt, wage ich mich in den Lebensmittelgroßdiscounter. In der Fahrradabteilung schlägt mir ein beißender Geruch von Gummi, Lösungsmitteln und polydingsvergenändernden Zyklo-Aromaten entgegen, daß es mir die Schleimhäute zusammenzieht. Wie kann man dort arbeiten? Ein Monitor quatscht mich an in einer penetranten Lautstärke, die man sonst nur aus der U-Bahn nach einem HSV-Spiel kennt. Ein Gerät wird da angepriesen, mit dem dieses oder jenes einfacher, praktischer, geldsparender und... ich drehe entnervt die Lautstärke runter. Eine Regaleinräumerin schaut kurz zu mir rüber, und ich glaube, sie hatte ein Lächeln im Gesicht. Das Produkt, das ich eigentlich wollte, war ausverkauft. Dafür habe ich plötzlich lauter Quatsch im Wagen. Garnelen, Käse mit Brennesseln, solche Dinge.
Vor dem Laden ist ein kleiner Marktstand, ich kaufe Spargel aus Wolfsburg der Region, und überlege auf dem Nachhauseweg, wie wohl "Veronika der Lenz ist da" auf Kölsch klingen würde. Schlimm, ich habe das immer noch im Ohr.

Donnerstag, 21. Mai 2009

Noch vor dem Gewitter, dem Hagel und dem Orgeln der ganz großen Schiffssirenen draußen im Garten des Cafés gesessen, Feiertagsgespräche, der richtige Kuchen, kurz mal Luft holen im Vielzutun. Nach Hause huschen, vor Tropfen ducken, die U-Bahn fast leer, ich habe Blumen gekauft, ich möchte ein paar Träume haben.
Sich zurücklehnen, ausspannen, in der Küche schnippeln, am Rosmarin riechen, Bobby Kline hören, später etwas über Matt Collishaw lesen, ein Internettagebuch befüllen.
Die vielen Dinge nicht sagen.

Mittwoch, 13. Mai 2009
Ich sehe gerade Prinzessinnenbad. Man sieht vieles, was man für jene Stadt als typisch empfindet, was an ihr befremdet und abstößt. Was man an ihr lieben kann. Die Kameraarbeit ist ziemlich gut, viele sehr gut komponierte Bilder, Tableaus aus abgewrackter Tristesse, in denen zarte Pflanzen blühen. Beklemmend, wie man ahnt, daß sie niemals diese Verhältnisse überwinden werden, die Welt in den Grenzen von Internet-Café, Freibad und Dönerbuden-Party. Und anrührend wie so vieles nicht anders ist als es immer war und überall. Der Kummer, die erkämpften Freiräume, der Zweifel, die Sehnsucht, die Unsicherheit. Immer diese Unsicherheit, für die wir später Masken finden.
Wäre alles anders, würde man woanders wohnen? Gestern schaute ich mir hinter dem Krankenhaus das kleine Viertel mit den Kapitänshäusern für Oberärzte an. Kleine schmucke Häuschen, alter Klinker, an dem der Efeu rankt, diese typische, heute etwas muffig wirkende Architektur mit dem großen Panoramafenster, der Wintergarten für die Mittelschicht. Dahinter sitzen alte Damen in der Sonne, lesen Romane von Erich Maria Remarque oder Novellen von Binding, rücken ab und an die Blumen in der Vase zurecht und lauschen dem Gesang ihres Kanarienvogels. Na ja, vielleicht stimmt das gar nicht, und ich glaube, es gibt auch keine Kanarienvögel mehr. Gleich um die Ecke kann man auch nett wohnen. Dort steht ein alter umgebauter Wasserturm, in dem die kleine Einliegerwohnung ja wohl hoffentlich noch frei steht. Ich werde mich als Ina Müller verkleiden, einfach mal leutselig klingeln und mich zum Tee einladen. Die Entdeckungen, die man macht, wenn man vom Weg abkommt und in Seitenstraßen gerät. So viele Geschichten liegen dort rum.
