Samstag, 6. November 2010
Neulich diskutierte ich mit meinem Arzt, der meiner untreu gewordenen Berliner Medizinerin folgte (wir berichteten), das Für und Wider einer Grippeschutzimpfung. Wie ich das hasse, Dinge zu diskutieren, die ich für längst ausdiskutiert hielt (das geht alles von meiner Zeit ab!), aber wenn die Diskutanten wechseln, was will man machen. Ich bekomme ja noch nicht mal eine Erkältung! warf ich für mein bereits beim Europäischen Patentamt angemeldetes eisenoxidiertes Immunsystem in die Waagschale. Der Herr Doktor schüttelte bekümmerte den Kopf, gab aber klein bei und kritzelte etwas auf seinen Block. Querulant, wahrscheinlich.
Heute war er zum Glück nicht dabei, denn heute bin ich krank. Nach erster Diagnose würde ich sagen, gerade noch haarscharf am Tödlichen Männerschnupfen™ vorbei, aber natürlich weiß man nie und so ist mein Bewegungsradius zwischen Hühnersuppe, fieberfeuchten Bettlaken und diesem elektronischen Fenster zur Welt eingeschränkt. Hallo Welt!
Um mich mit Salbei (ich könnte keine Schildkröte synchronisieren, aber einen Tigerrr) einzudecken mußte ich aber noch in die Stadt, schließlich ist auch Samstag, und die Wocheneinkäufe kommen ja nicht auf einem fliegenden Teppich zum Fenster hereingeschwebt, auch wenn man auf dem Großen Basar von Istanbul in dieser Richtung alles mögliche angeboten bekommt.
Seit ich dieses Anger-Management-Training mache, muß ich ja eh ab und an samstags in die Innenstadt, die vier Adventssamstage sind da schon fest gebucht. Ach so, vergessen: Um auf der Reeperbahn als Türsteher arbeiten zu dürfen, benötigt man nicht nur ein eisernes Immunsystem, sondern seit neuestem auch eine Bescheinigung über ein absolviertes Anger-Management-Training. Der Beruf des Türstehers hat sich ja sehr gewandelt, es ist heute eher ein Door-Management, dienstleistungsorientiert und beratend zugleich. "Door-Care" ist das Stichwort. Man sagt dann nicht mehr, "Heute nur mit Clubausweis" oder "Du, du und du, du aber nicht". Man fängt den Kunden da auf, wo er bereits schwankt und sagt "Ich würde gerne ein anderes Mal ein Bier mit dir trinken oder auch zwei, du darfst auch deine Freundin dazu mitbringen, aber heute, leider, muß ich heute passen, so gerne ich dich sonst reinlassen würde". Man sagt heute auch "Du, ich denke, du wirst es verstehen, aber wir haben total nicht aufgeräumt, das sieht einfach nicht so dolle aus gerade. Komm doch morgen noch mal."
Zwar mag man als Türsteher, ähnlich wie als Patient, bereits ausdiskutierte Dinge nicht gerne noch einmal diskutieren, man muß aber Sanftmut und Geduld zeigen, denn Sanftmut und Geduld sind das neue Wegschubsen.
Unser Kurs, ich komme jetzt in die Stadt zurück, trainiert das gerade in der Innenstadt. Wenn man also in der Tür zum Salbeiteekaufhaus jemanden hat, der sich nicht entscheiden mag, ob er links oder eher rechts oder doch lieber gar nicht hineingehen will, aber auch nicht merkt, wie sehr er im Weg steht, nun, dann schlägt man ihn nicht einfach zusammen bleibt man ganz ruhig, läßt ihn austanzen, atmet dabei gleichmäßig wie ein Respirator auf der Intensivstation (außer man hat den Tödlichen Männerschnupfen™) und rollt (wenn man den Aufbaukurs besucht hat) dabei nicht einmal mit den Augen. Auch Menschen, die einen von Regalen wegdrängen oder ihre ScheißEinkaufswagen mitten im Weg stehen lassen - da läßt man die Ellenbogen schön nah am Körper, spart sich (nach dem Aufbaukurs "Don't talk, do it") belehrende Diskussionen Kommentare und Ermahnungen und flötet sich wie eine freundliche Kobra am Hindernis vorbei.
Lief ganz gut, Tür verteidigt, keiner tot und nun bin ich bereit für das Kulturprogramm. Da ich nicht zur Viennale fuhr, holte ich mir die österreichischen Filmtage ins Haus. Gibt es etwas schöneres, als sich krank und elend dem Kranken und Elenden hinzugeben? Der Busenfreund, ein weiteres Meisterwerk von Uli Seidl, das einen heiteren Forscher auf der Suche nach der Weltformel zeigt. In einem ähnlichen, ich möchte sagen herausgehobenen, Kosmos lebt der andere bekannte Österreicher, Hermes Phettberg. Dem heimlichen Idol der Frucade-Generation geht es derzeit nicht besonders gut, er schreibt darüber sein sonntägliches Protokoll. In dieser Dreifaltigkeit laßt mich also liegen, ihr wißt ja, allein könnt ihr es schaffen.
Himmel, jetzt ist es ein langer Blogeintrag.
Montag, 25. Oktober 2010
Und leuchtet rot in dem toten Garten.
(Georg Heym, "Der Garten")
Hier wird es grau, auf bloß unschöne Weise feucht. Die Brüche, die Ritzen, durch die es zieht, und Madame Sosostris warnt vor Menschen, die fremde Knie rühren. Nicht fallen also, Halbmond voraus und Gemurmel, Gemurmel, Gemurmel.
(Nur ein paar Tage.)
Dienstag, 19. Oktober 2010
Um mich von den regelmäßig drohenden Montagen abzulenken, schaue ich ja sonntags gerne ab und an mal dieses "perfekte" Promi-Dinner, sollte ich in der Nähe eines Fernsehers sein. Sätze wie "Ich als Mädchen, das auch pur Essig trinkt..." oder "Das war ein Blabla-Wein vom Weingut Blabla, da, weiß man, das ist ein guter Wein..." lassen mein Herz schneller klopfen, da möchte ich Steno können oder wenigstens blind tippen wie Frau Gaga. Weingut Blabla! Ich bin ja eingestandenermaßen ein ziemlicher Küchenignorant, kaufe meinen Wein bei Lidl um die Ecke und will mein Achtelwissen auch nicht so vor mir hertragen. Aber Leute! Bitte!
Ich weiß, bestimmte, in bloß mikroskopisch zu erfassenden Mengen verwendete Zutaten bekommt man in hinreichender Qualität auschließlich bei Luigi oder Césare oder diesem kleinen Laden links hintem im Hinterhof, der nur mittwochs zwischen neun und elf und dann noch samstags vormittags geöffnet hat (aber nur bei zunehmendem oder abnehmendem Mond) und für den man durch die halbe Stadt fahren muß - wirklich, ich habe Verständnis dafür, daß es anders nicht geht. Schließlich bestellen Hifi-Enthusiasten ihre spezialvergoldeten Kabel auch nur bei einer kleinen Manufaktur im Allgäu, weil man sonst nichts hören kann, erkennen Vinyl-Fans Pressungen blind am Gewicht und läßt sich so manches Frauenhaar einfach nicht bändigen, hatte nicht Renée oder Silvio seine Schere dran, der aber leider so oft in ParisVenedigBerlin weilt. Wirklich, ich verstehe das. Ganz genau.
Heute zwei lustige Snobs am Tisch ("Da wohnt die auf Mallorca und kommt uns mit Bertolli-Öl" - das war aber auch eine wirklich hübsche Replik auf die Aussage der Gastgeberin, es sei "ja wohl selbstverständlich, ein gutes Öl anbieten zu können". Haha, da habe selbst ich gelacht.) Hübsch auch mitzuverfolgen, wie sich das Quartett untereinander überhaupt nicht ausstehen kann, die eine jedenfalls eckt ein wenig an.
Die Sendung lebt ja davon, daß sich - anders als bei Restauranttester Rach, dem Vertreter der schwarzen Küchenpädagogik - angeblich prominente Menschen aus Film, Bühne und Fernsehen in ihren Küchen zum Deppen machen ("Höhö, dem Dings ist der Auflauf auf den Boden gefallen!"), es handelt sich also um simple Voxlksbelustigung, nicht um eine Kochsendung im eigentlichen Sinne. Die Zitrone schmeckt zitronig, so in etwa. Ich finde dabei interessant zu sehen, wie diese manchmal ja gar nicht so schlechtverdienenden Kulturarbeiter eingerichtet sind. Die Berliner immer so berlinig, 100-Quadratmeter-große Single-Wohnungen, Parkett und Shabby Chic, Hamburg gerne mit Goldrand, im Süden dann irgendwie anders. Ich erinnere mich an die Wohnung von Dunja Rajter. Aber auch die Ritterburg von Nicky ("I bin a bayrisches Cowgirl") war... interessant.
Jedenfalls. Da sitzen dann vier mehr oder weniger sympathische Menschen, also solche wie du und ich, aber öffentlich beschäftigt und reden ganz gewichtig über Dinge, von denen ich zwar keine Ahnung habe, die oft aber auch nicht, und von denen ich meine, man könnte da auch entspannter mit umgehen: "Du kriegst da in Berlin einfach keine frischen Wildkräuter!" - Ja, Himmel! So schlimm! Das habe ich gar nicht gewußt. Leider nutzt da auch kein Care-Paket, denn ehe ich das aus meinem Doppeldecker über der Sexy-Stadt abgeworfen habe, sind die ja schon welk. Kommt doch nach Hamburg, wir haben zwar keine Kultur, nur noch eine Polizei-Blaskapelle, aber sonst ist alles frisch.
Am Ende schütteln dann immer alle Balsamico-Essig-Zierränder über den Teller. Jackson Pollock! rufe ich. Kenn ich, das ist eine gute Marke, da lasse ich keine billigen Kopien gelten.
Sonntag, 17. Oktober 2010
Mit meinen neuen Schuhen (whenever feeling blue...) bin ich ja sehr zufrieden, man kann damit den gefährlichen Katzen entkommen und auch sonst sehr lange wandern. Sollte es von Nöten sein. Im Zeitschriftenhandel darüber nachgedacht, warum man Magazine so in Assoziationsketten auf die Paletten stapelt, aber bitte, vielleicht reicht auch nur mein Englisch so weit habe auch nur ich mir etwas dabei gedacht.
In der U-Bahn dann, Merlix gab in seinem aktuellen Wochenhoroskop das Thema vor, dann eine junge Dame, die mir gegenüber zwei Reihen weiter saß. Sie sah mich immer wieder an, was ich deshalb so genau weiß, weil ich sie immer wieder ansah. Zwischen meinen Versuchen so zu tun, als schaute ich sehr gebannt den sehr banalen Informationen des U-Bahn-TVs zu, dann und wann mal zwei Sekunden länger zurückgeschaut. Die attraktive junge Dame ließ sich nicht beirren, tat überhaupt nicht so als wäre sie von den banalen Informationen des U-Bahn-TV-Bildschirms gebannt und schaute wiederum zwei Sekunden länger zurück. Danach dann (in Echtzeit!) beschlossen, mal ein Auge zuzuzwinkern. (Hoho, Herr Kid, jetzt aber zu Pferd, was? Wenn es dem Esel zu wohl wird...). Kam ja nicht darauf an, ich mußte sowieso aussteigen.
Beim dezidiert als sehr elegent und lässig geplanten Aufstehen mich dann mit Taschen und Tüten fast auf die Fresse gelegt. Ich vermute, es lag an den neuen Schuhen.
Dienstag, 12. Oktober 2010
In der schlichten Ökonomie des Lebens heißt es, nie mehr abheben als man einzahlt. Wenn man seine Tage unter Menschen verbringt, die an einer Art geistiger Phimose leiden, freut man sich um so mehr auf einen ebenso vertrauensvollen wie beleglosen Abend unter Freunden, wo man Geld, Ansichten und Unterwäsche auch mal auf dem Tisch liegen lassen darf, ohne gleich befürchten zu müssen, am nächsten Tag die Rechnungsprüfer im Haus zu haben.
Wenn die Tage schon morgens vorwarnungslos so aussehen, das Knirschen unter den Schuhsohlen nicht mehr von Kastanien rührt, muß man nach dem ersten oder zweiten Kummergetränk die Papiere neu ordnen, Ablagegespräche führen, die Unterseite des Nur zur Dokumentation-Stempels anhauchen, ihm noch wenigstens einen weiteren Abdruck abpressen, sich mit dem ganzen Gewicht des kraftlosen Körpers durch das Papier, durch die Schreibtischplatte, durch den Betonboden, die Kruste und den ganzen Erdball drücken, damit das auch ja mal gesichert ist in Grund, Boden und Kataster.
Diese Erkenntnis ist elektronisch erstellt, keine Unterschrift nötig. Es gilt alles als quittiert.
Freitag, 1. Oktober 2010
Selten nur, also nicht oft, habe ich mir erlaubt, glaube ich jedenfalls, hier anderen Menschen, die nun wirklich frei sind zu leben, wie sie zu leben meinen, einen Ratschlag zu geben. Schon gar nicht, da bin ich mir nun wirklich aber sicher, wenn es um das Thema Kochen geht. Eine Ausnahme sei mir hier und heute erlaubt: Wenn ihr das kochende Nudelwasser über der Spüle abgießt, gießt es euch nicht über die Hand.
(Dieser Ratschlag ist für euch kostenfrei.)
Montag, 23. August 2010
Eine alte Bauernweisheit besagt: Wenn es mit den Bienen nicht klappt, dann kommen die Wespen. Bei mir sitzen die kessen Ringelsummsen seit neuestem unterm Dach. Warum auch nicht, die Zeiten, in denen ich Fluchtwege über vereiste Dachpfannen suchte, sind ja lange vorüber. Kommt also keiner vorbei, können die Tiere bleiben, bis ihnen die ersten Nachtfröste den langen Schlummer bereiten. Nach etwas unruhiger Nacht döste ich morgens um sieben noch dem Sonntagsgottesdienst entgegen, als ich ein leises Kratzen und Schaben vernahm. Krz, krz, krz ging das, dann kam eine Pause und bald wieder krz, krz, krz. In meinem schläfrigen Hirn suchten klebrige Synapsen nach Zusammenhängen. War es der Geldgott, der mir eng zusammengerollte Euroscheine krz, krz, krz durch das Fliegengitter schob? War es vielleicht das Knarzen der Erinnerung, die mir krz, krz, krz wie mit langen Fingernägeln den verdrehten Rücken hinunterfuhr? Endlich fielen mir Groschen krz, krz, krz in die richtigen Schlitze und lösten die blinkende Joker-Anzeige einer ganz bösen Erkenntnis aus.
Im selben Augenblick, so muß man sich das vorstellen, hockte ich unter der Fensterbank, dort wo die etwas nachlässig verklebte Tapete eine kleine Luftblase bildete. Am oberen Rand ein kreisrundes Loch, daraus tanzten zwei schwarze Fühler hervor, krz, krz, krz knabberte sich eine Wespe in mein Schlafzimmer vor.
Man ist ja verseucht durch schlechte US-amerikanische Filme, in denen digital getrickste Ungeheuer im Auftrage beispielsweise des Sci-Fi-Channels halbnackte College-Girls jagen. Solche waren leider nicht anwesend, die Gefahr einer Attack of the Summing Killer-Wasps aber imminent! Ich also schneller als ein Kollegmädchen ohne Unterwäsche in die Küche geeilt ("ohne Unterwäsche" bezieht sich auf das "Kollegmädchen", bitte, danke), mich mit Essigessenz und einem Schwamm bewaffnet und dem Loch in der Tapete entschlossen zu Leibe gerückt. Essig, das wissen nur die Studierten in den Monsterfilmen beispielsweise des Sci-Fi-Channels nicht, gefällt Wespen so gar nicht, und so waren Fühler und Mandibel schnell verschwunden.
Ich spare jetzt die Stelle aus, an der ich sonntagsfrühmorgens wie sonst nur fischmarktverrückte Touristenschwärmer zum Hauptbahnhof fuhr, um dort im Drogeriemarkt Gift zu kaufen, den mutierten Schlafzimmerspannern Paroli zu bieten. Denn, so viel ist unter allen Umständen klar, Gift ist böse. Sind auch nur Tiere, diese Tiere.
Nutzt auch nichts, wenn so ein Nest erst einmal da ist. Mit einer guten Schicht Spachtelmasse verstärkte ich anschließend die vertrauensarm dünne Tapetenschicht, etwas Abstand zwischen mich und den Summsen bringend, eine Taktik, die als bewährt gelten kann. Nun, nach einer weiteren interessant traumreichen Nacht, heißt es Warten auf die Wespen-Fighter. Es muß leider sein, horrido, jetzt kommt der Herbst, der Nachtfrost ist da.
Donnerstag, 12. August 2010
Mein kleiner Bruder hat sich, ich werde das bei Gelegenheit noch ankreiden müssen, nicht an die Reihenfolge gehalten und mich links überholt. Die jungen Leute können eben nicht mehr warten, dafür - hier wird genommen, dort gegeben - habe ich nun eine nette Schwägerin. Für die Zeremonie hat man sich eine sogenannte Kulisse ausgesucht, Wasserburg, schmucke Historie, blauer Himmel und Sonne dazu, ein ausufernd weißes Brautkleid und schwarze Anzüge, dazu ein Spalier kleiner Kinder, die Blumen werfen.
Während der Rede des Standesbeamten zucke ich immer wieder irritiert zusammen, wenn mein Name fällt, Also, Herr K, wenn Sie gleich Ja sagen... heißt es, und ich muß mich beruhigen, daß nicht ich, sondern mein Bruder gemeint ist. Vorsichtshalber aber halte ich mich als Ersatzmann bereit, ganz so wie es die Schwester der Braut tut, Familienehre usw., wer weiß, was ist, sollte den Leuten vorne am Tisch blümerant zu Mute werden. Tapfer aber halten alle durch. Beim Werfen des Brautstraußes sind nur ledige Jungfrauen Frauen zugelassen, mein Versuch, mich getarnt unter die Damengruppe zu mischen, fliegt sofort auf, und ich werde des Feldes verwiesen. Soll keiner sagen, ich hätte nicht alles versucht.
Montag, 9. August 2010
Nach einer weiteren schlafvermangelten Woche, in der selbst die nette Kollegin aus der Nachtbarabteilung Nachbarabteilung schon mitfühlende "mach mal Urlaub"-Mails schickte, ist leider auch so ein Wochenende nicht zum Bummeln da.
Meine liebsten Gerätschaften derzeit. Am Sonntag endlich wieder mal beschauliche 30 Km durch die Landschaft gebummelt, Kontrollfahrt um Deich und Wald und Wasser. Ein idealer Tag, Rücken schonen, Beine bewegen, die Temperatur gerade richtig, der Himmel schön bedeckt. Überhaupt, wie ich am Freitag sah: Die Herbstmode ist da! Hurra, denkt man, der Sommer ist überstanden. Meine kleine B&D auf der anderen Seite hat mich verläßlich wie schon das halbe Leben auch am Wochenende begleitet. Sie kann leider nicht schlagen, ist also nichts für den Beton in unserem Denken. Aber sonst surrt sie beharrlich durch im Weg stehendes Material. Ein abgeliebter Schatz.
Es kam so, daß mich die Weißfläche auf der Türe zu stören begann. Erst wollte ich wie die Damen, die ich neulich vorstellte, einfach alles mit dem Pinsel bemalen. Dann aber entschied ich mich für ein Loch. "A Hole to See the Sky through", heißt ein kleines Kunstwerk von Yoko Ono, bei der sie eine Postkarte mit einem Loch durchlöchert hat. Mein Himmel schien zwar auch blau, entpuppte sich aber als das Treppenhaus. Also habe ich das Loch gefüllt.
Man muß, das lehrt das Leben früher oder später, manchen Dingen rigoros einen Riegel vorschieben. Dem Fluten und Wogen, Pressen und Drücken. Das Ding schließt zu und auch - das könnte sich noch mal nützlich erweisen - wieder auf. Sobald ich meinem alles verbummelnden Keller die Sägeblätter entrungen habe, kann ich auch die Blende passend schneiden. Dann fehlt nur noch außen eine Stahlrosette - fertig. Hat gar nicht weh getan, abgesehen von ein paar unvorhergesehenen Widrigkeiten. So mißtraute ich als notorischer Skeptiker den Maßen der Einbauanleitungen und sägte folglich das Loch in der Tür zu klein. Leider, das ist eine unumstößliche Tatsache, hat man pro Tür nur genau eine Chance, es auf Anhieb richtig zu machen. Danach heißt es dann eben Feilen, Feilen, Feilen, bis die Maße stimmen. Hätte man sich sparen können, aber man kommt gut in Stimmung dabei, arbeitet irgendwie fröhlich fluchend pfeifend aus dem Schultergelenk heraus und denkt an die Tage, an denen man einfach Gott, die Welt und ihre Panzerriegel gute Männer hat sein lassen und am Seeufer lag. Sonntags dann die Schließkästen für alle Zeiten fest im Mauerwerk verankert, die B&D dabei ganz munter wie eine Operndiva Mimiimiii und Uijuijui tremolierend, ich hingegen bereits ein wenig übermüdet. Am Ende aber lobt das Werk: Mit Schlafsack und Notgepäck gewappnet habe ich abends dann das Äußerste gewagt und von außen abgeschlossen - und kam anschließend tatsächlich wieder - klackklack- in die Wohnung hinein.
Dienstag, 3. August 2010
Er zeigt sich entspannt begeistert. So schön, betonte er, habe er es sich nicht vorgestellt. Fotos erfassten ja nicht alles, meint er, während er aus meinem Fenster lehnt und die Aussicht fotografiert. Ich erzähle ein bißchen von der Entwicklung auf dem Kanal, den jungen Leuten, die seit einiger Zeit in die Gegend ziehen, auf dem Wasser herumpaddeln und bald erste Galerien und Cafés eröffnen, wenn sie erst ihr Studium an den Nagel gehängt haben werden. Ja, sicher, meint er und beklopft die Wände, prüft das Futter in den Zargen, brummelt hm, hm.
Ich lotse ihn aus der Wohnung, wir gehen um die Insel, Schmetterlinge gucken, er stiehlt mit den Augen, beschließt, seinen Garten umzugestalten, fängt ein Gespräch mit einer jungen Gartenfreundin an, nachdem er wissen wollte, ob ich dort jemanden kenne, lobt also die Pracht der Gärtnerin oder vielmehr die ihres Gartens und zwinkert mir zu, als wolle er sagen, so macht man das, min Jong. Ich verdrehe die Augen und sage, jetzt laß uns mal auf den Flohmarkt gehen, um die Gärtnerin kümmere ich mich im Herbst, wenn Erntedank gefeiert wird.
Wir gehen also über den Flohmarkt, ich bemerke, wie er älter wird, schon ein wenig geworden ist, noch liegt keine Mühe darin, man ahnt nur, wie es bald um Augen, Rücken, Beine gehen wird, daß er nicht ewig mehr wird reisen können, daß er betüddelt werden will. Aber wer wünschte das heimlich nicht. Er findet alles groß und die Häuser so alt, und ich sage, keine Ahnung, es sei ja nicht alles weggebombt worden, nur den Osten, den hätte man gleich zweimal zerbombt. Erst die eine Nacht und dann in der zweiten, als die Staffeln sich verflogen, weil ja alles schon brannte, und die Bomben noch mal über dem bereits zerstörten Teil abwarfen, so daß die anderen Stadtgebiete glimpflicher davonkamen und dort, was nun alt ist, überlebte. Aber auch das nur mit Glück und in der Zeit, als die Stadtplaner schliefen. Und dann muß ich Atem holen.
Im Hafen ist ein Ereignis, und Schiffe gehen ja immer, vor allem, wenn sie groß sind. Mein Vater ist jetzt auch Filmemacher und hält mit dem schwächeren Arm eine Digicam hoch. Ich sage, wenn du noch die ruhige Hand hast, gehen wir anschließend zu Mare-TV, ich bringe dich groß raus. Ach, meint er. Die Kamera habe er doch bloß vom Aldi. Aber der sei ja jetzt auch schon tot.
Am nächsten Tag wandern wir die Elbe entlang, auf den Wellen glitzert die Sonne, Containerschiffe fahren ihre Fracht hinaus und liegen viel zu hoch im Wasser. In den Büschen am Wegrand hängen dunkel gefärbte Früchte. Ah, die Brombeeren sind reif, ruft mein Vater begeistert. Dann sei der Sommer ja vorbei. Ja, sage ich. Der Sommer ist wohl vorbei. Aber wir können uns auf einen schönen Herbst freuen.