Ein kurzer Blogeintrag



Neulich diskutierte ich mit meinem Arzt, der meiner untreu gewordenen Berliner Medizinerin folgte (wir berichteten), das Für und Wider einer Grippeschutzimpfung. Wie ich das hasse, Dinge zu diskutieren, die ich für längst ausdiskutiert hielt (das geht alles von meiner Zeit ab!), aber wenn die Diskutanten wechseln, was will man machen. Ich bekomme ja noch nicht mal eine Erkältung! warf ich für mein bereits beim Europäischen Patentamt angemeldetes eisenoxidiertes Immunsystem in die Waagschale. Der Herr Doktor schüttelte bekümmerte den Kopf, gab aber klein bei und kritzelte etwas auf seinen Block. Querulant, wahrscheinlich.

Heute war er zum Glück nicht dabei, denn heute bin ich krank. Nach erster Diagnose würde ich sagen, gerade noch haarscharf am Tödlichen Männerschnupfen™ vorbei, aber natürlich weiß man nie und so ist mein Bewegungsradius zwischen Hühnersuppe, fieberfeuchten Bettlaken und diesem elektronischen Fenster zur Welt eingeschränkt. Hallo Welt!

Um mich mit Salbei (ich könnte keine Schildkröte synchronisieren, aber einen Tigerrr) einzudecken mußte ich aber noch in die Stadt, schließlich ist auch Samstag, und die Wocheneinkäufe kommen ja nicht auf einem fliegenden Teppich zum Fenster hereingeschwebt, auch wenn man auf dem Großen Basar von Istanbul in dieser Richtung alles mögliche angeboten bekommt.

Seit ich dieses Anger-Management-Training mache, muß ich ja eh ab und an samstags in die Innenstadt, die vier Adventssamstage sind da schon fest gebucht. Ach so, vergessen: Um auf der Reeperbahn als Türsteher arbeiten zu dürfen, benötigt man nicht nur ein eisernes Immunsystem, sondern seit neuestem auch eine Bescheinigung über ein absolviertes Anger-Management-Training. Der Beruf des Türstehers hat sich ja sehr gewandelt, es ist heute eher ein Door-Management, dienstleistungsorientiert und beratend zugleich. "Door-Care" ist das Stichwort. Man sagt dann nicht mehr, "Heute nur mit Clubausweis" oder "Du, du und du, du aber nicht". Man fängt den Kunden da auf, wo er bereits schwankt und sagt "Ich würde gerne ein anderes Mal ein Bier mit dir trinken oder auch zwei, du darfst auch deine Freundin dazu mitbringen, aber heute, leider, muß ich heute passen, so gerne ich dich sonst reinlassen würde". Man sagt heute auch "Du, ich denke, du wirst es verstehen, aber wir haben total nicht aufgeräumt, das sieht einfach nicht so dolle aus gerade. Komm doch morgen noch mal."

Zwar mag man als Türsteher, ähnlich wie als Patient, bereits ausdiskutierte Dinge nicht gerne noch einmal diskutieren, man muß aber Sanftmut und Geduld zeigen, denn Sanftmut und Geduld sind das neue Wegschubsen.

Unser Kurs, ich komme jetzt in die Stadt zurück, trainiert das gerade in der Innenstadt. Wenn man also in der Tür zum Salbeiteekaufhaus jemanden hat, der sich nicht entscheiden mag, ob er links oder eher rechts oder doch lieber gar nicht hineingehen will, aber auch nicht merkt, wie sehr er im Weg steht, nun, dann schlägt man ihn nicht einfach zusammen bleibt man ganz ruhig, läßt ihn austanzen, atmet dabei gleichmäßig wie ein Respirator auf der Intensivstation (außer man hat den Tödlichen Männerschnupfen™) und rollt (wenn man den Aufbaukurs besucht hat) dabei nicht einmal mit den Augen. Auch Menschen, die einen von Regalen wegdrängen oder ihre ScheißEinkaufswagen mitten im Weg stehen lassen - da läßt man die Ellenbogen schön nah am Körper, spart sich (nach dem Aufbaukurs "Don't talk, do it") belehrende Diskussionen Kommentare und Ermahnungen und flötet sich wie eine freundliche Kobra am Hindernis vorbei.

Lief ganz gut, Tür verteidigt, keiner tot und nun bin ich bereit für das Kulturprogramm. Da ich nicht zur Viennale fuhr, holte ich mir die österreichischen Filmtage ins Haus. Gibt es etwas schöneres, als sich krank und elend dem Kranken und Elenden hinzugeben? Der Busenfreund, ein weiteres Meisterwerk von Uli Seidl, das einen heiteren Forscher auf der Suche nach der Weltformel zeigt. In einem ähnlichen, ich möchte sagen herausgehobenen, Kosmos lebt der andere bekannte Österreicher, Hermes Phettberg. Dem heimlichen Idol der Frucade-Generation geht es derzeit nicht besonders gut, er schreibt darüber sein sonntägliches Protokoll. In dieser Dreifaltigkeit laßt mich also liegen, ihr wißt ja, allein könnt ihr es schaffen.

Himmel, jetzt ist es ein langer Blogeintrag.

Homestory | 22:10h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Samstag, 6. November 2010, 22:42
Türsteher, dô.
Mit meiner weiblichen Begleitung schlenderte ich heute auf die doppelflügelige Eingangstür des geretteten Kaufhauses zu, man hätte uns jederzeit und problemlos links überholen können, und da ich beim Eintreten einen Herrn hinter uns bemerkte, hielt ich ihm die Tür noch ein wenig auf, was er im Vorbeigehen mit einem extrem genervten Blick und den Worten "Gott oh Gott, Gott oh Gott, dô!" kommentierte. "Was für ein Problem haben Sie denn!?", rief ich ihm hinterher und sah im Geiste schon Fäuste und Parfümflaschen durch die Abteilung fliegen. Er aber floh die Rolltreppe hinauf, und ich finde, dass man sich nicht alles gefallen lassen soll, sonst verliert die Tochter noch jede Achtung vor einem.

Genießen Sie das Kraut ("Hals frei durch Salbei!"), verbleibende Reste machen sich übrigens hervorragend in einer Gorgonzolasauce zu den Spaghetti.

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kid37 - Sonntag, 7. November 2010, 21:55
Das sind ja Geschichten. Menschen reagieren ja öfter mal aggressiv, wo sie eigentlich Dankbarkeit zeigen müßten, das weiß man aus der Küchenpsychologie. Der Mann fühlte sich gedemütigt, daß man ihm einmal im Leben nicht die Tür ins Gesicht schlug und sah sich nun in katholischer Schuld stehen (daher wohl auch sein "Oh Gott, oh Gott!"). Im Seminar heißt es dazu: "Danken sie mir nicht, danken sie dem nächsten."

(Ich hoffe, der Zeit-Verlag lädt mich auch bald zum Podiumsgespräch.)

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jean stubenzweig - Samstag, 6. November 2010, 22:50
Gerne möchte ich schreiben können wie Sie. Aber dann wäre ich wohl nicht mehr authentisch. Ach.

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kid37 - Sonntag, 7. November 2010, 21:42
Das macht jetzt nur mein November: The Sun will add to your presence and demeanor of authority, Mercury will sharpen your ability to articulate ideas, the new moon will open doors, and Venus will have you at your most sexy and attractive.

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lorilo - Montag, 8. November 2010, 09:41
Tödlicher Männerschnupfen verträgt sich aber nicht ganz mit most sexy and attractive. Es sei denn, man hat einen Mutter-Komplex oder Ähnliches.

Gute Besserung in jedem Fall!

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kid37 - Montag, 8. November 2010, 14:12
Ich dachte, Sie hielten schon das Morphium bereit.

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lorilo - Montag, 8. November 2010, 17:41
Also wenn Sie mir den Ralph Fiennes machen, können Sie sogar Mund-zu-

Ich habe ja durchaus eine Affinität zu Versehrten und Verlierern, aber Schnupfnasen gehören jetzt nicht perse in eine der beiden Kategorien.
Aber die weltbeste Herbst-Erkältungs-Suppe würde ich Ihnen freilich kochen, sobald falls ich es daenn nach HH schaffe.

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gaga - Sonntag, 7. November 2010, 12:44
Steht auf dem Buchdeckel "Hermes Phettberg, Elender" oder "Hermes Phettberg, Blender"? Ich kann es von hier nicht so genau erkennen.

Ich überlege, ob das Seminar etwas für mich wäre. Worin besteht die Genugtuung? Dass man cool dasteht, wie ungerührt aus der Konfronation abgeht, im Gegensatz zu einer Handgreiflichkeit ohne aufgeschlitzte Körperstellen nach Hause kommt? Neulich hält mir jemand einen Artikel aus so einem Business-Psychoratgeber unter die Nase. Es ging um die angeblich wundersame Wirkkraft des Verzeihens. Als ich dann im Beitrag las, dass der innere Groll unter anderem zu erhöhtem Blutdruck führt, wusste ich, das ist nichts für mich. Ich habe ja latent zu niedrigen Blutdruck, da wäre so etwas gar nicht zielführend. Außerdem ging die Sache tendenziell in diese Richtung "wenn du geschlagen wirst, halte ihm die andere Backe hin". Dieser Christenkram. Ich bin ja Heidi. Ich schlage zurück. Ha!

(So lange der Gegner kein größeres Messer hat als ich, versteht sich. Ich bin dann ja auch eitel.)

Edit:
P.S. Gute Besserung!

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kid37 - Sonntag, 7. November 2010, 21:50
Das ist der Film (Trailer) von Kurt Palm, der heißt "Elender". Ich bin noch völlig ergriffen.

Das Seminar hilft (neben dem Befähigungsschein für gute Türpolitik) in allen Lebenslagen: Einkaufen im Adventstrubel? Kein Problem! Der Blutdruck bleibt im ausgeglichenen Bereich, Gewaltphantasien hingegen werden in pastellgetönte Votivbilder gewandelt. Mal sehen, ob ich bestehe. Ich könnte dann irgendwann die Tür am Berghain machen.

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