Donnerstag, 2. Dezember 2010


Bunte Teller



Mensch, du hast ja richtig Farbe bekommen! Wie oft habe ich das nach einer ausgedehnten Bootstour schon gehört. Meist liegt so etwas am Essen, das im Ausland häufig interessant, andererseits längst nicht mehr so exotisch ist wie man zurückgelehnt im heimischen Ohrensessel meinen könnte. Man ißt globalisiert, und von der Anwesenheit der üblichen Ketten wie Starbucks und McDonalds wäre man ja höchstens noch auf dem Gipfel des Nanga Parbats überrascht. Auch in Istanbul kann man sich kulinarisch wie zu Hause fühlen, es geht sogar soweit, daß ich für einen kurzen Augenblick dachte, da erlaubt sich jemand einen Scherz mit mir. So erstaunt war ich über die Filiale der Nordsee, daß ich vergaß, nach den Angeboten zu schauen. So weiß ich nicht, ob es wirklich "Bremer" dort gibt, vielleicht vom Drehspieß, aber sonst ganz wie daheim.



Neben Cafés unterschiedlichster historischer und kultureller Verortung (Oriental bis US-amerikanisch), locken Imbissbuden, Büfes und Kebabläden mitunter verrätselter Qualität und am anderen Ende der Skala Restaurants, deren Speisekarten man leider oft deshalb nicht vorab studieren kann, weil überall Koberer stehen wie sonst nur vor den Striplokalen auf der Reeperbahn. Wer hier "nur mal gucken" will, hat schon verloren. Hilfreich ist da eine YPS-Detektivbrille mit eingeklebten Seitenspiegeln, mit der man aus den Augenwinkeln heraus Umgebung, Trickdiebe und Angebotsaushänge beobachten und dabei zugleich eine nonchalante Unbeteiligtheit an den Tag legen kann, daß sich die Lügenbalken biegen.




Mir haben die kleinen Lokantas spontan am besten gefallen. Unspektakuläre Speiselokale, die zumeist in den von Touristen gemiedenen Seitenstraßen liegen, keinen Alkohol ausschenken, aber eine verlockende Vielfalt vernünftiger und schmackhafter No-nonsense-Mahlzeiten anbieten. Schmucklose Tische, freundliche Leute, unaufgeregte Gerichte, ich weiß, das wäre manchem zu langweilig. Mir als kulinarisch eh Ungebildetem kamen diese Schenken gerade recht.



Wer spät abends noch etwas vergessen hat, Zahncreme, Lutscher, Zuspruch, stellt fest, daß selbst die Büdchen in Istanbul aussehen wie ein kleiner Sultanspalast. Hinter schmiedeeisernen Gittern sind Wasser, Süßigkeiten und Krimskrams in alle Winkel und Nischen gestapelt. Eine Art Haremswächter sitzt an einem kleinen Schalterfenster, tauscht Geld gegen süße Ware, kostbares Wasser oder ein Erlebnis - in der Kulturhauptstadt 2010 durchdringt und umhüllt ein orientalischer Stilwille die westliche Idee der Systemgastronomie.



Wer länger möchte, als Wanderer durch die Nacht, greift zu wirkmächtigen Pralinen. Ein geheimer Zauber wohl, kandiertes Wunschdenken. So hat der Sultan früher sein Zelt gebaut.