Dienstag, 4. Januar 2011


Mehr Talmi

...oder: Warum die Bloggerbewegung scheitern mußte.

Während man das weiße Hemd wieder ordentlich zurück auf den Bügel fummelt (der kleine Rotweinfleck fällt nächstes Jahr noch nicht auf), den Zylinder und die Handschuhe in die Schachteln räumt, anderswo Strumpfbänder und extravagantes Schnürschuhwerk mühsam unter Jahreswechselbetten hervorgezerrt werden, man also den ganzen Operettenschwindel zurück hinter die Uniform für den Alltag räumt und dabei ohne Rang und weitere Würde sich im Spiegel nackt betrachten kann, fragt man sich, warum man, den Schwung des einstigen alles, alles besser und alles sofort-Anspruchs nicht genutzt hat, um jetzt als ehemalige Vorhut der besseren Welt so wie ein Politiker der Grünen ganz vorne mit dabeizusitzen.

Nicht, daß mich derlei Dinge noch den warmen Lufthauch interessieren, der sich in den goldenen Ornamenten meiner Brokatvorhänge fängt, aber wenn dann doch noch einmal die Frage auftaucht, wieso das dauert mit diesem Etablieren und warum sich die anderen nicht in uns, sondern immer nur wir in den anderen etablieren, werfe ich einen Blick in das Köchelverzeichnis der sogenannten besseren Gesellschaft. Die Haute volée weiß seit Jahrhunderten wie man die Dinge zelebriert und zementiert, sich gegenseitig zitiert, hofiert (verlinkt und verblogrollt) und keine Scheu vor dem Mucki, Micki und Mausi hat - während Blogger allzuschnell zaudern, ihr Mäusemänchen67 oder Blumenzupferin82 ins Stolze einer Ehrenbezeichnung zu wenden.

Schauen wir in die Gästeliste einer mittelbedeutsamen gesellschaftlichen Veranstaltung und achten wir auf die Berufs- und Standesbezeichnungen: Nicht nur "Maler", sondern auch ein "Malerfürst" sind anwesend, eine "Hellseherin" ebenso, aber auch ein "Ehemann und Journalist" (darüber hinaus noch ehemaliger Chefredakteur mehrerer bekannter Titel), dazu eine Menge von und zu und Grafen und Professores. Aber liest man irgendwo "Blogger"? Selbst als "Miss Ferrari" hat man besseren Zugang zu den erlauchten Kreisen.

Beim Kampf um die Erbhöfe der Aufmerksamkeit darf man nicht zaghaft sein. Früher war mehr Lametta, heißt es. 2011 wird das Talmi-Jahr, es soll Auszeichnungen und Preise regnen, Ehrentitel und bunte Bänder, Bloggerfürsten und Hellblogger, Träger von Orden, Rängen und Begleiter von Missen. Einen Ball soll es geben, auf die wir ehemalige Chefredakteure laden, und Landsitze für jedermann. Und eine Kutsche hätte ich gern.