Dienstag, 25. Januar 2011


Formicabel



Wenn ich als Kind bei meiner Großmutter war, gab es dort einen Schwung zerlesener und obskurer Kinderbücher, ein kleiner Schatz für neugierige Kinderaugen . Andererseits waren die wirklich obskur, denn sie kamen mir damals schon äußerlich und innerlich verstaubt vor. Es waren viele dieser Göttinger Jugendbücher darunter, ein Verlag, der sich auf Kinderbuchversionen von (Erwachsenen-)Klassikern (Der letzte Mohikaner und Der weiße Wal), Mädchenbüchern (Barbara, dir winkt das Glück oder Sonja braucht 400 Mark), Weltraumabenteuern (Mondrakete E4 überfällig) und eine Reihe "Für Jungen" (Störtebeker, der Seeräuber) spezialisiert hatte. Zu Hause besaß ich später noch einen Band Das Abenteuer kommt ungerufen, ein Titel, der mich damals schon wenig begeisterte. "Ungerufen?" dachte ich. Wie doof. Was, wenn gerade Daktari im Fernsehen läuft? Oder man draußen, mit den anderen kleinen Lesern der Göttinger Jugendbücher (ein paar versnobte Schneider-Buch-Leser waren auch darunter) zum Nachspielen vom Lederstrumpf verabredet war? Kann sich so ein Abenteuer nicht lieber anmelden? Das Buch war allerdings recht spannend, irgendwas mit einem Jungen, der in Indien wilden Tigern begegnet. Wie das halt so war, damals nach dem großen Krieg.

Ein Autor ist mir im Gedächtnis geblieben, das war der Gubener Kurt Knaak. Seine Bücher hießen Ferien im Forst oder eben Formica die Emsenkönigin. Hinten gab es immer ein kleines Glossar mit Jagdausdrücken (äsen = "fressen"), was meinem naturkundlichem Interesse zu dieser Zeit immensem Auftrieb [!] gab. Überhaupt, eine recht faszinierende Welt mit ganz vielen toten Tieren. Staatenbildende Insekten hatten es mir damals schon angetan, Ameisen zumal. Mich beeindruckten die wie Sandhügel aufgetürmten Bauten, die selbst in Bewegung zu sein schienen, je näher man an sie herantrat. Die geschäftigen Ameisenstraßen, auf denen selten bloß zu Späßen aufgelegte Arbeiter ächzend und schnaufend ihr viel zu schweres Zeug umherschleppten. Die unterirdischen Bauwerke können, wie jedermann weiß, gigantisch sein, es ist wie bei einem Eisberg: unter dem Tannennadelhaufen liegt eine Megalopolis mit Wolkenkratzern, Schächten, Stollen und Schnellstraßen.

Natürlich besitze ich zu Studienzwecken Sim Ant, die (insgesamt enttäuschende) elektronische Ameisenkolonie. Vor ein paar Jahren, ein wunderbares Geschenk, fiel mir das Buch von Bert Hölldobler (zusammen mit Edward O. Wilson) in die Hände. Ein spannendes Werk, gefüllt mit hochinteressanten (und damals) neuesten Studien und Erkenntnissen zum Thema "Superorganismus".

Jetzt, zurück zu den Göttinger Jugendbüchern, habe ich - Achtung, aufpassen jetzt! - antiquarisch spottbillig eines dieser alten Bücher ergattern können, das ich zuletzt vor Jahrzehnten bei Frau Großmutter gelesen habe. Formica die Emsenkönigin, ein Titel aus reinem Klang, ihr seid da sicher ganz bei mir. Packende Abenteuer, Regen, Räuber und Rabauken, die den kleinen Staat bedrohen, kriegerische Beutezüge und vielleicht sogar eine Hochzeitsszene. Daran erinnere ich mich nicht mehr genau. Ich werde das emsig nacharbeiten. Was für ein Abenteuer.