Donnerstag, 29. Juli 2010
Den Vater anrufen, um ihm mitzuteilen, daß man ihm eine Mail geschickt habe, die er sich bitte ausdrucken möge, weil darin die Informationen stehen, die er benötigen wird, wenn er ohne Internet unterwegs sei. Wie man eine neue Art von Demut lernt.
"Hab ich längst gemacht", sagt er.
Freitag, 23. Juli 2010
Meine amerikanische Freundin pflegte zu sagen, Don't put your eggs all in one basket. Man hört es oft, auch die Mahnung über die Mütter der Porzellankisten, ich wiederum denke, man muß sich immer wieder auch hingeben wollen. Leidenschaftlich bei der Sache sein, intensiv sein, sich hingeben. Alle Türen öffnen, weil man nicht auf geheimer Tauchfahrt ist. Die Trauer, wenn man absäuft, ist doch, wenn man ehrlich ist, nach einem oder zwei, vielleicht drei Jahren überwunden. Man muß es wagen, die Angst abstreifen wie einen verkrusteten Malermantel. Was soll schon passieren, weiß ich doch eines ganz genau: Ich kann immer noch zurück in die Fischfabrik.
Montag, 19. Juli 2010
Ein summendes Wochenende. Vor einiger Zeit lernte ich einen Engländer kennen, der sich als maritimer Nachbar entpuppte. Er wohnt fünf Minuten von hier auf einem Hausboot, wo ich ihn jetzt endlich mal besuchte. Bei ein paar Bieren auf dem Oberdeck und entspanntem Fugazi-Hören, hielt ich meine Beine in die Sonne und bewunderte die lebenskünstlerische Einrichtung mit eigenem Proberaum und Panoramafenstern Richtung Abendrot. Ich bin begeistert über diese zahlreichen versteckten kleinen Idylle in diesem Stadtteil, der immer mehr zur letzten Zuflucht wird. Neulich bereits die Überraschung, als das halbe Treppenhaus vollstand mit jungen Leuten, nur weil im dritten Stock eine Wohnung zu vermieten war. Der japanischen Studentin in der Schlange der Wartenden flüsterte ich zu: "Nimm die!" (den Satz, Oben gibt es Reis, Baby! unterdrückend). Jetzt heißt es abwarten.
Der Bürgermeister summte aus und mit ihm auch die Kultursenatorin, die zuletzt vor allem vom nach Berlin entflohenen Daniel Richter scharf angegriffen wurde. Ihr blieb nur plumpes Nachtreten (wo selbst ich souverän geblieben wäre) und nun der Rücktritt, bitte, danke. Falls den Posten keiner will - meine Mailadresse steht da links.
Aber so ist das immer im Leben. Die Bienen verschwinden auf geheimnisvolle Art und immer so plötzlich, dafür kommen die Wespen. Und immer so plötzlich. Der Besuch gestern im Leuchtturm meldete freudestrahlend fürs Logbuch: "Käpt'n, Sie haben Wespen im Dach!" - Und tatsächlich, ich habe Wespen im Dach. Eine kleine Flugschau von Gelbgeringelten schickt sich mit herbeigeschafftem Baumaterial am Leib daran, unter die Dachziegel zu verschwinden. Bericht von den Marmorklippen: Beim Versuch, die Bleischürze, unter die sie kriechen, mit einem Gummihammer fester auf den Dachziegeln zu verdengeln, von einer kleinen Einheit Kamikazeflieger angegriffen worden. Mein Daumen ist jetzt ein Tischtennisball, aber der Gegner hat auch Verluste zu beklagen. Es bleibt jetzt also wie es ist, im späten Herbst sind die eh alle tot. Darauf einen Erdbeerwein im Abendrot.
Den Sonntag am Wasser verbracht. Den Booten nachgeschaut, den Picknickkorb geplündert, die Füße eingetaucht, die Wolken studiert. It's a mad world gesummt, noch mal den Booten nachgeschaut, über Lilien-Porzellan geredet, solche Dinge. Wie man am Ende immer alles begraben muß. Am besten, man fängt mit der Hoffnung an.
Donnerstag, 8. Juli 2010
Während sich auf der Hinfahrt Richtung Reeperbahn schon vorfelds siegestrunkene Germanen ("Schlaaaand!") ein wenig, nun ja, belästigend in der S-Bahn breitmachten, war die Rückfahrt tiefer in der Nacht von angenehm entsagender Ruhe. Auf und in ruhigen Bahnen rumpelte ich nach Haus, und ist in der Regel Lethargie entschieden abzulehnen, konnte ich so die letzten Grappa des italienisch-spanischen Wirts (da geht ja gastronomisch alles wild durcheinander) zirkulieren lassen, ein Gesöff, mit dem man sonst nur Rohre reinigt, das aber nach dem Ende aller Vierjahresträume für eine gewisse innere Stabilität auch sorgt. Vorbei, vorbei, alles vorbei (passenderweise zur Melodie von "Allein, allein" gesungen), man merkt ja, wer im Team noch spielen möchte und wem es bereits lästig ist, das Trikot einer bestimmten Mannschaft zu tragen.
Die blonde Kollegin neben mir entpuppt sich ausgerechnet als Fan der einzigen Mannschaft, die auf St. Pauli nicht sehr viele Freunde hat, aber da es ihre Heimatstadt ist, drücke ich für den Abend und im Sinne des gemeinsamen Teamgedankens ein Auge zu. Wie auf fremden Platz auch der Gesprächsverlauf über zwei mal 45 Minuten. Nicht einmal fiel das Wort Twitter oder Blogs oder Dingsbook, dafür kreisten wir um völlig normale Themen wie Schlagzeug spielen, das Hausboot des anderen Kollegen, Leben am Wasser generell, Urlaub in Masuren und wieso eigentlich Trochowski statt Kroos spielt.
Das verdiente Nullzueins nimmt man konsterniert zur Kenntnis und ahnt, daß die Spanier auch noch drei Stunden so weiterspielen könnten, ohne daß sich irgendetwas ändern würde. Man rennt und rennt und rennt und kommt keinen Schritt weiter. Dann muß man ein Ende machen, abpfeifen, unter die Dusche und am besten nicht allein.
Dienstag, 6. Juli 2010
Gestern abend dann wirlich nur leicht angetüdelt mit dem Rad nach Hause gerauscht, vor mir nur mein funzliges Vorderlicht und zerfurchte Radwege, vor mir nur einen plötzlichen Gedankenblitz. Es sind die Erkenntnisse, die einen plagen, manchmal sind es die Erinnerungen, die einen plagen wie Mücken, die sich um freigelegte Beine legen, um die Handgelenke und auf den Unterarm. Schütteln, emporheben, zurückholen auf schwankenden Boden. Hüpfend, schleudernd, in einer Nacht ohne Nacht, wie man dann steht vor einer Ampel, wartend in einem Regen. Und mitten im Wald.
Dein Atem, das Lachen, die Zweige, die knackten unter den Narben, der Stoff deines Kleides zwischen den Fingern. Das muß doch möglich sei, das muß doch wirklich noch möglich sein, sich den Sommer zum Freund machen, eine Flasche füllen mit einer wichtigen Botschaft, sich zusammen mit ihr ins Meer werfen, in den Staub werfen und daraus davonmachen, ein Herz stehlen und sich bestehlen lassen, ein Bild mitnehmen und im Stillen denken, Mensch, Polly Jean hat wirklich schöne Füße.
Montag, 28. Juni 2010
Mechanische Wochenabhake, wie man vielleicht im lockeren Ton des Fluppen-Deutschs daherschlenzen könnte. Viel zu viel Geld ausgegeben, ein bißchen Frust-Shoppen war auch im Spiel, monetär erworbenes "Das bißchen besser" (Die Sterne). Keine Manolo-Blahnik-Schuhe, eher technisches Spielzeug, allerdings keine multimediale Schiefertafel, über die neuerdings so viel geredet wird. Eine solche hatte ich aber auch in Hand, von den Vorbespielern schon ordentlich verschmiert. Sich so betatscht fühlen, manchmal. Die fettfleckmattierte Hochglanzflunder löst Schrift nicht wirklich scharf auf, so mein Eindruck. Ein Gerät zum Verschwimmen, zum Danebenlesen. Dafür einen prima Stuhl erstanden, der aussieht "wie aus der Anstalt", so ein Kommentar. Ich denke, seine in abgewetzter Patina verlorengegangene Herkunft hat einen anderen Ursprung, finde aber, ich habe offenbar richtig gekauft.
Auf dem Flohmarkt eine kleines emailliertes Schild erworben, nun kann ich auch endlich die Hausnummer an mein Blog schrauben. Falls jemand vorbeikommt, sieht der gleich, wer hier womöglich wohnt. Manchmal hat man sich ja Gedanken gemacht. Grundlos.
Zum Radfahren, stellte ich auf dem Rad fest, war es am Sonntag viel zu heiß. Am östlichen Himmel gaben mir Signalraketen und Feuerwerkskörper den Spielstand an. Ein weiteres Zeichensystem, Sprache kann so vielfältig sein, das Gesagte oft schüchtern verhüllt. Die Menschen schauen fern, Klagenfurt vielleicht, auf den flirrenden Straßen des Gewerbegebiets bin ich ganz allein. Staubige Stille. "You never wanted me anyway." (PJ Harvey).
Montag, 21. Juni 2010
Nanu, ein Schirm? Es regnet. Aber das Abschlußwochenende der Altonale ist zu bunt, als daß man sich daran stören könnte. "Wochenende, bitte Zimmer 17!", schringert es durch die Lautsprecher, vier Farben, (blau die Sehnsucht), großes Gemisch, und wenn man die Schleichwege nutzt, muß man auch nicht durchs Gedränge schieben. Zwischen Kleinkunst, Musikbühnen, Flohmarkt und Essen aus allen WM-teilnehmenden und nichtteilnehmenden Fußballnationen springt man hin und her, stößt auf rätselhafte Phänomene und offene Fragen, etwa die, warum es Fliegenklatschen, aber keine für Schmetterlinge gibt. Bei den Elbewerkstätten kaufe ich das ungefähr fünfhundertste Blankobuch, das mir gefällt, weil es so einen hübsch marmorierten Einband hat. Wenn das Internet erst abgeschaltet ist, werde ich dereinst Seiten um Seiten füllen können, so als sei nichts geschehen. Einer Künstlerin, sehr attraktiv und mit melancholischen Augen, kaufe ich Postkarten ab, auf denen attraktive, melancholisch blickende Damen in einsamen Zimmern sitzen. Sage noch einer, illustrative Kunst sei nicht welthaltig genug.
Abends dann mit der wunderbaren Frau Modeste ausgegangen, die ich ja immer zu selten sehe, was möglicherweise daran liegt, daß sie in diesem Berlin lebt, von dem man manchmal liest. Über ernste Themen viel gelacht, wie das nur mit Menschen geht, die einen feinen Blick für bizarre Details haben. Irgendwann spielen sie Blondies "Heart Of Glass", vom Hafen her fegt durch die Ruine der Elbphilharmonie ein eisiger Wind, mehr hat Hamburg ja auch nicht. Jetzt ist auch noch Heidi Kabel tot.
Montag, 14. Juni 2010
Jetzt im Angebot: Das Züchtigungsset. Für den kleinen Klaps für junges Gemüse. Nur 49 Cents. Und das beste: Haften bleibt nichts!
Montag, 7. Juni 2010
Der König ist tot, es lebe der König.
Ja, liebe Stubenhocker. El Sunshine-Kid lebt sein entspanntes Wochenendleben ja nicht unter einer muffigen Wolldecke aus. Wochenende = Kumpelzeit, da rockt man das Soulboat, plöppt die Korken, High-Fived sich durch die Nacht und... äh, wo war ich?!?
Frühstück jedenfalls an meiner kleinen Schiffbegrüßungsanlage, hier ist ja irgendwas im Busch (sprich: verräterische Wirbel im Wasser), immer mehr junge Leute in führerscheinfreien (bis 5 PS) Motorbooten durchkämmen die Kanäle meines kleinen Rentnerstadtteils, Bier & Musick an Bord, bald wohl auch schringernde Plastiktröten und Fußballfahnen von Nationen, von deren Existenz man bis eben kaum was ahnte. Mir fehlt nur noch ein Kissen für die Ellenbogen, dann schreibe ich die alle auf.
Dann aber los zu den großen Frühstückseiern im Hafen und den Bloggern mit ordentlich Holz vor der Hütt'n: Irgendsoein Wikingerspiel, so hieß das Losungswort - und wenn es irgendwo etwas Neues auszuprobieren gilt, bin ich ja der erste vorne am Bühnenrand. Noch unverschwitzte Damen und Herren traten also an, sich gegenseitig nichts an den Kopf, eher etwas vor- und manchmal einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Das Spiel, eine Mischung aus Kegeln, American Football und Schach legt Emotionen und Südkurvensprüche frei, ist also genau das Richtige, sich mal links und rechts ordentlich locker zu machen. Höhepunkt: Alle Linkshänder werfen mit rechts, die Rechtshänder mit links. (Natürlich, aber nicht ohne Mühen, siegten die Linkshänder) Ruppiger als Rasencrocket, ein wenig grobklotzig, wenn man so will, bietet das Spiel aber einige taktische Finessen, mit denen man die gegnerische Mannschaft bloßstellen dem Sieg buchstäblich ein Stück näherrücken kann. Wer will, kann das Spielgerät anschließend zum Scheiterhaufen aufstapeln und ein munteres Feuer entzünden.
Sonnenbestäubt, biervertrunken. Abends dann Regen. Jetzt endlich beginnt die schöne Zeit.
Dienstag, 25. Mai 2010
Feiertag, da dachte ich, gehst du schön mal was Essen, aber dann hatte der Laden zu, und über mir bastelte ein Gewitter seinen Klimbim zusammen: Regen, Donner, Unterstand - die drei Ecken des Radfahrwesens. Aber mit gutverborgenem chromblitzenden Lachen und rostiger Unverdrossenheit weiter über die sieben Brücken, glitschiges Kopfsteinpflaster, heimlich hin- und herrangierende Laster beobachten, Schleichwege erkunden - kurz: die Nebenwege. Heimat und Freunde, heißt es, bald dann auch wieder Sonne, selbst das Wetter mag sich nicht recht entscheiden. Dabei die ganze Zeit Wind von vorn, als wäre dies unter der Woche nicht schon ständiger Aufruf zur inneren Gefechtsbereitschaft. Immer in Bewegung bleiben, Herzchen.