Sonntag, 5. April 2009


O dann wachen sie auf, die winters schliefen



Ein Wochenende zum Auslüften. Den kalten Wind auf dem Flohmarkt ignorieren, in die frühe Sonne blinzeln, sich durchwärmen lassen auf den hölzernen Stufen. Neben mir sitzt ein Mädchen, sie erkundigt sich nach meinen Schätzen und so blättern wir bald gemeinsam in dem schönen Anatomiebuch, das für zwei Euro den Besitzer wechselte. Nerven, Hirn, Gefäße, man muß diesen ewigen Rätseln doch irgendwo auf die Spur kommen können. Die Zeichnungen sind detailliert, aber nirgendwo findet sich der Sitz des Fragezeichens.

Meine Nachbarin bietet mir eine Zigarette an, ich lehne ab und sage, "Komm, ich blätter mal vor zur Lunge, das ist bestimmt lustig". Gute Laune schaffen und ein entspanntes Ambiente, man braucht mich da nur fragen. Heiter sage ich: "Du kannst nicht aus Hamburg sein, da spricht man sich nicht einfach an." In der Tat, unsere Heimatstädte trennt gerade mal eine im gefälligen Trott eines westfälischen Braunen gerittene Halbtagesdistanz. Hamburg erlebt diese kurze Zeitspanne, in der die Blüten und Menschen sich öffnen, die Socken aber noch brav an den Füßen sind.

Daheim muß ich den Keller aufräumen. Wasser ist eingedrungen, die Ursache bleibt mysteriös. Aber es ist doch immer so. Entweder hat man den Schaden im Dach oder ein Mysterium im Keller. Im Licht der Taschenlampe warte ich darauf, daß aus der dunklen Pfütze auf dem Boden ein nasses japanisches Mädchen, das Gesicht von langen schwarzen Haaren verdeckt, emporsteigt. Auch ihr könnte ich sagen, "Du bist doch bestimmt nicht von hier".

Und hätte bestimmt recht. Man schleppt sich im Leben allerhand ein.


 


Sonntag, 1. März 2009


Sehen gehen




Expeditionskompaß und wasserfestes Logbuch gepackt, Traubenzucker, die Wasserflasche aus Metall - es gilt, Altschätze zu heben. Krims und Krams und Krempel, der Alltag soll bekanntlich schöner werden. Zwischen Büchern, abgewetzten Lederkoffern, Kriegskartenmaterial und 30er-Jahre-Pelz steht dieser Stubenhockerstuhl. Ein Blogger fände hier einen schönen Platz und verließe ihn nur selten, während er das Internet befüllt oder seine Zeitung liest.

In einem halb zerbrochenen Holzkasten liegt eine tintenbefleckte Ode an die Einsamkeit. Ein kaltes Fernrohr aus Messing gibt den Blick auf einen windigen Strand frei, ein alter Dynamo kommt ohne Fahrrad daher wie ein Herz ohne Körper. Aus einer rostigen Dose lugt ein 16-mm-Film hervor, ein Pärchen beim Tanz, die Dose ist ohne Beschriftung, wir werden das Wer und Wo nie erfahren. Vielleicht ein Film über die Fehler des Lebens, den man nur rückwärts laufen lassen muß.

Ich kaufe Dinge, die mir nie gehörten, ich klaube eine Biografie zusammen für ein Leben, das ich nie führte. Ich versuche, den Anfang von allem zu finden.

Im Ohr das peinliche Lieblingslied. 3 Millionen. So ist es wohl.


 


Mittwoch, 23. Juli 2008


Maison de rêve

Eigentlich dachte ich immer daran, meine Wohnung nach und nach so einzurichten wie im Video zu Closer. Nichts Aufdringliches, gedeckte Farben, mechanische Wunderträume und ein kleiner Hauch Gemütlichkeit. Bei Apartment Therapy, sonst immer eine hilfreiche Konsultationsquelle, hieß man mich einen hoffnungslosen Fall, andererseits will man im Leben ja nicht alles selber machen.

Nun hat Kelly ein Haus in Brüssel entdeckt, das mir wohl gefallen würde: Das Maison Autriqe ist in mehrerer Hinsicht ein Traum. Ausreichend Platz für eine kleine Addams-Familie, einen bullernden Ofen, in dem ein Kuchen backt, Krempel Schätze auf dem Dachboden, verborgene Winkel und viele gute Gedanken, die vielleicht nur ein wenig abgestaubt werden müßten. So wie ich.

>>> Maison Autriqe


 


Montag, 23. Juni 2008


Schlendern, Finden, ferne Signale





Zum Abschluß dann heute über den Naschmarkt Flohmarkt, gloriolenhaftes Wetter, kurze Strümpfe, blanke Knie: Hamburg zeigt sich von der gelassenen Seite und räumt die Schätze auf die Straße. Die Reisen durch die Vergangenheit, die Reisen durch die Erinnerung, Rauchzeichen aus einer anderen Zeit. Ich habe nichts vergessen. Die schlimmen Dinge nicht, aber wichtiger - auch nicht die schönen.

Später unterhalte ich mich anderem lieben Besuch über das Erinnern, das Verstehen, Mut und mangelnden Mut, über Traurigkeit und Zukunft.

Der Tag ist voller Zeichen, Gesten und verborgenen Zinken. Begegnungen und Abschieden. Es bleibt der Schmerz über das Verlorene. Und die zaghafte Aussicht - es heißt: immer nach vorn.


 


Freitag, 5. Oktober 2007


Guten Tag

Meine Name ist Kid37, und dies ist mein Blog.

Wir fangen an, wir gehen hin und zwischendurch sind wir dort, wo wir gerade sind. In fünfzig Jahren dann ist so ein Tagebuch ein Zeitraffer. Wie wir waren, wie wir wurden, was wir sind. Ein ruckelnder Film.

Die Fotos hat einer auf dem Flohmarkt entdeckt. Ein ganzes Leben in dreißig Bildern.


 


Samstag, 23. Juni 2007


Abgestempelt



Getreu dem geflügelten Luther-Wort, "wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch auf einen Flohmarkt gehen", trotzte ich mit Freuden dem Schauerwetter und verregneten Silberfischchen, um einen meiner Lieblingsmärkte zu besuchen. Denn nichts ist so eine Lust und beschleunigt den Puls über alle Maßen wie das Wühlen in fremden Sachen. Dermaßen zu Unsinn aufgelegt, sagte ich diesem freundlich hallo und nutzte die vollgepladderte Stimmung der Händler zur günstigen Gelegenheit. Dieses Kleinkonvulut von alten Bürostempeln beispielsweise, das mir für "einsfünfzig" angeboten wurde. Groß war der Spaß, als ich für meine fünf um Rabatt bat und klar wurde, die sollte alle zusammen soviel kosten. Wir einigten uns dann auf zwei, schließlich bin ich nur im vorwerfen, nicht aber im nachwerfen lassen geübt.

Noch fehlt mir das U, jedoch ein X habe ich schon. Was ich vertraulich zur Ablage führe, wird man dann sehen, aber leider schreibt man sich heute nur noch eMails, keine Briefe mehr. Sonst könnte ich, sollte ich jemanden mal so richtig aufaddieren und abstempeln wollen, ein sattes "Diese Abrechnung wird nicht unterschrieben" daruntersetzen. Fast so gut wie der überaus praktische "I haven't got time to read this crap"-Stempel aus England.





 


Dienstag, 13. Februar 2007


Die Welt hängt in Fetzen

Ach", klage ich gegenüber meiner Mutter. "Diese Ungewißheit! Muß ich umziehen, muß ich nicht umziehen - das einzige, was sich mit Gewißheit lange zieht, ist die Ungewißheit. Jetzt", so füge ich hinzu, "sitze ich wie auf halbgepackten Koffern und habe natürlich auch keine Lust, überhaupt noch was zu tun. Renovierungsarbeiten, kleinere Reparaturen an tropfenden Wasserhähnen oder quietschenden Türen? Warum, wozu? Nicht einmal mehr die Fenster mag ich putzen!"

Meine Mutter versteht meine Klage, bedeutet mir aber in knappen Worten, wenigstens nicht auf das Staubsaugen zu verzichten. Derweil muß alles raus - denn bald fehlt mir sicherlich der Platz für all die Schätze und Wunderkammer-Dinge. Es wird alles versteigert, auseinandergerissen, die Erde neu gesät.


 


Mittwoch, 8. November 2006


Lebensscheiben, transparent

For there are brighter sides to life
And I should know, because I've seen them
But not very often ...

(The Smiths, "Still Ill")

Wanderer in Skandinavien. Flohmarktfund

Neulich auf dem Flohmarkt bekam ich ein Kästchen mit alten Dias geschenkt. Reste aus einer Wohnungsauflösung, Dinge und Erinnerungen, die keiner mehr wollte. Die Fotografien stammen allem Anschein nach aus den späten 60ern, eher frühen 70ern. Vieles war uninteressant, Museumsbilder von antiken Skulpturen aus Griechenland. Ein Lehrer vielleicht, Kunst oder Geschichte. Griechenland war zu dieser Zeit, nach Italien, ein bevorzugtes Reiseland für junge Akademiker geworden. Jedenfalls leite ich das aus meinen Erinnerungen an endlose Dia- und Super-8-Filmschauen meiner damaligen Lehrer ab, die sie nach den Sommerferien in verdunkelten Klassenzimmern zeigten.

Das Eigenheim im Grünen, das auf manchen der Bildern auftaucht, Menschen auf der Terrasse, eine Hollywoodschaukel ist undeutlich zu sehen, deutet auf so einen Hintergrund hin. Der Vater Beamter, ebenfalls Lehrer vielleicht. Nachbarn zu Besuch, man diskutiert über den Weltenlauf. Ein kleiner Junge spielt im Gras. In einer Küche mit scheußlichen Siebziger-Jahre-Kacheln und Hängeschränken wäscht eine alte Dame Geschirr.

Gemeinsam, zu dritt oder viert, ging man auf Wanderungen durch Skandinavien. Kaitumjaure konnte ich auf der kritzeligen Beschriftung der glasgerahmten Dias entziffern. Das Wetter dort war nicht immer gut.

Die alte Dame ist nun sicher tot. Die Wanderer, denen die Dias gehörten, der junge Vater, die junge Mutter... nun, die Sachen stammten aus einer Wohnungsauflösung. Heute sind sie kein Paar. Einzig der kleine Junge, der allein auf dem Rasen vor dem Eigenheim spielte. Der müßte nun so alt sein wie ich. Etwas jünger sicherlich. Vielleicht wäscht er gerade irgendwo Geschirr.


 


Donnerstag, 21. September 2006


Mitbringsel

Auf dem weitläufigen "Markt der Diebe", wie der Flohmarkt hinter dem Kloster genannt wird, kaufte ich einer französischen Dame diesen alten Stempel ab. Sie hatte mehrere verschiedene in einem Kästchen, aber dieser war der schönste.



Nun kann ich immer "Sibol" stempeln, sollte mir mal danach sein.


 


Freitag, 21. April 2006


Revue passieren

Zu den schönsten Flohmarktfunden zähle ich alte Scrap-Books und Fotoalben. Hin und wieder kaufe ich ein paar Sachen, so wie der Held aus One Hour Photo, und denke mir die fehlenden Geschichten aus.

Vor fünfzehn Jahren ging ich spät nachts noch durchs regnerische Tal auf dem Weg zu meiner Freundin und wurde durch einen wahren Schatz vom Wege abgebracht. Es war Sperrmülltag, und jemand hatte säckeweise alte Fotos rausgestellt. Vieles war naß geworden und zerstört, vieles andere war einfach viel zu viel, aber eine kleine Tüte voll habe ich doch gerettet. Seit Jahren liegen sie in einer Blechdose verstaut: Eine Familiensaga vom 1. Weltkrieg bis in die 50er Jahre, als einer der Söhne in Amerika heiratete.

Die Familie, kleine Fabrikanten, so vermute ich, tritt noch heute ab und an aus den Schatten des Vergessens heraus. In Fotos, die beide Weltkriege zeigen, Interieurs, Ausflüge und die großen und kleinen Festlichkeiten. Leider sind die meisten Bilder undatiert (Kleiner Hinweis: immer schön Fotos hinten beschriften, falls ich die mal auf dem Flohmarkt finde. Vielen Dank.), was die historische Einordnung erschwert, die Fantasie aber um so mehr anregt. Sozial- und kunstgeschichtlich eine hübsche Aufgabe, mehr noch aber ein Steinbruch unendlicher Assoziationsketten.

Demnächst stelle ich das ein oder andere näher vor.