Samstag, 26. September 2015
Das Schöne am Reeperbahn-Festival ist ja, daß man da nicht darauf achten muß, ob man das coolste T-Shirt anhat oder die Schuhe spitz genug sind. Einfach alte Akkreditierungskarten und Backstage-Pässe herausgekramt, alles umgehängt wie winters einem Weihnachtsbaum, und schon erreichen einen auch als älteren Herren eine Menge großäugiges Geklimper und freundliches Geschau. Man ist eben parkettsicher hier in Hamburg, und wenn irgendwo eine Rock'n'Roll-Veranstaltung mit jungen Leuten ist, dann füge ich mich ein, passe ich mich an, ganz als gehörte ich dazu. (Auch bekannt als "Schulze-und-Schultze-Methode" und für exotische Reiseorte sehr empfehlenswert.)
Das nächste Mal nehme ich vielleicht einen abgewetzten Gitarrenkoffer mit, auch um meine Schätzchen von der Flatstock-Poster-Convention, die zeitgleich zum Festival stattfindet, nach Hause zu tragen. Dieses Jahr hatte ich Geld vergessen und wollte mir mit den mitgeführten 25 Euro gleich ein Limit setzen. Das reichte für einen hübschen Druck für Sleater Kinney. Erst ein Kollege mußte ich darauf aufmerksam machen, daß in einer schummrigen Ecke ein Plakat mit hohem Schwarzwertanteil hing. "Mulder, it's me" rief es mir entgegen, als ich erstmal die Brille geputzt hatte. Fast verpaßt, denn wahrlich lange ist es her, daß mir eine schöne Rothaarige hinterhergerufen hat! Alles nur, weil ich so mit VIP-Karten dekoriert war wie ein Weihnachtsbaum!
Derart auf der Reeperbahn willenlos gemacht kam es, daß ich erstmals in meiner Zeit in Hamburg diesen berühmten Geldautomaten an der "sündigen Meile" benutzen mußte, um nachzutanken. (Ich schätze, morgen ist das Online-Konto leergeräumt, an diesem Ort muß man ja mit allem rechnen.) Aber wenn man den Hals voll Backstagepässen gehängt hat wie ein Weihnachtsbaum, kann man schon mal coole Sachen machen. Um ein paar Maak bestückter, konnte ich dann die Nummer 6 von 8-und-unleserlich erwerben. (Wäre es eine "37" gewesen, ich hätte nicht überlebt.) Ich hoffe, ich kann recht bald in ein schönes Schloß umziehen, mir fehlen daheim wirklich die Wände.
Samstag, 29. August 2015
Heute morgen, ich trug Kopfhörer und hörte gerade auf meinem MP3-Player die schönsten Walgesänge der 80er, 90er und die Besten von heute, kam die Durchsage Weichenstörungfeuerwehreinsatz oder auch gar keine, wie das bei der Bahn so ist, mal so, mal so. Jedenfalls fuhr die S-Bahn mal so wieder nicht. Nun sagen mir ja Menschen, die morgens eigentlich gar nicht die öffentlichen Nahverkehrsmittel für den Weg zur Arbeit nutzen, sondern die zehn Minuten mit dem ToGo-Becher unterm Arm lässig zu Fuß gehen, mit der linken Hand den persönlichen Feinkostmann grüßend, mit der rechten frisch gepflückte und von sauber gekämmten, in ökologische Wolle vom korrekten Naturschaf hineingestrickte Kinder gereichte Blümchen sammelnd, ich sollemichmalnichtsohaben, das bißchen quergestellte Nahverkehrerlebnisse immer, schlecht beduftete Menschen, verstockte Züge, exkrementierte Sitzplätze. So schlimm könne das gar nicht sein und mit ein wenig Tole...
Tollerei! Denke ich, aber nur sehr still bei mir. Ich schluckte daher, solcherart ja quasi sanft ermahnt, drei, vier an mich selbst und ein paar imaginierte Zuhörer gerichtete Kommentare herunter, öffnete meinen Strukturnotfallkoffer und zog spontan wie ich bin einen alternativen Reiseplan in Betracht. Wenn in Hamburg, so das S-prichwort, mach es wie die Hamburger. Fahr mit dem Schiff zur Arbeitstelle! Kann man machen, weil ich auch dort nah am Wasser gebaut habe, im Grunde genommen könnte ich sogar gleich von meinem Heim aus in zehn Minuten, ohne daß ich noch einchecken müßte, über ein, zwei Kanäle und zwei, drei Schleusen, also in zehn Minuten quasi, mit dem eigenen Boot - und wäre schon beim Einsteigen irgendwie in London Calling - I live by the River!
So also lautet nämlich das Hafenstadtschicksal, das es matrosenhaft zu ertragen gilt. Mit dem Schiff zur Arbeit fahren! Man trifft auf dem Sonnendeck nun immerhin gut belüftete Menschen, hält ein Schwätzchen, erklärt die Szenerie, wenigstens gut ausgedacht mit ökologisch korrektem, selbstgesponnenem Garn. Manchmal stehe ich sogar vorne am Bug und tanze zur milden Gaudi der Touristen und noch nachsichtigeren Verwunderung der hüfts-teifen Hamburger zur extra laut gedrehten Musik. Warum? Na, weil ich es kann. "What's for you, will not pass you by."
Daher auch entdeckte ich mit gerade einmal nur knapp zehn Jahren Verspätung die fröhlichen Jungs von Working For A Nuclear Free City. Deren Album "Businessmen & Ghosts" läuft nun bei mir auf dem Traumschiff über die Bordanlage, darunter Gute-Morgen-Lieder wie das begnadet betitelte Get A Fucking Haircut oder auch das eher zwiespältig betitelte Eighty Eight. Wer noch Auto fährt, hat da auch gleich prima Untermalung für über die Autobahn bei Nacht, es ist sogar so, daß man, um diese Musik zu hören, tatsächlich extra nachts über die Autobahn fahren möchte, wäre das nicht aus allerlei, auch ökologischen, Gründen quasi von Innen, vom inneren Naturschaf her verboten.
So hatte ich also recht seemännisch der S-Bahn ein Weichenstörungfeuerwehreinsatz-Schnippchen geschlagen. Ich stand an der Reeling, nicht mehr tanzend, dachte an diese Schauspielerin, was ich immer noch tue. Manchmal. Ist aber alles schon lange her.
Sonntag, 26. Juli 2015
Das ist 2015 offenbar nicht so mein Jahr, da half auch gutes Zureden vom Chef persönlich nicht. "Och", dachte ich so. Meine Bezugsgesellschaftsgruppe weilt gerade im frostigen Ausland auf so einer Insel, im Ring war ich ja letztes Jahr schon, wenn auch unfreiwillig, und als Rentner am Seil fühl' ich mich gerade und irgendwie zwickt's und dann schon wieder fremde Menschen anfassen...
Papperlapapp: Ich habe geschwächelt und gebe es zu. Jetzt ist es raus. Hallo, ich bin Kid37 und ich habe dieses Jahr die Veranstaltung aller Veranstaltungen geschwänzt und war nicht bei Rock'n'Wrestling. Dafür, das soll jetzt tatsächlich eine Entschuldigung sein, habe ich meine Ankündigung wahrgemacht und das Video von 2014 fertiggestellt - schon allein, weil Baster mich provozieren wollte und behauptete, daraus würde ja eh nie was. Ha.
Dieses Jahr wurde Bento Sieger der Publikumsabstimmung, und das ist ja nun mal wirklich auch gerecht. Jede Wette, daß es ein toller Abend war - während ich daheim am Filmprojektor nur mit dem Rendern rang und mit Codecs rummachte. Ich hoffe, das ist nur eine Phase. Ausreden für 2016 habe ich dann keine mehr.
Sonntag, 12. Juli 2015
Wer wie ich nicht auf ominöse Anspielungen und rückgratschwache "andere Leute sagen doch auch"-Verbalmarshmallows steht, der gehe zu Lydia Lunch. "Stick the needle in the eye", ruft sie ins Mikro, und schon donnert ihre Band los wie eine Bisonstampede. Schamanistische Ejakulationsmusik, dargeboten von Mama und ihren drei Lustsklaven, mit sprotzenden Gitarren und rollenden Drums herausgeschnitzt aus Lärmgewittern. Der Gitarrist (Weasel Walter von den Flying Luttenbachers) strahlt respektverlangende Gefahr aus, auf so eine gesunde, durchtrainierte Weise, so als wolle er sich nachher noch in einer dunklen Gasse prügeln. Nicht aus Aggression oder niederen Vorbehalten, sondern weil er diese überschüssige Energie loswerden muß. Eine pervers gesunde Kraft, anders als bei Rowland S. Howard früher, bei dem man nicht sicher war, ob nicht irgendwo noch eine Nadel aus dem klapperdürren Gestell seines schmächtigen Klappmesserkörpers herausbaumelte.
Die Lunch derweil hat nach zehn Minuten bereits Tonmischer, ihre Band und das Publikum zusammengeschissen. 100 Jahre schlechte Laune im Gepäck, eine freispielende No-nonsense-Politik, herübergerettet aus verschimmelten New Yorker Clubkellern der 80er-Jahre. "This Gun is Loaded" hieß nicht umsonst eines ihrer Werke, warum auch Drumrumreden und Herumeiern. Der polternde Lärm öffnet bald ein großes schwarzes Loch, in das Lydia ihr Publikum auf einen Ritt durch eine vermüllte Hölle mitnimmt - "Burning Skull", "Slow Burning", "Run Through The Jungle" sind die Stücke aus mehreren Jahrzehnten finsteren No-Wave, die munter dazu angeschlagen werden. Am Schlagzeug sitzt Bob Bert, einst bei Sonic Youth angestellt und nun als lärmgestählter Felsen in die hochprozentige Geräuschbrandung betoniert.
Eigentlicher Höhepunkt des Abends aber war zuvor John Parish, den großen Mann des britischen Musikgewerbes, den Meisten als musikalischer Partner von P. J. Harvey bekannt. Der macht seit Jahren auch Filmmusik, L'Enfant d'en Haut ist darunter vielleicht der bekannteste Streifen, und stellte nun ein Best-of vor. Das großartige Album heißt passenderweise Screenplay und läßt sich hier anhören. Live mit toller Band angenehm differenziert und ohne Mätzchen zu allerlei Projektionen vorgetragen, Gelegenheit für die ein oder andere Entdeckung - mir jedenfalls waren die Filme von Patrice Toye ("Rosie", "Little Black Spiders") bislang unbekannt. Es macht Spaß, solch entspannten, gänzlich unprätentiösen Musikern zuzuhören, fern davon, technische Defizite durch Lautstärke kompensieren zu müssen.
Von der Vorband würde ich das nicht uneingeschränkt behaupten wollen, die nervte mich bereits nach fünf Minuten, gleichwohl ihrem Kopf der Verdienst gebührte, diesen Abend überhaupt veranstaltet zu haben. Mir war es entschieden zu selbstverliebt, zu egozentrisch, zu aufdringlich. Immerhin: Am Schlagzeug, ich sag noch den halben Set hindurch, den kenne ich doch, saß tatsächlich Budgie, dessen Arbeit ich nach dem Ende der Banshees und der Creatures völlig aus den Augen verloren habe. Nie sah ich ihn vor so einem minimalistischen Drumkit, mit dem er dankenswerterweise immer wieder spielfreudig in das ausufernde Ansagegefasel seines Frontmanns hineingrätschte. Schön, daß es ihm offenbar besser geht.
(Der Abend war zudem eine Gelegenheit, die Fuji für die Konzertfotografie zu testen. Mittlerweile ist mir aus verschiedenen Gründen die Nikon zu schwer geworden, und als Reisekamera hat sich die wesentlich leichtere X-Pro sehr bewährt. Bei schwierigen Lichtsituationen in dunklen Konzerthallen allerdings stößt das System, vor allem mit dem 55-200, an (Geschwindigkeits-)Grenzen. Spaß macht sie trotzdem.)
Irgendwann dann durch die Nacht laufen zu irgendeiner Bushaltestelle, nicht irgendwohin, sondern heim. Gesumme im Ohr, alle Nerven durchgespült und neu elektrisiert. Letzte Fotos machen, ein paar Lichter. Run Through The Jungle. Jedermann sein eigenes Rettungsboot.
>>> Lydia Lunch Still Burning (live in Dortmund)
Sonntag, 3. August 2014
So, die Bandagen können ab, es wird Zeit für den Nachbericht: "Rock and...? Rock and...?" Genau: Rooooock and Wrrrrrestling! So heißt das Hohelied in Hamburg einmal im Jahr, wenn alle Arbeit ruht, Krankheiten geheilt und Handy und Smartphones aus sind. Denn es liegt bereits Wochen vorher eine gefährliche elektrische Spannung über dem Hafenklang, traditionell Austragungsort für das Rock & Wrestling (wenn man von den Garagendächern und Hinterhöfen in den Anfangsjahren absieht). Und wenn es dann losgeht und sogleich Bier, Schweiß und Nebel wie Weihrauch in der Luft (und auf den Kameralinsen) liegt, weiß man gleich: Hallo, Guten Tag, ich bin zuhaus.
Diesmal hatten alle ihre Kreuze im Kalender richtig markiert, so daß nicht ausgerechnet ich als einziges aufrechtes Fähnlein im Orkanwind des organisierten Großradaus stehen mußte. Wir erinnern uns an letztes Jahr. Ich kann sicher auch in der eisernen Lunge, möchte das aber nicht ausprobieren müssen. Heuer aber alles gut, das ganze Team vollständig angetreten, bis auf den Herrn B. aus B., der natürlich aber immer wieder eine Chance eingeräumt bekommt. Überhaupt ganz viele Bekannte dort, krachende Hände, die auch außerhalb des Rings im Rücken landeten, oft beschriebene Momente der sozialen Zusammenrottung. Und gleich noch mehr Freunde gewonnen und Menschen beeinflußt. Die Musiker der Ricky Kings zum Beispiel, denen ich den Verstärker nach draußen trug damit es endlich mal weitergeht und damit eine lebenslange Freundschaft begründetete. Wer will, der kann auch!, heißt es ja immer so lieblich - und ein Simulant wie ich könnte zum Beispiel als Roadie arbeiten, sollten mich Not oder Langeweile treiben.
Genug vom eitlen Ich geschwätzt, die echten Kämpfer warten: Eingeheizt von Don Pedro, dem besten aller Ringrichter und -moderatoren, und Dolly Duschenka, der besten aller Nummerngrrrls, erlebten wir bald eine munter geführte, höchst sportliche Rangelei alter und neuer Heroen: das Krümmelmonster, eine vergessene, arme Seele aus dem gleichnamigen, nahegelegenen Kernkraftwerk, der böse Kommander Kernschmelze, Kampfroboter Bento V im ultimativen Fight gegen derdiedas gut durchgegenderte Pinkzilla, Loooony Lobster natürlich (der am Ende völlig zurecht Publikumssieger wurde), Dangerpilz, The One and Only (dem großartigen und großartig umtriebigen Baster natürlich, aus dessen Komet das Ganze wesentlich erwachsen ist), Miss Liberty, der abgefeimte Don Shrimp (ich muß hier einfach den neutralen Boden des objektiven Berichterstatters verlassen), der Eismann, der das Publikum mit großzügig verteiltem Speiseeis gewann und viele Tapfere mehr. Schön wieder die lokalpolitischen Bezüge, etwa wenn das Team St. Pauli aufs Mauli mit den Engeln dieses Stadtteils einen dort ebenfalls berühmt-berüchtigten Impressario ordentlich mit aus Gefahrengebietzeiten berühmt-berüchtigten Klobürsten verhaute. Da schreibt man doch keine Briefe an die Mopo, das trägt man fair im Ring aus!
Zeit, erneut ganz unbescheiden diesen peinlichen Stunt zu beichten, den ich schon mehrfach, aber nicht oft genug andeutete. Weil ich nämlich gar nicht mit mehreren Bierflaschen in der Hand von der Bühne ins Dunkel springen kann, ohne mich abstützen zu können. Die Idee, dazu die Ringseile zu nutzen, war selten blöd, mein Gesichtsausdruck sicherlich auch - aber es hat ja kaum jemand mitbekommen, und wenn ihr die Klappe haltet, erfährt das auch nie einer. "For a long time I've been without style or grace" (Talking Heads), aber nun sieht es, wenn man es positiv wendet, so aus als könne ich bald mitkämpfen, jetzt, wo ich Ringluft bereits recht bodennah geschnuppert habe. Stark.
Anschließend gut durch zur Aftershow-Party, anschließend dem aufgähnenden Morgen entgegen zum Auskühlen am Hafen entlanglaufen, irgendwo ein Taxi finden, dessen Fahrer mit mir nicht über Uber diskutieren will ("Ach, jo. Jo, jo.") und auch ein Trinkgeld ausschlägt. Das ist eben dieser Respekt, der einem zurecht entgegenschlägt, wenn man nur mit einem T-Shirt vom Rock'n'Wrestling-Merchandisingstand bekleidet durch die wildgepeitschte Hamburger Nacht reitet. Müßt ihr auch mal machen, das Leben zeigt gleich eine ganz andere Seite!
Vorher vielleicht noch mal die Hymne hören? Nik Neandertal singt sie euch.
>>> Nik Neandertal, Die Hymne
Samstag, 26. Juli 2014
Und auf die Fresse gelegt habe ich mich auch. Peinlich, aber zum Glück sahen nur 300 Leute zu und nicht drei Trillionen wie beim Weltmeisterschaftsfinale. Ich hielt gerade drei Flaschen Bier in den Händen und konnte mich deshalb nicht festhalten. Und nicht mal die Ringseile konnten mich halten, da ist eben diese Kraft in mir! Sonst aber alles gut ausgelotet: wilde Kerle, schöne Frauen, kämpfendes Meeresgetier und natürlich: die Hymne! Zum Auskühlen nach der Aftershow-Party ein Stück am Hafen entlang, ist Hamburg hier, das muß man so sagen.
Meine Klamotten liegen jetzt im Dekontaminationsraum und stinken nach Männerschweiß, Frauentränen, Bierduschen und allerlei undefinierbaren, widerlichen Getränken, die wie eine Mischung aus Gummibärchensaft und Wodkariechen. Das muß ich alles verbrennen. Konfetti an unmöglichen Orten, dafür Mangel an Magnesium. Jetzt viel Schlaf. Man muß diese Kämpfe ja erstmal alle aus dem Kopf kriegen. Ich habe Dinge gesehen! Und natürlich die Hymne gehört.
Mittwoch, 5. März 2014
Man bedeutet mir ab und zu von mir gegenüber nachsichtig eingestellter Seite, nicht immer so grummelig zu sein. Sondern offen, beherzt und aufgeschlossen, mit empfangenden Armen für das, was es so Neues gibt. Neues. Na ja. Was passiert, wenn junge Leute statt von Frühstücksflocken sich von den 80er-Jahre-Schallplatten ihrer älterer Brüder Väter ernähren, also was da rauskommt, kann man hier besichtigen:
As if Noise Pop never happended. Bobby-Gillespie-Standschlagzeug, Jesus-and-Mary-Chain-Gedächtnisfrisur, ein bißchen Wedding Presents und Shop Assistants und schon steht man im Wald mit lauter britischen Undergroundbäumen der 80er-Jahre. Ich meine, die sind jung und riechen sicher gut. (Anders als manche dieser alten 80er-Jahre-Bäume, vermute ich.) Aber was ist daran so... jaja, ich bin ja schon ruhig. Sehr nett alles. Sehr nett. Könnten meine kleinen Cousins sein. Ganz nette Leute. Gut erzogen auch. Sehr Aschermittwoch.
Donnerstag, 27. Februar 2014
Why are you like that?
Glow in the darkness,
That's how we do it.
(Warpaint, "Stars")
Die Vorband störte immerhin nicht großartig. All We Are aus Liverpool, was zu vorhersehbaren Bühnenkalauern ("We are All We Are") führte. Teilweise klangen die wie Anna Calvi im staubigen (Achtung,doppeldeutiges Wortspiel:) Weinkeller, also Gothic-Heulboje im Stimmwebengewand, teilweise völlig bizarr wie "Die Bee Gees bringen eine Neo-Gothic-Platte" raus. (Inklusive leichtem "funky" Daumengekloppe auf dem Bass.) Nette Leute aber, die sich freuten, als Band aus Liverpool in Hamburg zu spielen. Drohende Weltkarriere wie diese andere Kapelle usw. Hübsche Halbakustikgitarren auch.
Derweil liefen unbemerkt vom Publikum Emily Kokal und Stella Mozgawa an mir vorbei, ungefähr in dem Abstand von Nasenspitze zu Bildschirm, später noch Theresa Wayman, alle unprätentiös unauffällig in Hoodies oder usselige Jeansjacken gepackt. Aber mir entgeht ja nichts. Ich habe mich aber nicht zwecks Autogrammerschleichung in den Weg geworfen, das wäre in meinem Alter auch ein wenig zwielichtig. Gillian Anderson dürfte mir allerdings den Unterarm signieren. Den, den ich seit Jahren nicht gewaschen habe, weil dort mal Amanda Palmer ihren Schweiß abrieb. Dabei bin ich gar kein Fan von Amanda Palmer, aber es war immerhin ihr echt erarbeiteter Schweiß.
Zurück zu den Frauen von Warpaint. Die erwähnte Schlagzeugerin hatte Geburtstag, leider bogen die Jungs, äh Mädels es diplomatisch ab, daß ein Ständchen gesungen wurde, sozusagen ein "Song for Stella". Dabei wäre das sicher nett gewesen, spätestens aber beim Warten auf die Zugabe. Aber junge Leute: am Ende hat keiner mehr daran gedacht.
Im Publikum viele junge Mädchen, die immer wieder ihre mit Städtenamen ("Hamburg, New York, Konstanz") bedruckten Leinenbeutel auf die Schulter zupfen mußten. Dazwischen Altmänner, und man muß sagen: Schlimmer als angegraute Altpunkrocker sind nur angegraute, bärtige Altökos mit inneren Jesuslatschen. Das mußte die Band aber nicht stören, die plauderten freundlich und hielten sich unbeirrt an die Setliste.
Mit "Beetles", selbstgebauter Kalauer, hätten Warpaint selbst eine hübsche Hamburg-Anspielung inklusive drohender Weltkarriere im Songgepäck gehabt, gepielt haben sie stattdessen aber das tolle "Bees" und später noch "Undertow". Und viele Stücke vom neuen Album, die Single "Love Is To Die" natürlich, "Hi", "Biggy" oder "Keep It Healthy". Und ja, die eher ruhigen neuen Lieder wachsen mit dem Hören, live allerdings finde ich die dennoch nicht die erste Wahl.
Der Auftritt also fein gefaltet souverän, alles sehr auf Kante, aber auch frei von gelösten Schnürsenkeln oder anderen Überraschungen. Erst am Ende, als sie die Elefanten von der Bühne rollen ließen, gab es noch mittelausuferndes Gejamme. Allerdings wirken selbst diese "freien" Passagen mittlerweile enttäuschend routiniert und eingespielt. Ein wenig Rotz, ein wenig Geburtstagsekstase wäre kein Schaden gewesen. Irgendetwas besonderes, so am Abend vor Weiberfastnacht. Leute, schafft Erinnerungen!
Ich dann schnell in den Mantel, am Gitarrenladen vorbei, in dessen Schaufenster das "Jaguar"-Modell von Emily Kokal hängt. Ein bißchen S-Bahn-Dösen, seit langer Zeit verrauchte Kleider am Körper, träge Erinnerungen wie die eines freigelassenen Elefanten. Kriegsbemalung runter, dann Bett.
>>> Warpaint live at Noisemakers, wo Stella Mozgawa zeigt, was Arbeit heißt.
Samstag, 15. Februar 2014
To be so dark
(Warpaint, "Love Is To Die")
Der bemerkenswert selbstbewußte Mix von aus Post-Punk-Soundlandschaften destilliertem Flangerschwirren der frühen Cure, den schräg dazu gesetzten Popmelodien aus der Echokammer der Cocteau Twins, durcheinandergeschüttelt von diesen hübsch vertrackten Versatzstücken, Brüchen und Brücken von einer Phrase zur nächsten und in Schleifen wieder zurück - das war für mich eine der hübscheren musikalischen Überraschungen der letzten Jahre.
Ich hätte aber nicht gedacht, daß der Zauber der ersten anderthalb Alben noch ein weiteres Mal funktionieren könnte. Aber wo mich die One-Hit-Indiewunder der letzten langen Jahre - angefangen von diesen prätentiösen Interpol-Bubis über deren biedere Cousins, den Editors, - mich alle mal ungefähr fünf Minuten begeistern konnten, gar nicht zu reden von den ganzen Siouxsie-Kopfkissen-Beschlummerinnen, die vor drei, vier Jahren plötzlich aus der Neo-Gothic-Höhle im Retrowäldchen sturzgeboren wurden, ist das nun einfach Warpaint betitelte zweite richtige Album eine überraschend angenehme, entspannt klingende Fortsetzung.
Mir gefällt immernoch, daß die so hörbar Bock haben zu spielen. Das sind Musikarbeiterinnen ohne Gepose, die sich selbstvergessen in endlosen Jam-Session-Schleifen verlieren (am schönsten vielleicht auf diesem wie von einem Adrien-Sherwood-Gerätepark unterlegten "Hi"), die neuerdings mit dem Einsatz von Elektronik experimentieren wie im schwelgerischen "Biggy" oder lässig die treibenden Stücke vom Erstling zitieren. Ein gutes zweites Album, sehr bei sich, ein Schritt zur Seite, keine vom eigenen Erfolg verängstigte Fanwunscherfüllung.
Die Älteren unter uns könnten natürlich nörgeln. Man höre sich nur mal das Intro mit der Basslinie und dem Sound der Gitarre und der Melodie von Siouxsies Cascade an und schalte dann 20 Jahre weiter zur Warpaint-Single Love Is To Die. (Bin gerade zu faul zum Nachsehen, aber könnten tatsächlich beide von Flood produziert sein.) Verblüffend, aber will man da kleinlich werden, wenn das so schön gesponnene Spinnweben sind?
Möglicherweise schaffe ich es mal zum Konzert. Von den Live-Qualitäten hört man sehr unterschiedliches, von "stark" bis "langweilig" und "verkifft" ist alles dabei. Auf Youtube gibt es ein paar Mitschnitte aus den letzten Monaten, bei denen die neuen Stücke noch nicht sonderlich gut sitzen, wie ich finde. Die schließen dort aber keinen bei sich ein, man kann jederzeit gehen. Hoffe ich.
>>> Warpaint rocken Elephants bei Jools Holland. (Offene Münder im Publikum.)
Samstag, 23. November 2013
spüre ich das Wetter
(Kreisky, "Halleluja")
Selten, daß es schon zu Augenrollen kommt, noch ehe ich einen Beitrag geschrieben habe, aber tatsächlich ist es so: der Champion, der hot woas gschofft, aber natürlich nicht nur Fans. Austrofred jedenfalls, der in seinem Heimatland als einzig legitimer Nachfolger Freddie Mercurys gilt, hat zwei wegweisende Bücher geschrieben, die jedem aspirierenden (und, um in der Stimmlage zu bleiben, wie es bei uns Künstlern heißt, auch transpirierenden) Blogger mit Unterhaltungs- und Aufstiegsambitionen auf den Nachttisch empfohlen seien.
Vor allem Alpenkönig und Menschenfreund schildert auf großzügige und beinahe übermenschlich philantrophische, gleichzeitig aber bescheidene Art, wie man das eigentlich macht: ganz nach oben kommen, ehrliche Konzerte geben und angemessen mit der Wärme und Aufmerksamkeit der Fans (was dann zwangsläufig kommt) umgehen. Tips also zur Vorbereitung, zum Outfit, zur Show und zur Aftershow, für den steinigen Weg bis zum "Gipfel" - aber auch ganz aufrichtige und selbst im Innern berührende Bekenntnisse wie in dem Kapitel "Ich war als Kind viel traurig..."
Der Champion, wie er zurecht genannt wird, hat sein Publikum gezähmt, ist Profi durch und durch, zugleich aber hochsensibel geblieben: Weu du stoiz bist, wenn du wanst, und di trotzdem zuwelanst, drum wü i di... heißt es in einem seiner Liebeslieder. Da bleibt kein Auge trocken. Ich rechne noch in Schilling sagt es, wie es, äh, ist.
Jetzt aber Schmäh beiseite, was mich wirklich am durchgeschwitzten Hemdkragen gepackt hat, war die Entdeckung der anderen Seite meines verlorenen Zwillings vom Austrofred. Mir hat natürlich wieder keiner was gesagt, dabei gibt es die Band schon seit Jahren. Kreisky nämlich. Und für jemanden, der die diversen, teils sogar in Berlin lebenden Ableger der Hamburger Schule nur noch so lala findet, ist das die große Offenbarung einer angenehm mißmutigen Mission. Alben wie das hier titelgebende Mein Schuld, meine Schuld, meine große Schuld nehmen an der Stelle, an der in den 90ern Bands wie Blumfeld die Abzweigung zur Autobahn Großschlager genommen haben, die rumpelnde Landstraße mit Pathos, Dreck und Wiesenblumen am Straßenrand. Neigungsgruppe Musik mit jeder Menge schlechter Laune. ("Schlechte Laune vom Feinsten", wie man heute wieder öfter liest.) Texte, bei denen jede Zeile ein Zitat ist. Wo man denkt, hallo, wie kann das angehen, daß da jemand meine Band gründet? Nur weil ich jahrelang hier herumgegondelt bin statt auf verschmuddelten Bühnen? Macht aber nichts, denn es gibt diese Gruppierung nun immerhin, und mein Asthma ist jetzt praktisch weg.
"Brüssel" ("Du hast jetzt neue Sichtweisen") könnte man für mich auch durch den Namen anderer Städte ersetzen, Berlin käme da in den Sinn, kommt alles aufs selbe raus. "Reggae-Platten und Zimmerpflanzen/Schade um das Geld" heißt es dort über das desillusionierte Ende übertriebener Romantik. Man muß das eben alles ganz nüchtern sehen. Wir reden hier über Restwürde. Im Januar erscheint das vierte Album Blick auf die Alpen. Hört sich an wie ein Jahresmotto.
Wo wir dabei sind: Franz Adrian Wenzl, um den handelt es sich, hat mit Fotografin Conny Habbl das ganz wunderbare Buch Herzbrech Hotel herausgebracht. Eine fotografisches Roadmovie durch Hotels und Pensionen mit Namen wie "Angst" oder "Zorn" oder "Zweifel". Für die, die noch ein Geschenk suchen. (Ich hab's aber schon.)
>>> Kreisky, Die Menschen sind schlecht (live)