Donnerstag, 10. Juni 2004


Ficken gegen das System

Ich will so kalt sein, dass alle erfrieren
Will mich nie mehr verlieben, um nie mehr zu verlieren
Es dauert noch, bis ich begreife, was das heißt:
Es ist vorbei, ich weiß nicht, warum
(Die Ärzte, "Nichts in der Welt")


Man kann seine Pubertät nicht immer nur unter der Bettdecke suchen.
Dachte ich mir, und hielt es für an der Zeit, nach längerer Zeit mal wieder ein Konzert der nach feststehender Rede "besten Band der Welt" zu besuchen.
Eine schwer nette Punkette hatte zwei Karten aufgetrieben, ich weißnichtwoherundwillsauchnichtwissen, und gut war.


Wie immer waren die Herren Doktores schwer in Ordnung, das Publikum, nun ja. Im Vorfeld hat mich schon der hohe Anteil an, nun sagen wir mal, Prollrockern gewundert, die sich mit Popcorn, Nachos und falschem Bier (Holsten! Kein Astra!) eindeckten - zu Beträgen, für die ihre Eltern in, sagen wir mal, Pinneberg, etliche Sonderschichten haben einlegen müssen. Bands wie die Ärzte haben im reservierten hanseatischen Klima einen schweren Stand, "Westerland" hin oder her. Das fiel sogar den Hauptaktiven auf der Bühne auf. "Die Ärzte rocken - Hamburg schweigt", wurde bald zum geflügelten Wort.
"Hallo Hamburg, seid ihr noch da?"

Ansonsten wurden übliche Rituale abgefeiert, Dreitagebärte aus den Schubladen geholt, Schäferhunde durch falsche Stücke gehechelt, bekannte Politiker mit "Wassersport" in Verbindung gebracht... alles ganz gut dosiert.



Nochmal zum Publikum. Die Ärzte gehören ja zu den Bands, die selbst Plätze wie die Wuppertaler Unihalle zum rocken bringen, aber toter Fisch kann nicht rocken, har har. Elegante Überleitung, denn: Meine Begleitung brachte noch einen anderen delikaten Punkt zur Sprache. Auf dem Damenklo lag wohl tatsächlich eine EINFÜHRHILFE rum. Es gibt diese Dinger also tatsächlich in freier Wildbahn! Wahnsinn. Mir fiel ein, daß ein entfernter Bekannter als Student mal bei Johnson&Johnson or whatever gejobbt hat. Zu seinen Aufgaben gehörte das ENTGRATEN DER EINFÜHRHILFEN. Nun kann ich ja nicht wirklich viel dazu sagen, zugegeben, aber Frauen, die ich so kenne, liegen regelmäßig am Boden bei Erwähnung dieses, sagen wir mal, Distanzierungsapparats.
Und nun liegt so ein Teil, sauber entgratet hoffentlich, im Klo bei einem Ärzte-Konzert. Sweet, sweet Gwendoline!


Nun gut. Das nur nebenbei. Es ging ja auch um Pubertät. "Ficken gegen das System", halbe Liebeslieder, ("Soll es das gewesen sein?"), alles zu spät. Grenzgänge am Rande der Geschmacklosigkeit. Wehmütige Erinnerungen auch. Wie lange ist "Richy Guitar" eigentlich schon her?

Sehr lange. Zu lange, vielleicht.
"Ich hoffe, meine Worte machen es nicht noch schlimmer."

Liebe ist nur ein Traum, eine Idee und nicht mehr.
Tief im Inneren bleibt jeder einsam und leer.
Es heißt, dass jedes Ende auch ein Anfang wär'.
Doch warum tut es so weh und warum ist es so schwer?
(Die Ärzte, "Nichts in der Welt")

Radau | von kid37 um 03:39h | 18 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 8. Juni 2004


Mysery Is A Butterfly

Warum müssen Musikgruppen mit beknackten Bandnamen so schöne Musik machen? "Elephant Woman" wirft mich um. Der Titel allein ist ein Roman.

Gewohnt großartig-gefälliges Design (DigiPack) und schönes Booklet von 4AD. Vielleicht lernen das die anderen Firmen auch irgendwann einmal.

Radau | von kid37 um 21:20h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 7. Juni 2004


I am the Body Electric

"I sing myself..." (Walt Whitman)

Mein ganzer Körper ist Musik, das war mir immer bewußt. Möglicherweise sind diese STIMMEN IN MEINEM KOPF auch nur die Gesänge meiner Zellen.

Interessante Entdeckung und doch nicht wirklich überraschend. Dichter wußten das schon lange.

Was früher die Delphine und Buckelwale waren - Sänger nämlich im ganzheitlich-orientierten CD-Haushalt - wird bald der Sound der Zellen sein. Bin gespannt, wann 2001 die erste Scheibe in den Merkzettel packt. Hört sich sehr obskur an. Industrial kann man es ja nicht nennen.

Body-Ambient.

Radau | von kid37 um 17:36h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 18. Mai 2004


Touching from a distance


Heute vor 24 Jahren hat sich Ian Curtis, Sänger und Texter der nordenglischen Band Joy Division, an der Garderobe seines Hauses in Macclesfield, Manchester, erhängt.

Er wurde 23 Jahre alt.

I'll observe with a pitiful eye
And humbly ask for forgiveness
A request well beyond you and I
Heart and sould, one will burn.

(Ian Curtis * 15. Juli 1956 † 18. Mai 1980 )

Radau | von kid37 um 22:35h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 26. April 2004


Mark of Cain

Is there something you need from me
Are you having your fun
I never agreed to be
Your holy one

Whatever I've done
I've been staring down the barrel of a gun


(DM, "Barrel Of A Gun")

Radau | von kid37 um 01:40h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 14. April 2004


Peinliche Lieblingslieder

Psssst! Kommen Sie mal näher, ich mag es nicht so laut drehen.

Es geht um You're the storm.

The Cardigans sind ja auf dem schlechtestem Weg, die Abbas der Jetztzeit zu werden. Man schaue sich nur die gruseligen Klamotten an. Bärtige Musiker, schauder. Fludderflinsefransen an der Oberbekleidung.

Wer ganz böse sein mag, dem fällt noch "Vaya Con Dios" ein. Deren Zielgruppe haben die wahrscheinlich in einer freundlichen Übernahme erworben. Live aber rocken die Cardigans wie Sau. Wie eine wildgewordene Süßspeise sozusagen. Lekkerol.

Ich glaube, ich hatte heute morgen zu viel "Rise and Shine" im Tee.

Jetzt aber The Storm.

"The peace has been deceiving..."

Radau | von kid37 um 15:14h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 2. April 2004


Das große Mißverständnis

"Ich habe an 'No Future' geglaubt. 'I don't care' war auch wichtig. Nur weil ich
'I don't care' gesagt habe, bin ich ja immer noch da, wo ich heute bin. Nur deshalb ist ja nichts aus mir geworden. Weil mir das alles egal ist. Sonst hätte ich ja Karriere machen können. Sowohl bei Rank Xerox als auch mit den Fehlfarben. [...] Es gibt Sachen, die sind egal. Ich finde mich auch nicht verbittert. Ich finde halt einfach nur alles scheiße. Moderne Musik kann ich nicht ab, Musikfernsehen kann ich nicht ab. Und was meine Bedeutung für andere Leute betrifft - ich bin öfters irgendwo, wo in der ganzen Gegend gerade mal 5000 Leute wohnen, und da sitze ich in der Kneipe, und jemand kommt daher: 'Hey, bist Du nicht...?' 'Ja.' 'Du hast mein Leben verändert!'
Da kannst du nichts mehr sagen. Das war ja alles gar nicht so gemeint."

(Peter Hein in: Verschwende deine Jugend, 2001.)

Schneid dir die Haare, bevor du verpennst. Komisch, Peter Hein hat auch mal mein Leben verändert. Danke, übrigens. Und immer, immer wieder bin ich erstaunt, wie leicht es damals noch war zu provozieren. Ein Statement zu machen.
Kurze Haare! Schwarze Hosen!! Hundehalsband!!!

Eine merkwürdige Zeit. Schade, daß Beton nicht brennt. Zum ersten Mal wurde die neonlichterne Beleuchtung einer Bahnhofsunterführung zur artikulierten Lebenswirklichkeit. Der Feind war da draußen. "Angst junger Mann?" Ja, ständig. Vor dem Grauschleier, dem Doppel-Beschluss, der Einsamkeit am Morgen danach. Osten, Westen, scheißegal. Der Morgen kommt nie.
Seltsam, daß ich gerade in den letzten Wochen an die Zeit von 1981 erinnert wurde. Und folgende.

Deine erste "Cure" vergißt Du nie. Dein erstes Banshees-Konzert auch nicht. Alle gegen alle. Meine Freundin hatte einen weißen Renault 5. Ein C-Kadett wäre natürlich cooler gewesen. Aber man kam raus aus der Stadt. Ich war damals sehr verspannt. Überhaupt lag viel Gewalt in der Luft. Leute zerfetzten sich die Kleider und wälzten sich in gebrochenem Glas. Aber es gab einen kurzen Moment großer Solidarität. Als kleinste Zeichen ein Erkennungsmerkmal waren. He, das ist einer von uns. Punks, Skins, Mods, scheißegal. Die Rivalität kam erst später. Als der gemeinsame Hippiefeind "ey, du"-egal geworden war.

Die zweite Fehlfarben, die neue DAF, Erinnerungen an Mittagspause. Keinen Plan. Wuppertal als vergessene Außenstelle Düsseldorfs. Das "Kommunikationszentrum Die Börse" als schwerstobservierter Szenetreff. Brodeln, warten, Atmo atmen.

Seinen ersten Rank Xerox vergißt man auch nicht. Der Copy-Shop als kulturelle Schaltzentrale. Fanzine-machen. Kassetten. Subversiver Austausch von homemade-Kulturgütern via Second-hand-Läden und düsteren Klamottenschuppen. Vor Konzerten rumlungern und Tauschen, Abgreifen. In merkwüdigen Wohngemeinschaften noch merkwürdigere Menschen treffen, die zwischen Rattenkäfigen harmlose Subkulturbücher verlegen.
Egal. Do it yourself.

Manchmal habe ich daran geglaubt. Ganz naiv. Peter Hein, du hast mein Leben verändert. Trotzdem danke.

Radau | von kid37 um 00:51h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 27. März 2004


Elegie

I just don't know what to do tonight,
My head is aching as I drink and breathe
Memory falls like cream in my bones, moving on my own.

There must be something I can dream tonight,
The air is filled with the moves of you,
All the fire is frozen yet still I have the will.

Trumpets, violins, I hear them in the distance
And my skin emits a ray, but I think it's sad, it's much too bad
That our friends can't be with us today.

(Patti Smith, "Elegie")

Radau | von kid37 um 01:57h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 17. März 2004


Schlaflosigkeit

... ist keine Schande.

"Wait they don't love you like i love you
Made off
don't stray
well my kind's your kind i'll stay the same
Pack up
don't stray
oh say say say..."

(Yeah Yeah Yeahs, "Maps")

[Edit] Und wenn man solche Musik Frauen vorspielt, dann sagen die, "was ist denn das für ein Gelusche. Hast Du nicht was härteres?" Hallo? Bei solcherart Sprüchen sind wir Männer aber auch empfindlich. Ich sag ja auch nicht, hm, hm also Deine "Monster Magnet"-Alben oder dieser Herr Manson oder meinetwegen frühe Neubauten, hast Du nicht mal was strafferes?

[Edit-Edit] Meine Gewährsfrau aus Wien hat hier doch was Tolles entdeckt. Scheint als ginge Miss O doch. Yeah, yeah, yeah! Poison-Ivy rocks.

Radau | von kid37 um 02:35h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 10. März 2004


Club der schönen Mütter

Sie leben harte Leben,
sie können viel verstehn.
Sie haben viel zu geben,
haben viel gesehn.
Sie müssen nicht mehr streben,
sie sind auch noch nicht bequem.
Doch ists wie ein Erdbeben,
wenn sie mit dir gehn.

(Fehlfarben, "Club der schönen Mütter")

"Juni 1980
Thomas Schwebel hört in seinem neuen Auto, daß er sich für die gesammelten Auftrittsgagen des Frühjahrs für 150 Mark gekauft hat, die Buzzcocks: I Hate Fast Cars. Riesenunfall in Wuppertal ist die Folge. Am Abend erste Aufnahme in den EMI-Studios: Paul ist tot."


Früher [tm] koordinierten sich DAF, Mittagspause, Fehlfarben, Der Plan eine zeitlang im Dunstkreis der Wuppertaler "Börse". Da saß ich auch oft und war jung und beeindruckbar. Da gab es diese Künstlerkneipen, Abhängbars und komischen Schuppen. Man kannte sich. Und es gab immer tolle Barfrauen. Zwei, drei kannte ich auch. Das ist, was mir in Hamburg fehlt.

I cannot relate anymore.

"Ab September 1983
Die Band baut sich ihr eigenes Studio in Wuppertal. "


"Wechsle die Liebe oder die Stadt
Oder mach einfach dein Konto platt.
Du musst nur wollen, dann geht's schon glatt
Das Leben bietet doch Chancen satt."

(ebd., "Sieh nie nach vorn")

Radau | von kid37 um 00:09h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link