Montag, 13. Dezember 2004
Noch lacht ihr und wißt nichts vom schlimmen Schicksal:
Forced to make love to beautiful women!
Weitere tolle moralisch bedenkliche Cover, von deren Botschaft ich mich hiermit ausdrücklich und rückhaltlos distanziere. (Das Leben ist aber so, man muß den Tatsachen ins Gesicht sehen. Nützt ja nix.)

Montag, 6. Dezember 2004
Die schöne Geliebte vergiftete ihn mit der Unlogik ihrer Liebe, mit der intermittierenden Veränderlichkeit ihrer Zärtlichkeit, mit der kalten Bosheit ihrer unter Starkstromspannung stehenden Nerven. Heute stieß sie ihn mitleidlos zurück, nachdem sie ihn mit den herzlichen Worten der einfachen Geliebten zu sich gerufen hatte; morgen peinigte sie ihn mit der ins einzelne gehenden Schilderung eines an ihm begangenen Verrats, und wenn sie sah, wie die Anzeichen einer ausbrechenden Raserei seinen Blick trübten, heilte sie ihn mit perfider Weicheit: "Kind! Ich habe dich nicht betrogen. Warum bist du nicht gekommen? Ich habe dich erwartet."
(Pitigrilli. Die Jungfrau von 18 Karat. 1927.)

Sonntag, 28. November 2004
Gammelwochenende. Schön ausspannen auf der Chaiselongue und ein bißchen in Zeitschriften blättern. Auf dem Stapel auch die Cara Mia!, wie ich sie hier einmal nennen möchte. So ein Frauenzeitschriftenteil. Ich denke, blätter ich das mal durch, ganz zwanglos, so vom Sofa aus.
Der berühmte Autor, der neulich nicht wußte, was "Türfüllung" sein soll, benutzt das Wort "Tampon-Ausziehfädchen". Rückholfaden!, schnaufe ich kurz. Wer will denn einen Tampon ausziehen? Ich blättere hin und her, schon leicht genervt. Eine Autorin berichtet vom Glück älter zu werden. Das interessiert mich. "Älter zu werden hat Vorteile", schreibt sie. Das finde ich auch. Sie vergleicht sich mit einer jungen Punkette, der sie im Zug begegnet sein will. "Ob Arschgeweihe auch faltig werden können?" fragt sie. (Nun, in der Regel bleibt der Rücken besser in Schuß als die meisten anderen Körperteile.) Die Punkette "trug schwer an der Last ihrer Piercings". Ja, natürlich. So schwer. Große Metapher. Ganz großer Lacher. Welch ein Glück, fabuliert die Autorin weiter, nicht mehr in WGs mit einer Ratte zusammenwohnen zu müssen. Ja, so ist das, wenn man jung ist. Immer diese Kleinsäuger um einen rum. Schlimme Sache. Schön, wenn man älter und Autorin bei Cara Mia! ist, da kann man die Wohnung mit seinen Windspielen teilen.
In Kassel steigt das junge Mädchen aus, geht zum Punkkongress, "unterwegs zur Revolte". Die Autorin zitiert kommentarlos den Flyer, findet das alles wohl unglaublich komisch. "Punk!Kongress!". Haha. Ja, und? Über Cara Mia! organisiert in 25 Jahren sicher keiner einen Kongreß, soviel ist schon mal klar. Und auch das darf vermutet werden: Die einzige Revolte, an der sich die Autorin beteiligte, war, als sie ihren Eltern 200 Mark für neue Turnschuhe aus dem Kreuz geleiert hat.
Vorteile des Älterwerdens? Viele. Man muß sich z.B. - hoffentlich souveräner geworden - nicht mehr auf Kosten anderer lustig machen. Sonst klingt es so verbittert und neidisch, dieses "Glück vom Älterwerden".
Dann kommt ein Jahresrückblick - und ich taste nach der Brechschale unter dem Sofa. Es geht um TV-Trash: "Ex-Freundin von Boris oder Bohlen, Ex-Pornostar, Ex-Viva-Moderatorin - anderes als der Bodensatz der Gesellschaft scheint kaum mehr der öffentlichen Aufmerksamkeit wert".
"Bodensatz der Gesellschaft", soso. Also damit sind nicht etwa Leser gemeint, die auf das subtil zelebrierte Spießertum der Cara Mia! stehen. Aber es geht weiter: "Wenn sich Frauen als Märtyrerinnen inszenieren lassen, wie Sibel Kekilli, die preisgekrönte Debütantin aus "Gegen die Wand", deren Pornovergangenheit aufflog [...], dann hält sich die Anteilnahme in Grenzen." Steht da so. Und neben Sibel Kekilli, der mehrfach preisgekrönten Schauspielerin aus "Gegen die Wand", wurde ein Szenenfoto gedruckt aus - na was? Etwa aus "Gegen die Wand"? Nö. Cara Mia!, die Fortsetzung der soeben von Sibel Kekilli erneut zurecht angeprangerten Boulevardhetze mit anderen Mitteln, druckt lieber ein Foto aus der "Pornovergangenheit" der "inszenierten Märtyrerin". Auf daß wir nichts vergessen.
Scheinheiligkeit, Spießertum - kultivierte Nörgelei und anorektische Neidkultur. Etwas Positives? Ach ja, Elfriede Jelinek, die hatten wir ja auch noch. Ganze drei (!) Worte zu ihr: "Immerhin eine Nobelpreisträgerin." Immerhin kein Bodensatz, möchte man denken.
Ein Kurzbeitrag über Blogs reißt dann alles raus. Großer Hinweis auf ein Blog, das wirklich beispielhaft ist. Es wird bestimmt einmal in der Woche aktualisiert. "Mr. Ausziehfädchen" wird auch erwähnt. Große Sache also.
Ich kaufe morgen gleich zehn Hefte davon. Unbedingt.

Sonntag, 7. November 2004
Die Menschen können nicht stillsitzen und über ihr Schicksal in dieser Welt nachdenken, ohne verrückt zu werden. Deshalb erfinden sie Methoden, um sich von dieser Horrorvision abzulenken. Sie arbeiten. Sie genießen ihre Freizeit. Sie häufen jenes aberwitzige Nichts an, das sie "Eigentum" nennen. Sie streben nach jenem schüchternen Augenaufschlag, den sie "Ruhm" nennen. Sie gründen Familien und dehnen ihren Fluch auf andere Menschen aus. Und die ganze Zeit über ist es ihr dringendstes Bedürfnis, sich selbst zu verlieren, sich zu vergessen, der Tragikomödie, die sie selbst sind, zu entrinnen.
(H. L. Mencken, 1926.)

Donnerstag, 28. Oktober 2004
Im Alter von nur 40 Jahren starb im August 1965 der Undergroundpoet
Jack Spicer. Der Mann, der die Poesie liebte wie das Radio ("The radio that told me about the death of Billy the Kid..."), ging an den Worten zugrunde.
"My vocabulary did this to me", waren seine letzten - Worte.
In Wahrheit erlag er seiner Trunksucht, aber das mag dasselbe gewesen sein.
Man muß mit Worten vorsichtig sein.
Niemals aber darf man zagen und Worte gänzlich verweigern.
Seid heute mal nett zu einander.

Sonntag, 10. Oktober 2004
Kleiner Nachruf zum Tode von Jaques Derrida.

Mittwoch, 29. September 2004
"Die Vereinsamung, in der ich lebe, ist ja doch sehr groß und über die helfen auch alle Briefe literarischer Anhänger, Männer und Frauen, nicht hinweg. Innen in einem ist es grau und fragwürdig und unaussprechbar, und hinter der Maske der Ironie und Höflichkeit nach außen zerreißen sich immer von neuem die letzten Bestände von Leben und Glück."
(Gottfried Benn, Briefe. 1954.)

Dienstag, 28. September 2004
Geh nach Westen, junger Mann! sagte man früher. Heute müssen wir sagen: Erschieß dich, junger Mann, für dich gibt es keine Hoffnung! Ich kenne einige, die sich damit abgefunden und es zu einer Spitzenposition gebracht haben - also Hollywood -, was nicht viel anders ist, als spreche man von der Spitze eines Zirkuszeltes. [...] Inzwischen hat mir ein anderer junger Schriftsteller in einem Brief mitgeteilt, sein Verleger habe ihm einen Job als Mann für alles gegeben, er arbeite vierzehn Stunden am Tag an der Schreibmaschine, in der Buchhaltung, bringe Pakete zur Post, schleppe Ascheimer, spiele den Chauffeur, etc., etc. Sein Verleger, reich wie ein Krösus, preist den jungen Schriftsteller als Genie. Er meint, es sei gut für den jungen Mann, einmal ehrlich zu arbeiten.
(Henry Miller. Der klimatisierte Alptraum. 1945.)

Mittwoch, 15. September 2004
Ich stopfte mir eine Pfeife, ließ die Schachfiguren aufmarschieren, inspizierte sie auf französische Rasur und lose Knöpfe und spielte ein Meisterschaftsturnier durch zwischen Gortschakow und Meninkin, zweiundsiebzig Züge bis zum Remis, ein Musterbeispiel für den Kampf der unwiderstehlichen Streitmacht gegen das unbewegliche Ziel, eine Schlacht ohne Waffen, ein Krieg ohne Blut, und die komplizierteste Vergeudung menschlicher Intelligenz, die sich außerhalb einer Werbeagentur nur finden läßt.
Raymond Chandler. Der lange Abschied. 1954.

Mittwoch, 25. August 2004
"Entweder diese Einsamkeit ohne Überfluß oder das Gewitter der Liebe, nichts anderes interessiert mich auf dieser Welt."
(Albert Camus)
