Dienstag, 24. Oktober 2006


Schatz, Wunderland ist abgebrannt

See the cracked reflection
Standing still
Before the bedroom mirror

(The Cure, "Three Imaginary Boys")

In the Nursery  - © Suzy PolingWie rote Stecknadeln auf der Landkarte, wie ein lästiges Ekzem vielleicht, breitet es sich aus. Der Zufall winkt mit mancher Leimrute. Klebrige Nähe, ein feuchter Mauerschwamm, der an allem seine Spuren läßt. Was man auch berührt, eine zähe Spur, ein Spinnennetz hat sich längst schon über alles gelegt. Das alte Spiel vom Hasen und vom Igel. Dabei ist Barcelona doch auch eine schöne Stadt. Oder Dresden, Krakau, Ingolstadt. Dabei ist das Haus doch leer, nur die helleren Flecken im ranzigen Dreck zeigen, wo einst noch Bilder hangen. Manchmal will man das Entschwundene greifen, Nachfassen in Staub und Asche und brüchiger Farbe. Ein altes Foto, ein Gekritzel auf der Wand. Doch Wunderland ist abgebrannt. Hier ist Stille, vielleicht ein Wassertropfen noch, der aus rostigem Eisenrohr zu Boden fällt. Vielleicht ein Stöhnen aus dem Keller noch, vergessene Körper und noch fremdere Freundlichkeiten. Geister nur, imaginierte Freunde, ein Schatten im Spiegel, ein Name, dessen Buchstaben irgendwann nicht mehr zueinander passen wollen. Das Geräusch, wenn es dann unter deinem Fuß zerbricht. Wenn man seinen eigenen Namen auf dem Kinderbett liest.

Wunderschöne Fotos von Suzy Poling, einer Fotografin aus Chicago, die heute in Oakland lebt. Die Fotos aus der Serie Wonderland in Decay zeigen verschiedene, mittlerweile aufgegebene Psychiatrische Anstalten in den USA. Auf ihrer Seite gibt es weitere beeindruckende Serien über verfallene Vergnügungsparks, Büros und Motelzimmer.


 


Donnerstag, 19. Oktober 2006


Fototod

Als die Brille nur eine freundliche Option war

Miss Wurzeltod beklagt das Sterben der analogen Fotoautomaten.
Seit Agfa dicht gemacht hat, fehlt es anscheinend an Papier, auch wenn es von den meisten Produkten noch ausreichende Bestände gibt.

Schlußvorbei mit schnellem Spaß zu viert. Nicht mal schnell nach dem Nachtlokal mit derangierter Oberbekleidung eine angeheiterte Serie zur Erinnerung an einen unvergessenen Abend gemacht. Jetzt mal so als Beispiel. Kein Kurzfilmstreifen mehr mit improvisierten Stehgreifhandlungen - um es mal galanter zu formulieren. Kein serielles Erleben - nur noch digitales Quartett mit identischen Bildern. Quadrophenia.

Das dürfte auch Frau Mai interessieren. (Von der man leider auch schon lange nichts mehr gehört hat. Muß man sich Sorgen machen?)


 


Freitag, 13. Oktober 2006


Die Zukunft einer Illusion

To remember is, more and more,
not to recall a story but to be able to call up a picture.

(Susan Sontag, Regarding the Pain of Others. 2003.)

© Juliana Beasley Auch wenn es mit der Rücksicht nicht immer so klappt, ist mir der Blick in den Rückspiegel stets lieb. Technikblütenträume, strahlend, glänzend oder schmuddeliger Dampfmaschinenpunk, wie der Terminus heißt. Die wunderbare Zeit des Damals, als man MP3-Player noch mit der Handkurbel aufziehen mußte. Das ist mit ein Grund, weshalb ich kein Notebook besitze. Das könnte sich aber bald ändern, denn dieses schicke, Schrei-des-Tages-mäßige und offenbar funktionsfähige (kein Nachteil!) Mobilterminal habe ich sofort auf meine Man darf doch mal träumen-Liste gesetzt. Macht sich gut auf dem Beifahrersitz des Buckelvolvos. Rückwärts nach vorne.

Die Zukunft mit großem Z, das ist bekannt, kann allerdings nicht so hell scheinen, wie es die wohltemperiert eingerichtete Vergangenheit nie war. Die Lüge des schönen Scheins, der freundlichen Kinder und treuen Gattinnen, eine Welt, die durch die Wahl des richtigen Haushaltsgeräts zum flanellbezogenen Paradies wird. Putzig findet man das im Rückblick, für den Horror des Ausblicks reicht ein simpler Rechensatz. Dennoch: Muß man sich seine Welt halt ein wenig malen, wie Pipi Langstrumpf einst sang. Mal die Perspektive wechseln. Ein Pilz macht dich größer, und ein anderer, nun, der macht dich wieder klein.

Was aber, wenn die Viktualias älter werden? Was ist mit all den Menschen, die man sonst so übersieht? Die Welt sieht eben doch eher so aus wie auf den Bildern der amerikanischen Fotografin Juliana Beasley. Der illustrierte Hort des Menschenglücks entpuppt sich als Wohnwagen oder Pappkarton. Rockaway Beach. Man hofft indes, es ist die ein oder andere Villa Kunterbunt darunter. Wer möchte sich schon ein Urteil anmaßen?


 


Samstag, 30. September 2006


Bleibt doch noch ein Weilchen. Schaut.

Möglicherweise müssen wir davon ausgehen,
daß es den sogenannten unglücklichen Menschen gar nicht gibt,
dachte ich, denn die meisten machen wir ja erst dadurch
unglücklich, daß wir ihnen ihr Unglück wegnehmen.

(Thomas Bernhard. Der Untergeher. 1983.)

Der Herr Jesus im Hieronymuskloster in BelémEs zieht mich fort. Für ein paar Tage. Einige sehe ich hoffentlich am Sonntag in Wien, da würde ich mich freuen. Den anderen lasse ich ein paar Links zurück: Wer es nicht in die Herbststraße schafft, der mag sich vielleicht herbstlich einstimmen mit Grauland.
Oder mit Bildern und Texten aus New Orleans. Kann man immer wieder lesen:
Angeliska.

Müsik im Bild:
A Flock of New Wave Photos zeigen, wie das so war. Damals. Banshees, Cure und Joy Division. Und irgendwie alle anderen auch. Dazu passend: PYMCA versammelt tausende Fotos (angeblich 80000) unterschiedlichster Qualität zu unterschiedlichsten Jugendkulturen seit den 70er Jahren. Ein endloser Strom.

Und sollte jemand gerade in Chicago sein: Die Moka-Galerie macht Open House und zeigt unter anderem tolle Fotografie aus Deutschland. Auch die kann man übrigens kaufen.

Und bin ich nicht in Wien, dann heißt der nächste Halt wohl Harajuku.


 


Freitag, 22. September 2006


Lebt denn die alte Log-Lady noch?

Reine Ambivalence: The Forsaken Odes Conglomeration.
Es sieht so aus, als hätte man die hermetische Garage von David Lynch entdeckt.

via Nase


 


Donnerstag, 7. September 2006


Süßer Vogel Jugend

We met a year and a half ago from a personals ad with the intention to shoot photos. Months later, we'd only shot once or twice but spent most of our free time with one another in various forms of fantastic exchange. Deciding in December to leave for Belice, we packed one bag a piece off which we would live, stuffing them mostly with cameras and ways to preserve their rewards. When we returned, we sat in the high-backed booth of a sushi restaurant, an empty ceramic bottle of sake before us, and decided to share our work with a wider audience. Our only expectation was that it would provide impetus to create. We had no idea that we would ever receive the lucid and lovely comments from you like we do these days.

Habe ich eigentlich schon auf den schier endlosen Fotofundus von Tethered To The Sun hingewiesen? Schwerelose Alltagsdoku (wenn Menschen jung sind und viel Zeit haben), zwischen trashig und begnadet, nicht immer safe for work, aber wer will das schon. Vieles ist natürlich von seiner Wirkung her sehr kalkuliert (It's A Man's World), aber nicht dumm, mit schönen Texten zumeist, teilweise cleveren Anspielungen auf bekannte Gemälde - und dem rechten Schuß an unbekümmerter Kreativität...

Einfach machen, geschehen lassen - ein Film aus lauter Stills. Ich mag das.

Update: Nach ein paar Querelen auf Flickr sind Rose & Olive unter einen neuem Account zurückgekehrt.


 


Sonntag, 13. August 2006


Der verrückte Hutmacher wieder

Während der Staubsauger gurgelnd und schnorchelnd meine Teppiche abweidet, kann ich mit der freien Hand noch nach weiteren Resten der Teeparty suchen. Passend dazu zeigt den Ringelstrumpf der Woche "Machina" auf dieser komischen Fotoseite.

Eine Grimm im Wunderland, ein märchenhaftes Überkreuz. Nichts, bei dem man aus dem Knien und Staunen gar nicht mehr herauskäme. Aber das ist ja auch ein wesentliches Merkmal des Märchens: Ihm sind alle Wunder normal.


 


Donnerstag, 10. August 2006


The Sound of Fashion

Mode kann man anschauen, oft, wenn es zum Sehen zu dunkel ist, auch befummeln fühlen. Fotograf Nick Knight ist nun der Hauswart eines Projekts, bei dem man Mode endlich hören kann. In den nicht immer bürofreundlichen Beispielen stellen sich ausgewählte Stücke von u. a. Stella McCartney, Prada, Hermès, Alexander McQueen oder Christian Dior der audiologischen Betrachtung. (Schade, Yamamoto oder Comme des Garçons fehlen. Die höre ich ja zu gern.)


 


Mittwoch, 19. Juli 2006


Aus Sand gebaut

Der belgische Fotograf Sebastian Schutyser dokumentiert seit seinen Studienjahren in Mali die Lehmmoscheen im Nigerdelta. Als "typische Architektur" zwar weithin bekannt, hat es bislang keine Bemühungen gegeben, diese oft in entlegenen Dörfern angelegten religiösen Bauwerke zu dokumentieren.


Über 500 solcher Moscheen hat Schutyser seit 1998 in zwei Fotoexpeditionen fotografiert. Einmalige und einzigartige, mal schlichte, mal höchst elaborierte, oft biomorphe Formen kennzeichnen diese eindrucksvollen aus Lehm geschaffenen Häuser. Die haptische Beschaffenheit des Materials mit seinen Rissen, seiner Rauheit und das reizvolle Spiel von Licht und Schatten sind dabei schwer faszinierend. Aber wie vieles scheinbar überkommen Archaische, ist auch diese Architektur leider durch Natureinflüsse, Vernachlässigung und die Mode des Modernen bedroht. Verändern und Bewahren - ein diffiziler Balanceakt.

Neben der internationalen, derzeit wohl nicht lieferbaren, gibt es auch eine deutsche Buchausgabe. Kleinbildaufnahmen der Moscheen in Farbe gibt es ebenfalls hier bei ArchNet.

via Bldgblog


 


Samstag, 27. Mai 2006


Zimmer mit Halbmond



Und, dann. Wer hätte es gedacht? Das sieht ja aus wie bei mir zu Haus: Anregende Fotoarbeiten aus der Türkei mit Ringelstrümpfen und allerlei morbidem Gothic-Chic, Tüdüü und Tadaa: Nazif Topçuoğlu. Da fällt mir glatt noch ein, was ich heute auf dem Flohmarkt kaufen finden will. Etwas für hier, etwas für da. Ich hoffe, es paßt alles auf den Gepäckträger meines Hollandrads.

Sonst nehme ich ein Pferd.