Dein Herz ist kein Container für ein paar leere Flaschen Bier

Wenn du gehst,
werde ich nie mehr nach Hause gehen,
denn der Wind von Hamburg
wird mich weit weg wehen, wenn du gehst.

(Die Braut haut ins Auge, "Wenn du gehst")

Man müßte sprechen können oder schreiben wie eine Basslinie von New Order. Treibend, melancholisch, melodiös, Stimmungen erzeugend, die über die Banalität der Worte hinwegschweben. So, wie kaum jemand auf die Worte von New-Order-Songs achtet, die limitierte Schlager sind samt und sonders. Man müßte singen können wie Bernadette Hengst, einfache Worte gebrauchen, Worte wie "Herz" oder "Laub" oder "Gott". Und mit einer Stimme rühren, mit schlichten Wahrheiten und einer lakonischen Bemerkung.

Als ich früher Musik gemacht habe, suchte ich oft einen ganzen bestimmten Ton. Einen Akkord, einen Klang, etwas Reduziertes, Schlichtes. Ein so bestimmter Ton, universell, den jeder verstehen würde. Sofort und eindringlich und in aller Tiefe. Und ich hätte nur auf die Bühne gehen müssen, die Gitarre in den Verstärker stecken, diesen Ton spielen und alle zu Herzen rühren können.

Ein Mantra, ein kabbalistisches Wort, ein ultimativer Klang.

Radau | 02:53h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
arboretum - Samstag, 23. Juli 2005, 03:16
Den ganz bestimmten Ton haben stattdessen heute Ihre Texte, der ultimative Klang findet sich zwischen den Zeilen. Das Ergebnis ist dasselbe.

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dennisreveni - Samstag, 23. Juli 2005, 04:02
auch dort, doch was ist mit dem ton, der noch keine ausreichende berücksichtung fand?! der ton nämlich, der hinausgezögert wird, so dass sich der umschliessende takt dadurch unerwartet in die länge zieht, die hörer respektive leser mitgerissen werden in etwas, dass sie noch nicht zur gänze einschätzen können, ungeduldig auf die lösung des nicht gestellten rätsels wartend, mehr noch, sie sehnsüchtig werden lässt auf das, was vorher selbstverständlich schien nur um ihnen dann in ungeahnter eigenheit darzubieten, wovon hörer/leser und auch spieler/schreiber nicht zu träumen wagten.

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kid37 - Samstag, 23. Juli 2005, 04:09
Warten Sie, geht gleich los. Drehen Sie alle Regler auf zehn.

Die Braut haut ins Auge - letztes Konzert. Hamburg, Markthalle 2001

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mark793 - Samstag, 23. Juli 2005, 15:48
Von wem war noch gleich die Zeile I've got a fuzzbox and I'm gonna use it? Herr Kid, Sie reißen mal wieder alte Wunden auf und rufen mir schmerzhaft ins Gedächtnis zurück, wie ich die Suche nach dem richtigen Ton aufgab zugunsten der Suche nach dem passenden Wort, dem wahren Satz. Ganz heimlich, wenn meine Frau bei der Arbeit ist und die kleine in der Kita, dann stöpsle ich meine Stromgitarre manchmal noch an den kleinen batteriebetriebenen Mini-Marshal, lasse meine Finger über die Saiten gleiten und gucke, was noch geht. Hells Bells geht immer, ohne Glocke zwar, aber für ein bisschen Gänsehaut reicht es auch so...

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kid37 - Samstag, 23. Juli 2005, 16:29
That were the most splendiferous We've Got A Fuzzbox And We're Gonna Use It. Sozusagen die erste Post-Punk-Fun-Goth-Girl-Group aus, ich glaube, Birmingham. Der Uber-Hit war "Rules and Regulations".


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mark793 - Samstag, 23. Juli 2005, 17:12
We - of course. Hatte mal wieder nur an myself gedacht. Und wenn meine Gedächtnisleistung weiter nachlässt, dann werd ich irgendwann noch Sex Pistols und Gun Club durcheinanderbringen.Umso beruhigender, dass es kompetente Bloggerkollegen mit besserem Gedächtnis (und erstaunlich wohlsortierter Deviotionaliensammlung) gibt, die man fragen kann.

Post-Punk-Fun-Goth-Girl-Group ist als Genre-Schublade schon ziemlich special. Hat was von Kinder-Mitmach-Eistanz-Grusical Ich trau mich fast gar nicht zu fragen, ob die effektgerätbewehrten Damen am Ende gar in Ringelstrümpfen aufgespielt haben...

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kid37 - Samstag, 23. Juli 2005, 22:06
Ringelstrümpfe? Ask me anything!

Nun, wir schreiben das Jahr 1986/87. Wenn wir auch geringelte Leggings gelten lassen, liegen uns Fuzzbox nicht umsonst auf der Tasche.

Die fidelen Damen waren ja mal einen Sommer lang die Darlings der Indie-Szene, konnten für keine fünf Minuten spielen, das aber mit einer Menge Spaß. Landauf, landab bekamen Noisepop-Jünger Hosenenge und Gothic-Frauen Haßanfälle, wo immer die "XX-Sex"-Gang auftauchte. Eine schöne Zeit, wenn ich es bedenke. Wo ist die eigentlich geblieben?








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gaga - Samstag, 23. Juli 2005, 23:00
wieso
bekamen die gothic-frauen hassanfälle?

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kid37 - Sonntag, 24. Juli 2005, 00:17
Some call it Eifersucht. Oder just plain Neid. Jedenfalls war das damals so. So. Habe ich doch alles selbst erlebt. Nur weil ich dreißig Platten von Fuzzbox kaufte, hieß es gleich, die hätten alle Mondgesichter. (Ich wollte sofort eine Band gründen "We've Got A Mondgesicht And We're Gonna Use It", aber ich war zu hager dafür.)

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arboretum - Sonntag, 24. Juli 2005, 00:22
Frau Gaga, die Gothic-Frauen hätten es halt lieber gesehen, wenn die Herren ihretwegen Hosenenge bekommen hätten. ;-)

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gaga - Sonntag, 24. Juli 2005, 01:34
ähm - kriegt man von gothic-frauen wohl keine hosenenge?
dabei ziehen die sich doch immer extra so anziehsachen an, wo man sich viel dabei denken kann. mit ausschnitt und so. aber ich kenne mich mit solchen sachen ja nicht so aus.

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arboretum - Sonntag, 24. Juli 2005, 01:39
Ich auch nicht. Vielleicht hätten sie es auch lieber gesehen, wenn es nur ihretwegen passiert wäre. Oder wenn die Herren sich nicht stundenlang die Plattencover angeschaut, sondern stattdessen Augen für sie gehabt hätten. Was weiß ich. Aber irgendsoetwas muss es ja gewesen sein, sonst hätte es wohl kaum einen Anlass für Eifersucht und Neid gegeben.

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kid37 - Sonntag, 24. Juli 2005, 02:04
Die Goth-Girl-induzierte Hosenenge ist unbestritten.

Es gibt interessante Phänomene bei Frauenbands zu beobachten (jedenfalls in den 80ern; seit der Rrrrrrriot-Grrl-Bewegung und Gender-Rock und s.w. mag das anders sein): Die wurden von Männern belächelt - und von Frauen oft gehaßt. Ganz nach dem Motto, was bildet die Perle sich ein? So eine Art Stutenbissigkeit, hinter der wohl aber auch der zerknirschende Gedanke steckt, Mist, wieso kam ich blöde Ische nicht selbst auf die Idee? Frauen auf Rockbühnen waren (sind) große Ausnahmen und nicht immer wohlgelitten.

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mark793 - Sonntag, 24. Juli 2005, 02:23
Da hat sich glaube ich was geändert. Der Hammer hatte sogar schon mal ne Titelgeschichte über Frontfrauen im Hartwurst-Sektor. Aber kann sein, dass Frauenbands von Frauen kritischer beurteilt werden als Frontfrauen, die in "Männerbands" singen/mitspielen. Warum auch immer. Vielleicht ist das aber auch nur eine subjektive und selektive Wahrnehmung in meinem Sichtfeld...

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kid37 - Sonntag, 24. Juli 2005, 02:33
Ich berausche mich gerade selbst, wie hardrockig meine Sprache bei diesem Thema wurde. "Ische" habe ich, glaube ich, jetzt zum ersten Mal hier benutzt. Ich Kerl, ich.

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arboretum - Sonntag, 24. Juli 2005, 02:36
Hardrockig? Ische ist doch ein jiddisches Wort.

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mark793 - Sonntag, 24. Juli 2005, 02:49
Ach,
Ische ist auch jiddisch? Ich werd meschugge.

Aber in meinem Ohren hat Ische tatsächlich einen hardrockig-sexistischen Klang. Nach Leuten, die in Plattenkritiken schreiben der neue Rundling von *** tritt mächtig Arsch... und die Bier als Hopfenkaltschale bezeichnen. Und das ist garantiert nicht jiddisch;-)

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kid37 - Sonntag, 24. Juli 2005, 02:50
Es geht bestimmt nicht härter als mit Chuzpe zu rocken.

(Wäre übrigens eine interessante Frage an Lila von Rungholt. Pop kennt man ja, aber Rock aus Israel?)

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gaga - Samstag, 23. Juli 2005, 04:48
ich muß an like a hurricane denken. die live-version. live rust. das intro. ach was. das ganze stück. (und der text passt auch wie die faust aufs auge)
genau so.

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kid37 - Samstag, 23. Juli 2005, 16:38
Das Lied leidet leider unter dem Lagerfeuer-Lallen der Legionen von Gitarrenlegasthenikern. Aber was soll's, wichtig ist, was einem selbst was deutet. Live Rust, natürlich. Rust Never Sleeps. Ich habe den Konzertfilm auf Video. Ab und an schaue ich den kleinen Rostmännchen bei der Arbeit zu oder beobachte, wie Neil Young aus dem Sack krabbelt (war das eigentlich eine Persiflage auf diese Ono/Lennon-Performances aus dem weißen Sack heraus?!? Ist Neil Young heimlich ein Fluxus-Künstler?)

Hey, Hey, My, My. Das Intro ist einer meiner elektrischen Aufwärmübungen; so lange, bis die Fingersteife Tribut fordert. Der Text enthält zudem eigentlich alle wichtigen Botschaften, die man so braucht.

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gaga - Samstag, 23. Juli 2005, 18:48
was? wie-wer-wo-was?
ich glückliche - noch nie mußte ich eine andere version als diese und seine studioversion hören. das geklampfe von ihm erkenne ich unter tausenden. in seinen akkorden liegt so viel sehnsuchtsvolle vergeblichkeit, dass ich seit über zwanzig jahren gänsehaut davon bekomme. und bei der live-version von like a hurricane ist es hochkonzentriert.

ich sah den film damals als er rauskam, im sommer 1980 zweimal hintereinander im kino. ich muß ihn mir mal wieder angucken. cortez the killer funktioniert auch ganz gut. auch in der studio-version auf der zuma. herzzereißend. ach, ich liebe ihn.

hey hey, my my ist in der tat eine gute aufwärmübung. eines der weniger lieder, die ich auf der gitarre konnte.

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burnston - Dienstag, 26. Juli 2005, 14:26
dieses durchexerzieren von emoll ddur amoll7 bei cortez the killer hat diese jenseitigen tonalität, die man nur schwer findet.

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modeste - Samstag, 23. Juli 2005, 12:54
Und die Welt hebt an zu singen...
Hübsch, statt des Liedes in allen Dingen alle Dinge in einem Lied zu suchen.... Ich habe diesen allumfassenden Ton, glaube ich, einmal gehört, ein paar Takte im Vorspiel des Tristan dirigiert von Barenboim, der ein großer Magier ist.

Da fällt mir ein - Kennen Sie eigentlich Melodien von Krausser?

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leteil - Samstag, 23. Juli 2005, 13:28
"Schläft ein Lied in allen Dingen" - wie schön!
aber wie oben schon gesagt: das rechte zauberwort hat herr kid schon oft mit glücklicher hand getroffen.

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kid37 - Sonntag, 24. Juli 2005, 02:08
Herr LeTeil: Ich bin Messerwerfer. Zwar schwer außer Übung, aber ich habe mir jetzt dringend vorgenommen, mindestens jeder zehnte Versuch muß sitzen! Hoffe ich. (Danke.)

Den Krausser, Frau Modeste, habe ich nach dem Bagarozy entnervt zur Seite gelegt. Ich habe letztes Jahr Schweine und Elefanten gelesen - ebenfalls mit zunehmenden Desinteresse. Ich finde weder an seiner Sprache Gefallen, noch zu seinen Themen Zugang. Bei Frauen ist der ja ultra-beliebt, scheint mir.

Mir ergeht es aber mit ca. 85 Prozent der neueren deutschen Literatur so. Ich mag Lyriker wie Thomas Kling oder Menschen wie Eugen Egner. Ansonsten haben für mich Trakl, Heym, Benn und Celan alles gesagt. Fürs erste.

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modeste - Dienstag, 26. Juli 2005, 14:44
Der Bagarozy gehört ja auch nicht zu meinen Favoriten, Melodien hat mir gefallen, auch die Schmerznovelle ist eine runde, feine Sache. Mich fasziniert die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsspaltung, das Überquellen der dunklen, fremden Materie aus dem Untergrund, der Kontrollverlust über die aggressiven, destruktiven Seiten des Ich.

Aber vielleicht haben Sie recht, und der Krausser ist bei den weiblichen Lesern beliebter als bei Männern, ich kenne auch wenig männliche Fans.

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ae - Dienstag, 26. Juli 2005, 21:11
Glückwunsch!
Erster Platz bei meinem internen Header of the Month-Contest. Gewinnen tun Sie nichts. Naja, außer meinem Lob. "Dein Herz ist kein Container für ein paar leere Flaschen Bier" ... Irre! Rocko Schamoni sollte ein Lied draus machen.

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kid37 - Dienstag, 26. Juli 2005, 23:11
Möglicherweise hat er das schon getan. Wie ich bereits bei Frau Wortschnittchen anmerkte, stammt die Zeile von Die Braut haut ins Auge. Bernadette "La" Hengst schreibt großartige Zeilen und singt sie mit einer Stimme... nun ja, ich äußerte mich bereits dazu.

Ich reiche die Glückwünsche bei Gelegenheit gerne weiter.

@Frau Modeste: der Kontrollverlust über die aggressiven, destruktiven Seiten des Ich
Ich habe zu lange mit dem Kontrollverlust über die aggressiven, destruktiven Seiten eines anderen Ichs (übrigens Krausser-Fan) zu kämpfen gehabt, als daß ich derzeit eine große Affinität zu solchen Dingen verspürte.

Andererseits plane ich arbeits- und stressbedingt den kontrollierten Kontrollverlust über die aggressiven, destruktiven Seiten meiner Selbst. Gestern erst mußten zwei Kollegen meine Hände von der Gurgel unseres Produktionsleiters entfernen. Hat sich aber gelohnt, heute sprach er mit einer kreidesamtenen Stimme zu mir.

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