Grinderman





Ich bin ja nicht wirklich ein Fan von Nick Cave. Da war mir in seinen Texten, in seinem Gesangstil, seiner Art zu leben zu viel Pose, zu viel Getue um Leid und Blut und Religion, eine Art zu zelebrierter Schwere, in eine gewisse Form erstarrt, die mit abgewetzten Jackets und dem Geruch von kaltem Rauch, bitterer Chemie und billigem Fusel wie eine Blisterverpackung für diese Art ungewaschener Drogen-Rock'n'Roll für Studienabbrecher zu sein schien. Vielleicht war es auch nur Eifersucht, ich meine, PJ, Kylie, und vielleicht noch zwei, drei mehr. Und all die jungen Damen in den 80ern, benetzt, bestiefelt, mit Düsternis bestäubt, sie lagen einem ja derart in den Ohren mit diesem Mann, man mußte schon die Flucht nach vorn oder links vom Bühneneingang nehmen.

Die waren jetzt auch alle da, älter geworden wie wir alle, und ein paar jüngere dazu. Es wächst ja alles nach, so wie die Vorband, die klang wie Siouxsie Sioux zu Peepshow-Zeiten, begleitet allerdings nicht von den Banshees, sondern von den Shadows, die noch mal ihren alten Hit Apache auflegten. Klingt krude, war aber so und funktionierte nur sehr oberflächlich. Zum Glück hielten sie sich kurz, danke, Vorband!

Neben ein, zwei Birthday Party-Stücken und solchen aus der Zeit mit den Bad Seeds gefiel mir das Projekt Grinderman, das Cave mit seinem Kumpel Warren Ellis ins Leben rief, von Anfang an ausnehmend gut. Dufter Altherrenrock, so als wären die verkommenen Brüder von ZZ Top tief in die Sümpfe Louisianas gestiegen, hätten mit Fröschen, schwarzen Schlangen und anderem biblischem Gewürm im Schlamm sich gewälzt, sich anschließend mit tüchtigen Schlucken Bourbon innerlich und äußerlich gut abgewischt und dann beschlossen, marodierend durch die letzten Vorposten einer sündigen Zivilisation zu ziehen.

Cave scheint endlich die Selbstironie gefunden zu haben, seine Rolle mit innerer Ruhe, seine Posen mit Lust am Spiel und einer gewissen entspannten Routine abzuspulen. Ellis steuert den nötigen Schuß derwischhafte Unberechenbarkeit und eruptive Energie hinzu, während die Rhythmussektion ein dumpfes, dunkles, mahlendes Stampfen unter die Songs legt, wie ein bösartiges, knurrendes, zu lange eingesperrtes Tier, das Beute reißen oder kopulieren will.

Cave ist natürlich abgewichst genug, die alten Tricks noch draufzuhaben. Er widmet ein Lied der Grafikerin der Band, die offenbar aus Hamburg stammt, ruft überhaupt oft "Hamburg!" ohne allzu anbiedernd zu wirken, geht dann hinaus an den Bühnenrand, streift Hände, blickt tief in die Augen der weiblichen Fans dort vorne, singt ihnen persönlich ein paar Zeilen, um dann wieder vom No Pussy Blues zu jaulen und greinen, daß man bald neben Bier, Schweiß auch anderes von der Decke tropfen meint. Das Ziel dieser bärtigen alten Männer (Cave hat seinen übrigens abgenommen, ich sagte noch zu Herrn K., die Umbaupause dauert so lang, der ist bestimmt beim Rasieren.) ist klar: Niemand kommt hier sauber raus, verständlicherweise sehnte sich auch niemand danach und garantiert gingen nach dem Konzert einige scheinschwanger nach Hause.

Lustige Lieder wie der kleine Hit Honey Bee, Let's Fly To Mars und schwere Stomper wie "Get It On", eine prima Beleuchtung, ordentlich Hormonbeschwingung, ein paar Hallos und noch mehr Biere: Doch, ich fand's ziemlich, ziemlich gut.

>>> Fotos

Radau | 03:11h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
c17h19no3 - Samstag, 23. Oktober 2010, 05:37
ist mir komplett entgangen. verdammt.

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kid37 - Sonntag, 24. Oktober 2010, 05:23
Dabei kann man nicht mal sagen, es wäre ein Geheimkonzert gewesen ;-)

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c17h19no3 - Montag, 25. Oktober 2010, 10:21
bei meiner massiven schlaflosgkeit wäre es mir vermutlich nicht einmal aufgefallen, wenn nick cave persönlich für mich singend unter meinem fenster gestanden hätte.

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gaga - Samstag, 23. Oktober 2010, 16:45
klingt doch alles sehr vernünftig.

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Lu - Sonntag, 24. Oktober 2010, 01:58
und ich habe so gelitten, weil: das wäre unser abend gewesen.
aber k. hab ichs dann auch gegönnt (wobei ich die bessere unterwäsche zum konzert getragen hätte, aber naja.)
get it on.

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kid37 - Sonntag, 24. Oktober 2010, 05:21
Gut, daß sind so Behauptungen, die lasse ich mal unverifiziert gelten. Als Männerabend war das, Frau Gaga sagt es, jedenfalls sehr vernünftig.

(Wir holen das nach!)

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lorilo - Freitag, 29. Oktober 2010, 22:06
Nur mal so
weil Sie sich nicht offiziell verabschiedet haben:
Sie sind hoffentlich nicht wieder auf den Kopf gefallen?

Leicht besorgt: Das Fräulein

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foxxi - Montag, 25. Oktober 2010, 17:13
Toll! Ich hab's geahnt, dass ich was verpassen würde, als ich (leichtfertig) das Berliner Konzert ausgelassen hatte...

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kid37 - Samstag, 30. Oktober 2010, 23:37
In der U-Tube gibt es mittlerweile auch ein paar Clips vom Hamburger Konzert. Ich weiß nicht, wie das Berliner Publikum so ist, aber es war dort bestimmt auch super.

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gaga - Sonntag, 31. Oktober 2010, 00:08
Das Berliner Publikum zeigt bei einer ordentlichen Darbietung ein Verhalten, das man durchaus als Begeisterung interpretieren kann. Dieses Verhalten zu studieren, setzt allerdings eine gewisse Nähe zum Anschauungsobjekt voraus. Das würde bedeuten, sich in den Abendstunden in öffentliche Etablissements der Stadt Berlin begeben zu müssen, da die Aufführungen mehrheitlich nach Sonnenuntergang stattfinden. Ich erwähne das nur, weil ich nicht ganz sicher bin, ob Ihnen dieser Sachverhalt bekannt ist!

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kid37 - Sonntag, 31. Oktober 2010, 00:26
Cleaning Woman?!? (Den Film kennt auch keiner mehr.) Jaja, irgendwas war da doch. Selbst mir kommt das schon so lange her vor. Ich erinnere mich aber, daß Sie es waren, die mir die Feinheiten des Berliner Nachtlebens wenigstens im Ansatz nahezubringen versuchten. Man ist als Hamburger Provinzbrötchen ja so dankbar!

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gaga - Sonntag, 31. Oktober 2010, 01:03
Mein Berliner Nachtleben hat ja mehr so vor ca. 25 Jahren stattgefunden, aber mein Gerede davon scheint immer noch Eindruck zu machen. Jetzt, wo ich groß bin, gefällt es mir auch gut, nicht sturzbetrunken auf einem Parkplatz aufzuw aus dem Taxi zu wanken. Man braucht auch weniger Aspirin am nächsten Tag. Aber einmal im Jahr kann man schon noch über die Stränge schlagen. Manchmal behaupten sogar junge Menschen aus Übersee, hier gäbe es interessante Diskotheken. Ach, so heißt das ja nicht mehr...! Na, Sie wissen schon was ich meine.

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christian erdmann - Sonntag, 31. Oktober 2010, 06:11
Ja,
ich auch. Warren Ellis is like "Ich sage euch, ganz Babylon wird sich erheben und eine dreiköpfige Schlange, und es wird im ganzen Land ein Scheuern und Schleifen, ein Reiben und Schubbern von aneinanderklebenden Teilen geben! Diese Teile werden wieder auseinanderfallen! Und das Schwert wird schwingen über allen elenden Sündern, und das Horn soll auf dem Haupt sein, und es hat neun Spitzen. Und das Schwert wird alles enthaupten, zack und zack und zack..." Zack und zack und zack, und der Katze noch auf den Schwanz treten, und hier noch draufhauen, und sich noch am Boden winden und "Evil!" brüllen, und noch mit der Violine fuchteln, und alle Verantwortlichkeit von sich weisen. Teuflisch, insane, und gerade darum so reinigend.

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kid37 - Sonntag, 31. Oktober 2010, 21:59
Ich kann ja nach meiner Woche in Istanbul keine tanzenden Derwische mehr sehen, die dort all überall auf T-Shirts, Teller und Wandbehänge gemalt werden. Aber wenn, dann möchte ich Warren Ellis in der Rolle.

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christian erdmann - Dienstag, 2. November 2010, 03:06
Verständlich,
sowohl als auch. Es käme da aber wohl zu einem Interessenkonflikt inside Warren Ellis, da ich stark annehme, daß Pazuzu & Co schon eine Wohngemeinschaft in dem Mann bilden. Er soll ja ganz zivil in Paris leben. Man stellt sich aber irgendwie vor, daß ihn dreimal pro Tag die Flics vom Platz vertreiben wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, Reden wider Julius Caesar und dem ganzen Kram.
Wie kann ich denn mal Ihren Blog abonnieren? Gefällt mir hier.

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christian erdmann - Dienstag, 2. November 2010, 03:08
Ah, schon gut. Gefunden.

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