Donnerstag, 4. Februar 2021


Mein kleiner grüner Lockdown



Mein Auskommen fand ich ja lange Jahre als berühmter Gummibaummaler. Beinahe jede Amtsstube, aber auch viele Privatleute drängten mich um ein Porträt ihres grünen Stubengenossen, meist als Aquarell, weil die Materialbeschaffung nichts allzu Extravagantes genehmigen wollte. Manchmal auch in Öl, wenn es sich um reiche Fabrikanten, Import-Export-Kaufleute oder auch betuchte Pflanzenfreunde handelte.

Die Krise begann, als der florale Freund außer Mode geriet, ein Schicksal, das ihn nur menschlicher machte. "Gestern warst du noch wer, heute bist du nichts", wer kennt das nicht. Einmal den falschen Ton getroffen, den Elfer verschossen, die Pflanzen fremder Menschen gepflückt, schon heißt es, wheee (Comicgeräusch) Rolltreppe abwärts.

Meine ausgewiesene Expertise als renommierter, extrem akkurater und detailverliebter Gummibaummaler ist heute nicht mehr viel wert, ich sitze also weitgehend nutzlos meditierend hier in meinem Bachelor pad unter einer gut gepflegten Zimmerpflanze, drinke Blumenwasser, damit nichts austrocknet und höre etwas japanischen Freejazz zum schwarzen Jacket. Es ist ein ewiger Lockdown. Monat für Monat verlängerter Hausarrest, der Ausblick so wie in der Fotoserie der britischen Fotografin Julia Fullerton-Batten. Erwartung im getrübten Licht.

>>> Julia Fullerton-Bartens Webseite


 


Mittwoch, 29. Juli 2020


Ein Leben auf dem Lande



Von der Stimmung her, also atmosphärisch, fühle ich mich in letzter Zeit ein wenig wie in der Welt von Eddy Stevens. Der belgische Maler zeigt häufig ernsthaft bemühte Menschen, die von mysteriösen Objekten umgeben sind oder irgendwas auf dem Kopf balancieren, vielleicht auch konfrontiert werden oder gestört, vielleicht ist das ein oder andere auch ein Kompaß, der eine Richtung anzeigt, die sich nicht einordnen läßt.

Mir ist ja gerade nach austarierter Neuorientierung, ich bin so in dem Alter, wo man den Weinberg verteilt und selbst noch mal Segel in ganz andere Lebensrichtungen setzt. In so einer Lage zum Beispiel tiriliert einem aber rasch dieser ins Ohr und jener ins andere. Hier heißt es, schollenverbunden bleiben, sonst findet man sich plötzlich wieder und hat ein Strandcafé auf Teneriffa eröffnet.



Abtauchen und mit den Fischen reden klingt sehnsuchtsvoll verlockend, aber in Stevens Werk, wie in der Reihe Human Behaviour, gibt es auch viele Vögel, Pferde oder Füchse, da muß man sein Leittier weise wählen. Er selbst lebt mit seiner Frau Sophie auf dem Land, irgendwo in der Nähe von Antwerpen und hat wahrscheinlich viele Tiere zu Besuch. Ich selbst würde gern ein Kammerorchester aus jungen Oktopussen dirigieren, aber wir leben in den Zeiten der Seuche und dürfen nicht auftreten. Bei Stevens gibt es diese Störungen auch: Chemieunfälle, Schlachter, Jäger und Soldaten bedrohen seine irgendwie vergangene, irgendwie moderne Welt. Eulen sind nicht das, was sie scheinen. Paß auf, paß auf, paß auf.

>>> Eddy Stevens Webseite
>>> Eddy Stevens auf Instagram


 


Mittwoch, 6. Mai 2020


Mode zur Zeit


Larry Calkins, "Charity"

Nun, da wir alle endlich Masken tragen, wird viel auch nachgedacht über Muster, Formen, flotte Sprüche, um die Gesichtsbandagen aufzuwerten, anzupassen, zu individualisieren und als It- und Statement-Piece zu etablieren. Durchatmen mit Distinktionsgewinn.

Warum sollte Kleidung da hintenanstehen? Einzelne Entwürfe greifen bewährte Traditionen aus dem Barock auf, sind von der Maschengröße her allerdings nicht dicht genug zur Virenabwehr und ziehen zudem Motten an wie eine Straßenlaterne.

Der aus Harlem in New York (das ist eine große Stadt in den USA) stammende Künstler Larry Calkins hat vor einigen Jahren bereits Kleider als Textilskulpturen geschaffen
(siehe auch hier und hier). Sie schienen aus der Zeit gefallen, vielleicht auch nicht leger genug. Aber angesichts der Weltläufte wären diese (ausreichend beschichteten!) Stücke heute wohl eine angemessene und angemessen vernünftige modische Wahl.

Ernsthaft, aber auch ein wenig verspielt, eine A-Linie ohne althergebrachte Strenge, im klassischen Leinen-Baumwoll-Mix, aber mit Schellack gegen Aerosole ausreichend geschützt. Die gedeckten Farben, Ocker, Rost- und Erdtöne, und sparsamen Muster verbreiten eine Ruhe, die in der aufgeheizten Öffentlichkeitsatmosphäre angenehm auf die Psyche wirken. Man stelle sich das Straßenbild vor: Statt Leggins in Feuerwerks- und Safarimustern eine aufgeräumte Struktur und das Vertrauen von Materialien, die nicht bei Berührung statische Blitze schlagen. Dazu das Gefühl, ein Kunstwerk zu tragen. Ein subtiler, unaufgeregter Auftritt für die Dame von heute.

Dieses kleine Videoporträt zeigt Calkins Arbeitsweise, und lustigerweise, wenn auch nur nebenbei bemerkt, sieht es bei ihm genauso aus wie bei mir letzte Woche, als ich ähnlich grauhaarig meine kleine Abstellwerkraumdunkelkammer ausräumte, um mit Hilfe meines neu erworbenen Akkuschraubers (big love!) ein stauraumbietendes Regal dort aufzubauen. Große Geister act alike, wie man in Harlem, New York sagt.

>>> Webseite von Larry Calkins


 


Montag, 10. Juni 2019


Du und Prinzhorn



Wer es noch nicht entdeckt hat, kann gezielt danach suchen: Die aktuelle Ausgabe des Magazins Du bietet einen hübschen Überblick über die sogenannte Outsider Art, hauptsächlich aus der berühmten Sammlung Prinzhorn in Heidelberg. Die Sammlung (und neuerdings das Museum) wird seit 17 Jahren vom Hamburger Thomas Rösner geleitet, der hier auch mit zwei Artikeln vertreten ist. Dazu wunderbare Reproduktionen (das Layout ist sowieso zu loben, aufgeräumt, übersichtlich, und alle Bilder mit bibliographischen Angaben) gut ausgewählter Beispiele. Wir lesen etwas darüber, wie sich die Surrealisten bei den "Irren" bedienten, zum Teil in rotzfrecher Kopie. Wieviele der Kunstwerke verloren gingen, weil man ihnen in ihrer Zeit keine Bedeutung beimaß. Wie die Werke von den Nazis mißbraucht wurden, um ihre Thesen von "entarteter Kunst" zu stützen. Vorzüglich angelegte 15 Euro.

>>> Sammlung Prinzhorn


 


Dienstag, 12. Februar 2019


Sonntagsmalerei



Da ich zu viel zu tun hatte, unter anderem mußte ich den Zählerstand der Wasseruhr ablesen, um die Werte ans Wasserwerk zu übermitteln, und dann wie vom Thema Wasser gerufen auch noch Regen einsetzte, schwänzte ich am Wochenende den jährlichen Kontrollgang Rundgang der Kunstakademie. So konnte ich also nicht hochkreativ Blumen und Getränkeflaschen in Atelierwaschbecken fotografieren, was sehr schade ist, denn irgendwo muß die Kreativität ja hin, und das Kochen überlasse ich lieber anderen.

Zum Glück bin ich ein, wenn auch talentfreier, so aber doch engagierter Sonntagsmaler. Meine großen Rückstände in der Exaktmalerei übertünche ich dadurch, daß ich meine Modelle so male als seien sie in Lappleinen und Mullbinde eingewickelt. Die Mumie lebt auf meiner Leinwand! Ansonsten aber ganz entspannt, wie ein Bob Ross des Bloggens: "Just some happy little Mullbinden!"

Während Farbe trocknet, kann man auch prima Pause machen, mit Snacks und einem großen ungehemmten Glas Apfelessig (mit Wasser gestreckt) - wie so ein Künstler! Auf Erfolge darf man ruhig anstoßen: Das Bild ist nämlich ein Auftragswerk. Für die Pharmaindustrie natürlich, es soll später mal in einem Wartezimmer hängen und Patienten beruhigend auf ärztliches Wirken vorbereiten.

"Halb so schlimm" ist der augenzwinkernd schelmische Titel, und es wäre schön, wenn dies für das ganze Leben gelten würde.


 


Montag, 12. November 2018


Candice Angélini

Neulich hatte ich ein paar Tage frei und wollte eigentlich nach Berlin an die herbstliche Küste, um einfach ein wenig in der Nachsaison rumzustehen. Etwa auf die Art, wie das Künstlerpaar Mothmeister es dann für dieses bezaubernde kleine Reisevideo gefilmt hat. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie zufällig eine solche Gestalt dort am Strand stehen sehen. Ich bin's!

Was man für einen solchen eindrucksvollen Auftritt braucht? Nun, eine Maske von Candice Angélini ist hier der Schlüssel zum Publikumserfolg. Die Französin ist mittlerweile eine Großmeisterin geworden, wenn es um in liebevoller Kleinarbeit hergestellte Ungeheuerlichkeiten wie obskuren Schmuck, obskurere Hüte oder noch obskurere Kopfverdeckungen geht. Keine Angst, kann im Grunde jeder tragen!

Hier ein kleines Filmporträt über die Künstlerin. Ich bin ganz angetan und stehe schon mal einfach so mit einer Angélini-Maske im dunklen Treppenhaus herum. Oder unten an der Ampel. Nur Mut, sage ich. Ein jeder sieht gut aus damit.

>>> Webseite Candice Angélini


 


Donnerstag, 11. Oktober 2018


Das Leben, die Kunst



Eine Visite heute im Aktenkeller brachte mir den Namen zurück ins Gedächtnis. Eine Exfreundin von mir hatte nämlich nach dem Ende unserer Bekanntschaft eine Affäre mit einem berühmten Musiker aus Düsseldorf. Musikalisch natürlich ein Abstieg, menschlich vielleicht nicht. Fairerweise muß ich aber einräumen, daß ich musikalisch letztlich wirklich nicht viel erreicht habe, auch wenn ich in meinem Leben immerhin ein, zwei Dinge ganz gut vergeigt habe.

Bekanntlich bin ich daher lieber ein berühmter Maler geworden, und natürlich applaudierter Chansonliterat, auch wenn ich die Entbehrungen eines Lebens als Künstler nur zu gut erfahren habe. Zuletzt habe ich daher das Sammeln von Kunst begonnen, damit es, wenn man nach meinem Tod diese Wohnung aufbricht, ein großes Hallo und raunendes Fragezeichen geben wird in den Feuilletons dieser Welt, in die ich es sonst bloß in haarfeinen Bemerkungen geschafft habe.

Mit großer Begeisterung fand ich daher heute zwei limitierte Drucke von Julia Soboleva in der Post. Frau Soboleva (über)malt ein wenig mysteriös und zeigt ihre Grotesken auf Instagram. Die (auch haptische) Qualität der Gicléedrucke und des Papiers ist beeindruckend, dazu ein nettes Kärtchen, alles toll und akkurat verpackt - da könnte sich manch Händler mal ein Beispiel nehmen.

Jetzt gehe ich nur noch sauber gekämmt in den grünen Salon, in den ich die Bilder vorerst gehängt habe. Man sollte nicht weniger erhaben wirken als die Kunst, die man besitzt.

> Webseite von Julia Soboleva


 


Samstag, 5. Mai 2018


Scannogram



Die Fotografie mit Scannern ist natürlich nicht neu oder originell. Ganze Weihnachtsfeiergeschichten ranken sich um nackte Hintern und bloßgelegte Brüste, von Händen, Gesichtern und anderen Dingen gar nicht erst zu reden, die auf Betriebsfotokopierern verewigt wurden. Wären Scanner für den Heimgebrauch stabiler gebaut... nicht auszudenken.

Aber der gesammelte Krempel aus meinem Schauraumzimmer läßt sich auch auf filigraneren Geräten gut verarbeiten. Leider habe ich oben im Bild aus lauter Nachlässigkeit für ein Stilleben nicht die richtige Anzahl Gegenstände verwendet, so daß man hier mal fünfe gerade sein lassen muß. Daher stammt ja auch der Ausdruck. Wenn der Maler mal nicht drei oder fünf oder sieben (oder siebenundreißig) Dinge auf dem Tisch plazierte. Dann mußte man es halt mal gerade sein lassen.



Ein bißchen ist das so wie Foodfotografie auf Instagram. Nur, daß ich das Essen nicht von oben, sondern von unten fotografiere. Wartet, bis ich Radieschen habe, dann wird das Konzept klarer. Einfach mal sich selbst und alles auf den Kopf stellen. Still atmen. Alles mal gerade sein lassen.


 


Samstag, 7. April 2018


Wochenendrekreation



Bei aller Offenheit: Nur wenige wissen, daß man mich mit einem gewissen Recht auch den Bob Ross der Käfermalerei nennt. Mit dieser verblüffend akribischen, aber sympathisch lässigen Sonntagsmalerei von happy little bugs will ich zugleich auf das Insektensterben aufmerksam machen, denn heutzutage kann man ja nicht einmal mehr unschuldig am Urinal stehen, ohne bedeutungsvoll zu Pinkeln.

Der Erhalt seltener und wenig bekannter Arten (wir sehen hier ein prachtvolles männliches Exemplar des Bogus Ocolus) ist mir dabei ein besonderes Anliegen. Wer mich also im Hamburger Raum mit Strohhut, meiner Garderobe von John Skelton und Fieldkit auf der Frühlingswiese sitzen sieht, den Skizzenblock vor mir ausgebreitet, nicke mir ruhig freundlich nachsichtig anerkennend zu. Es geht um die gute Sache. Und ich möchte wie nebenbei ermuntern, mir nachzutun. Denn auch wenn es verständlicherweise zunächst so nicht aussieht - es kann im Grunde jeder!

Man kann sich allerdings auch das frei erhältliche Bee Keepers Guidebook auf sein elektrisches Lesegerät herunterladen und bedrohten Insekten ganz tatkräftig und zugleich scheinheilig helfen, was diese spätestens dann merken, wenn man ihnen im Herbst an den Honig will. Menschlich eben.


 


Montag, 19. Februar 2018


Gesammeltes

Vor einiger Zeit war ich mal in einem Haushalt, in dem ich vor langer Zeit öfter verkehrte. Tatsächlich aber war das, was von mir dort noch zu finden war, ein verwaister, einsamer Kaffeelöffel eines kompletten Bestecks, das ich dort einmal angeschafft hatte. So schwindet alles. Stück für Stück.



Gefunden, verloren, wiedergefunden. Alte Dinge, alte Rollen, alte Bühnenstücke. Besser man hebt es auf und ordnet alles frisch an. Karten auf den Tisch, Hose runter, Butter bei die Fische. (Wohl dem, der dazu noch das Besteck hat.)

Das eine weg, dafür findet sich neues. Man stelle sich vor, daß sich das Geheimnis um meinen verschollenen älteren Bruder gelöst hat. Es gibt keinen Zweifel, es ist wie mit nach der Geburt voneinander getrennt aufgewachsenen Zwillingen, die sich nach 30 Jahren wiedertreffen und feststellen, daß ihre Frauen beide Maria heißen, sie beide ein Pferd besitzen und sogar exakt den gleichen Oldtimer. Oder wie in diesem Fall exakt das gleiche Brillengestell. Exakt.

Auch sonst, ist die genealogische Herkunft unverkennbar. Mark Dion ist, sagen wir mal, Sammler. Und Künstler. Aber eben als Sammler. O Bruder, mein Bruder! Hebt alles auf. Ich vermute, bei ihm befindet sich das restliche Besteck.

Am Wochenende zeigt sich plötzlich Sonne, und alle Menschen stellen ihre Sammlungen oder Gedanken ins Licht. Auch manch Halbschattiges kommt dabei hervor. Das sehe ich auch beim Spaziergang durch Hamburgs berüchtigte Billstraße. Dort, wo man sein Fahrrad finden kann im Fall der Fälle. Und andere Sammlungen sieht: Der eine dort stapelt Kühlschränke, der andere Waschmaschinen. Dazwischen sitzt einer, der bietet Trimmräder an. Ich versuche es auch mit Fitness und schaue einfach, wie weit ich komme. Anderthalb Stunden dauert die Runde, danach fallen die Stufen schon schwer. Das war schon mal besser, aber jetzt im Winter will ich nachsichtig mit mir sein. Ich muß mich vielleicht auch erstmal sammeln.