1000 Meisterwerke



Die Jüngeren können das nicht wissen und werden dieses Gemälde aus dem damals noch frugalen Frühbarock nicht enträtseln können. Ältere erinnern sich. Man machte Besorgungen oder einen Ausflug, bummelte irgendwohin und verweilte dann zum Abschluß in einem sogenannten "Eiscafé" (oder einem anderem Ausschank). Gern mit einer geschätzten Person, sonst halt nur mit dem Eis. Auf dem Bild hier ist das Eis bereits geschmolzen, also - vanitas vanitatem - vergangen, Past Tense oder Retrofutur II: Es wird gewesen sein.

Ein Hinweis des (unbekannten) Malers auf die Pestjahre. Zeit ist begrenzt, man steht irgendwann auf vom Tisch, geht seiner Wege, ist wieder maskiert, vielleicht innerlich vereist, sagt Adieu oder "so long", wie im Mittelalter üblich. Der Betrachter sieht Pokale und plundrige Silberware und fragt sich, ob man da auf dem Tisch nicht gerade noch Pfirsich-Maracuja oder Vanille-Schokolade gesehen hat, einen ausgestreckten toten Fasan und eine Sanduhr (hier als Aschenbecher ausgeführt) dazu. Ein Stundenbuch. Das Bild als Erzählung.

Interessant sind die verrätselten Spuren. Die Dinge, die nicht stimmen, nicht am Platz sind, so die Menschen, die hier fehlen. Ein Löffel akkurat platziert, ein anderer aber auffällig im Becher. Ein sexuelles Symbol vielleicht, sicher eines vom Regelverstoß, eine augenzwinkernde Geste gegen Recht und Ordnung. Man denkt, vielleicht liegt eine Maske unterm Tisch oder ein vergessener Schuh.

Das "Gleichnis vom leeren Becher", so der in der Kunstgeschichte etablierte Titel des unbekannten Meisters, hat die Menschen seit jeher beschäftigt. Es wird verglichen mit großen Werken wie "Der umgestoßene Pokal" oder "Das letzte Brot vom Vortag", ihrerseits von Geheimnissen umrankte Gemälde aus den großen Sammlungen von Fürsten und Kanonikern. In den Sprachgebrauch das Bildnis als Metapher eingegangen von der Flasche, die leer ist. Außer Puste sein, erschöpft, die Beschreibung des Gefühls, daß man für 100 Jahre schlafen möchte. Und dann ein Eis.

Augenzucker | 13:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frau eff - Freitag, 12. März 2021, 18:54
NIE, also noch nie, ist es jemandem gelungen, einen so düsteren Eiscafétisch darzustellen. Das muss ganz tief aus Ihrer inneren Eiswüste kommen. Und dann diese Spuren der aggressiven Einschläge auf dem Tisch, als hätte ein lynchischer Zwerg höchstpersönlich mit seinen spitzen Stiefelchen darauf gewütet. Passt alles sehr gut zur aktuellen Stimmung, also meiner.

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kid37 - Freitag, 12. März 2021, 19:06
Das ist das Coverbild meines Debütromans So wird unser Sommer sein, der von einem Liebespaar erzählt, das durch Pest, Cholera und den böse gezischelten, rückwärts gesprochenen Worten eines Kleinwüchsigen auseinandergetrieben wird.

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samojede - Freitag, 12. März 2021, 22:09
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Meinen Sie mein Ehemann?!?

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kid37 - Samstag, 13. März 2021, 01:23
Der wurde doch aber als sehr sensibel und aufmerksam beschrieben.

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samojede - Samstag, 13. März 2021, 09:07
Wir haben a l Le (mindestens ) zwo Seiten... . . .🎭

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kid37 - Samstag, 13. März 2021, 11:41
Ich ja nur gute.

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ladys smock - Samstag, 13. März 2021, 21:36
Seinerzeit war wirklich wunderlich.

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kid37 - Dienstag, 16. März 2021, 22:00
Vielleicht sollte ich eine Kloster-Eisdiele mit heiligen Gralen aufmachen. "Zum Wunder".

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ladys smock - Donnerstag, 18. März 2021, 14:35
wie Sie ja schon lange wissen: die Dinge würden nicht anders verlaufen.

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kid37 - Freitag, 19. März 2021, 17:31
Derzeit jedenfalls steht alles auf dem Kopf.

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twasbo - Dienstag, 16. März 2021, 13:33
Mir ist diese Exegese zu eschatologisch, ja geradezu häretisch in ihrer Hermeneutik. Ich neige da eher der ikonografischen Deutung zu, die ja auch viel mehr auf die ontologische Idiosynkrasie des Sujets abzielt. Hier wurde eine Chance vertan. Schade.

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kid37 - Dienstag, 16. März 2021, 22:01
Ja, Sie! Sie haben Abitur. Ich muß um Worte ringen.

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