Freitag, 8. April 2022
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Nach Corona liege ich immer noch ein wenig angeschlagen in den Ringseilen, habe kürzlich aber immerhin schon zehn Luftballons (schwarz) ohne Japsen aufblasen können. Ansonsten aber schwach und erschöpft und mit neuen Perspektiven auf dem Sofa. Und was sehe ich? Zeug, Zeug, Zeug. Überall nur Zeug. Was aber ist besser als Zeug? Natürlich noch mehr Zeug!
"My wife bought this for me in Hillsboro, Oregon. That was before we were even dating, when we were just friends, roommates in the East Village. She said it reminded her of me. I should've known right then and there that we'd someday be married."
So schreibt es Mac Premo aus Brooklyn in New York (das ist eine große Stadt in den USA) vom fantastischen The Dumpster Project. Da hat sich einer verkleinert, reduziert, nach Freude und Funken (möglicherweise auch Luftballons) gefragt und mit dem Rest seines Zeugs ein Projekt als eine Art begehbare Collage in einem Container gemacht. Zuvor hat er alles inventarisiert und akribisch fotografiert. Eine geschmackvoll kuratierte Sammlung des Ephemeren und eine künstlerische Transformation. Man muß sich ihn als einen glücklichen und womöglich glücklich verheirateten Menschen vorstellen.
Dienstag, 22. März 2022
Ich dachte schon, ich sei mal wieder der Letzte beim "adopten" von neuen Trends. Aber pünktlich zum sogenannten "Freedom Day" hat es mich dann doch erwischt. Wie ich immer sage, Kinder, bleibt zuhaus, verlasst nicht den Platz hinter dem Ofen, geht nicht über Los, zieht nicht 4000.- DM ein. Aber als Adventure Kid und im Übrigen sportlich gestählte und ansonsten top-fitte Person denkt man natürlich, man könne jede noch so frei schwingende Hochseilbrücke über eine Andenschlucht überqueren.
Der Abstrich wurde von einer freundlichen Person um 14:38 Uhr gemacht. Dabei sagte ich noch, hauen Sie rein, es ist bald eine Minute drüber. Haste Corona im Hals, haste Corona im Hals, wie man im Ruhrgebiet sagt.
Während sich in Hamburg, Stadtteil Draußen, der Frühling einnistet mit Temperaturen um die 17 Grad, bin ich jetzt auf Quarantänestation und habe die Wohnungstüre von innen zugeschweißt. Werde nachher noch mit der Stichsäge eine Katzenklappe einbauen, durch die man mir Essen, die Tageszeitung und Medikamente schieben kann.
Montag, 14. März 2022
Demnächst fällt ja wohl die Maskenpflicht, was aus vielerlei Gründen sehr bedauerlich ist. Da wäre einmal der Gesundheitsschutz. Aber auch, daß man nicht so viele grummelige Gesichter sieht. Es mag irgendwie uniformer aussehen in der Außenwelt. Aber auch gemütsneutraler.
Dabei war es auch die Zeit für individualisierte Masken. Wie die von Mask Smith aus Tokio ("Our mask[s] is not just for hiding your face, it reveals WHO YOU REALLY ARE"). Mir haben es da die vom Anglerfisch am meisten angetan. Diese schuppenlosen Tiere zeigen sich gerne nackt (in vertrauter Umgebung), dabei aber stets in stimmungsvollem Licht (Wikipedia). Ich mag Fische, ihre tiefgründelnde Art, und weiß, daß man sie geduldig angeln muß. Mit Anglerfischmaske ginge man durch die Welt wie ein Heimleuchter - unverloren, gewichtig wirkend, sein eigener Leitstrahl und faszinierend anzuschauen. Nie mehr halbblindes Fummeln vor dem Türschloß oder hinten am Kellerregal. Stattdessen ein praktisches Licht, bei dem beide Hände für Wichtigeres frei bleiben. So können auch fische Fahrrad fahren. Ich warte einfach auf die Helmversion.
Montag, 7. März 2022
Nach längerer Pause gab es 2007 mit dem Album Variéty wieder ein Lebenszeichen von Les Rita Mitsouko. Es folgte eine Tournee. Auf Youtube gibt es einen Mitschnitt davon. Am Ende spielen sie naürlich "Marcia Baïla", ihre Hommage an die früh verstorbene Freundin und ihr erster Hit, mit dem sie in den 80er-Jahren halb Europa zum Tanzen brachten. Erschöpft ruft Catherine Ringer "à la prochaine" ins Publikum, aber eben auch "Le spectacle est terminée". Es war der unerwartet letzte Auftritt der Band. Drei Monate später war ihr Ehemann und musikalischer Partner Fred Chichin tot. Er starb mit 53 an Krebs.
Ich habe sie 1994 auf einem Konzert in Düsseldorf gesehen, mir war das eigentlich alles ein bißchen zu fröhlich und bunt. Selbst die ikonische LP , sonst in jeder zweiten Plattensammlung zu Hause, bekam ich erst später von einer Freundin geschenkt und wurde so wiederum für mich eine Erinnerung nicht nur an die 80er. Freds Bruder Fabrice, ein, so weit ich es sehe, etwas verkrachter Maler, Autor und Musiker, veröffentlichte 2006 eine Biographie der Band - Le choc Mitsouko. Es wurde eine sehr persönlich gefärbte Lebenserzählung, in der sich Bandgeschichte Lebensgeschichte und Fabrices eigene Geschichte mischen. Er schreibt von den Anfängen der Band, dem ersten winzigen, heruntergerockten Apartement von Catherine und Fred in Paris (Klo auf dem Gang), diese Art von romantischen Künstlerbiografien - arm wie Kirchenmäuse, aber voller Leidenschaft und Idealismus für ihre Musik. Ochsentour durch Punkclubs und Cabarets inklusive.
Klangmeister Conny Plank half ihren frühen Songs zur Reife. "Marcia Baïla wurde zum Hit, auch dank MTV und einem für die damaligen Zeit Aufsehen erregenden Video, das geschickt allerlei französische Stereotypen von Mode bis hin zu comichaften Dachlandschaften präsentierte. Ausgestattet von Thierry Mugler und Jean-Paul Gautier sah es auch den ersten Auftritt des berühmten Gaultier-Bustiers mit den Spitztüten-BHs. Hier irrt auch die Vogue, die mal schrieb, wie Madonna zum Bustier fand, das sie auf ihrer Welttournee in die euphorischen 90er-Jahre kegelte. Die Vogue sagt, Gaultier habe es 1987 zum ersten Mal bei einer Schau gezeigt, aber hier ist es, zwei Jahre früher, am Leib von Catherine Ringer (wenn auch ohne die Träger, die Madonna später angenäht hatte) zu sehen.
Die Biografie spart auch nicht die damals genüßlich ausgewalzte Anekdote um Ringers frühere Aktivität als Pornoschauspielerin aus. Nach den Chartserfolgen von Les Rita Mitsouko kramte ihre Produktionsfirma die schwitzigen Schinken wieder aus, pappte einen werbewirksamen Aufkleber drauf und machte damit noch mal zwei, drei schnelle Mark. Ringer hat es später mal in einem längeren Interview dargestellt, wie das merkwürdige Klima der 70er-Jahre (man denke an den schwiemeligen Männer-Intellektualismus der Hippie-Jahre, der "sexuelle Befreiung" gut für sich nutzen wusste) und die perversen Ambitionen ihres damaligen Partners ("Du musst die Ekelgrenzen überwinden") auf rebellisch-jugendliche Neugier stießen. Sie nannte nie Namen, aber die Biografie legt einen (ein leidlich bekannter französischer Schauspieler) nahe. Ach ja, ausgerechnet - muss man ja sagen - Serge Gainsbourg mokierte sich ihr gegenüber in einer Talkshow über die Episode, sie gab eine stilvolle Replik, als sie Jahrzehnte später nonchalant eines seiner Chansons in einer Sendung zu Ehren des verstorbenen Komponisten sang.
Umstritten blieben sie später noch. Die Band, die in jungen Jahren tief in der linken Szene verwurzelt war, sich gegen Antisemitismus und für Immigration engagierte, wurde nach den Anschlägen vom 9. September nachdenklicher. Fred Chichin äußerte sogar Sympathien für Sarkozy, worauf ihm eine Journalistin in einem Artikel "ta gueule" entgegenschleuderte. Da heißt es, sich nicht beirren lassen. die Kunst geht immer weiter.
Im Video zu "Ding Dang Dong" sieht man, daß einiges vom Zauber von Catherine Ringer und Fred Chichin bis zum Ende hielt. Das leicht melancholische, aber ganz muntere Liedchen könnte nach meinem eigenen Lebenserinnerungen Mein Leben als Beifahrer entstanden sein: Catherine klingelt ganz vif den schweigsamen Fred zu einem kleinen Ausflug heraus und cruist mit ihm ein bißchen durch Nacht und Stadt. Es kann manchmal ganz einfach sein.
Catherine Ringer macht nach Freds Tod weiter, bringt eigene Alben heraus und singt die alten Hits, wie hier Marcia Baïla im kleinen Pariser "La Cigale" vor einer Menge an mitgealteter Herren und Damen, die sich beim Lied begeistert an ihre Jugend erinnern. (Man kann hier übrigens sehen, wie wichtig die Bridge für den Erfolg des Liedes ist. Wer nicht ganz textsicher ist, wacht spätestens beim "Whooha-hoo-ha-hoo" auf. Eine Phrase, aus der die Band Blur mal einen Welthit des Junggesellinnenabschieds schmiedete.) Freilich eine Karriere nicht ohne erneute Probleme. Die Beziehung zu Fabrice Chichin ist zerstritten. Seit ein paar Jahren betreibt der Bruder ihres Lebenspartners eine Diffamierungskampagne im Internet gegen sie, verunglimpft ihre Arbeit und auch die gemeinsamen Kinder mit Fred Chichin, postet verstörende Kommentare unter ihre Videos und unterhält eine Hassseite auf Instagram. Es ist eben immer einer dabei, dem die Dinge nicht gefallen.
>>> La Vie du Rail - charmante Reiseimpressionen aus Indien, anläßlich der Dreharbeiten zum Clip "Le Petit Train" (1989), ein Lied, mit dem Catherine Ringer die Erfahrungen ihrer Familie während der Nazizeit verarbeitete.
>>> Offizielle Website
Sonntag, 27. Februar 2022
Aufgestanden ist er, welcher lange schlief. Dann wacht man selber eines Morgens auf, und es ist Krieg in Europa. Dann ist nicht etwa endlich die Pandemie vorbei, sondern plötzlich noch einmal alles anders. Dann hat einer den Herd angelassen, den Kopf reingesteckt, die Karte falsch herum gehalten.
Über die Stunden und Tage teilen Bekannte aus der Ukraine, aus Kiev und Lviv, Nachrichten. Wo man ungefähr ist, in welcher Zone, Gefahrenzone, Schutzzone, wo der Luftschutzbunker ist. Familie, Freunde, was manche an der Grenze erleben. Derweil im Lande Ratlos zunächst noch Zauderpolitik, die Automaten nicht geölt, der Fingerzeigreflex nicht völlig kontrolliert, die Hirne derjenigen, die jetzt noch Partei- und Klientelpolitik betreiben, vielleicht zu klein auch einfach.
Ungeheuerliche Geschichten, schmerzhafte Geschichten, schockierende Geschichten. Man wird einander viel verzeihen müssen, hieß es. Den Aggressoren niemals, den anderen jetzt schon. Alle umarmen, aber den Mittelfinger hübsch gefeilt halten.
>>> Geräusch des Tages: Edwin Starr, War
Mittwoch, 23. Februar 2022
"U-Boot taucht auf!" 2022. Wasserfarben, Papier, Bleistift. 1000,- Mark.
Ich erzählte hier bereits, daß ich früher mal eine Karriere als erfolgreicher U-Boot-Maler anstrebte. Eine tolle Zeit, viel Wind, viel Wetter, Gischt und Seemannschöre. Nun überlege ich, mit zunehmend wohlwollendem Blick auf die Vergangenheit, ob ich nicht 2022 wieder vermehrt auf Tauchfahrt gehen sollte. Um dann mit kühnem Bugschwung und seevogelumschwirrt aus den Wogen zu steigen.
Neulich habe ich geträumt, eine Bekannte wäre zu Kaffee und Kuchen zum Besuch gekommen und hätte mich freundlich gefragt, ob ich vielleicht ihre neuen Tattoos sehen wolle. Und ich sagte, gern, und überlegte, wo ich meine Lesebrille abgelegt hatte oder ob ich eine Lupe brauchen würde für all die Texte, die sie vielleicht aufgetragen hätte, oder ein Periskop - jedenfalls bin ich dann leider aufgewacht aus diesem tätowierten Traum bzw. in eine andere Schlaf- oder Wachphase gerutscht, was schade ist, auch um des Berichts hier wegen.
Das ist so, wie wenn man frische Narben herzeigt, OP-Wunden, Herzwunden, kleine Imperfektionen, das Wunder des Körpers, des Überlebens zwischen Intrusion und Heilung. So, wie wenn man sich als Arzt oder regelmäßiger Zuschauer von Medizinsendungen im Fernsehen zu erkennen gibt und auf Partys um Gutachten und Meinung gefragt wird, wie man dieses oder jenes in seiner Ernsthaftigkeit und Bedeutung einschätzen würde.
Die Exegese des Körpers, der sich morgens immer beschwerlicher aus den aufgewühlten Wogen der Bettlaken erhebt, wie so ein submarines, tätowiertes und von den Haken der Jäger und den Zähnen der Raubfische zerschrammtes Tier oder verloren geglaubtes U-Boot. Die Gischt nurmehr Sabber, da bläst er!, singt der Seemannschor, weil man nachts schnarchend und mit offenem Mund... aber auch dagegen, das lehren Medizinsendungen im Fernsehen, gibt es Hilfe. Zunächst aber muß alles gelesen werden: Narben, Geräusche und Funksprüche aller Art.
Donnerstag, 17. Februar 2022
In meinem launigen Erinnerungsbuch Die Bohème lebt unterm Dach - und macht Krach beschreibe ich, wie ich morgens nach dem Aufwachen oft noch fünf Minuten im Bett liegenbleibe, um den richtigen Spirit zum Aufstehen zu finden. Dabei atme ich hin und wieder geistesabwesend Ektoplasma aus, einfach, weil ich es kann, so wie andere gelangweilt Kaugummi kauen oder eine rauchen, materialisiere also irgendwelche Geister, meist die der Vergangenheit, tobende Chefs etwa, die mit dem Zeigefinger auf ihre Armbanduhren klopfen, oder klagende Frauen, die mir aus irgendwelchen kargen Nebellandschaften heraus vergessene Einkaufslisten hinterherrufen.
So mancher, der wie ich im Herbst seines Frühlings steht, interessiert sich vielleicht für mein neues Buch Der Tod traf mich lebend an. Dies wird in einer zugigen Kate im schottischen Hochmoor entstehen, wo ich - nur von einem Raben begleitet, der mir zum Aufstehen Schicksalslieder singt - ein paar Herbstwochen lang Lebensmaximen und -weisheiten zusammentragen werde. Zum Beispiel im Kapitel "Ein Tier, das faucht", Erkenntnisse aus dem Leben mit einer Katze. Der Volksmund sagt, die Katze habe neun Worte, wenn ihr also plötzlich eines fehlt, hat sie lange Zeit ein weiteres bereit. Das ist praktisch in öffentlichen Diskussionen, in denen es einem häufiger mal die Worte verschlägt. Die Katze bleibt hier unbeeindruckt, leckt ihr Fell und greift sich das nächste.
Oder auch das Kapitel "Klaviererzählungen" mit einzelnen Klängen zum Nachhallen und Nachhören, wie in einem Traum. Einer dieser Selbsterzählungen beginnt so: "Als ich eines morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich in PJ Harvey verwandelt und führte fortan ein recht interessantes Leben mit zwei Klavieren und mehreren Gitarren, die mir selbst gehörten." Seither übe ich über Rollen von Notenpapier gebeugt magisches Denken, unterteile das Leben in schwarze Tasten und weiße Tasten und probiere dazu einen Moll-Akkord. Momm.
Im sogenannten "wahren Leben" stattdessen aber Sturm, Geklapper unterm Dach, losgezerrte Segelboote, Notizzettel und Sätze voller Doppel-Konsonanten (wer hier mal nachzählen möchte). Will man da raus und aus Büchern deklamieren? Korken in den Wind spucken, um nicht deutlich, aber eben lauter zu sprechen? Windsbräute am Kragen packen oder vom Wind verwehte Möwen abwehren? Alter Mann, müde, murmle ich. Stopfe Kleider, putze Schuhe, mach den nächsten Plan.