Le Spectacle est terminée



Nach längerer Pause gab es 2007 mit dem Album Variéty wieder ein Lebenszeichen von Les Rita Mitsouko. Es folgte eine Tournee. Auf Youtube gibt es einen Mitschnitt davon. Am Ende spielen sie naürlich "Marcia Baïla", ihre Hommage an die früh verstorbene Freundin und ihr erster Hit, mit dem sie in den 80er-Jahren halb Europa zum Tanzen brachten. Erschöpft ruft Catherine Ringer "à la prochaine" ins Publikum, aber eben auch "Le spectacle est terminée". Es war der unerwartet letzte Auftritt der Band. Drei Monate später war ihr Ehemann und musikalischer Partner Fred Chichin tot. Er starb mit 53 an Krebs.

Ich habe sie 1994 auf einem Konzert in Düsseldorf gesehen, mir war das eigentlich alles ein bißchen zu fröhlich und bunt. Selbst die ikonische LP , sonst in jeder zweiten Plattensammlung zu Hause, bekam ich erst später von einer Freundin geschenkt und wurde so wiederum für mich eine Erinnerung nicht nur an die 80er. Freds Bruder Fabrice, ein, so weit ich es sehe, etwas verkrachter Maler, Autor und Musiker, veröffentlichte 2006 eine Biographie der Band - Le choc Mitsouko. Es wurde eine sehr persönlich gefärbte Lebenserzählung, in der sich Bandgeschichte Lebensgeschichte und Fabrices eigene Geschichte mischen. Er schreibt von den Anfängen der Band, dem ersten winzigen, heruntergerockten Apartement von Catherine und Fred in Paris (Klo auf dem Gang), diese Art von romantischen Künstlerbiografien - arm wie Kirchenmäuse, aber voller Leidenschaft und Idealismus für ihre Musik. Ochsentour durch Punkclubs und Cabarets inklusive.

Klangmeister Conny Plank half ihren frühen Songs zur Reife. "Marcia Baïla wurde zum Hit, auch dank MTV und einem für die damaligen Zeit Aufsehen erregenden Video, das geschickt allerlei französische Stereotypen von Mode bis hin zu comichaften Dachlandschaften präsentierte. Ausgestattet von Thierry Mugler und Jean-Paul Gautier sah es auch den ersten Auftritt des berühmten Gaultier-Bustiers mit den Spitztüten-BHs. Hier irrt auch die Vogue, die mal schrieb, wie Madonna zum Bustier fand, das sie auf ihrer Welttournee in die euphorischen 90er-Jahre kegelte. Die Vogue sagt, Gaultier habe es 1987 zum ersten Mal bei einer Schau gezeigt, aber hier ist es, zwei Jahre früher, am Leib von Catherine Ringer (wenn auch ohne die Träger, die Madonna später angenäht hatte) zu sehen.

Die Biografie spart auch nicht die damals genüßlich ausgewalzte Anekdote um Ringers frühere Aktivität als Pornoschauspielerin aus. Nach den Chartserfolgen von Les Rita Mitsouko kramte ihre Produktionsfirma die schwitzigen Schinken wieder aus, pappte einen werbewirksamen Aufkleber drauf und machte damit noch mal zwei, drei schnelle Mark. Ringer hat es später mal in einem längeren Interview dargestellt, wie das merkwürdige Klima der 70er-Jahre (man denke an den schwiemeligen Männer-Intellektualismus der Hippie-Jahre, der "sexuelle Befreiung" gut für sich nutzen wusste) und die perversen Ambitionen ihres damaligen Partners ("Du musst die Ekelgrenzen überwinden") auf rebellisch-jugendliche Neugier stießen. Sie nannte nie Namen, aber die Biografie legt einen (ein leidlich bekannter französischer Schauspieler) nahe. Ach ja, ausgerechnet - muss man ja sagen - Serge Gainsbourg mokierte sich ihr gegenüber in einer Talkshow über die Episode, sie gab eine stilvolle Replik, als sie Jahrzehnte später nonchalant eines seiner Chansons in einer Sendung zu Ehren des verstorbenen Komponisten sang.

Umstritten blieben sie später noch. Die Band, die in jungen Jahren tief in der linken Szene verwurzelt war, sich gegen Antisemitismus und für Immigration engagierte, wurde nach den Anschlägen vom 9. September nachdenklicher. Fred Chichin äußerte sogar Sympathien für Sarkozy, worauf ihm eine Journalistin in einem Artikel "ta gueule" entgegenschleuderte. Da heißt es, sich nicht beirren lassen. die Kunst geht immer weiter.



Im Video zu "Ding Dang Dong" sieht man, daß einiges vom Zauber von Catherine Ringer und Fred Chichin bis zum Ende hielt. Das leicht melancholische, aber ganz muntere Liedchen könnte nach meinem eigenen Lebenserinnerungen Mein Leben als Beifahrer entstanden sein: Catherine klingelt ganz vif den schweigsamen Fred zu einem kleinen Ausflug heraus und cruist mit ihm ein bißchen durch Nacht und Stadt. Es kann manchmal ganz einfach sein.

Catherine Ringer macht nach Freds Tod weiter, bringt eigene Alben heraus und singt die alten Hits, wie hier Marcia Baïla im kleinen Pariser "La Cigale" vor einer Menge an mitgealteter Herren und Damen, die sich beim Lied begeistert an ihre Jugend erinnern. (Man kann hier übrigens sehen, wie wichtig die Bridge für den Erfolg des Liedes ist. Wer nicht ganz textsicher ist, wacht spätestens beim "Whooha-hoo-ha-hoo" auf. Eine Phrase, aus der die Band Blur mal einen Welthit des Junggesellinnenabschieds schmiedete.) Freilich eine Karriere nicht ohne erneute Probleme. Die Beziehung zu Fabrice Chichin ist zerstritten. Seit ein paar Jahren betreibt der Bruder ihres Lebenspartners eine Diffamierungskampagne im Internet gegen sie, verunglimpft ihre Arbeit und auch die gemeinsamen Kinder mit Fred Chichin, postet verstörende Kommentare unter ihre Videos und unterhält eine Hassseite auf Instagram. Es ist eben immer einer dabei, dem die Dinge nicht gefallen.

>>> La Vie du Rail - charmante Reiseimpressionen aus Indien, anläßlich der Dreharbeiten zum Clip "Le Petit Train" (1989), ein Lied, mit dem Catherine Ringer die Erfahrungen ihrer Familie während der Nazizeit verarbeitete.

>>> Offizielle Website

Radau | 18:17h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fidibus - Dienstag, 8. März 2022, 01:01
Danke für den interessanten Nachhilfekurs in Musikgeschichte. (Kannte wieder mal nix davon.)

 link  
 
kid37 - Dienstag, 8. März 2022, 01:39
Interessant. Ist natürlich auch eine Alters- und Sozialisationssache. Letztlich ein Phänomen der 80er-Jahre. Dann ist ihr Mix aus Punk, Jazz, Funk und Chanson vielleicht auch zu wenig einordbar gewesen... man will ja Schubladen. So habe auch ich die immer wieder aus den Augen verloren. Mich fasziniert die lange produktive Phase als Künstler- und Lebensduo. Drei Kinder kamen auch noch heraus.

 link  
 
fidibus - Dienstag, 8. März 2022, 02:21
Muss toll sein, was zu haben, wo man voll drin aufgeht, und dann auch die entsprechenden Gleichgesinnten dafür zu finden.

(Wuchs in einem Umfeld auf, in dem man keine Klassenfeindsender hörte. Es war ja nicht mal verboten, wir machten es einfach nicht. Als ob man uns einen inneren Zensor eingesetzt hätte. Bisschen gruselig so im Nachhinein.)

 link  
 
kid37 - Dienstag, 8. März 2022, 12:19
Musik muß ja dann auch eine Relevanz für einen haben; ich hätte mich von Ostbands wohl auch nicht repräsentiert gefühlt. Ich denke, Catherine Ringer und Fred Chichin haben bestimmt auch mal gezankt. Aber nur leicht. ;-)

 link  
 
liuea - Dienstag, 8. März 2022, 09:43
Danke für den interessanten Hinweis!

 link  
 
kid37 - Dienstag, 8. März 2022, 12:19
Gern. Die sind ja nicht mehr sooo bekannt.

 link  
 
frau eff - Dienstag, 8. März 2022, 14:40
Ich meine mich vage zu erinnern, die auch mal gesehen zu haben (in Berlin?). Waren aber nie so in meinem Musikfocus. Zwei Freundinnen haben die gehört, beiden haben was mit Mode und Schmuckdesign studiert, und die sprachen auch Französisch, das passte irgendwie. Dieses ganze Frankreich ist mir bis heute ein Rätsel. Diese Eleganz!
Das Ding-Dong-Video konnte ich nicht gucken, da kriege ich epileptische Anfälle.

 link  
 
kid37 - Dienstag, 8. März 2022, 22:19
Ich mochte das Video zu "Ce Comme Ça". Karikaturgestalten in schrill-nostalgischer Mode zu punkigen Sounds. Mir gefiel dieser starke visuelle Gestaltungswille neben der Musik. Es gab eine Zeit für sowas.

 link