Montag, 6. Dezember 2021


Traumhäuser

In meinem galanten Maklerroman Liegenschaften der Liebe schreibe ich über ein Künstlerpaar, das einige Jahre gemeinsam durchs Leben schreitet zusammen die Kalenderblätter zählt Bett und Miete teilt eine Bedarfsgemeinschaft bildet, sich dann vom Herzen her aber ein wenig entmietet (zuviele Leute, die durch die Fenster schauen und Kommentare abgeben). Ein schönes, romantisches Stück.

Heute, an einem typischen Nikolaustag (nix im Stiefel, nix im Topf), erwachte ich aber aus intensiven Träumen, in denen ich an eine Bekannte dachte, mit der ich früher mal einen Roman teilte, ehe dann die Zeitenläufte unsere kleinen Schiffe in unterschiedliche Richtungen wehten (zuviele Leute, die durch die Bullaugen schauten und Kommentare abgaben, zu wenige Planken, über die man die alle hätte laufen lassen können).

Alles geht zu Ende, das Jahr nun endlich auch. Ich weiß nicht, als was das in Erinnerung bleiben will oder ob ich jemals "intensive Träume" dazu haben werde. Man träumt nicht von griesgrämigen Jahren. Man sagt, komm, geh' weg, du stinkst. Man sagt, I'm coming around, raus aus dem Stillklebestand und "mal sehen, was 2022 bringt". Zur Abwechslung mal wieder vorwärts gehen, nicht den Kopf seitwärts halten, Brackwasser aus verstopften Ohren laufen lassen oder um totgelaufene, abgeschrappte Punkte tänzeln wie Raucher im gelben Käsekästchen am Regionalbahnsteig.

Hab' eine Einladung in eine große Stadt in den USA erhalten, Perspektivwechsel, jemand, der mir auf den Kopf haut, aber liebevoll, Namen hin- und herwerfen und Ideen, Mißverständnisse auftürmen wie Wolkenkratzer oder auch Einsichten, ein bißchen Touriprogramm. Dort dann gleich den internationalen Markt erobern, denn die Rentenauskunft, die ich zwischenzeitlich erhielt, legt mir das als Empfehlung nahe. Ich write dann nur noch auf English, male amerikanisch und fliege auf Kosten des ZDF nach Hause zur großen Weihnachtsshow.

Nachdem ich all dies durchgedacht hatte, war es schon Zeit aufzustehen. Frühstück machen, Kaffee trinken, Nachrichten lesen. I'm coming around.


 


Mittwoch, 1. Dezember 2021


Kanadischer Herbst


Peter Ferguson: "The Engineer Jules Bernhardt"

Vielleicht grob angesiedelt zwischen Eugen Egner und einem bekifften (wird bald legal) Neo Rauch [sic!], malt der Kanadier Peter Ferguson (*1956) verschrobene Szenarien, die wirken, als seien irgendwelche flämischen Maler von den dieselbetriebenen (wird bald verboten) 40er-Jahren geimpft worden. Es sind vielfach Industrie- und Arbeiterszenen, Männer und Frauen in derber Kluft an merkwürdigen Maschinen in einer von Grau- und Ockertönen gefärbten Welt. Eine Art ewiger kanadischer Herbst. In einer Zeichnung [Instagram] hat er, die Verwandtschaft liegt nahe, David Lynchs berühmte "Kaffeekannen"-Maschine aus der dritten Staffel Twin Peaks verewigt (neben dem ebenfalls aus dem frühen Lynch-Universum berühmten "Radiator").

Mich rührt das oben abgebildete Gemälde "The Engineer Jules Bernhardt", weil es quasi mich zeigt (Ringelhemd), wie ich im nächsten Jahr in meiner penibel aufgeräumten Atelierwerkstatt komplizierte Apparaturen entwickeln werde. Aber lässig. Tatsächlich - und das ist vielleicht noch eine andere Geschichte, die mich nicht unerwartet in die Nähe des erfinderischen Detective Murdoch aus Toronto rückt - habe ich in den letzten Wochen einem, die Verwandtschaft liegt manchmal auch in der Ferne, in Kanada verschollenen Zweig der Familie nachgespürt, diesen auch gefunden und eine allerdings lose Konversation mit Britisch-Kolumbien aufgebaut. Das nur als Teaser.

Sollte ich eine Hühnerfarm erben, könnte ich mir ein Bild von Ferguson leisten. Das obige etwa oder dieses, das mich als Jungen mit meinem zahmen Vogel zeigt.

>>> Website von Peter Ferguson mit Galerie


 


Mittwoch, 24. November 2021


Merz/Bow #69



Von dem Drucke: In meiner kargen freien Zeit bin ich derzeit damit beschäftigt, aus Altteilen vom Straßenrand eine Maschine zu bauen, mit der ich Impfverweigerern Druck machen möchte. Dazu steckt man einen solchen Pandemiedully in den rostigen, aber sonst intakten Hartschalenzylinder, dreht an der Kurbel und beobachtet den Druckanstieg auf dem kleinen Manometer. Springt der über fünf, wird auch der härteste Wissenschaftsleugner weichgekocht - dann heißt es, Arme frei zum Gebet und Glück auf, die Spritze kommt.

#


Muß jetzt mal Schluß sein mit diesem endlosen Lavieren auf meine Kosten. Bin vulnerabel und nicht verhandlungsbereit. AND THAT'S OFFICIAL!

#


Verfolge seit Jahren die Arbeiten der in Großbritannien lebenden Künstlerin Julia Soboleva (Instagram), von der ich auch zwei fantastische Drucke besitze. Jetzt hat sie gemeinsam mit dem kleinen französischen Verlag Joie Panique ein noch kleineres Buch herausgegeben, das sehr hübsch geworden ist.

#




Wie schnell doch die französische Post Bücher liefert. Und wie günstig. Man zuckt da schon wehmütig zusammen, wenn man die Entwicklung der Portokosten für den kleinen Kunst- und Warenverkehr in den letzten zwei, drei Jahren betrachtet.

#


Übrigens ist das Buch auf hundert Exemplare limitiert. Ich habe die Nr. 32 erwischt. Wieviel Pech kann man haben?

#


TWASBO sucht Störschreiber.

MerzBow | von kid37 um 17:43h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 13. November 2021


Von deren Tieren


"Giraffe". Kreidezeichnung auf Papier. 2021. 1000,- Mark

Ich glaube, es war mein Debütroman Hunde spüren das über einen Herbst menschlicher Verzweiflung und tierischer Morgenkälte, der den Tierpark Hagenbeck in Hamburg auf meine Arbeiten aufmerksam machte. So kam ein kleiner Auftrag zustande, bei dem ich als wissenschaftlich-künstlerischer Tierzeichner die Fauna des weltbekannten Zoologischen Gartens skizzieren sollte. In aufwendigen Prozessen und stundenlangen Sitzungen vor den einzelnen Gehegen gelangen mir, so möchte ich es bescheiden nennen, in ihrer Schlichtheit bedeutsame grafische Darstellungen voller Poesie und detailfreudiger Eleganz. Reduziert auf wenige, aber entschieden durchgeführte Striche, werden die Tiere in ihren spezifischen Eigenheiten deutlich gemacht und erwachen durch bloße Betrachtung zu einer selten zuvor gesehenen Lebendigkeit.


"Seepferdchen". Kreidezeichnung auf Papier. 2021. 1000,- Mark.

Ich hoffe, die Reihe bald fortsetzen zu können, sollte ich das Haus jemals wieder verlassen. Mit meinem feschen Strohhut, dem Ringelhemd und dem kleinen Skizzenblog bin ich bereits so etwas wie ein kleines Maskottchen des Zoos geworden, wie es sonst nur die ebenfalls geringelt gekleideten Katta im benachbarten Aquarium und Tropenhaus sind, mit denen ich mir mein Abendessen teile. Ein freudvoller Job und dabei annähernd klimaneutral, denn Kohle gibt es wenig. Ich hege aber die stille Hoffnung, daß die Senatorin für Wissenschaft und Forschung in der Hansestadt die Bilderserie ankauft für das Naturkundemuseum, das - auf mein Drängen hin - im ehemaligen Kaufhof-Gebäude in der Innenstadt entstehen soll. Da mache ich auch einen speziellen Preis.


 


Freitag, 5. November 2021


Expedition in Terror



90 Prozent aller Filme aus der Stummfilmzeit gelten als verschollen. Originale zählten nicht viel, Film war ein Gebrauchsgegenstand, ein großer Teil des Materials fiel Unglücken, Vernachlässigung, Krieg, Bränden oder Selbstentzündung zum Opfer. Die Kopien wanderten teils Jahre von Kino zu Kino, wurden beschädigt, abgenudelt, gekürzt und umgeschnitten und landeten dann auf ihren letzten Stationen am Ende der (damaligen) Welt in der Mülltonne. Manchmal aber auch im Permafrostboden Alaskas, wohin sie vergraben wurden, oder auf irgendwelchen Speichern, wo sie aufgstöbert und auf Flohmärkte gelangten und schließlich in die Hände von Hoardern oder Sammlern. Oder eben Instituten, die sich um eine Restaurierung bemühen.

So wie dieser Film von einer Expedition ins Nordmeer im Jahre 1919. Ein junger Forscher, offenbar ein Humboldt seiner Zeit, macht sich mit seinem treuen Hund auf ins arktische Eis, um verschiedene Arten von Schnee zu untersuchen und erlebt ein dramatisches Abenteuer um Sprachverwirrung und einen gefährlichen Eisbären. Leider sind von diesem Werk in Spielfilmlänge nur wenige Informationen und noch weniger Material erhalten. Ganze anderthalb Minuten hat man aufwendig restaurieren können, eine gleichwohl imposante Leistung, für die moderne Computertechnologie (sprich: irgendwas Kompliziertes) verwendet wurde.

Als Hoarder Sammler obskurer Artefakte kam ich an eine Kopie diese eindrucksvollen, hoch spannenden Werks, das ich hier präsentieren möchte. Das Barmbeker Filmorchester spielte live eine Neuvertonung der Filmmusik ein, die als Schellackplatte mit 78/Rpm später einmal separat erhältlich sein soll.

Super 8 | von kid37 um 22:08h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 29. Oktober 2021


I Had A Dream Last Night



Es ist immer aufregend merkwürdig oder merkwürdig aufregend, wenn einem fremde Leute in den eigenen Träumen herumfuhrwerken. Jetzt ist es aber so, daß die Make-up-Künstlerin Isamaya Ffrench (u. a. Kanye West, Pacco Rabane) mit Regisseur und Kameramann Rodrigo Inada in meinen Kopf vordrangen, um einen Traum, den ich vorgestern hatte, von dort herauszupulen. Das ist eine spannende Technik, die im kommenden Meta-Zeitalter ganz normal und haushaltsüblich werden wird. Sozusagen der Thermomix für die REM-Phase.

Ffrench, von der es heißt, sie habe ihre Karriere als Gesichterbemalerin auf Kindergeburtstagen begonnen, sagt "I just think that 'beautiful' and 'pretty' have limits" und schaut offenbar auch ganz gern unter dem Teppich nach, nimmt Seelenkericht und einen Schuss Ursuppe (neben Sauerteig immer einen Schuss Ursuppe vorrätig halten!) und zaubert einem das wahre Halloween-Ich aus dem Körper. Zauberhaft. Präsentiert wird das ganze von WeTransfer, die hier einen ausführlichen Bericht, weitere Hintergrundinformationen und Stills aus dem kleinen Film bereitstellen. Zum Träumen.



Apropos, Kindergeburtstag. Wieder einmal um die Sonne rum, das ging diesmal schneller als ein Roadrunner aus den Carl-der-Coyote-Filmen. Danke für die vielen Glückwünsche und Geschenke, das ist alles sehr rührend. Kann jetzt sagen, "bin ja auch keine 37 mehr" und ähnlich wie Frau Ffrench "'beautiful' and 'pretty' have limits", aber meine Träume sind (s.o.) nach wie vor wild. Habe auch geträumt, daß ab nächstem Jahr jeweils ein EU-Bürger zufällig als Hospitant bei der EU-Kommission ausgelost wird, um mehr Bürgernähe zu diesen doch recht abstrakten Institutionen zu schaffen. Besitze jetzt ein Handbuch für die kommende Caféhausarbeit. Dazu Post aus Florenz, fantastisches Geschenkpapier, das ich rahmen werde und viele weitere interessante Ideen für die Zeit von 2:00 Uhr a bis 2:00 Uhr b, wenn am Wochenende die Uhren umgestellt werden.

Homestory | von kid37 um 15:37h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 26. Oktober 2021


Von Pinseln und Klobürsten



Kaum schreibe ich über Flitzpiepen, mußte ich heute die Sammlerausgabe der kleinen Tageszeitung hier kaufen. Wer weiß, ob die mich nicht in den Knast bringt mir nicht irgendwann die Rente aufbessert, wenn ich die später mal versteigern will. Soll keiner sagen, in Hamburch sei nichts los. Zwar konstatierte unlängst auch die Zeit in 1 kleine Kritik zu Fritzi Ernst, daß die Hansestadt in den letzten zehn Jahren deutlich provinziell geworden sei. Hauptsächlich, weil die Freiräume immer weniger werden. Also die Plätze, wo junge Bands üben können, Künstler was bemalen, Dichter rezitieren.

Stimmt auch. Die putzige Schlacht der Nuller-Jahre, also es noch hieß "Hamburg oder Berlin" war damals schon entschieden und ist es heute erst recht. "Hamburger Schule"? Ja, damals. Um Abwechslung bemüht ist immerhin der Senat, dessen Mann fürs Innere sich seit geraumer Zeit eine muntere Auseinandersetzung liefert, die man im Internet wohl als Meme-War bezeichnen würde. Allen Ernstes werden Polizeikräfte bemüht, Aufkleber von Laternenpfählen zu kratzen und Wände im öffentlichen Raum zu übermalen. (Der Ablauf ist hier in diesem Twitter-Thread gut zusammengefaßt.) Cringe.

Ich frage mich, ob zum Beispiel das Museum für Hamburgische Geschichte solche Ergeignisse und dazugehörigen Artefakte (etwa die rund um G20 berühmt gewordenen Klobürste) sammelt und bewahrt. Oder wenigstens das Polizeimuseum, die sicher beste Beziehungen zur Asservatenkammer unterhält. In zehn Jahren möchte man dazu vielleicht eine kleine Rückblick-Ausstellung zum Thema "Die wilden Zwanziger" wagen. Ich könnte dann das Titelbild aus meinem Archiv (manche sagen: "Stapel") zaubern. Es ist also schon was los, und die ganze Stadt eine Bühne.