Von den Flitzpiepen


(Model 1. Sog. "Flitze" gegen Ungeziefer. Ca. 1923. 1000,- Mark.)

Wenn man eine experimentelle Apparatur entwickelt, muss man immer mit Nebenwirkungen rechnen. So zieht man beim Bau einer Lampe leicht auch einfühlerige Motten und ihre düsteren Prophezeiungen an. Daher auch das Lied.

Es droht also ein sogenannter Schicksalskampf. Wer zu lange auf ein Monster schaut, wird selbst zum Monster, heißt es - grimmige Warnung für jeden spekulativen Wissenschaftler, der Sorge dafür tragen muß, die Schöpfung seines Labors im Griff zu haben (-> Frankenstein). Ich habe also immer eine salopp so genannte "Flitze" parat, gefüllt mit Stoffen, die niemand wissen will, ich denke der Warnhinweis sagt alles, und rücke dann als Pestbuster aus. (Achtung: Nicht zu Hause nachmachen, alle hier vorgeführten Stunts werden durch professorale Spezialisten durchgeführt.)

Sprühend bahne ich mir einen Weg in den Supermarkt, der seit meine Lieblingskassiererin dort nicht mehr arbeitet (Story of my life. Nichts bleibt.) zur Todeszone wird. Neulich Rauferei, ein Mann kollabiert, Rettungswagen, ich kenne das ja. (Wenn auch ohne Rauferei. SOWEIT ICH MICH ERINNERE.) Im Nahverkehr wird mir sofort ein Platz angeboten, wenn ich im Schutzanzug und mit der Flitze in der Hand in die U-Bahn zusteige. Wo andere dann ihren Zerstäuber Tosca aus dem Handtäschchen kramen, um sich menschlich und olfaktorisch zu erfrischen, trage ich alles offen. Warum auch nicht. Das Gift riecht süß mit einem leichten Hauch von bitt'ren Mandeln, reizt die Augen nicht und ist selbstverständlich rückstandsfrei.

Kommen wir lieber zu Sam Angel. Der Fotograf aus Tennessee hat Motten im Flug auf Nassplatte gebannt - ein altes fotografisches Verfahren mit Kollodium und allerlei nicht ganz unbedenklichem Zeug, mit dem man Oberflächen wie zum Beispiel Glasplatten lichtempfindlich machen kann. Eine Technik, die in den letzten Jahren wiederbelebt wurde und viele neue Anhänger gefunden hat. Angels Ergebnis ist faszinierend; durch die langen Belichtungszeiten hinterließen die Tiere Spuren wie Trippelschritte in Bitumen. Botschaften oder Notationen der Lieder der Nacht. Alles kleine Künstler. Oder Flitzpiepen, je nachdem.

Wunderkammer | 18:26h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fidibus - Sonntag, 24. Oktober 2021, 21:48
Sie sind doch aber keine Flitzepiepe?!

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kid37 - Sonntag, 24. Oktober 2021, 22:20
Da gehen die Meinungen auseinander.

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manhartsberg - Montag, 25. Oktober 2021, 08:36
Spuren
in Beton.

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kid37 - Montag, 25. Oktober 2021, 15:16
"Sie habe sich um nichts außer ihre Kunst gekümmert" - mein Lebensziel für 2022. Sehr schön. Sehr beständig. Vielleicht sollte ich ein Betonblog machen.

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