Sonntag, 24. Oktober 2021


Von den Flitzpiepen


(Model 1. Sog. "Flitze" gegen Ungeziefer. Ca. 1923. 1000,- Mark.)

Wenn man eine experimentelle Apparatur entwickelt, muss man immer mit Nebenwirkungen rechnen. So zieht man beim Bau einer Lampe leicht auch einfühlerige Motten und ihre düsteren Prophezeiungen an. Daher auch das Lied.

Es droht also ein sogenannter Schicksalskampf. Wer zu lange auf ein Monster schaut, wird selbst zum Monster, heißt es - grimmige Warnung für jeden spekulativen Wissenschaftler, der Sorge dafür tragen muß, die Schöpfung seines Labors im Griff zu haben (-> Frankenstein). Ich habe also immer eine salopp so genannte "Flitze" parat, gefüllt mit Stoffen, die niemand wissen will, ich denke der Warnhinweis sagt alles, und rücke dann als Pestbuster aus. (Achtung: Nicht zu Hause nachmachen, alle hier vorgeführten Stunts werden durch professorale Spezialisten durchgeführt.)

Sprühend bahne ich mir einen Weg in den Supermarkt, der seit meine Lieblingskassiererin dort nicht mehr arbeitet (Story of my life. Nichts bleibt.) zur Todeszone wird. Neulich Rauferei, ein Mann kollabiert, Rettungswagen, ich kenne das ja. (Wenn auch ohne Rauferei. SOWEIT ICH MICH ERINNERE.) Im Nahverkehr wird mir sofort ein Platz angeboten, wenn ich im Schutzanzug und mit der Flitze in der Hand in die U-Bahn zusteige. Wo andere dann ihren Zerstäuber Tosca aus dem Handtäschchen kramen, um sich menschlich und olfaktorisch zu erfrischen, trage ich alles offen. Warum auch nicht. Das Gift riecht süß mit einem leichten Hauch von bitt'ren Mandeln, reizt die Augen nicht und ist selbstverständlich rückstandsfrei.

Kommen wir lieber zu Sam Angel. Der Fotograf aus Tennessee hat Motten im Flug auf Nassplatte gebannt - ein altes fotografisches Verfahren mit Kollodium und allerlei nicht ganz unbedenklichem Zeug, mit dem man Oberflächen wie zum Beispiel Glasplatten lichtempfindlich machen kann. Eine Technik, die in den letzten Jahren wiederbelebt wurde und viele neue Anhänger gefunden hat. Angels Ergebnis ist faszinierend; durch die langen Belichtungszeiten hinterließen die Tiere Spuren wie Trippelschritte in Bitumen. Botschaften oder Notationen der Lieder der Nacht. Alles kleine Künstler. Oder Flitzpiepen, je nachdem.


 


Donnerstag, 21. Oktober 2021


Von der Motte



Wenn man eine experimentelle Apparatur entwickelt, muss man immer mit Nebenwirkungen rechnen. So zieht man durch einen komplizierten Mechanismus der Natur Motten an, wenn man eine Lampe baut (-> Phototaxis). Daher auch das Lied.

Manche Menschen werden auch vom Kurznachrichtendienst Twitter angezogen wie die Motten, weshalb ich am 28. April 2021 ein Experiment der Selbstenthaltsamkeit startete und das Rumlungern den Betrieb dort einstellte. Und zwar bis zum 18. Oktober 2021, was mir leider zu spät auffiel, sonst hätte ich noch zehn Tage durchgehalten, um das halbe Jahr komplett zu machen. Ich kann als erstes Vorstudienergebnis vermelden, daß ein Twitter-Detox sehr bekömmlich ist für inneren Frieden und das Zeitmanagement. Man muß auch kein FOMO hegen, denn auf hat sich nach einem halben Jahr Pause nichts geändert. Es geht nahtlos von einer Aufregung zur nächsten, wie Wellenreiter, die von einer Welle zur nächsten gleiten, immer und immer wieder.

Selbst eine Motte mit nur einem Fühler, sozusagen ein "Singulartaster", wie wir Signalwissenschaftler sagen, bekommt in diesem Umfeld genügend Reize und Erregung mit. Jetzt im Oktember, dem fnürfundhmpfigsten Monat seit Anbeginn der Pandemie, gehen die Lichter und Gasheizungen früher an, man kritzelt abends noch den Tagesreport ins Journal, seufzt über heißem Kamillentee, liest den Tanz der Motten um die Straßenlaterne vor dem Haus wie Prophezeiungen und wiegt seine Gedanken, ob sie auch schwer genug sind für den langen Winterschlaf.

Ich glaube, die Motten sind dieses Jahr größer geworden, der Klimawandel läßt die letzten verblienenen Insekten wachsen wie eingeschleppter Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum). Einen Mantel wird man sich schneidern können aus ihren Flügeln. Später, wenn es in Frost und Rente geht.

Homestory | von kid37 um 19:16h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 16. Oktober 2021


Von der Lampe



Sitze hier im karierten Hemd und versuche mich als Maschinenbauer. Habe jetzt eine Lampe gebaut, die ich über das Wochenende mit Gedankenkraft zum Leuchten bringen will. Ich hatte dazu ein paar kühle Gedanken, die mir erfolgversprechend schienen, bis mir auffiel, daß die Heizung bereits seit einigen Tagen ausgefallen war. Da kann ja jeder kühl denken! So waren natürlich auch die Gehirnwellen verzerrt und... na ja, ich fasse das kurz, das wird für die meisten Leser eh unverständlich sein. Noch ist es dunkel, aber ich arbeite dran. Transmutation.

"Kalt, aber hell" lautet nun das Ziel fürs Wochenende. ("Mehr Licht", für die Bildungsbeflissenen hier.) Der Herbst ist da, nur leider sind ja alle Jahreszeiten gleich geworden. Gleich gleichtönig, gleich müde, gleich ereignislos. Man könnte sagen: Auch die Jahreszeiten tragen Maske. Wer weiß schon, was darunter ist? Die einzigen Wesen, mit denen ich mich noch unterhalte, sind die Hausgeister. Ich würde sie "Dämonen meiner Vergangenheit" nennen, wären sie nur irgendwie interessanter. So aber mahnen sie nur "mach mal Pause" oder "mach mal Urlaub" oder "mach mal den Staubsauger an", kriechen dann wieder wie Ektoplasma in irgendwelche Ritzen der Wandverkleidung, lachen hinter der Tapete oder werfen ein Buch aus dem Regal. Mehr fällt denen ja auch nicht ein. Selbst Trugbilder kriegen die nicht mehr richtig fokussiert hin, es bleibt ein diffuses Gewaber. Mal eine nackte Brust oder ein wutverzerrter Fahrkartenkontrolleur, mindere Kunst der Geistesprojektion, für die man nicht mal rückwärts sprechen muß.

Habe mich ja ganz gut mit der ersten Staffel von Vienna Blood amüsiert, für das einige Szenen auch in meinem Lieblingsmuseum gedreht wurden. Ein Telefonanruf aus der schönen Stadt bestärkte mich, recht bald mal wieder hinzufahren. Den einen Irrsinn gegen den anderen eintauschen. Lichter ins Fenster stellen.


 


Montag, 11. Oktober 2021


Elan statt Elon



Transformiere nach wie vor vor mich hin (eine der wenigen Satzkonstruktionen im Deutschen mit zwei aufeinanderfolgenden "vor", achtet mal drauf). Was mir bislang fehlte, so meine knochenharte und unerbittliche Analyse, war das Ziel von einer Fabrik der Ideen, ein Powerhouse of Ideas, wie man heute so sagt. Ich werde mich nun in einen dampfenden Kessel verwandeln, aus dem die Visionen und Ideen und sogar fantastischen Ideen nur so herausdampfen, aus Poren und Schornsteinen. Über einen Transmissionsriemen (ist Physik) kann ich dann alles und alles drumherum so dermaßen transformieren, daß die Erdkruste knackt.

Die Ideenfabrik? besteht erstmal nur als Modell im Maßstab 1:1000000, soll aber bald am südlichen Ende der Hamburger Hafen-City - da wo heute schon Kräne und Betonmischer stehen - projektiert werden. Dann grüßt zum Eingang der Stadt demnächst nicht nur der im Volksmund "große Primmel" genannte Megatower vom österreichischen Großgroßinvestor, ein 800-Meter-hohes-Bürogebäude (derzeit noch unerigiert), sondern gewaltige Rauchwolken aus dem ebenso gewaltigen Schornstein meiner Fabrik. Damit man sieht: Hier in dieser Stadt wird groß gedacht!



Das Modell habe ich zwar aufwendig, aber doch schnell gebaut. Eine frühere Lebensgefährtin hat so etwas immer für Fotos gebastelt, da habe ich alles Tricks des Gewerbes abgeschaut. Geduldig ein paar Pflastersteine auf dem Tisch verlegt und einen Nachthimmel installiert, mir in der Kita nebenan vom Laternenbasteln eine Pappe mit Transparentpapier besorgt, Papprohr bemalt - zack, war das Foto fertig. Anschließend habe ich es natürlich noch mit dem Computer bearbeitet (dezent), wie man das heute so macht. Dann die Filmkameras aufgebaut, Gimbal, Dolly, Stative, Licht, Best Boy und Gaffer, Script-Girl, wirklich nur kleines Team - und los ging es.



Wegen allerlei Lizenzen und Trara und Geheimniskrämerei durfte ich keine Innenaufnahmen machen, aber bereits jetzt scheinen mir die Generatoren in der Fabrik mehr Saft zu liefern als die bald durchelektrifizierte märkische Heide mit ihrem Mobilitätswendemogul. Ich hoffe, im nächsten Jahr mit dröhnender Lache und gebrochenem Englisch eine Pressekonferenz zur Eröffnung geben zu können. Von Ideen und Arbeitsplätzen werde ich sprechen, von Metropolis, Politiker werden klein neben mir stehen, und dann gibt es frisch geräucherten Elbelachs aus dem Schornstein.


 


Sonntag, 3. Oktober 2021


Le Turk



Wenn ich einmal groß bin, möchte ich gerne das Budget und kreativen Möglichkeiten von Sébastien Salamand haben, der unter dem Namen "Le Turk" als Werbefotograf, Set-Designer und Workshopleiter unter anderem für die Akademie des -Magazins arbeitet. Die beschreiben ihn als "beeinflußt von den Filmen von Jeunet, von Otto Dix und den Gemälden Hieronymus Boschs", und das ist alles nicht falsch beobachtet. jules Verne könnte man noch erwähnen und die franko-belgische Comickunst, jedenfalls sind die zumeist aus Holz, Pappe und Stoffe gezimmerten Requisiten und Bauten sehr grotesk überzogen, quietschbunt und zugleich angenehm unperfekt, wacklig und provisorisch, also so, wie sie bei mir auf ganz unaffektierte, natürliche Weise zustande kämen. Ohne das Quietschbunte vielleicht.

Es gibt auch ein Buch mit seinen Fotos (Opera Mundi, erschienen 2016), das kann man kaufen, und nach dem nächsten bitteren Kassensturz tue ich das auch.

>>> Website von Le Turk


 


Mittwoch, 29. September 2021


Team Zukunft



Ich habe im Lockdown leider keine weitere Fremdsprache gelernt (verstehe die eigene schon nicht), mich aber in meinem kleinen Geheimlabor eingeschlossen, bis ich mit einer aufregenden Erfindung (und einem furchterregendem Bart) wieder herauskam. Ein kleines unscheinbares Gerät mit einem Bildschirm, einem Frequenzabstimmknopf und einem Lautstärkeregler. Wozu man das braucht? Für alles! Mit Hilfe einer ebenfalls schnell erfundenen Yagi-Richtantenne kann dieses Gerät nun Signale aus dem sogenannten Äther auffangen und anzeigen. Schwingende Wellen! Singende Klänge! Laufende Bilder, die durch die Luft übertragen werden!

Daß bislang noch niemand auf diese Idee gekommen ist! Dabei wäre dieses System so nützlich. Nach getaner Hausarbeit einfach einen Film (Fachbegriff für bewegte Bilder) anschauen und dabei entspannen. Apropos Hausarbeit: Bislang haben mich sogenannte Saugroboter nicht überzeugen können (meine Atelierloftwohnung hat dafür zu viele Hindernisse auf dem Boden). Zudem sehen die alle nicht aus, als hätte ich sie erfunden und gestaltet. Allesamt häßlich wie die Nacht! Nun aber fand ich dieses Modell [Youtube], das mir ganz vernünftig ausschaut. (Der Werbeclip zeigt einen vom Bodenfegen ganz erschöpften Mann und schließlich die Rettung: ein autonomer Saugroboter.)

Mit diesen Zukunftsideen für unser Land möchte ich gerne in die Politik als Minister für Technik, Kommunikation und Digitales. Etwas bewegen, das Leben der Menschen leichter machen und ein Motor sein für Ideen, Zukunft, Stabilität, Sicherheit, Solidarität und Fortschritt.


 


Sonntag, 26. September 2021


Wolkengesänge



Heute morgen konnte ich aussschlafen, lag also schwer auf der Matratze und fühlte daran noch schwerer, da blitzte in mir der Gedanke: "Auch Wolken haben ein Eigengewicht". Von der, wie soll ich sagen, Gravitas dieser Erkenntnis noch tiefer ins Laken gedrückt, faßte ich aber einen sogenannten Entschluß, stand auf, trank Kaffee, brachte einen Brief zum Postkasten und holte ein paar essentielle Ding ein. (sog. Tagesbericht)

Eine Erkältung umschwirrt mich wie der Teufel die Fliegen, ich sage nur Schwitzen im Übergangswetter (was auch der Titel eines ungelesenen Romans sein könnte), und so heißt es, Vitamin C statt Vodka-Tequila. Früher war ja Samstagabend mehr Rock'nRoll, aber die vielfältigen Arzttermine diese Woche haben mir diagnostiziert, daß dieses sogenannte Altern auch vor Bloggern nicht Halt macht. Müde bin ich, geh zur Ruh'.

Von wegen nächtliches Rumschlurfen durch elektrisch geladene Großstadtneonlichterpfützen. Man sitzt stattdessen von der inneren Schiebermütze beschirmt daheim auf dem Sofa, blättert durch Prospekte voller Discounterangebote, findet es lustig, daß Aldi (das ist ein großer Discountanbieter) ein Handtücher- und Bettwäscheangebot mit einem Wolfgang-Joop-Look-a-Like bewirbt, bis man feststellt, das ist tatsächlich Wolfang Joop. Was kommt als nächstes?!? hallt es verzweifelt durch mein angelehntes Fenster. Abgewrackte Ringelpulliblogger mit Schiebermütze, die einen Sonderposten Handyladegeräte bewerben?

Morgen ab 18.00 Uhr dann Ruck oder Tiefschlaf, ich schaue schon seit Wochen den Stand der Wolken, der Sterne und den Zug der Vögel. Ich verstehe die Zeichen aber nicht, wie so viele viele andere nicht verstehen und deuten und mißdeuten, zuhören und nicht zuhören, spüren und nicht spüren, die Risse in den Wänden nicht sehen, das Röcheln in den Leitungen nicht hören, das Piepsen hungriger Vögel im Nest.

Ab Montag nur durchschlafen, gar nichts mehr hören, alle Stecker raus, leben nur mit Partyhütchen statt Schiebermütze, noch mal Geld raushauen für Gutes oder Hochprozentiges oder einen neuen warmen Mantel wg. Gutesgefühl. Danach Emo-Bloggen für einen Rheumadeckenhersteller oder einen Anbieter für Heimlichtorgeln. Die tollsten Pläne, Samstagabend, 23:03 Uhr.

>>> Geräusch des Tages: Richard Hell, Blank Generation