Sonntag, 21. März 2021


Betrachtungen am Swimming Pool. Ein Traum.



Letzte Woche saß ich allein am Pool, ein Urlaub im Sommer scheint weiter nur hohles Versprechen, betrachtete also den Wind auf den Wellen, das Strömen hierhin und das Strömen dorthin, tankte, nur in meine Winterbadehose gekleidet, Entspannung und blendete Gefahr, Ungemach und Zukunft aus. Unterdrückte Spannung bei flirrender Winterkälte, man hätte ein Pferd ins Wasser führen können oder einen großen Hund, wie ein Müßiggänger ein Getränk schlürfen oder sich schläfrig dem Nichts öffnen.

Die Tage tropfen herunter, gleichförmig, irgendwas ist manchmal, öfter aber gar nichts, im Fernseher schaue ich eine Reisedokumentation. Da wird gewinzt bei einem Winzer, geimkt bei einer Imkerin. Menschen tragen medizinische Masken, folkloristische Masken, rituelle Masken, verspeisen Früchte der Erde, preisen das Licht im Himmel, bezwingen die Weite der Meere. Ich ringe mit den Falten der Decke auf dem Sofa, stelle Berechnungen auf, messe Distanzen, plane eine Idee in der Vergangenheit.

Wir zählen die dritte und wissen, jede siebte Welle ist die größte. Wer bis dahin überlebt, kann einen rätselhaften Dialekt erlernen oder ein stärkendes Gericht. Einen Roman aus dem alten Prag lesen oder Filme schauen ohne Ton. Es ist alles eins, dieser Tag oder ein anderer. Dein Haar glänzt in der Sonne, aber auch das ist nur Erinnerung.


 


Donnerstag, 18. März 2021


Merz/Bow #64

Happy surf sound will tear us apart: Messer Chups spielen Joy Division. Die russische Surf-Rockabilly-Band hätte ich auch gern mal live gesehen, ist sicher immer mächtig was los. Wenn ich meinen Führerschein richtig verstehe (ist aus dem letzten Jahrhundert und schon ganz abgewetzt), darf ich sogar einen kleinen Roller fahren. So käme ich auch mal raus. Ist sicher ein Mordsspaß.


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Sah neulich in einer Krimiepisode eine viktorianisch gekleidete Frau, die ich ganz faszinierend fand. Wäre ich ein halbes Jahr jünger, würde ich gerne mit ihr durchbrennen, dachte ich zunächst. Aber dann entpuppte sich die Frau als Mörderin, was ja nicht so von gutem Charakter spricht. Und mit dem Durchbrennen wäre es auch schwierig geworden, denn man hat sie 1849 gehenkt. Story of my life.

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Derzeit nämlich schaue ich Murder Maps, eine historische True-Crime-Doku über spektakuläre Fälle zwischen 1850 und 1950, meist aber aus dem viktorianischen London. Jack the Ripper und Dr. Crippen sind erwartungsgemäß dabei und ein paar, von denen ich noch nie gehört habe - und ich höre in der Hinsicht ja Zylinderhüte auf Gras fallen. Läuft auf ZDFinfo oder hier auf Youtube. Die Reihe ist gut recherchiert, liebevoll ausgestattet (ganz wunderbare File cabinets) und nicht so sensationsheischend wie die meisten Pendants, die so auf den privaten Kanälen laufen.

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Aus dem Umfeld entstand auch ein gleichnamiges Buch (Thames & Hudson), das ich mir letztes Jahr kaufte. Gefüllt mit Illustrationen, Photos und historischen Straßenkarten werden hier Mordfälle aus halb Europa und den USA (als Schmankerl auch Australien) kurz und übersichtlich wie in einem Lexikon präsentiert und dabei auch die jeweiligen Entwicklungen in der Forensik vorgestellt. Ein toller Schmöker für zwischendurch, schon weil die meisten Einträge mit einer Doppelseite auskommen.

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Das Schwimmbad ist nun auch fast totgemordet. Gerodet, gepflügt, der Schutt grob geschreddert. Immerhin kann man nun im Pool spazieren gehen oder ein kleines Picknick oder auch Verhör mit einer Mörderin veranstalten. Verstehe nicht, wieso man diese Idee nicht generell für die Wintermonate etabliert. Tische und Bänke rein, Winterbiergarten fertig. Jetzt in Pandemiezeiten ist natürlich nur ein Tisch vorhanden, damit Forensiker später ein leichtes Spiel haben. Und Bedienung gibt es auch nicht. Aber das wird ja vielleicht nicht ewig so sein, auch wenn sich leitende Politiker gerade alle Mühe geben, uns alle umzubringen.

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Mein Debütroman wird heißen Ich folgte einer Mörderin und handelt von einem arbeitslosen Detektiven, der von seinem treuen Labrador begleitet, eine Mörderin jagt, die ihren Ehemann in einem leeren Schwimmbad ertränkt hat. Was zunächst wie ein Unfall aussah, ist aber eine kaltblütige Tat, denn im Becken war zu dem Zeitpunkt gar kein Wasser, wie der gewitzte Detektiv noch vor der Polizei herausfindet. Kein Wunder, sitzt er doch selbst auf dem Trockenen!

MerzBow | von kid37 um 03:37h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 12. März 2021


1000 Meisterwerke



Die Jüngeren können das nicht wissen und werden dieses Gemälde aus dem damals noch frugalen Frühbarock nicht enträtseln können. Ältere erinnern sich. Man machte Besorgungen oder einen Ausflug, bummelte irgendwohin und verweilte dann zum Abschluß in einem sogenannten "Eiscafé" (oder einem anderem Ausschank). Gern mit einer geschätzten Person, sonst halt nur mit dem Eis. Auf dem Bild hier ist das Eis bereits geschmolzen, also - vanitas vanitatem - vergangen, Past Tense oder Retrofutur II: Es wird gewesen sein.

Ein Hinweis des (unbekannten) Malers auf die Pestjahre. Zeit ist begrenzt, man steht irgendwann auf vom Tisch, geht seiner Wege, ist wieder maskiert, vielleicht innerlich vereist, sagt Adieu oder "so long", wie im Mittelalter üblich. Der Betrachter sieht Pokale und plundrige Silberware und fragt sich, ob man da auf dem Tisch nicht gerade noch Pfirsich-Maracuja oder Vanille-Schokolade gesehen hat, einen ausgestreckten toten Fasan und eine Sanduhr (hier als Aschenbecher ausgeführt) dazu. Ein Stundenbuch. Das Bild als Erzählung.

Interessant sind die verrätselten Spuren. Die Dinge, die nicht stimmen, nicht am Platz sind, so die Menschen, die hier fehlen. Ein Löffel akkurat platziert, ein anderer aber auffällig im Becher. Ein sexuelles Symbol vielleicht, sicher eines vom Regelverstoß, eine augenzwinkernde Geste gegen Recht und Ordnung. Man denkt, vielleicht liegt eine Maske unterm Tisch oder ein vergessener Schuh.

Das "Gleichnis vom leeren Becher", so der in der Kunstgeschichte etablierte Titel des unbekannten Meisters, hat die Menschen seit jeher beschäftigt. Es wird verglichen mit großen Werken wie "Der umgestoßene Pokal" oder "Das letzte Brot vom Vortag", ihrerseits von Geheimnissen umrankte Gemälde aus den großen Sammlungen von Fürsten und Kanonikern. In den Sprachgebrauch das Bildnis als Metapher eingegangen von der Flasche, die leer ist. Außer Puste sein, erschöpft, die Beschreibung des Gefühls, daß man für 100 Jahre schlafen möchte. Und dann ein Eis.


 


Dienstag, 2. März 2021


Very Bad Photoshop



Da ich derzeit schaue, wo für mich noch irgendwelche Brotkörbe hängen (It's the economy, Baby!), habe ich nun wie viele Enterpreneure einen eigenen Youtube-Kanal erstellt, ach was, erschaffen. Weil mich der Bildungssektor sehr interessiert und ich nicht immer nur hier in meinem Blog dozieren möchte, zeige ich dort Tutorials für dieses und jenes. Zum Beispiel für das extrem populäre Thema "Bad Photoshop", was ich natürlich zu "Very Bad Photoshop" umgemünzt habe. Dozent bin ja schließlich ich.

Schaut einfach mal rein und hinterlasst gerne Kommis und Anmerkungen.


 


Samstag, 27. Februar 2021


Das Sanatorium der Quays



Wären die Brüder Quay, unsere aller Lieblingstrickfilmer aus der dunklen "Straße der Krokodile", ein wenig schneller, sie hätten mit ihrem neuen Filmprojekt eine Punktlandung in Pandemie- und Lockdownzeiten landen können. Seit Jahren (übliches Tempo bei den beiden) werkeln sie an ihrer Version von Bruno Schulz' Erzählung "Sanatorium zur Todesanzeige". Es wäre ihr dritter Langfilm. Da die Frage, wovon die US-amerikanischen Zwillingsbrüder eigentlich leben, auch im mittlerweile selbst schon ein paar Jahre alten Atelierbesuch (bei denen sieht es so aus wie bei mir) von Christopher Nolan nicht beantwortet wurde und den beiden sicher selbst ein ewiges Rätsel bleibt, muß man sich mit der Fertigstellung wohl gedulden.

Nun aber sind von der Weltöffentlichkeit und daher auch von mir weitgehend unbeachtet im letzten Sommer sechs Minuten Material vom Anfang der Erzählung aufgetaucht. Ein Lebenszeichen. Sieht bereits sehr stimmungsvoll aus, abgetragene schwarze Anzüge, ungeputzte Zugfenster (ich sagte ja, sieht aus wie bei mir), ominös dronender Sound. Wer nicht warten will, verliert sich bis dahin in der bravourös verzückenden polnischen (Sur-)Realverfilmung von Wojciech Has, die es seit ein paar Jahren auch in restaurierter, von Martin Scorsese angetriebener Fassung gibt.

Bis dahin, liebe Quays, immer weitermachen!

Super 8 | von kid37 um 01:37h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 24. Februar 2021


Rimbaud with Guitar

Autoluminescent auf Vimeo.


Wie so ein junger Mensch habe ich neulich tatsächlich erstmals einen Film auf Vimeo gekauft und runtergeladen. Man muß ja langsam akzeptieren, daß es nicht mehr alles auf DVD gibt (und noch viel mehr sowieso nie gab). Die Dokumentation AUTOLUMINESCENT über den australischen Gitarristen und Sänger Rowland S. Howard ist jedenfalls jeden Euro wert. Als Gründungsmitglied der Birthday Party kam er an der Seite von Nick Cave (und Mick Harvey) zwar viel rum, aber nie zu Ruhm. Irgendwann hatte er von seinem Nebenmann, man kann es verstehen, auch die Faxen dicke und ging dann zunächst mit Bands wie Crime and the City Solution und später These Immortal Souls eigene Wege. Da ich mich nie sonderlich für Nick Cave interessiert hatte, lernte ich Rowland S. Howard durch seine Zusammenarbeit mit Lydia Lunch, für die ich in meiner Jugend ein gewisses hormonelles Interesse hatte, kennen.

Da gab es das Knalleralbum Honeymoon in Red und ein paar Jahre später den Nachfolger Shotgun Wedding. 1991 sah ich die Tour dazu im vollgepackten, verrauchten, engen und schwitzigen Kölner Rose Club. Aus hormonellen Gründen stand ich ganz vorne an der Bühne und wollte mich eigentlich in Ruhe auf Ms Lunch konzentrieren, aber es war der Gitarrist, der mich packte. Eine hagere, gebeugte Vampirgestalt, Kippe im Mund, Last der Welt auf den Schultern, puhlte der aus seiner Fender Mustang einen sirrenden Krach, wunderbaren Lärm, das mir die Luft weg blieb. Das ging einigen so, denn weiter hinten im sauerstoffentleerten Club klappte zu der Zeit meine Freundin zusammen und wurde dankenswerterweise von ein paar freundlichen Leuten nach draußen geschleppt. Die haben allerdings alle was verpaßt: ein grandioses, dreckstrotzendes, sumpflandblusiges Konzert mit einer auch für Köln ungewöhnlichen Truppe, einer wohl aufgelegten, gewohnt sarkastisch-schnippigen Lydia Lunch und eben Rowland S. Howard.

Meine Freundin hat mich irgendwann später verlassen (weiß nicht, warum), ich habe sie lange nicht vergessen. Aber auch nicht Rowland S. Howard. "Rimbaud with guitar", sagt ein gut gelaunter Henri Rollins über den Schmerzensmann aus Melbourne in der Doku. Ein dunkler Poet sei er gewesen, ein bißchen zu sehr vielleicht. Eine Handvoll ikonische Songs hat er hinterlassen, ein paar zu wenige vielleicht. Nach vielen Jahren zwischen Hunger und Heroin zog er sich um die Jahrtausendwende lange zurück, machte auf Familie. 2009 erschien sein Comeback-Album Pop Crimes, von vielen neugierig erwartet. Da hatte seine Leber schon aufgegeben, eine ausgedehnte Tour fand nicht mehr statt. Howard starb mit gerade mal 50 Jahren Ende 2009.

Die Doku gräbt viele Details und Interviews zur australischen Musikszene Ende der 70er-Jahre raus und lässt viele Zeitzeugen zu Wort kommen, von denen leider nicht alle ausreichend vorgestellt werden und einige, wie Bobbie Gillespie, etwas reingeworfen wirken. Aber Weggefährten Mick Harvey, auch Nick Cave, nie um ein Wort oder auch zwei oder drei verlegen, seine langjährige Lebensgefährtin und Partner-in-crime Genevieve McGuckin, Howards Bruder Harry (Bassist bei These Immortal Souls), Lydia Lunch, Wim Wenders (in dessen Himmel über Berlin Howard auftrat) und weitere musikalische Begleiter und Freundinnen. Einzig Anita Lane, mit der Rowland Howard in jungen Jahren eine Affäre hatte, fehlt. Aber in einer Doku über mich würden auch nicht alle Ex-Freundinnen freundlich bürgen wollen. Life's what you make it.

>>> Geräusch des Tages: Rowland S. Howard, Sleep Alone

Radau | von kid37 um 18:37h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 20. Februar 2021


Shake Dog Shake



Auf meine alten Tage plane ich ja, nun endgültig Privatier zu werden, ich meine, was soll der Mist, tagein, tagaus usw. Dann gleich ein Leben zwischen Sardinen und Brot und einer aus Pappkarton gemalten schwarzweißen Katze, die neben meinem Sofa hockt und mit einem ebenfalls aus einem Pappkarton geschnittenen Fisch an der Angel bespielt wird. Der Freude und stillen Einkehr wegen.

Manchmal aber packt mich noch das innerlich erloschene Feuer, und ich schwinge mich in grünes Jägerloden und derbe Hosen, um einen Leihhund auf die Freilaufwiese zu führen. Rebellen ohne Steuermarke! gröle ich, der Hund juchzt infantil Ball! Ball! Ball! und wirft mir 40 Kilo durchtrainierte Muskelmasse entgegen, ich schwanke nur wenig, denn ich bringe doppelt so viel nur geringfügig weniger trainierte Masse auf die Waage. Wir fletschen Zahn an Zahn, entdecken das innere Ungetüm in uns, Höllenfeuer, ich bin Wolf und du bist Wolf, und hey, das ist ok so.

Meine Würfe - knapp über Kugelstoßweite, dann erstmal warm geworden ein paar Zentimeter weiter - treiben einen Zerberus über das Gelände, den Ball mit schweigendem Ernst mit einem Kopf fangend, mit den beiden anderen links und rechts andere Hunde abwehrend. Ich dabei mit Seemannspfeife ein Orchester aus zähnefletschenden, fährtensicheren Stöberern dirigierend, ein Muskelballett zur Meutenmusik. Erich von Strohheims Reitgerte stünde mir gut und ein Monokel, vielleicht ein Megaphon.

Ordentlich eingesaut nach naturnaher Arbeit, Erde mannshoch, besabberte Hände vom Ball und zähem Ringen mit Knüppeln und Beute, habe ich Schamanenkontakt zum besten Totemtier des Menschen. Ich möchte mir die Fellkleidung vom Leibe reißen und mich überall mit Blut und Matsch einreiben, behalte aber hanseatische Restwürde und lasse mir nichts anmerken. War ok, sage ich also, lasse den Hund aus meiner Wasserflasche trinken (Tiere zuerst!), schüttel mir Zeug aus dem Haar und trotte zurück zum Haus. Geht doch.