Freitag, 11. Januar 2019


Naturkunde



Jetzt ist die Jahreszeit, wo ich abends wolldeckenentspannt in meinem Lesestuhl sitze, in Jean-Henri Fabres Erinnerungen eines Insektenforschers blättere, um dann ans Zeichenpult zurückzueilen. Derzeit stelle ich nämlich eine kleine Mappe zusammen für eine Initiativbewerbung beim Naturhistorischen Museum zu Wien. Dort will ich in meinem Sabbatical die entomologische Sammlung in akribisch ausgeführten Zeichnungen festhalten. Ich kanalisiere dazu die Vibrationen von Maria Sibylla Merian und setze mit dem mir gegebenen gewissen Gespür, noch mehr Empathie und Mut zur Atmosphäre detailgetreue Abbilder seltener Insekten um.



Wer möchte mir nicht ein gewisses Talent zusprechen und hoffen, daß die Experten im Naturhistorischen Museum ebenso denken werden? Niemand, der das sechsbeinige Herz am rechten Fleck hat, so viel ist schon mal klar. Ich komme derweil munter mit der Arbeit voran, denn jetzt im Winter flüchten allerlei Spinnen und Insekten in die wohlig antemperierte Wohnung, bereit, sich eitel zur Schau zur stellen, dabei zeichnen und katalogisieren zu lassen.



Als Meister der Käfermalerei der Wissenschaft ein Geschenk zu machen, wäre mir eine große Freude. Soll doch ein jeder nach seinem Talent der Gemeinschaft auch etwas zurückgeben. Prodesse et delectare, wie ich immer sage.


 


Sonntag, 6. Januar 2019


2000neunzehn



Mit einem Stoßseufzer kann ich bekunden: Die anstrengenden Feiertage sind überstanden, alle Lieder abgesungen... aber, halt, nicht alle. Gleich vieler Mitmenschen aus Show- und Rundfunkbranche bin ich nämlich übers Jahr am sogenannten Troubadix-Syndrom erkrankt und habe nun den Ausdruck über die Musik für mich entdeckt. Die tumultartigen Ereignisse beim einzig geöffneten Feiertagsbäcker waren nämlich derart traumatisierend (allein unter Ellbogenfrauen), daß ich es gar nicht niederschreiben mag. Nur der Umweg über das ehrlich erzählende Lied, das ich im gesteigerten Singzwang schnell in den hermetischen Tonstudios im angesagten High-Energy-Sound aufgenommen habe, hilft mir, den Druck abzubauen und Angst und Grauen zu besänftigen. Es gibt kein Brot, möchte ich also dergestalt berichten - ganz wie ein mittelalterlicher Herold des großstädtischen Alltags. Das könnte ein ganz neuer Bloggertrend werden, statt Republica dann Treffen auf der Wartburg.

Nun ja, ich sage es mal so: Verhungert bin ich nicht. Jupiter steht günstig, es gab tatsächlich ein letztes Stück Brot, und auch sonst sprudeln die Gewinne. Erst waren es 14,70 Euro, drei Wochen später bereits 17,- Euro, die ich beim noch gelegentlich gespielten Lotto gewonnen habe. Zwar riet man mir eindringlich, nichts von meinem Gewinn zu berichten (wegen Nachstellerei, falschen Eheversprechen und Bettelbriefen), aber sind Mund und Portemonnaie erst übervoll, ist es schwer, die Zunge zu halten.

Den Rest einfach ausschwitzen. Interessantes, Aufregendes, Abenteuerliches, Merkwürdiges, Tragisches aus dem Vorjahr abwiegen, in die Liste eintragen, die Kanopen mit den Erinnnerungsfetzen in die Kammern mit den Jahreszahlen drauf stellen und mit großen Steinquadern verschließen. Neues Spiel, neues Glück.


 


Sonntag, 30. Dezember 2018


Selber Baumhaus




Als der Herr Cabman vor Jahren ein Baumhaus baute, war ich ja schon ein wenig neidisch. So was hätte ich als Kind ja auch gerne gehabt. Wir aber waren so arm - wir hatten keine Bäume. Nun heißt erwachsen werden ja auch, sich seine Kindheitsträume einfach so erfüllen zu können, also oft, ohne bei Eltern betteln oder sich vorm Weihnachtsmann rechtfertigen zu müssen. Also habe ich dieses Jahr, denn wann, wenn nicht jetzt?, ein Baumhaus gebaut. "Kann ich selber!" war mein Motto, und es hat auch nur fast so lange gedauert, wie das echte, denn Material wollte sortiert, kleingedruckte Nummern gefunden und störrische Teile in Form gebracht werden. Jetzt steht aber alles, mit Eichhörnchen und Schneemann und genügend Platz, daß jemand, der oder die kleiner ist als ich darin Bücher lesen kann. Perfekt.

Als nächstes werde ich darin einen kleinen Lautsprecher installieren, um beim Lesen ein wenig Musik hören zu können. Ein Klavier paßt leider nicht hinein und vor allem nicht die Leiter hoch. Sonst könnte ich das als Studio nutzen, so wie Meredith Monk in dieser hübschen Haustour, in der sie durch ihr Studio in Tribeca in New York (das ist eine große Stadt in den USA) führt, in dem sie mit ihrem Klavier und ihrer Schildkröte lebt.

Ich bin derzeit sehr angetan von Meredtih Monk, die mir früher sicher zu "hippiesk" oder anstrengend vielleicht vorgekommen wäre. Seit ich mich stärker für Minimal und Neue Musik interessiere, gefallen mir ihre Arbeiten aber sehr gut. "Be here - and don't waste your life", sagt sie am Ende, und das gefällt mir in meiner embryonalen Ruheposition auf dem Sofa, auf dem ich mit regelmäßigen Atemzügen nach der Arbeit meiner Zen-Meditation nachgehe, sehr gut.

Nachdem ich neuerdings das Klavier gut meistere, werde ich mich nun abstrakten Gesangstechniken zuwenden, um Energie ins Zwerchfell zu pumpen und vom Fenster meines Baumhauses aus die Elemente anzusingen.

>>> Geräusch des Tages: Meredith Monk, Songs Of Ascension


 


Dienstag, 25. Dezember 2018


Dingdong, der Weihnachtsmann



Wenn ich mich nicht wieder verrechnet habe, sind es heute 15 Jahre Das hermetische Café. 15 Jahre schönste Reportagen aus aller Welt und Einbildung. Da habe ich schnell einen Baum aufgestellt, mit Kugeln beworfen - ich habe dabei sogar einen Stern getroffen, siehe Einschußloch. Denn Feste muß man feiern, wie sie fallen.
Meine Meinung.



Zur Feier habe ich schnell zwei Bilder gemalt, hier in der Schule von Fontainebleau geht das ruckzuck, auch wenn die Bilder gar nicht danach aussehen, so detailreich sind die aufgetragen, so akribisch sind die Untergründe vorbereitet. Aber das zeichnet (!) den Meister aus: Er läßt es einfach ausschauen. Es sind reportagehafte Beobachtungsstudien, zum Teil aus einem Traum. Aber der geht euch nichts an.



Ich habe dieses Jahr ein wenig Malgrund reingebracht. Aufgeräumt, neu aufgestellt, Energie freigesetzt. Manches war sehr anstrengend, wie meine Reise nach New York. Auch wenn nicht alles so ausgegangen ist, wie ich es mir gedacht hatte, bin ich immer noch stolz. Man muß bedenken, daß ich es vor ein paar Jahren kaum bis zum Supermarkt schaffte. Jetzt schon bis zum Wonder Wheel. Macht das mal.

Jemand hat in New York für mich gekocht, das war sehr entzückend. Hinter den überwundenen Grenzen gibt es aber gleich wieder neue Grenzen, man muß dann erstmal mühsam neue Karten zeichnen und sich in Ruhe von einem Observierungsballon aus umschauen. Zur Belohnung ein paar neue Klamotten gekauft, immer noch keinen Haarschnitt. Ein bißchen Kunst erworben, dies und das und Musik gemacht. Ich bin jetzt 12-Töner und lege die Fesseln des 4/4-Taktes ab. Elbphilharmonie ist angefragt, man soll ja nicht klein denken. Muß noch üben, aber läuft.

Schöne Weihnachten. Hier gibt es zu wenig Marzipan.

>>> Geräusch des Tages: Kid37, Horch, was kommt von draußen rein
(aus: Weihnachtskammeroratorium für Klavier, Opus #1)


 


Donnerstag, 20. Dezember 2018


Mean Girls



Während die Tage wie so eine keuchende Dampflok auf schlüpfrigen Steigungen durchschnauft werden wollen (heute Arbeit am heiligen Vormittag diskutiert als wären wir Last-Minute-SOS-Geschenkverkäufer), sitze ich abends im dehydrierten Dämmerzustand vor Sendungen wie "So schmücken WDR-Redakteure ihre Weihnachtsbäume oder reinigen nach dem Gänsebraten ihren Backofen" (Tamina Kallert: "Das macht mein Mann.") und blättere mich durch Kindheitserinnerungen.



Wenn ich in den Spiegel sehe, weiß ich nämlich, daß ich irgendwie auch keine 37 mehr bin. Dabei sah die Zukunft früher so... futuristisch aus. Auch gefährlich, natürlich. Atomangst, Monsterangst, Kommunistenangst, Extraterristenangst. Und offenbar auch Frauenangst, wenn man das wirklich ganz großartige Buch von Ryan Heshka durchblättert.



Seine "Mean Girls" zeigen eine B-Filmwelt aus bösen Banditinnen ("Red Beaver Bandit"), ambitionierten Heimfilmern mit fischigen Angeboten, handfest ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten am Sonderangebotsstand und dazu Roboter, Flugmaschinen und schnittige Acht-Zylinder-Autos.



Der Künstler stammt aus Manitoba und Winnipeg, hat als besondere Auszeichnung schon mehrfach bei Feinkunst Krüger in Hamburg ausgestellt und macht unter anderem auch hübsche (und leider schwer erhältliche) Kinderbücher. Seine Fatales sind ein schöner Überblick übers - fatalistische, aber bonbonbunte - Werk.



Ich habe gestern gelesen, Reportagen sind immer dann am besten, wenn in ihnen Musik erwähnt wird. Ich denke, zu Ryan Heshka läuft im Hintergrund entweder droniger Twin-Peaks-Jazz oder aber The Cramps. Dazu haut man sich einen beim Tanztee erbeuteten Stiletto auf den Kopf und trinkt ein toxikologisch schrillfarbenes Getränk.



David Lynch sagt: "I absolutely love your work" (er meint Heshka), Guy Maddin: "It's a great book!" Kid37 meint: "Stunning!"

>>> Webseite von Ryan Heshka

(Ryan Heshka. Fatales - The Art of Ryan Heshka. Paris: Cernunnos, 2017.)


 


Donnerstag, 13. Dezember 2018


Don't Wake Daddy XIII



Wenn sich das Jahr dem Ende neigt, ist Zeit, sich bei Feinkunst Krüger noch mal ordentlich zusammenzukuscheln. Die jährliche Lowbrow- und Popsurrealismus-Show Don't Wake Daddy (heuer die 13. Ausgabe!) macht wach und ein träumerisches Auge. Und öffnet Herzen und Geldbörsen, denn die Werke passen in jede heimische Petersburger Hängung.



Künstler wie Moki, Caitlin McCormack, Fred Stonehouse, Heiko Müller und Jason Limon sind darunter (insgesamt 31 Künstler), über 100 Werke sind zu sehen. Und das noch bis zum 22.12. Es ist also ein wenig Eile geboten, nicht, daß das neue Jahr mit Weinen und Bibbern und Protestpetitionen beginnen muß, nur weil man es selbst verbummelt hat. Kein Pardon!



("Don't Wake Daddy XIII.". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis 22.12.2018)


 


Sonntag, 9. Dezember 2018


Nebelhafen



In für mich aller Frühe ein Labortermin, ein wenig gescherzt, Werte verglichen, die Praxis dort ist wirklich sehr entspannt. Die Ärztin hat ein Plektrum auf ihrem Tisch, ich betrachtete es fasziniert, berichte von einer gewissen Zufriedenheit, ziehe mein Jahresresümee, sie ist vergnügt. Sie will über New York reden, meine Erfahrungen hören. Wir sprechen über die 15 Sorten Milch dort, und wie lange es dauert, bis man eine normale gefunden hat. Wie ich das auf dem Flughafen gemanagt habe, die Hitze, die Wegstrecken. Und privat? will sie wissen, und beugt sich verschwörerisch vor.

Anschließend zur Fabrik, dabei über Glücksfragen meditieren, dazwischen Atemübungen für einen ausbalancierten Ruhepuls. Auf jedes Ein folgen zweimal Aus, im Nebel etwas vorsichtiger. Dieses Jahr haben einige schnell die Halle gefegt, sich selbst Absolution erteilt, auf nicht mal nonchalante Weise. Kein Aufwallen. Im Keller die Schränke und Regale neu sortiert. Graue Kleidung nur noch, nur noch Reduktion. Schmeiß das Letzte nüchtern über Bord.

Vor dem Tor aber stehen Rettungswagen. Irritierend bunte Lichter in der trüben Luft. Es gibt Gewisper, erste Namen. Die Kollegen tragen ein ernsthaftes Gesicht. Es sind keine guten Nachrichten. Der Notarzt gab irgendwann auf.