Dienstag, 6. März 2018


Mein lieber Scholli



Jetzt wissen nur wenige, daß ich ja einst ein berühmter Eisschollenfotograf war. So manche gute Mark kam damit im Winter herein, denn für Schollen gibt es da draußen einen Markt. "Mach mir mal 'ne fette Scholle", tickerte es morgens durchs Fax. Und abends lag der Abzug in der Agentur. Doch im Frühjahr war Schluß, wohl weil plötzlich die Arbeitsgrundlage entfallen war. Das geschah einmal, geschah zweimal, und beim dritten Mal hatte auch ich es begriffen. "You can't fool all the people all the time!" rief ich hinaus auf den Fluß und wußte es seither besser.



Jetzt lese ich, daß die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihre Blogs einstellt und neue "Experimente" plant. Ich habe mich auf diesem Kurznachrichtendienst gleich als Fashionblogger ins Spiel gebracht. Nun liegt der Ball in deren Feld. Ich könnte zum Beispiel meinen neuen Mann fürs grobe Tuch vorstellen: John Skelton heißt der und macht so Sachen zwischen Beetlejuice und Paul Harnden (von dem ich ja auch erst seit ein paar Jahren durch eine Leserin weiß). Sehr kleidsam und sicher winterwarm bei der Eisschollenfotografie.

Jetzt aber kommt der Frühling. Die Wetterfrau verliest freudige Depeschen. Vögel hängen abends in der Luft, beim Amt liegen Dokumente bereit. Die Eisschollen schmelzen, und ich auch ein bißchen, weil da jemand Strippen zieht. Ich bin das nicht gewohnt.


 


Samstag, 3. März 2018


Statt Jahresrückblick



Manchen kann man Brücken golden anmalen, sie finden doch nicht drüber. Stapfen beharrlich auf wacklige Eisschollen, auch wenn man mit den Augen rollt und mit Schau- und Erklärtafeln auf festere Wege weist. So bleibt unklar, worauf überhaupt wer und alles hinauslaufen soll. (Diese Erkenntnis ist natürlich nur eine reine Beobachtungsstudie von anekdotischem Wert, nichts Evidenzbasiertes.)

2016 hatte ich eine Lebensmittelvergiftung. Ich glaube, das faßt das Jahr ganz gut zusammen. Irgendwie... nicht so erheiternd, aber zwischendrin, wenn die Krämpfe nachließen, schon auch sehr schön. Man hat freilich wenig Energie für weitergehende übellaunigkeit, das ist einfach nicht gut für den inneren Teint. (Diese Erkenntnis ist natürlich nur eine reine Beobachtungsstudie von anekdotischem Wert, nichts Evidenzbasiertes.) Außerdem wurde in dem Jahr viel gestorben. Am Ende waren alle angegriffen und angreifend und traurig natürlich. Und ich dachte: Vergeßt die Lebenden nicht.

2017 stellte ich fest, daß ich eigentümlicherweise insgesamt lieber mit netten Menschen zusammen bin als mit nicht so netten, weil die gut sind für den inneren Teint. (Diese Erkenntnis ist natürlich nur eine reine Beobachtungsstudie von anekdotischem Wert, nichts Evidenzbasiertes.) Menschen, die nicht lange reden, sondern einfach eine Suppe kochen. Einem die inneren Fenster öffnen, um mal Luft an die wundgelegenen Stellen zu lassen. Kurz mal auf links drehen, abklopfen und wieder auf die Füße stellen. Nicht sterben dabei.

2018 habe ich plötzlich Ideen. Wie so ein Esel, der aufs brüchige Eis steigt. Muß aber auch mal sein. Sechs Jahre liegst du flach, und im siebten sollst du ruh'n. Und andere, so eine Erkenntnis aus einer Beobachtungsstudie von rein anekdotischem Wert, schaffen das auch.

>>> Geräusch des Tages: Múm, Menschen am Sonntag


 


Mittwoch, 28. Februar 2018


Exit Strategie Organisation



Während draußen im frostigen Wind dürre Eisfinger an den Regenrinnen klimpern und ganze Bäume umlegen, gründe ich dazu musikbegleitend eine neue Band. Emotional Support Octopus heißt die. (Fans werden sich später wissend "ESO" zuflüstern.) So Drone Rock mit Noise und engagierten Texten über Gefühl und die Endlichkeit allen Seins.

Das erste Album heißt Nebeljahre I & II, der Nachfolger (ich habe das alles präzise durchkonzeptioniert) So brauchste mir jetzt auch nicht kommen, ich dreh jetzt alles auf zehn. (Fans werden später darüber diskutieren,warum es "zehn", nicht aber "acht" heißt, obwohl die Band doch nach einem Oktopoden benannt ist.) In Japan steht so ein Oktopus ja symbolisch für ganz andere Dinge, will ich aber nicht reden drüber. Macht die Band aber auch dort erfolgreich.

Gut, Wecker klingeln, end of dreams, durch den Schnee stapfen wie verlorene Kinder, Maloche anfangen, von Ferne schon Fabriksirenen. Mitarbeitergespräch in Hogwarts war auch, und was soll ich sagen, das Zauberwort wurde laut gesprochen. Das ist sehr beruhigend, denn wann immer ich jetzt ein kleines Zucken im noch kleineren Finger verspüre, muß keiner irgendwas hinschmeißen, das wäre ja albern, sondern nur denken: "Abrakadabra, Sabbatical!" Dann kichere ich in meinen Hexenhut, den ich auf Arbeit der gefährlichen Dämpfe wegen tragen muß, die Kollegen merken auf und ich bin... down under, in einem Operationssaal mit Skalpell und Zange in der Hand, in einer Raketenstation, aber nur, um Kunst zu machen, bei den Fallschirmjägern, um wie eine Drohne alles von oben zu filmen, in einer Großimkerei, um wie eine Drohne alles von oben mit Staub und guten Wünschen zu versehen. Dinge, die man dann halt machen könnte. Oder aber: eine Alien-Verschwörung aus den 90er-Jahren aufdecken.

Ansonsten Kopf unten, Herz offen, immer schön weitermachen.


 


Samstag, 24. Februar 2018


Bevor die Eispeitsche kommt



Licht, Licht, Licht! Erst schnell noch Vorräte aufstocken, Dosensuppen, Hartbrot, Toilettenpapier, denn ab nächster Woche heißt es: GEFÜHLTE MINUS 20 GRAD! Keine unbedeckte Nasen nach draußen halten. Auch sonst nichts. Nach dem Einkauf ein wenig durch den Park, wo junge Eltern ihre wintermüffeligen Kleinstkinder auslüften und als glucksende Pakete in die Sonne halten. Vorbei an der Kirche, und dann noch ein Stück weiter zum Blumenladen. Immer schön Bewegung in die rostzerfressenen Gelenke bringen.

Wollsachen waschen, Wintermäntel durchzählen, die Eislieder zurechtlegen. Dann weiter an Plänen feilen. Ich habe - um mich unter Druck zu setzen - einen neuen Koffer gekauft. Einen Reisepaß beantragt. Habe international über sogenannte "Bedenken" lamentiert und mußte mich verlachen lassen. Ein wechselseitig geäußertes Motto als Zitat aus Viv Albertines wunderbarem Buch. Der muß ich auch noch schreiben.

Sobald es Frühling wird, irgendwann später dann, will ich die Diele von Josef Fenneker ausmalen lassen wie eine Sixtinische Kapelle. Hier muß mal mehr Stimmung rein, grüne Wände hatte ich lange genug.

Woanders vergammeln die. In der FAZ fand ich einen Artikel über Ewald B. M. Denner, der seit Jahren die kleinen Läden und Fassaden in Wien fotografiert. Das Vergängliche (hier auf Instagram), Staubige, Angestoßene. Wäre in Hamburg alles bereits untergemäht worden. So eiskalt ist das hier.


 


Montag, 19. Februar 2018


Gesammeltes

Vor einiger Zeit war ich mal in einem Haushalt, in dem ich vor langer Zeit öfter verkehrte. Tatsächlich aber war das, was von mir dort noch zu finden war, ein verwaister, einsamer Kaffeelöffel eines kompletten Bestecks, das ich dort einmal angeschafft hatte. So schwindet alles. Stück für Stück.



Gefunden, verloren, wiedergefunden. Alte Dinge, alte Rollen, alte Bühnenstücke. Besser man hebt es auf und ordnet alles frisch an. Karten auf den Tisch, Hose runter, Butter bei die Fische. (Wohl dem, der dazu noch das Besteck hat.)

Das eine weg, dafür findet sich neues. Man stelle sich vor, daß sich das Geheimnis um meinen verschollenen älteren Bruder gelöst hat. Es gibt keinen Zweifel, es ist wie mit nach der Geburt voneinander getrennt aufgewachsenen Zwillingen, die sich nach 30 Jahren wiedertreffen und feststellen, daß ihre Frauen beide Maria heißen, sie beide ein Pferd besitzen und sogar exakt den gleichen Oldtimer. Oder wie in diesem Fall exakt das gleiche Brillengestell. Exakt.

Auch sonst, ist die genealogische Herkunft unverkennbar. Mark Dion ist, sagen wir mal, Sammler. Und Künstler. Aber eben als Sammler. O Bruder, mein Bruder! Hebt alles auf. Ich vermute, bei ihm befindet sich das restliche Besteck.

Am Wochenende zeigt sich plötzlich Sonne, und alle Menschen stellen ihre Sammlungen oder Gedanken ins Licht. Auch manch Halbschattiges kommt dabei hervor. Das sehe ich auch beim Spaziergang durch Hamburgs berüchtigte Billstraße. Dort, wo man sein Fahrrad finden kann im Fall der Fälle. Und andere Sammlungen sieht: Der eine dort stapelt Kühlschränke, der andere Waschmaschinen. Dazwischen sitzt einer, der bietet Trimmräder an. Ich versuche es auch mit Fitness und schaue einfach, wie weit ich komme. Anderthalb Stunden dauert die Runde, danach fallen die Stufen schon schwer. Das war schon mal besser, aber jetzt im Winter will ich nachsichtig mit mir sein. Ich muß mich vielleicht auch erstmal sammeln.


 


Donnerstag, 15. Februar 2018


Schatten der Vergangenheit



Letztes Wochenende war das Wetter plötzlich so usselig, daß ich den Akademierundgang an der HfbK geschwänzt habe. So weiß ich nicht, was die Damen und Herren Studenten derzeit so treiben von meinen teuren Steuergeldern. Ganz väterlich wagte ich stattdessen einfach das Prinzip "lange Leine" und "Vertrauen", denn junge Menschen müssen ja auch flügge werden, und der ein oder andere Nasenstupser gehört dabei dazu.

Kuschelige Zeit also, mich angesichts des nebligen Wetters am imaginären Kamin meinen nebligen Forschungen hinzugeben und ein wenig in den Bücherstapeln zu blättern. Da ist dieses vergnügliche Buch von Stefan Bechtel und Laurence Roy Stains: Through A Glass Darkly. Da geht es um eine exzentrische pasttime von Sherlock-Holmes-Erfinder Sir Arthur Conan Doyle, der modern genug war, für die aktuelle Mode der Viktorianer, dem Spiritualismus, den oberen Hemdknopf zu lösen und sich mit detektivischem Interesse allerlei Spökenkiekerei und technisch getriebenen Scharlatanerien de jour hinzugeben. Elfenfotografie (klassisch mit "ph") und eben allerlei Gedöns mit Seancen und Ektoplasma-Erbrechen. Die wabernden Geister, die sich bei der Lektüre über meinem graubehaarten Schädel herausbilden, kichern sich eins und wackeln begeistert mit ihren dürren Fingern. Ältere Menschen erinnern sich noch an dieses japanische "Akte X" aus den 70er-Jahren - S.R.I.. Da gab es eine Folge mit grünem Ektoplasma, das bedrohlich durch Türritzen kroch und blutjunge Zuschauer derart traumatisierte, daß aus ihnen später Blogger wurden.

Ähnlich vernüglich ist Rebecca Solnits A Field Guide to Getting Lost. Solnit ist gerade mit Büchern über "Mansplaining" in vieler Munde, hier spaziert sie in kunstgeschichtlicher und auch biografischer Weltgeschichte herum, erklärt das Prinzip der Perspektive in der Malerei und das Sehnsuchtsblau und ist dann bald wieder bei persönlichen Erinnerungen. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, worum es in dem Buch wirklich geht, ich bin da ein wenig "lost" könnte man sagen. Ältere werden sich an H. D. Thoreau und seinen Essay übers Spazierengehen erinnern, nach dem einige Leser einst sogleich zum Zigarettenholen aufgebrochen und nie wieder aus dem Automaten zurückgekehrt sind. Ein Fall für das S.R.I. wohl. Solnit hat einige interessante Überlegungen an Bord, warum man beispielsweise in unbekannter Natur nicht immer gleich auch "verloren" ist, und wann und jenseits welchen Kartenrahmens dann eben doch.

Ein Herr Bateman hat über solche meine Forschungen einen hübschen Satz Kabinettkarten erstellt. Ältere erkennen das Studio "Reuter und Pokorny" aus der Wollzeile 34. Da haben wir uns früher alle photographieren lassen - für unsere Blogs - oder schnell noch im Ornat vor dem Opernball.

Ex Libris | von kid37 um 22:15h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 10. Februar 2018


An Acre Of Land



PJ Harvey hat ein neues Lied draußen. Eine gemeinsam mit dem Filmkomponisten Harry Escott für Dark River aufbereitete Version des Folksongs "An Acre Of Land". Schlicht, ohne Pathos, mit wehmütig umkleideter Nüchternheit, wie sie die Songs von Harvey in den letzten Jahren regelmäßig einkleidete. Hier kann man das hören.

Man muß den stillen Fleiß loben. Das Innehalten, Beharren. Die einfachen Dinge. Anders als diese Filmgeschichte: Da versuchen zwei Menschen, die tausende Kilometer von einander entfernt leben, weitere tausende Kilometer zu reisen, um sich zu treffen. Vielleicht möchte man da lieber gemeinsam mit Polly Jean einen englischen Acker mit dem Fingerhut umgraben. Ich atme mehrfach tief durch und bekomme die Anweisung, besser nur innerlich zu schwitzen. Oder noch besser gar nicht. Das sei alles kein Stress.

Zur Meditation mache ich jetzt in der Mittagspause am Hafen immer ein wenig Fieldrecording mit so einem kleinen Sonyding namens "Diane", schicke die Schnipsel linksrum und rechtsrum oder kopfübergestülpt durch den Computer, um damit später einmal - so der Plan - meine ebenso entstandenen Filmschnipsel zu unterlegen. Anders als Blätter und rostige Nägel, die ich sonst so gesammelt hätte, nehmen diese Klänge wenig Platz weg und kosten nur Zeit.

Die ist leider endlich. Der Filmkomponist Jóhann Jóhannson ist in Berlin gestorben, mit 48 Jahren. Das braucht man alles nicht.

Radau | von kid37 um 22:57h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link