Sonntag, 6. März 2016


Währungsrechner



Greif ich ins Portemonnaie, ist da noch Bargeld drin. Bargeld lacht, heißt es, lacht mich aus, blöde Sau, zahl ich dir heim, geb ich dich aus. Bald ist es weg. Bald soll Bargeld überhaupt weg sein, eine Verschwörung wider die Geschäftsfreiheit natürlich, für mehr Überwachung natürlich, dann gibt es aber bald sowieso Essensgutscheine und Bargeld nur noch im Keller. Da lacht es dann.

"Ich liebe den amerikanischen Dollar", sagte Madonna auf einem frühen Höhepunkt ihres Erfolgs. "Jeden einzelnen, den ich verdiene, gebe ich aus." Das klang damals in den Vor-Riester-Zeiten revolutionär hedonistisch, Popstar laß das Scheffeln sein, wirf ne Runde, schmeiß' was ein! und ließ uns irgendwie alle gleich abgebrannt erscheinen. Nur, daß die einen eine Kelly-Clutch besaßen und wir eine Plastiktüte vom Plus (Prima leben und sparen!). Ich selbst bin ja, Leute, die mich ausnutzen lieben, wissen das, ein äußerst friedliebender Mensch. In mir tobt eben kein Krieg, was daran liegen könnte, daß ich Geld nur aus dem Fernsehen kenne. Ein nackter Mann hat schließlich keine Taschen, wie der Volksmund weiß.

Ich bin ja gegen den Krieg. Habe aber nichts gegen Geld. Hätte ich Geld, würde ich nicht Krieg führen, sondern was kaufen. Eine Küche aus grauem Beton vielleicht. Und ein ansprechend großes Appartement drumherum, damit ich von ferne auf den glattpolierten Betonküchenblock zulaufen könnte. Auf Rollerskates, die ich mir dann auch kaufen würde. Oder ein Longboard. Die Szene würde ich dann mit einer teuren Kamera fotografieren oder besser noch, von einem eigens einbestellten Malerfürsten malen lassen. Tobten in mir nicht nur Scharmützel und Gefechte, sondern ein wirklich großer Krieg, hätte ich also zählbar viel Geld, trüge ich einen gelben Samtanzug, also jeden zweiten Tag, denn dazwischen gäbe ich ihn unbekümmert in die Reinigung.

Oft fragt man sich: Krieg ich dafür jetzt Geld oder krieg ich keins? Das also ist dieser Krieg in uns selbst, Kohlekrise, Moneten Wars I - III, Zaster-Zoff. Nächste Woche, man rief mich an, soll ich zur Bank, zur Abrüstungskonferenz.


 


Montag, 29. Februar 2016


Der Rattenkönig

Scully: "Time can't just disappear.
It's a universal invariant!"

(Akte X, "Gezeichnet")




In meiner Straße wohnt der Rattenkönig. Das quasi mythische Phänomen kommt in der Natur selten vor, aber hier im unscheinbaren, graugetönten Viertel scheint er ein dreischwänzig verknotetes Unwesen zu treiben. Schön anzusehen ist das nicht, aber authentische Alltagsbeobachtung ist eben kein Zuckergußbloggen, und auch eiternde Wunden brauchen einen zartfühlenden Arzt. Die Schrift an der Wand ist eben überall, mittlerweile aber wirkt selbst Special Agent Fox Mulder sehr, sehr müde und dem mühsamen Deuten all dieser Zeichen überdrüssig. Was soll ich erst sagen? Nachdem ich diesen Monatsanfang ja mit Kopfschütteln (über mich selbst) begann, ließ ich mir zum Monatsende mal schön den Kopf waschen und mich wie ein Pferd vor die sprichwörtliche Apotheke führen (Kotzen muß man freilich selber). Also immer einen einen Schritt weiter gehen und nicht nur bis neun, sondern auch bis zehn zählen. Oder einfach eins und eins zusammen. Paßt schon.

Dabei ist es kompliziert: Menschen pflegen ab und an eine sonderbare Art von Humor (man mag ihn goldig nennen, so als käme er vom Ende des Regenbogens). In anderen Kulturen oder auch Landkreisen pflegen sie unkonventionelle, vielleicht vorgregorianisch angelegte oder nach archaischen Beobachtungssystemen geführte Kalendarien. Vielleicht hat sich Special Agent Dana Scully deshalb einfach geirrt. Vielleicht kann Zeit doch elastisch sein. Zeit, die zeitgleich läuft und zugleich verknotet ist wie ein Rattenkönig. Der 29. Februar beweist, manche Jahre haben mehr Tage, andere dafür möglicherweise mehr Monate, das sollte man mal wissenschaftlich untersuchen. Aber nein, stattdessen bauen sie Dinge wie... Dinge wie... na, Dinge eben, die keiner braucht.

Der größte Rattenkönig, zurück zu den miraculösen Naturerscheinungen, ist in Altenburg zu sehen, auch in Hamburg gibt es einen in der zoologischen Sammlung. Ein böses Omen soll er sein. Ein Gedankenknäuel. Ich muß diesen Fund vor meiner Türe daher als unschön gemeinten Hinweis verstehen. Ich weiß schon, warum ich nur noch Leute hineinlasse, die ich schon seit Jahrzehnten kenne. Und zwar mit Namen und Geburtsdatum. Vorsicht zahlt sich am Ende immer aus, wenn man hinterm Mond lebt so wie ich. Schon aus erholungsschlafschützenden Gründen. Von wegen, nachts schlafen die Ratten doch: Wer kann schon ruhen, wenn irgendwelche Wesen in den ausgehöhlten Wänden scharren oder sich Gedanken unlösbar verknoten wie gordische Rattenschwanzgeflechte?

Zur Zeit schaue ich mit mildem Lächeln die Serie Grimm, weil die so schön schlicht gestrickt ist und nicht verknotet und fabelhaft in Art und innerer Verfaßtheit deformierte Wesen wie du und ich vorstellt. Mit halb zugekniffenen Augen und dem mir bekanntermaßen innewohnenden von unschuldiger Zuneigung geprägtem Wohlwollen erinnern die einzelnen Episoden an die Monster-of-the-Week-Folgen von Akte X, allerdings ohne den Resonanzraum einer bewegenden Liebesgeschichte und einer beklemmenden Regierungsverschwörung. Aber wie ich immer sage, auch Spezialagenten müssen hie und da abschalten und nicht immer alles mühsam auseinanderklamüsern wollen. Sollte ich bis Staffel 5 durchhalten, erwartet mich also die Folge "Rattenkönig". So wird sich dann letztlich alles ineinanderfügen. Ich erhoffe mir dann weitere Märchen grimmige Erkenntnisse und halte bis dahin Augen und Ohren offen. Die Türe aber geschlossen.

>>> Geräusch des Tages: Einstürzende Neubauten, "Der Rattenkönig".


 


Montag, 22. Februar 2016


Merz/Bow, #50



Vor ein paar Tagen kamen mir meine ungeputzten Fenster noch ein wenig ungeputzter vor. Aber es war nur der Winter, der in Hamburg noch einmal die Muckis spielen lassen wollte, den Starken mimen, kurz mal die Backen aufblasen wie ein lange vernachlässigtes kleines Kind, das sich krähend präsentiert und dabei doch in die Hosen macht. Winter, geh ins Bett. Du bist müde!

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Letztes Jahr, ich hatte im Kopf wohl Winter, blies ich kurz die Backen auf und dachte über Berlin nach. Viele Menschen finden das ja schön dort, ich immerhin interessant und kam auf diesem Wege, aber besseren Wissens zu der Idee, nicht immer so stur zu sein, Dingen auch eine Chance zu geben, Städten zum Beispiel. Überraschend schnell hatte ich sogar eine Wohnung zur Hand, ein niedliches kleines "Single-Nest", wie mir der Makler versicherte, hübsch gelegen, ein einmaliges Angebot und unsaniert, für den Fall, daß ich selbst noch Hammer und Leiter und Maurerzeugs bereitstellen wolle, sogar für die Hälfte billiger. Die Hälfte! Da war ich gleich ganz hibbelig, 'ne jünstige Jelegenheit. Ein Zimmer für mich allein.

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Dabei könnte Berlin fleißige Hände vertragen, es hat ja quasi keinen Flughafen. Man kann dort aber, gleich vom Bahnhof aus, gut zweigleisig fahren. Das wußte ich aber schon. Dieses Jahr war ich noch nicht da, der Kollege hingegen war auf der Berlinale und hat Selfies mit einer von mir sehr geliebten geschätzten Schauspielerin gemacht. Mann, Mann, Mann! Zwiespältige Gefühle waren das, als mir das Grinsefoto zum Gruß geschickt wurde. Mitten in der Nacht auch noch von einer dieser angeblichen Partys, ein Trick natürlich, mit dem Berlin so tut, als gebe es dort ein Nachtleben. Ich kann aber nun sagen, die Frau Dings, die lächelt für mich schon sehr schön in die kleine Telefonkamera. Ist auch wichtig.

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Berlin liegt auch in einer anderen Zeitzone. Moskauer Zeit, da verschieben sich ganze Kalender, Feiertage, Geburtstage - man müßte alles neu denken, gerade, wo ich mich in den hiesigen Tidenkalender eingegroovt habe. Der geht minutengenau, mit Vorhersage.

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Wie selbst frisch verputzt, habe ich ganz in der Nähe einen Laden entdeckt, der tatsächlich noch textilummantelte Kabel in vielen Farben als Meterware führt. Was es alles noch gibt! Der Geruch dieser Elektroläden, die nur über Hintertreppen zu erreichen sind, halb Lager, halb Verkaufsraum, halb Restekiste mit überquellenden Pappkartons. Eine Jugenderinnerung, die Werkstatt der Väter, das Knistern der Transformatoren und Summen der Röhren. Großes Glück, dieser Laden führt tatsächlich auch noch kleine Isolatoren aus Porzellan, perfekt für Langdrahtantennen aus Klingeldraht, sogenannte "Hühnerleiter" und Dipolkonstruktionen.

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Denn abends wollen die Schauspielerin und ich Radio hören. Ferne Sender auf der kurzen Welle, aus dem knisternden Äther gefischte Signale, den rhythmischen Klang der Telegrafen, der Musik aus Sumatra und Hilversum. Beleuchtet vom Glimmen der Kathode und dem schwachen, grünlichen Puls des magischen Auges schrecken wir vielleicht bald mit angehaltenem Atem und eng zusammengedrückt wie auf einem Selfie nervös zusammen, wenn das gemorste "V" ertönt: Di di di daa, Beethovens V., wenn das Schicksal anklopft, gefolgt vom sonoren: Hier ist England.

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Die Französin Isa Marcelli macht schöne Schwarzweißfotos: entschleunigt, gar nicht grell, aber traumhaft erhellend. Bei all dem visuellen Geschrei all überall, empfinde ich das auch in aller den Zeitläuften entzogenen Blümchenhaftigkeit gerade als angenehm.

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Ich bin sehr naiv, auch was diese Schauspielerin angeht. Ich mag mich aber trotzdem. Vielleicht schreibt die mir.

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Ich muß ins Bett. Ich bin müde.

>>> Geräusch des Tages: The Passions, I'm In Love With A German Film Star

MerzBow | von kid37 um 02:01h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 10. Februar 2016


Strikt, aber limitiert



Weil Erinnerungen flüchtig sind, hält man sie gern fest. Also gern auch richtig fest. Zun den schönen Überlieferungen des Viktorianismus gehört der tief in den Alltag verankerte Reliquienkult: die Locke vom Liebsten, der erste Milchzahn und das Foto vom toten Verwandten. Mit dem Aufkommen der Fotografie im 19. Jahrhundert ergab sich eine nie gekannte Möglichkeit, die Verstorbenen zu bewahren - oder besser die Erinnerung an sie: im Abbild. In Festtagskleidung gewandet saßen sie im Stuhlkreis unter den noch lebenden Familienmitgliedern, die auf den Bildern meist gleichsam tot wirkten, waren doch die Belichtungszeiten in der damaligen Fotografie so lang, daß die Porträtierten unnatürlich lange starr verharren mußten. Im Zeitalter der hohen Kindersterblichkeit wurden so auch Frühstverstorbene abgelichtet - oder aber die lebenden Säuglinge im Schoß ihrer im Kindsbett gestorbenen Mütter.

Ein für heutige Verhältnisse merkwürdig und morbide scheinender Erinnerungskult, dabei ist das Festhaltenwollen und Besitzenwollen des Flüchtigen doch ein uralter menschlicher Impuls. Den Augenblick festhalten, das Vergängliche bannen: Goethe und Geburtstagvideos verdanken beide ihren Erfolg diesem Eifer.

Tessa Kuragi und Jon-Ross Le Haye, wir kommen in die Gegenwart, füllten ein altes verziertes Fotoalbum aus dem 19. Jahrhundert, ein Flohmarktfund, mit solch fragilen Bildern: Sie konservierten die blauen Flecken, die sie im Laufe ihrer sadomasochistischen Beziehung sammelten: verblassende Momente und Erinnerungen an ganz besondere Momente. Der Reprint dieses Bruise Book ist auf 50 Exemplare limitiert, meins trägt die Nummer 31, was fast aussieht, kommen wir zum Zahlenfetisch, wie eine 37. Knapp vorbei, oder Autsch! wie wir in bibliophilen Fachkreisen sagen.

Die französische Fotografin Féebrile lernte ich vor ein paar Jahren auf einem Konzert von Ödland kennen. Ihr kleiner liebevoll gestalteter Band Pola et les autres dokumentiert auf Polaroid besondere Inszenierungen, Momente und intensive Begegnungen. Sehr charmant. Mein Exemplar ist die Nummer 38 von 100, das ist schon provozierend nahe an der 37, aber nun muß man auch als Sammler mal Fünfe gerade sein lassen, um im Zahlenbild zu bleiben.

Ein schönes, recht ordentlich sortiertes Unterfangen also. Damit wir uns aber auf Buchmessen und Kunstauktionen nicht ins Gehege kommen, schlage ich vor, ihr sucht euch eine andere Zahl aus, der ihr hinterhersteigen wollt.

Tessa Kuragi, Jon-Ross Le Haye. Bruise Book. o.O., o.J. (2015)
Féebrile. Pola et les autres o.O., o.J. (2015)


 


Sonntag, 7. Februar 2016


Mal Licht im Keller!



Hier und da, das wird einige jetzt nicht sonderlich überraschen, bin ich ja so richtig doof. Also nicht, wenn es um Dinge wie kalte Fusion, dekompressive Kraniotomie oder anlaßlose Religionsstiftung geht. Soziale Problemstellungen aus dem zwischenmenschlichen Bereich aber, die über einfache Transaktionen an der Supermarktkasse hinausgehen (steuerlich betrachtet also eine simple Einnahmen/Ausgaben-Überschußrechnung, Anlage EAÜ), verstünde selbst ein Dr. Dr. Sheldon Cooper besser als ich.

Da ich selbst wiederum ein gutes und sogar immer mal wieder ungebrochenes Verhältnis zu mir selber habe, nenne ich es lieber nachsichtig naiv, so als könne man das Problem dadurch lösen, striche ich mir selbst liebevoll übers Haar und kniffe mir kurz in die Wange dabei. Die Tage, als ich den Haushalt mehr und mehr auf LED-Leuchten im "Glühbirnen"-Look (es gibt sogar nostalgische Edisonlampen in LED-Technik für die Industrial-chic-Fans unter uns) umstellte - eine banale Beschäftigung sicherlich in Zeiten, in denen Fußballvereine um ihre Klassenzugehörigkeit bangen müssen - ging mir ganz buchstäblich ein Licht auf, das mir die eigene Blödheit an die wenigen freien Wände hier im Haus projizierte. [Aufbl. schallendes Gelächter aus der Konserve] "Denn siehe: Erst bist du verblendet, dann blendet dich das Licht der Erkenntnis." [1. Vers, 17]

Die Ursache ist im Spiegel rasch erkannt. Vor einiger Zeit ging eines meiner geheimen Geheimexperimente fürchterlich schief, und ich habe seither den Eindruck als mieden mich die Menschen. Sie erfinden Ausreden, das spüre ich deutlich, ohne einen meiner Fühler genau in die Wunde legen zu können. Sie haben plötzlich Termine, beim Arzt, beim Steuerberater oder zur Ummeldung beim Ortsamt. Manchmal begreife ich es auch nicht gleich, sondern erst Monate später, wenn plötzlich wie aus den offenbar zeitelastischen Kalendern anderer Leute Erkenntnisse und Zusammenhänge schlüpfen, einem Insektenkokon gleich, aus dem dann doch kein Schmetterling wird. Das soll aber auch ein Fliegenhirn verstehen, denke ich. Das ist doch viel zu komplex, auf eine ungesunde, hirnzellenmarternde Weise. Wenn ich wenigstens Flügel hätte, aber nein, wie mit Honig verklebten Gliedern torkel ich mühsam durch endlose, leere Räume, durch die LED-weiß erleuchteten Gänge eines mitleidlosen Finanzamts und vorbei an wehenden Vorhängen. Ausgestoßen! Wie heißt es im Lied: "Ninety-six tears in ninety-six eyes." Ein Fiebertraum im Kabinett des Dr. Kid!

Jetzt also Warten auf den Aschermittwoch, danach Fastenzeit, bloß um später wie frisch entgiftet, schlackebefreit und auch endlich mal geduscht den Frühling zu neuen Experimenten im Geheimlabor unterm Maibaum zu begrüßen. Ach, nicht mehr Fliege - Dodo Vogel will ich sein!

>>> Geräusch des Tages: The Cramps, Human Fly


 


Montag, 1. Februar 2016


Endlich werden Raumschiffe gefordert

Ms Harvey reicht erste Zuckerstücke ihres neuen Albums The Hope Six Demolition Project, das im April erscheint. Ganz im Stil des Klassikers Let England Shake rumpelt The Wheel daher. Der Blues-Folk-Stomper, knapp zum Glück am Gummistiefeltanz vorbei, paßt sowohl zum nachhaltigen Fairtradekaffee als auch zur düsteren Nachdenkspelunke, in der man im gelblichen Licht einer LED-Filament-Retrofit-Leuchte über verkratzte Filmklassiker und Klassiker des Gefühlsleidens nachdenkt. Man ist ja sofort wieder bedingungslos in Polly Jean verliebt, möchte ihren Gitarrenkoffer tragen oder ihr nach Konzerten ein Käsebrot schmieren. Aber das soll jetzt nicht so Fanboy-haft klingen. Eher normal, freundlich, höflich beinahe.

Nun werden also endlich Raumschiffe gefordert. Ich könnte eines besteigen und mit Scully Polly Jean Scully Polly Jean und Scully als drei Musketiere von der Erde in das Weltall fliegen. Richtig ins Blaue hinein, eine Bordtoilette wird es ja wohl geben, einen Stapel Stullen dabei und besagten Gitarrenkoffer. Niemand wird uns angreifen, während wir durch den unendlichen Raum fliegen, keine blauköpfigen Menschen vom Mars und auch keine heißglühenden Grünlinge von der Venus. Wir sängen Lieder über die Liebe, auch wenn die im All keiner hören könnte. Andere Waffen brauchen wir nicht.

Das läuft doch schon mal besser als das vergangene Jahr, dieses absagenverstolperte, aufkündigende 2015. Freundschaften, Arbeitsverhältnisse, man kam ja am Beistelltisch einer bodenverkrumten Weinschabracke mit dem Buchhalten gar nicht mehr nach, was sich links und rechts wie Beschädigungswaffen neben mir in den Boden bohrte. Ich jedoch bin einfach ruhig geblieben, im kindlichen Vertrauen auf ein vollverspiegeltes Raumschiff, das mich schon holen würde.

>>> Geräusch des Tages: Josh Homme & PJ Harvey, I Wanna Make It Wit Chu

Radau | von kid37 um 23:22h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 23. Januar 2016


Graue Dilletanten


So toll, wenn die eigene Jugend ins Museum kommt (die rechte meine ich, Leute!)

1981 gab es im Berliner Tempodrom das berühmte und berühmt falsch geschriebene Festival "Geniale Dilletanten". Die gleichnamige Ausstellung, die zuvor bereits in abgespeckter Form in München und im Ausland zu sehen war, zeigt Erinnerungsstücke an damalige Bands, Malerei, Installationen und Videos aus dem deutschen Post-Punk-Umfeld, also der Neuen Deutschen Welle ehe sie die NDW war.


Dilletanten-Bingo: Immerhin, vier der gezeigten Alben habe ich

Im Publikum zahlreiche Vertreter und Zeitzeugen, spot your Künstler heißt auch ein fröhliches Motto des Abends. Etwas fürs Panini-Sammelalbum: Die meisten in Ehren ergraut, manche auch einfach so. Manche auch nicht so gut, was mir ein wenig Angst einjagt, denn ähnlich wie ich sind die ebenfalls mindestens 37 Jahre und ein paar Monate alt. Aber wie heißt es so schön? So punk kommen wir nicht mehr zusammen, schnell noch ein Bier und Erinnerungen ins Sentimentalknopfloch.



"Duchamp" in zwei, drei, eins... Doris am Urinal

Eigentlich waren die Zentren dieser Kunstpunk-Szene Düsseldorf und Berlin, Hamburg war ja eher gleichnamige Härte, halt die Fresse, komm mal her - obwohl, so geschwätzig ist man hier ja wiederum auch nicht. Zwischen DAF, Der Plan, Einstürzende Neubauten und Die tödliche Doris wurden also schnell noch Palais Schaumburg als Hanseatenbeitrag gepackt, die waren immerhin auf der Kunsthochschule. Warum Bands wie F.S.K. hier subsummiert sind, erschließt sich mir bei aller Liebe aber nicht.



"Mit Leibwachen kommt Holger Hiller an/Massenschlägerei für ein Autogramm!"

Mittagspause sind erwähnt, Fehlfarben und einige von der Düsseldorfer Akademie fehlen. Aber Leerstellen zu benennen, ist im Nachhinein immer einfach. Natürlich wären Bilder von Albert Oehlen oder Objekte wie das Stehpuppen-Schallplattenset der Tödlichen Doris nett gewesen, ich kenne immerhin zwei Menschen, die eines besitzen. (Und einer davon bin nicht ich. Und der andere leider auch nicht.)

Amüsant ist das ausgestellte, völlig zerdengelte Metallschlagzeug der Neubauten, ein "Berühren verboten"-Schild soll den Schrotthaufen schützen, was natürlich dem Sinn der ausgestellten Kunst völlig zuwiderläuft. (Es wird sich, ich drücke es mal so aus, nicht akribisch dran gehalten.) Es ist ein Museum, ein ganzes Leben, in Gießharz eingeklebt.


Ratinger! Markthalle! X-mal Deutschland!

Kurz, Kennwort "Ratinger!", spreche ich mit La Reimann. Die erkennt mich aber gar nicht, so grau bin ich geworden. Zeit, mich ins Museum zu stellen, Glasvitrine zu, weg, schnell noch ein Lied: Das war vor Jahren. Peter Hein, bitte rufen Sie mich aus Wien an!

("Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland". Museum für Kunst & Gewerbe, Hamburg. Bis 30. April 2016.)