Freitag, 1. März 2013


Mach doch mal was mit ganz kleinen Tieren



Die Erschöpfung wird langsam ein Problem. Manchmal fallen mir schon in der U-Bahn die Augen zu, es wird der Tag kommen, an dem ich plötzlich an der Endstation wachwerde, nichts ahnend, nichts wissend, ohne Schuhe und Portemonnaie. Zur Vorbeugung heute einen freien Tag genossen, ausgeschlafen, in Ruhe ein Frühstück, draußen sogar die Anmutung einer vitaminspendenden Sonne. Gleich mal die mausezarten Zwillinge Lust & Laune in den Reisekoffer der Verdammnis verpackt, aufrecht am Altpapiercontainer vorbeigegockelt und den Radius abgesteckt.

Hinunter zu den Deichtorhallen, im Fotobuchhandlungsgeschäft ein paar Bücher und Zeitschriften gekauft, Selbstbelohnung in konsumunkritischen Zeiten, eine Kamera betrachtet, über deren Erwerb ich mir zwiespältige Gedanken mache, dann aber papierbeladen nach Hause, Beine dann als sei ich 20 Km durch den Schnee gestapft. "Seien Sie geduldig mit sich", meinte Frau Sorge neulich noch beim Gespräch, allein der innere Leistungsgedanke...



Zwischendrin aber die Ausstellung A World Of Wild Doubt im Kunstverein besucht. Eine kleine, aber recht amüsant-bedrückende Schau, mit vergitterten Verliesen und beklemmenden Boxen, foucault'schen Assoziationen zwischen Strafe und Gefängnis und einigen sarkastischen Kunstaperçus über Macht, Geheimnis, Paranoia und Weltpolitik. Lobenswert ein großes illuminatorisches Tarot-Set mit Konzernkonstrukten und Personen von IBM bis Margaret Mead, wie überhaupt das Sammeln und Strukturieren eines der Ordnungs-, Verwirrungs- und Strafeprinzipien der Ausstellung war. Leider vergessen, die Namen der Künstler jeweils richtig zu zuordnen.



Höhepunkt indes ist eine Installation der selten gezeigten, ganz wunderbaren Tessa Farmer. Die Britin bastelt mit kleinen und noch winzigeren Insekten (Heu- und Seepferdchen) völlig entzückende und verstörende Skulpturen, wo Miniaturskelettkrieger auf brummelnden (aber allesamt toten) Hummeln reiten. Bereit zur Welteroberung, wäre da nicht der Atem des staunenden Betrachters, der die am Faden baumelnde buchstäbliche Hängung in Bewegung setzt. Durch eine niedrige Tür, eine tunnelige Kiste führt der Weg zu Farmers Installation, sage man nicht, Kunst hätte nicht auch ergotherapeutischen Nutzen.

>>> Kurze Doku über Tessa Farmer

("A World Of Wild Doubt". Kunstverein, Hamburg. Bis 14. April 2013.)


 


Donnerstag, 21. Februar 2013


Merz/Bow, #39

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Das Kommando Trauernde Weide schleicht seitwärts im Krebsgang durch den Wochenanfang. Neue Pläne von oben werden mit Vorbehalts-Pst! verkündet, das Echo ist geteilt. Summende Erregung jedenfalls im Bienenhaufen.

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Zielvorgabe 2013: stabile Verhältnisse. Check-up-Gespräch mit der netten Ärztin. Wir gehen die Liste durch, ich lege eine Reihe konsilarischer Befunde vor. Wir singen im Chor das Lied vom großen Hm. Hm. "Können Sie nicht mal eindeutige Symptome und Befunde haben?" Nein, sage ich, die Welt sei komplex, es gebe keine einfachen Lösungen. "Mehr Kryptik" heißt das Zauberwort. Ob sie nicht bloggen würde. Die Menschen im Internet haben alle zuviel Zeit. Meint sie.

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Zur Empörung zum Beispiel. Bestellt ein Negerkönig eine Lasagne bei Amazon, gehen die Aufreger Woche. Und alle so Uiuiui. Die Skandalisierung hat mittlerweile auch den geliebten öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfaßt. Tagesschau und Tagesthemen sind sich nicht zu schade, schamlose Eigenwerbung als quasi brandaktuelle Entdeckung in den Nachrichtenblock zu packen. Tadaa, liebe Zuschauer, bleiben Sie dran. Wir haben da passend und wie zufällig eine Doku für Sie. Soylent Green ist Menschenfleisch!

Dieses naive Ermittlungsstück aber zeigt, was doch niemanden überraschen dürfte, der die "Liberalisierung" der Markt- und Sozialgesetze in den letzten Jahren (und zwar seit Rot-Grün) mitverfolgt hat. Welche Ziele und Methoden werden denn von Konzernen wie Amazon, Zalando, Google, eBay usw. wohl verfolgt? Unternehmen, die hierzulande Milliarden umsetzen, aber nur 3,50 Euro Steuern zahlen?

"Die da oben machen doch nur, was wir wollen", sang Bernadette La Hengst. Die Strukturen sind kein Unfall. Und man hüte sich vor Selbstgerechtigkeit, Fingerzeigen und den eigenen blinden Flecken: Wir treffen jeden Tag (Konsum-)Entscheidungen, die ethisch zweifelhaft sein können. Von einem Applegerät aus eine Petition gegen Ausbeutung anklicken hat jedenfalls auch einen guten Schuß Absurdes. Es ist komplex. Kaufe hier eine Biokiste und buche dort eine Flugreise. Wir leben in einem Hütchenspiel mit drei Fettnäpfen und nur einer Gewissensseife.

Action speaks louder than words. Zu wenige übrigens sind in einer Gewerkschaft. Zu wenige nehmen die Politik ernsthaft in die Pflicht. PR-Skandale allein ändern selten die Verhältnisse. Sie führen zu besserer PR.

Kelly hat seine Eindrücke besser in Worte gefaßt.

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Wer wissen will, wie der Laden läuft, schaut heute abend TV. "Versicherungsvertreter - Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker" zeigt dort der WDR um 23.15 Uhr. Die Doku zeigt Momente des "Systems Größenwahn" in einsamer Offenheit. Die "Mehmet E. Göker AG" war mal zweitgrößter Makler für private Krankenversicherungen, holte bei den Konzernen bis zu 8.000 Euro Provision (!) für einen Vertrag heraus, setzte über 60 Mio um und Topvermittler in Ferraris. Bis irgendwann die Steuerermittlung und der Absturz kam. Göker selbst aber, ein charismatischer Quasi-Selfmademann, ist ungebrochen. Seine Firma führte er wie eine Sekte, Tatöwierungen für die Mitarbeiter inklusive, Ansprachen zwischen Drohgebärde und Mutterwitz, ein lebendes Beispiel für ballastbefreite Selbstoptimierung. ANDERE ATMEN, WIR VERKAUFEN! ist einer der von ihm konsequent in Versalien gehaltenen "Gökerismen" (mit denen sich Abreißkalender oder Bücher, z.B. bei Amazon verkaufen ließen). Eine ganz dicke Empfehlung. Blogger können da auch was lernen

>>> Trailer

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In eigener Sache. Gesine von SteglitzMind stellt eine Reihe Blogger vor und hat mich ein paar Sachen gefragt. Vielen Dank!

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Mal praktisch gefragt. Wo kann ich Filme von F. J. Ossang kaufen, wenn nicht via Amazon.fr? Ich sehe schon. Ich stehe in einer Wanne voll Blut.

MerzBow | von kid37 um 17:14h | 32 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 14. Februar 2013


Valentinoje!

Heute ist ja Tag der Herzensbrecher. Da denken sich viele schwer anromantisierte Menschen schwer was aus. Rosen schenken oder ein Käsebrot? Das in femininen Fachfragen führende Missy Magazin wendet sich dem Weiblichen zu und veröffentlicht eine Liste mit knallroten Perioden im Film. Die walisische* Band My Bloody Valentine steht nicht zurück und veröffentlicht nach über 20 Jahren ein neues Album, das Menschen weltweit zum Schluchzen bringt.

Nun wollte ich zunächst ebenfalls nicht zurückstehen und allen meinen Leserinnen eine rote Rose bereitstellen. Unbeholfen in solchen Dingen wie ich bin, überlasse ich dann aber das Wort dann doch lieber dem nordeutschen Dadakollektiv HGich.T, das ihr alle von ihrem Hit Goa Goa MPU (aka "Tutenchamun") her kennt. Die haben eine ganz liebevoll schüchterne Liebesgeschichte zusammengezaubert. Diddelmaus Ballerina. Wie gemacht für diesen rosazarten Tag.


 


Mittwoch, 13. Februar 2013


Verbissen verzahnt

Ich bin ein wenig unschlüssig, was die Musik angeht. Aber die Zähne von Leslie Clio beeindrucken mich sehr (#instantlove). Man kann nur hoffen daß sie die nicht richten läßt.

Ich selbst bin ganz ungerichtet, also nicht nur, was die Zähne betrifft. Das Defekte dieser nicht fruchtbaren Jahreszeit. Draußen Schneereste und frostiger Grund, Bagger auf der kleinen Großbaustelle, die sich mühsam in eine sandige Schicht graben. Wer weiß, wer weiß, wer weiß. Der Kampfmittelräumdienst war nämlich vorher nicht da.

Träume sortieren wie Wäsche, die roten Sachen brav auf einen extra Haufen. Für einen anderen Waschgang dann. Nicht besser justiert sein als ein alter Plattenspieler. Sich selbst also nur noch von Hand auflegen, knisternd die Spur finden, dann die Knackser zählen. Plötzlich dieses Krkz an immer der gleichen Stelle. Wahrscheinlich seit Jahren schon.


 


Mittwoch, 6. Februar 2013


Es liegt ein Herbst in allen Jahreszeiten

Es ist wie so oft: Man steht in der Öffentlichkeit, muß sich mit den inneren Dämonen auseinandersetzen und dabei Haltung und eine gerade Krawatte bewahren. Manchmal dabei aber auch wie ein Fassadenkletterer hinter die dürftig lackierte Frontblende steigen und einen kritischen Blick auf den Motorblock werfen. Ich also, mit Krempelärmeln, Schraubenzieher hinter dem Ohr und einer Taschenlampe zwischen den Zähnen, mutig in der großen Maschine herumgewerkelt.

Es begab sich nämlich, daß dieser von Version zu Version immer elender werdende Firefox sich mit seinen javaverlöteten Zahnreihen in die Grafikkarte verbiß. Wie ein aufmerksamkeitsdefizitärer Dreijähriger stand er am Lichtschalter, ein, aus, ein, aus, eine juchzende Freude, nicht so aber für mich oder auch nur meinen Monitor. Daher der Ruf: Aus jetzt! Was wiederum die große Maschine mißverstand, beleidigt rief, hallo, ich bin doch kein Macintoshklamott, ich bin ehrlich empfindsam. Vergänglich. Und nun also gekränkt.

Und nun also wie tot. Vermukscht wie vergessenes herbstliches Laub im Hundeauslaufschnee.

Mit meinem Schraubenzieher und einem Programm namens "Blüm 2000" (Version "banniges Blümchen") alle Daten auf Tontafeln gesichert und ansonsten den Staub der Jahre ordentlich durchgepustet. Pause zu Hause nennt die Werbung das, ich komme nun früh ins Bett und habe in meiner Plattensammlung das ein oder andere Schätzchen entdeckt. Auch befindet sich nun in meiner Wohnung ein Fernsehgerät, auf dem ich auch ohne elendigen Firefox durch 35 verschiedene Blogs von ARD bis ZDF surfen und dabei traurig werden kann.

Ab und zu schaue ich wie Regen oder auch Schnee oder einfach wieder Regen gegen meine Fensterscheiben gedrückt wird, starre beschwörend auf den Kalender und warte auf das Ersatzteil.


 


Donnerstag, 31. Januar 2013


Barmen ist nicht Brooklyn, Dirk

So ging das damals dann wohl los. Ich muß das glauben, denn ich war ja nicht dabei. Wuppertal ist nicht Williamsburg und Barmen war nicht Brooklyn. Mitte der 70er wurden aufgelassene Viertel im quasi-bankrotten New York (das ist eine Stadt in den USA) Unterschlupf und Nährboden für die nach Richard Hells Hit als Blank Generation bezeichnete lose Gruppe von mäßig Frisierten. Künstler, Filmemacher, Schriftsteller und Musiker, die nicht mal Blogs hatten, dafür aber das CBGB. Der winzige Laden wurde zum versifften Inkubator für Bands wie Television, die Patti Smith Group, Blondie, Ramones, die Talking Heads. Das ist alles bekannt und läßt sich ansonsten nachlesen.

Mir sickerten diese Nachrichten tatsächlich durch Aspekte ins Gemüt (eher denn ins Bewußtsein), eine Sendung, die als festes Wort zum Wochenende neben Berichten über die Einstürzenden Neubauten oder Die tödliche Doris (sprich: Berlin) immer mal wieder Rumoren aus fremden Welten in die Provinz brachte. Nihilisten in New York! Richard Hell besingt die "Blank Generation"! 2:45 Min. Energiegewummse, das sich heute fast gezähmt anhört. Eine Rettung aber, gerade zur rechten Zeit, wenn man befürchtet, im Leben nur noch mit der Schwebebahn von links nach rechts fahren zu können und fürderhin Schallplattenerzeugnisse von, sagen wir, Al Green kaufen zu müssen. Wie die vorzeitig vergreisten Mitschüler. Blasierte Verachtung, da habt ihr!

Nun war ich ja selber lange noch brav, ging also nicht sofort (oder auch später, wie dei Frau Kink) nach New York, kann nun aber alles noch mal genau nachschauen. Meine Tochter Die junge Französin Céline Danhier nämlich hat eine lässig dahergerockte Doku gemacht. Blank City spürt diesen alten Zeiten am Brandherd nach, rückt den Protagonisten von einst auf die Pelle, zeigt Musik, Liveauftritte und eine Reihe rarer Momente. Der Schwerpunkt aber liegt bei den Filmemachern dieser Zeit. Unbekümmerte Super-8-Revolverhelden aus der grimmig-schmutzigen Welt des Cinema of Transgression. Beth B., Nick Zedd, Richard Kern, Lydia Lunch. Jim Jarmusch, Steve Buscemi und John Waters sind als bekanntere Vertreter der No Wave dabei und plaudern entspannt und selbstgewiß, wie das so ist, wenn man weiß: Man hat das alles überlebt. I can take it or leave it each time.

Ach ja. Und Sonic Youth.

Der Film läuft gerade durch die kleineren Kinos, mit Glück kann man den noch bis Anfang Februar sehen. Die DVD folgt dann ab Mai, also nicht traurig sein.

(Blank City. Regie: Céline Danhier. USA 20212.)

>>> Trailer und Info

Super 8 | von kid37 um 11:37h | 21 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 25. Januar 2013


Frischer Fisch



Gestern ein wenig orientierungslos durch den Mittagspausensupermarkt getorkelt, kurzzeitig wußte ich wirklich nicht, wo die Salsatbar war und warum man alles umgeräumt hatte. Über Nacht. Ein bißchen schwummrig, ein bißchen mitgeführten Traubenzucker also besser mal, danach glatt durchgeschwitzt wie ein zitternder Hase im Regen.

Das hätte ich vermeiden können, gar müssen, denn zersauseltes, nasses Hasenfell ist die Frisurkatastrophe für Taxidermisten im Tierreich. Womit wir schon bei diesem Buch sind, Bad Hair Years nämlich von der Kink Martina. Die macht sich als Lady Kinkling in Blogs ein wenig rar, schreibt dafür aber launige Bücher, die ein erholsamer Trost sind, wenn man einem nassen Hasen gleich auf dem Sofa mümmelt lümmelt und sich den Sonntagnachmittag unter der Schneedecke einrichtet. Die Kink, mit der man gut in Etablissements herumsitzen kann, wenn sie nicht gerade Bücher schreibt, lakonisiert mit trockenem, dahergeschlendertem Witz über das Leben in der ganz großen Stadt, über die Männer in den verschiedenen Leben, die man so parallel führt, bis man merkt, das geht nicht. Ist so Fön - und dann ab in die Badewanne. Aber ganz herzlich.

Und dann, jetzt aber, lange haben wir darauf gewartet, aber dieser Fisch ist wirklich frisch: Toonbloggerin Lisa Neun hat endlich einen großen Schwung ihrer Bildgeschichten als wirklich hübsch gestaltetes Buch herausgebracht. Mit skurrilen Haus- und Heimgeschichten, eigensinnigen Katzen und alltäglichen Mißgeschicken, teils brüllend komisch, teils hintersinnig oder besser noch, beides zusammen. Wie das so ist, wenn eine Wienerin die Welt betrachtet (jedenfalls stelle ich mir das so vor). Das Buch kann man bequem bei Lisa bestellen. Bequemer ist Glück nicht zu haben.

Martina Kink. Bad Hair Years. München, 2012.
Lisa Neun. Fresh Fish. Erlangen, 2012.