Freitag, 18. Januar 2013


Merz/Bow, #38

Hier mußte mal ein bißchen Ruhe rein. Ich bin gerade etwas empfindlich auf den Ohren. "Enough is enough is enough" (Gillian Anderson). Jetzt habe ich aber einen neuen Besen von der Marke Delete. Mal schauen, wie der die Stube putzt.

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Ich bin übrigens schon sehr, sehr sofagespannt auf The Fall. Ich habe neulich die wirklich recht hübsche BBC-Verfilmung von Great Expectations gesehen, in der Gillian Anderson die gefährlich verschrobene Mrs. Havisham spielt (leider letztlich eine etwas statische Rolle, die noch dazu kläglich underwritten ist). Als Komödiantin ist sie großartig. Als Ermittlerin auch. Ich vermute, sie kann auch Kuchen backen.

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Ein Filmteam war neulich auf meiner Insel in meiner Wohnung in Brooklyn. Es ist dieser minimalistische Stil, der meinen Gedanken Raum läßt.

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Für eines der Videos des "Valtari-Mystery"-Filmprojekts der isländischen Gesangskapelle Sigur Rós hat Floria Sigismondi Regie geführt. Leaning Towards Solace ist deshalb auch sehr schön geworden. Mehr Informationen gibt es hier, die 16 Filme werden noch auf DVD erscheinen. Danach braucht ihr keine weiteren mehr, weil ihr dann ganz demütig werdet und begreift, wie klein wir alle sind. Anspieltip: Dauðalogn. Wer "Pathos" sagt, fliegt raus.

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Ich werde ja immer gefragt, was die 37 bedeutet.

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Ich überlege, ein neues Fahrrad anzuschaffen. Es soll den neuen Begebenheiten besser gewachsen sein, eine gute Beleuchtung haben und vom Stil her zu mir passen. Bleibt also nur dieses.

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In letzter Zeit wurde viel über die Gefährlichkeit von sogenannten "Kinderbüchern" speziell für jüngere Bevölkerungsschichten geredet. Dabei liegt in der erstmal nur für die Älteren unangenehmen Grenzüberschreitung ein lebenslehrreicher Effekt. Wie die bislang kaum bekannten Werke Bob Staakes zeigen. Ich kann nicht oft genug darauf hinweisen. Mein Favorit: Dead Whales can't wave back. Ruhig mal durch die Galerie blättern und Nerven bewahren. Als ich Kind war, war es sogar noch gefährlicher. Ich sage nur Peter kommt ins Krüppelheim, andere Literatur gab es gar nicht. (Aber Schnee und Eis auf dem Schulweg.)

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Was mich eigentlich beschäftigt: Ich muß bald mal zum Friseur. David Lynchs Haare beispielsweise sehen aus wie Gemälde. Meine wie eine Installation von Tracey Emin.

MerzBow | von kid37 um 15:23h | 19 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 16. Januar 2013


Hanna im Wunderland

Es gibt da diese Szene in Wer ist Hanna? Wie der Vater in Berlin landet und die Tonspur das Geräusch von Krieg über eine ganz normale Straßenszene legt; wie er, ein sinnengeschärfter Elitekämpfer, die Umgebung als bedrohlich wahrnimmt (wie sie "wahr" wird). Direkt im Anschluß dieser artifiziellen Überhöhung diese wie ein Ballett inszenierte Kampfszene in der Unterführung (Ich war da auch schon mal, erinnere mich aber nicht, wo genau das ist). Überhaupt lebt diese Welt von ihren Labyrinthen, den verwirrenden Orten. Sei es das albern-futuristische Geheimgefängnis in der Wüste, diese vor lauter Säulen unübersichtliche Unterführung oder das verwirrende Containerlager, in dem die mit allen Überlebenstricks gewaschene, aber ohne Weltwissen agierende Hanna gegen einen Trupp Nazi-Skins in Bomberjacken kämpft. Oder auch die surreale, regennasse Atmosphäre des Plänterwalds mit seinen Dinosaurierskulpturen, diese großangelegte Berliner Täuschung. Ein Märchen also inmitten toter Monster und trister grauer Häuserwände. Die eigentliche Geschichte ist dabei nur mäßig interessant, Suchen, Verfolgen, Erwachsenwerden. Tilda Swinton Cate Blanchett als böse Herzkönigin, wenn man so will, auch insgesamt ist das Drama (das ist nicht schwer) eine überzeundere Variante von Tim Burtons Bumm-Bumm-Version von Alice im Wunderland. In unserer Kultur müssen die Söhne die Väter töten. Hier, ganz wie früher bei den Grimms, tötet die Tochter die Mutter. Das mit dem Hirsch ist clever.

(Wer ist Hanna? Regie: Joe Wright. USA/D/GB 2011)

Super 8 | von kid37 um 14:00h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 12. Januar 2013


Stille, #2

Ich habe die Kommentare jetzt mal abgeschaltet. Das ist kein Chatsystem hier.

| von kid37 um 16:47h | | Link

 


Mittwoch, 9. Januar 2013


Stille

Politics change with fashion,
but the laws of nature do not.

(M. Milgrom, Still Life.)


So still. Aber ein Blog schreibt sich manchmal fast wie von allein, da kann ich mich still zurückziehen und endlich ein paar Bücher weiterlesen, die ich im letzten Jahr begonnen hatte, aber zur Seite legen mußte, weil mir ab und an so still dunkel wurde.

So wie Still Life von Melissa Milgrom, eine ganz wunderbare und spannende Reise in die Welt der Tierpräparation. Die US-amerikanische Journalistin Milgrom tastet sich von erster Neugier getrieben insgesamt recht furchtlos von aktiven Meistern des Fachs zu den in den USA recht verbreiteten Conventions und Wettbewerben vor und stellt die Pioniere der Kunst und großen Namen der Museumstaxidermisten vor. Das beginnt bei den berühmten Schwendemans, die ihr geduldig die aufwendigen und komplizierten Methoden des Sezierens, Aufbereitens und Nachbildens erklären, denn "Ausstopfen" ist nur etwas für Stümper. Der Titel bedeutet im Grunde auch "still alive", denn ein guter Präparator läßt sein Tier weiterleben, auferstehen und einen realistischen Eindruck von Natur vermitteln. So auch der Anspruch der Überväter der Taxidermie, die handwerkliche Grundlagen bildeten für jüngste Arbeiten, in denen lange ausgestorben Tiere anhand von DNA-Spuren akribisch nachgebildet werden.

In den insgesamt sehr waffen- und jagdbegeisterten USA wird auch die Taxidermie viel selbstverständlicher wahrgenommen. Die geschossenen Eichhörnchen und Rehe und Stinktiere wollen gezeigt werden, denkt der Jäger. Die engagiertesten zeigen ihre Geschöpfe auf Wettbewerben, dort werden dann auch präparierte "Pandas" gezeigt, die natürlich nicht echt sind. Humor gehört dazu: "A man in a PETA shirt caused a stir until people realized the acronym stood for People Eating Tasty Animals." Am Ende gewinnt den Wettbewerb ein Deutscher mit einem verblüffend lebensechten Ensemble Spatzen. Da kann man mal sehen, daß es nicht immer einen Säbelzahntiger braucht, um im Leben zu punkten.

Carl Akeley hingegen jagte Anfang des 20. Jahrhunderts seltene Tiere in Afrika (man muß ihn sich als eine Figur Hemingways vorstellen), aber aus einem wissenschaftlichen Interesse. Seine Expeditionen begleiteten Maler, die später die Hintergründe für aufwendige Dioramen anfertigten, vor denen Elefanten und Affen wie aus ihrem Alltag herauskristallisiert präsentiert wurden. Diese Arbeiten waren bestimmt für das American Museum of Natural History und zu ihrer Zeit eine Sensation für Publikum und Wissenschaftler. Interessant sind auch die vielen kritischen Einschübe. Etwa, als das Smithsonian umbaute und die wertvolle Sammlung teilweise auf dem Müll landete oder - wie der Blauwal, der dem Abrißunternehmer zufiel - auf eBay. Ein kompletter Blauwal auf eBay! Das Smithsonian ersetzte die wissenschaftliche Sammlung durch eine Art Disneyland mit toten Tieren, in dem digitale Effekte für Dschungelgeräusche, Tag- und Nachtwechsel, Regen und Sonnenschein sorgen. Was nicht nur Milgrom befremdet.

Ein schöner Seitenblick ist der Besuch bei der "Anti-Taxidermistin" Emily Mayer in England. Die benutzt eine von ihr verfeinerte spezielle Methode und steht etwas außerhalb der Szene. Sie arbeitet mit Damien Hirst zusammen, der nun keine Ersatz-Tigerhaie mehr für seine Glasbehälter besorgen muß, weil Mayers Methode ihren dauerhaften Erhalt garantieren. Am Ende von Milgroms Reise geht es ans Sachen machen Eingemachte: Unterstützt von den Schwendemans macht sie sich fluchend, zögernd und fleißig an ihr erstes Eichhörnchen. Beruhigenderweise ging es ihr dabei wie uns allen: "I wasn't sure I had the stomach for taxidermy. [...] I could barely watch Julia Child filet a fish on TV."

Ein Handbuch des praktischen Hauswissens, möchte man meinen. Denn es ist - bei deutschen Verlagen fast undenkbar - lobenswerterweise mit einem umfangreichen kommentierten Fußnoten- und Quellenanhang versehen.

(Melisssa Milgrom. Still Life: Adventures in Taxidermy. New York, 2010.)


 


Donnerstag, 3. Januar 2013


Die subtile Traurigkeit der Frauen

Ich treffe beruflich öfter auf kinderlose Frauen jenseits der 40. In meinem natürlich subjektivem Empfinden sehe ich etwas, das all diese Frauen gemeinsam haben.
Es ist eine gewisse Leere in ihrem Blick, eine subtile Traurigkeit, ein Ausdruck fehlender Erfüllung.
[Q]

Wir wissen nicht um den Beruf des Guten, aber privat trifft er offenbar andere Frauen. Frauen, in deren Bauch und Blick Fülle und Freude herrscht. Möglicherweise mehr als nur subtil. Bei Spon wird heftig über den Geburtenrückgang diskutiert. Wer aber meint, Gleichberechtigung sei in Deutschland längst etabliert, kann sich zur Erhellung durch eimerweise Haß, 30er-Jahre-Familienbilder und klebrige Stammtische wühlen. Ich merke, ich habe bislang in einer Enklave mit anderen, möglicherweise auch nur scheinbaren Selbstverständlichkeiten gelebt. Ich möchte da draußen nicht sein. Da draußen tobt offenbar eine verbitterte, sich von "Kinderlosen" und "Emanzen" und "Selbstverwirklichern" bedroht fühlende Parallelwelt, die sich nicht integrieren mag.

Ich selbst habe sicher eigene Defizite. So kenne ich Frauen praktisch nur aus dem Internet, in dem ich mich aus beruflichen Gründen häufig bewege. Und so basiert mein eigenes, möglicherweise mangelhaftes Wissen über Frauen auf zwei eigentümlichen, aber offenbar offenbaren Wahrheiten: Frauen können nicht aus Flaschen trinken. Frauen müssen lachen, wenn sie Salat essen, selbst wenn sie kinderlos sind.

Jetzt erzähle mir keiner, die Welt sei im Grunde anders. Voller Toleranz und ein wenig Salattraurigkeit.


 


Montag, 31. Dezember 2012


Auskehr



Dann also wieder alles zum Ende bringen. Sich selbst, also das alte Selbst, gleich mit zum Altpapier. Zusammen mit den Bilanzen und Rechnungspapieren. Fein säuberlich alles aufliniert, die Menschen, die dieses Jahr gingen, manche überraschend, manche weniger, die Menschen, die dieses Jahr kamen, manche überraschend, manche - auch. Zu wenig Musik aber war da nach meinem Geschmack. Vom schönen Ödland-Konzert abgesehen, wo man später sagen können wird: Die habe ich mal in einem ganz kleinen finnischen Club gesehen! Wie das überhaupt so ein schöner Abend war, einer von diesen überraschenden, zwanglosen. Und es mir ja richtig gut ging, was ich aber erst später wissen würde.

Zu wenig Filme auch, Bücher sowieso kaum, und zuviel Kunst ausgelassen. Wirklich zuviel. Wirklich zu viele Krankenhäuser auch, das wird sich 2013 doch wohl besser organisieren lassen. Hoffe ich. Die Krankenkasse nämlich knickte (vorerst) ein. Nach meiner freundlichen, aber vorschlagsfreudigen eMail entließ man mich (vorerst) aus dem eCard-Programm. Ein kleiner Erfolg (vorerst), der am Ende eher doch nichts bringen wird. Die Kasse schickt einen Brief, man würde mich (vorerst) nicht mehr behelligen, aber mit einem deutlichen "ich würde schon sehen, was ich davon hätte"-Unterton. Die Kanzlerin indes schwört uns auf Trockenbrotjahre ein.

Warum auch nicht, nach all den schicken, scharf-gewürzten Suppen der Nachwendezeit und den Eisbeinjahren der Bonner Republik. Wat fott is, is fott, vorerst gescheitert, haha, das muß man alles immer ganz nüchtern sehen. Auch wenn das manchen heute um Mitternacht sicher schwer fallen wird. Die Bilanz fischt schon einer rechtzeitig aus dem Container. Bis dahin, vorerst wie immer.

Immer weitermachen.

Stoßt mit dem Richtigen an. Nicht einfach so in die Menge.

>>>Geräusch des Tages: Der Mann ohne Vergangenheit


 


Montag, 24. Dezember 2012


Schlucken, Wiedergeben, Konservieren



Ach, Weihnachten, traditionell das Fest der over-indulgence. Wie zur Warnung und zum Genuß dieses ganz wunderbare Buch The Swallowing Plates von Lisa Wood.

Die ist Expertin für faux tableaux und bastelt, wenn nicht mit Insekten, dann mit pseudo-viktorianischen Fundobjekten hübsche und meist auch lehrreiche Dioramen. Hier hat sie sich der Wunderwelt der Laryngologen zugewandt, eine Profession, die mancher an Festtagen zu schätzen wissen wird, sollte eine Karpfengräte oder ein Gänseknorpel quer liegen. Falsch und schlecht Verschlucktes war nämlich auch die Leidenschaft des besessenen Spezialisten Dr. Chevalier Jackson (1865-1958). Der trug über 2000 bestimmungsfremde Fundstücke aus Luft- und Speiseröhre zusammen, Haare, Knochen, Nägel, Schlüssel und andere Metallteile, Knöpfe... all so was eben.

Inspiriert und beseelt vom Instinkt der Transformation of Waste hat Wood, die eigentlich Schmuckdesignerin ist, über 30 Assemblagen angefertigt, poetische Fallstudien mit Fehler, denn leider sind sie erfunden. Hier kann man durchs Buch blättern, wenn man gerade nicht an meinem Gabentisch sitzt. Mehr schön Absonderliches gibt es auf Woods leider noch nicht ganz fertigen Webseite zu sehen.

Übertragen ließe sich das Ganze natürlich auf Blogs, dieses Schlucken und Wiedergeben nämlich. Diese Dinger, auf denen man all das, was einem auf langen Ausflügen links und rechts der Wege so auffällt und hängenbleibt, ausstopft und lebendig hält. Heute übrigens schon neun Jahre an dieser Stelle. Mal schauen, wie es weitergeht.

Frohes Fest!