
Freitag, 1. Oktober 2010
Selten nur, also nicht oft, habe ich mir erlaubt, glaube ich jedenfalls, hier anderen Menschen, die nun wirklich frei sind zu leben, wie sie zu leben meinen, einen Ratschlag zu geben. Schon gar nicht, da bin ich mir nun wirklich aber sicher, wenn es um das Thema Kochen geht. Eine Ausnahme sei mir hier und heute erlaubt: Wenn ihr das kochende Nudelwasser über der Spüle abgießt, gießt es euch nicht über die Hand.
(Dieser Ratschlag ist für euch kostenfrei.)

Dienstag, 28. September 2010

Den heutigen Beitrag möchte ich mit der Kühle eines alten Liedes von Wire eröffnen. "Renewed, it fought as if it had a cause to live for. Denied, it learned as if it had sooner been destroyed", heißt es im nur mäßig kryptischen Text über das Hin und Her des Versuchens und Vergehens. Dazu quietschen die Scheibenwischer eines alten Automobils, graue Straßen unter grauem Himmel. Himmel.
Gestern schaute ich noch einmal Stay. Kein Mysterythriller, wie manche behaupten, eher ein Psychodrama über die letzten Sekunden, Minuten maximal, des Lebens, eine Meditation über das Sterben, die Liebe, die Brüche im Ich, kühl durchkalkuliert auf womöglich schweizerische Art. Daher treffen auch die Vergleiche mit Filmen von David Lynch eher schlecht. Stay dekliniert die Doppelgänger-Motivik der Romantik, zitiert Hamlet, Werther und Edgar Allan Poe, ein paar Pfeffer-und-Salz-Erkenntnisse der Psychoanalyse und mixt es mit Spiegelsymbolen, Spiralen, Doppelungen in Zeit und Raum. Eine eher kühle Sache also. Die fortlaufende Erwähnung der "21" (wie in zwei/eins) fällt einem vielleicht erst beim zweiten oder dritten oder 21. Sehen auf, zeigt aber das mathematische Kalkül (no pun intended) der kleinen Studie. Verwirrend ist nur der Trick mit der gefälschten Erzählperspektive, die sich - bis hin zu den gelben Hochwasserhosen von Ewan McGregor - erst im Nachhinein erschließt. Naomi Watts spielt ganz anrührend, immer knapp unter ihren Möglichkeiten, man hofft, daß sie die Kurve in ihrer Karriere noch kriegt.
"Forgive me" heißt der leise Refrain des Films. Das haben wir damals verworfen.
>>> Geräusch des Tages: Wire, Heartbeat

Sonntag, 26. September 2010

...der Türsteher schickt uns heim. (Die Toten Hosen, "Jürgen Englers Party"). Ganz so ist es natürlich nicht gewesen. Für den Erwerb eines Festivaltagestickets hätte ich das einzige Konzert, das mich interessiert hätte, auch besuchen können. Aber auf St. Pauli stehen die Türen bekanntlich immer offen, und so blieb ich einfach in einer Bierpfütze auf der Straße stehen, kaute an der Kordel meines Anoraks und schaute von dort aus zu. Immerhin: Es hätte auch regnen können.
Die Band gab sich ziemlich druckvoll, Peter Hein schien auch nicht gar zu schlecht gelaunt. Leider spielten sie fast nur das neue Album, ausgerechnet "Es geht voran" noch, was von 33 Tagen in Ketten, "Paul ist tot" als Zugabe. Vielleicht ganz gut, sonst wäre ich möglicherweise noch melancholisch geworden vor lauter Nostalgie und hätte den Türstehern die Texte vorgesungen. "...Einkaufsbummel im Erdnußland/Was übrig bleibt wird..." Versteht doch heute eh keiner mehr, insofern ist es gut, wenn alles mit der Zeit geht.
Ich bin samstags eher selten "auf dem Kiez", schon gar nicht auf der Großen Freiheit, die man mittlerweile auch Schinkenstraße nennen könnte oder Ballermann. Eine Trubelmeile für Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede, die größte Pest moderner Ausgehtage. Angeheiterte Damen in uniformen T-Shirts ("Braut-Eskorte" oder "Sex-Beraterinnen"), die einem Schnaps mit witzisch-anzüglichen Namen (Stichwort: "Dosenöffner") verkaufen wollen, Dauerlutscher oder Buntstifte. Gibt es auch. Die Hölle muß... anders sein. Wenigstens wird dort nicht dreckig gelacht.


Tagsüber bereits auf der Finissage bei Herrn Krüger gewesen und dann ein wenig Geld auf dem mittlerweile fünften Flatstock-Festival für engagierte Druckgrafik gelassen. Abends dann Komet, den wöchentlichen Passivnikotinspiegel auffrischen zu den dreckigen Sixties-Beats der famosen Miss Organella. Die U-Bahn gefüllt mit Hamburger Kleinkriminellengerede, Digger hier und Digger da, Kiffen und Geld, Kiffen und kein Geld, Schulden, Handy, Abziehen, bei irgendeinem, aber Digger, voll krass ey, vor der Türe stehen. Ich schlummere ein wenig, Kopf an der Scheibe, Das war vor Jahren im Ohr. Aber das hatten sie ja gar nicht gespielt.

Freitag, 24. September 2010

Abends bei der Ausstellungseröffnung hielt der frischgebackene Kultursenator der Hansestadt eine Rede und nutzte die Gelegenheit, ein paar butterweiche Worte über die harten Sparbeschlüsse zu verlieren, die tags zuvor im Senat abgenickt wurden. Rheinisches Motto: Et hätt schlimmer kumme künne! Man müsse an die Kinder und Enkel denken, die später die Zinsen für unsere Schulden ("Und die Elbphilharmonie", murmelte einer, es könnte ich gewesen sein) bezahlen müßten, so wie wir es jetzt schon täten für die Ausgaben und Schulden der 80er Jahre ("Und die Elbphilharmonie", zischte erneut eine Stimme). Jedenfalls: Ein Museum, gerade eben frisch für zwei Millionen renoviert, wird geschlossen, beim Schauspielhaus über eine Million gespart und - Hamburg wird endgültig zum Bäderort - für auswärtige Gäste eine Kurtaxe auf Übernachtungen erhoben. ("Keine Sorge, Hamburger wohnen ja in der Regel hier", so der Senator beifallheischend ins Publikum.)

Der Chef der Deichtorhallen, ebenfalls in so einen dünnstoffigen und leicht stoffelig wirkenden Jungsanzug gekleidet wie der Senator (sie sehen irgendwie aus wie Kämmerer, nicht wie Kunstkümmerer) wollte - ganz diplomatisch - diesen Komplex nicht weiter diskutieren, schießlich galt es, wie er zurecht bemerkte,
Paul Graham zu würdigen. Der britische Fotograf, der wohl letztze Woche Geburtstag hatte, zeigt in Hamburg vielleicht nicht seine allerbesten Bilder (die haben wahrscheinlich seine Galeristen). Als Überblick über seine Art der schmerzhaft schönen Sozialreportage taugen sie doch. Übersichtlich nach Werkgruppen gehängt zeigen sie viel von der müden Tristesse der englischen Provinz, wo unbekümmertes Grün und sich selbst überlassene Menschen aufeinandertreffen, um immergleiche Tage zu erleben. "End of an Age" heißt eine seiner Serien, und diese Stimmung ist es, die über seinen Bildern hängt. Farbe ersetzt bei ihm das klassische Schwarzweiß solcher Fotos und verstärkt nur das Gefühl von monotonem Grau, egal ob sie nordirische Weiden oder Londoner Arbeitsämter zur Thatcher-Zeit zeigen.
Erbaulich also, und - "A Shimmer of Possibility" (Graham) - ein möglicher Ausblick in die Zeit, die folgen wird: "Auf persönlichen Wunsch" des Bürgermeisters, so wußte das Abendblatt gestern zu berichten, wird die Kapelle des Polizeiorchesters erhalten bleiben. Kosten: 1,5 Millionen Euro jährlich. Darauf also ein fröhliches Hum-Ta-Ta, Kulturmetropole Hamburg!
>>> Das Paul-Graham-Archive
>>> Paul Graham bei Artabase
("Paul Graham: Fotografien 1981-2006". Deichtorhallen, Hamburg. Bis 9. Januar 2011)

Mittwoch, 22. September 2010
Hochgelobte Bücher können, das weiß man eigentlich, trotzdem enttäuschen. Nachdem mir schon auf Seite eins der belesenheitskraftstrotzende Ton auf den intertextuellen Sender geht, auf Seite zwei dann wichtigtuerisch witzelnd auf Jakob van Hoddis' "Weltende" angespielt wird, so als wolle mir der Autor verschwörerisch den Ellbogen in die Seite stupsen, dabei noch einmal nachfragen, den Witz, den habe man aber verstanden oder, haha? und mich dazu zwingen, mit ihm Brüderschaft zu trinken - dabei kennen wir uns doch gerade erstmal zwei Seiten lang! - lege ich Arno Geigers "Kleine Schule des Karussellfahrens" nach Seite drei entnervt zur, nun ja, Seite. Dieses postmoderne Reflektionsgehampel erinnert mich, je länger ich weg von der Uni bin, immer öfter an diese Demonstrationsschauen von überwältigend alleskönnendem Technikspielzeug im Baumarkt. Es erinnert mich zudem an diese unangenehmen Menschen, die man auf Partys trifft, solche, die einem nach fünf Minuten schon ihre angenommene geistige, soziale und kulturelle Überlegenheit und dazu ihre wirtschaftliche Potenz unter die Nase reiben. Lautstark.
Mag sein, daß der Roman noch richtig gut wird, und ganz so schlimm wie diese Partybesucher sind die ersten drei Seiten wahrlich nicht, und ich glaube zudem, der Autor sieht sich sicher mehr als eine Art moderner Laurence Sterne und ist ebenso sicher im Privaten grundsympathisch. Aber mein Mentor Raymond Chandler sagte einst zurecht, wenn es auf Seite 50 noch keine Leiche gibt, taugt der Krimi nichts. Ich selbst erlaube mir den höchstpersönlichen Luxus, und das sagt jetzt mehr über mich als über das Buch, einen Roman, den ich nur zur Lust und Erbauung lese, unter Umständen gleich an der Eingangstüre abzufertigen. Und, Arno Geiger, mit kumpelhaftem Du kommt man bei mir nicht weit.
Ganz anders hingegen das Vergnügen, durch eine weitere Ausgabe des besten Magazins der Welt zu blättern. Cabinet erscheint als vierteljährliches Themenheft und vereint angenehm unaufgeregt geschriebene, dabei ungeheuer wissensreiche Beiträge zu Kultur und Alltag. Hier sieht man, wie die Augabe Nr. 37 auf den Weg gebracht wird. Ich lese gerade das Themenheft "Dust", ein ganzes Heft also über Staub, Hausstaub, Sternenstaub und sogar Dreck, Alltagsphänomene also, die gemeinhin bloß als die Wollmäuse unter dem ausgeleierten Bett der Hochkultur verhandelt werden. Zu unrecht, der Spaß daran hält viele Seiten lang.

Dienstag, 21. September 2010

Glorifizierend wie das dermatologisch getestete Haarshampoo der Hollywoodstars legt sich ein spätsommerlicher Schein um die spröde Hülle des Tages, novembrig perlender Regen benetzt die Früchte aus dem eigenen Garten Supermarkt, ein fernwärmeblubberndes Erntedank mit Vanillequark. Kann mich auch mal.
Wenn irgendwann alles fertig ist, sieht mein Haus ja so aus. Das hat 3600 Dollar gekostet, allerdings im Jahr 1961. Auch der Zustand war damals noch ein anderer. Wer zu Besuch kommt, ist angehalten, sich handwerklich einzubringen: Böden, Fenster, Mauerwerk, es gibt immer was abzuziehen und zu lackieren. Ein interessantes Konzept, wie ich finde. Nur empfange ich selten Besuch. Deshalb dauert es bei mir auch länger, letztlich aber nur unwesentlich. Man muß sich den Atem für die Langstrecke einteilen. Und einen sehr langen Herbst.

Montag, 20. September 2010

Die kleinen, verschlafenen Fischerdörfer liegen nur wenige Kilometer auseinander, mit dem Velo, das man eigentlich nur zum Brötchenholen nutzen wollte, ist man wie in einem einzigen kettenrasselnden Luftzug an netzeflickenden Matrosen und pfeiferauchenden Skippern vorbei im nach Fisch und Galetten riechenden Nachbarort. Ungelogen.
Steter Wind aus Nordnordoost (oder West, was soll's, im Urlaub spielt das keine Rolle) weht mir wie stets beim Fahrradfahren entgegen, egal ob ich hinfahre oder zurück, man strampelt sich so ab, aber gemächlicher als die Tage unter Tage. Also im Rest des Jahres. Karte, Kompaß und Botanisiertrommel Brotdose griffbereit verzurrt, muß man sich nur noch die signalfarbenversträkten Funktionswäscheradler schön denken, dann sieht es aus wie in dieser wunderbaren nostalgisch anmutenden Dokumentation (via London Cycle Chic).
Dinge mit Bedacht tun, heißt das. Einfach mal so.
