
Mittwoch, 15. September 2010

Die guten Ratschläge Tucholskys ("...verlange von der Gegend, in die du reist, alles: schöne Natur, den Komfort der Großstadt, kunstgeschichtliche Altertümer, billige Preise, Meer, Gebirge – also: vorn die Ostsee und hinten die Leipziger Straße") im Ohr, stieg ich täglich in meinem rotgestreiften Badeanzug in die Fluten, ordnete Wellen und spielende Kinder in adrett gescheitelte Reihen, warf wasserscheuen Hunden die Bälle zurück an den Strand und verzehrte jeden Tag ein gut ausgeklopftes, aber sandiges Käsebrot.
An trüberen Tagen entdeckte ich das Geländeradfahren für mich. Über Stock, Stein und Baumwurzeln ging es getreu dem Motto "Don't be gentle - it's a rental" mit dem Leihrad über schlammige Waldpfade an den Jagdrevieren ehemaliger Nazigrößen vorbei, flog ich mit wehenden Rockschößen über Bodenwellen und -dellen, klingelte teuflisch Fußgänger auseinander wie aufgescheuchte Weiderinder und blieb dabei immer schön im Takt mit dem eigenen keuchenden Atem, während die ringsherum naturgeschützten Tiere des Waldes sich ihren Teil gedacht haben mögen.
Die Kultur, auch das, schwitzte sich in diesen künstlerkolonisierten Breiten aus allen sandigen Poren. Den Rückweg zum Bahnhof über hörte der Busfahrer laut eine erbauliche Schlager-CD. "Hinter den Tränen wartet die Sonne", trällerte eine Frau Fischer, während der Bus seine Schleifen durch die Dörfer zog. Auch daß das Herz der Sängerin wie ein Bumerang sei, der immer zurückkehre, blieb eine nicht unverkündete Behauptung. "Publikum noch stundenlang/wartete auf Bumerang" ergänzte ich im Stillen, Ringelnatz zu Hilfe holend, just als wir an der "Erlebnisgastronomie Daddeldu" vorbeifuhren, wo für den Abend schon die Resopaltischchen bereitet wurden. So manches Herz wurde ja schon über Steilküsten verweht, von Schnüren gekappt wie ein verlorener Lenkdrache. Aber dafür fährt man ja in den Urlaub und geht in kalte Fluten tauchen. Alles ein Erlebnis. Brot & Regenschirm nicht vergessen.

Sonntag, 12. September 2010

Die endlosen Kornfelder von Kansas

Die Brandung vor Waikiki

Kykladenboote, die nur die Sehnsucht treibt

Nordish by Nature

Kamerafehler
Man kann heute überall auf der Welt Urlaub machen, Krisengebiete und das Betriebsgelände eines US-amerikanischen Suchmaschinenkonzerns mal ausgenommen. Es wird immer zu kurz sein, Aufenthalte in gezieferverseuchten Sleep-ins und ähnlichen Domizilen, bekannt aus Funk und Krawall-TV, ebenso ausgenommen. Meine kleine Rundreise endete pünktlich auf einer ehemals osteuropäischen (heute: Mitte) Steilküste, als meine Kamera den Weißabgleich nicht mehr schaffte und den Himmel in Glutrot tauchte (in Wahrheit war alles Schwarzweiß) und zugleich - das muß man sich wie im Film lustigen Traum vorstellen - mein Mobiltelefon eine eintreffende Nachricht signalisierte, die sich als beruflicher Natur entpuppte. Muß es auch geben, dieses Gefühl von Gebrauchtwerden am Ende einer Urlaubsfahrt.
Zuvor rief ich schon "this doesn't look like Kansas" dem kleinen Toto entgegen, der um meine Beine schlich. Radelnde Raucher, räuchernde Fischer (selbst mir ist jetzt der Unterschied zwischen einer frischgeräucherten Forelle und einem ollen Käsebrot deutlich geworden) und monotones Brandungsrauschen, das mein sonores Brama[r]ba Gebrabbel über "die gute alte Zeit" übertönte - gute Inhaltsstoffe für ein paar entspanntere Tage und Abschalten am Wasser leider ohne politisch geförderte vorzeitige Laufzeitverlängerung. Man selbst ist halt eine zu leise Lobbygruppe fürs große Berliner Getöse. rsieren
Sternschnuppenzählen im nächtlichen Augusthimmel, man rückt die Verhältnisse zurecht fürs Leben unter Stars, jeden Abend Filmpremiere auf der silk- und textillosen Screen. Schwimmen, im Sand liegen, morgens auf rostigen Rädern Brötchen holen sind für ein paar Tage die wichtigsten Beschäftigungen der urlaubsgeplanten Welt. Die Ansichtskartenindustrie weiß darum und textet: Wer nicht bei sich ist, fndet sich auch nicht am Ende der Welt. Und die Welt findet überall, wer sie in sich trägt. Oder wie der weise alte Mann schon sagte: Woimmer du auch bist - dort bist du dann.
Jetzt bin ich jedenfalls wieder hier.

Sonntag, 29. August 2010

"Ich sehe nur im Moment schlecht aus." H. Hegemann
Immer wenn ich mal wieder eine Ausgabe des ehemaligen Zentralorgans für popkulturelle Fragen ("Musik zur Zeit") in die Hand nehme, weiß ich, warum ich 2000 mein Abo nach 15 Jahren abbestellt habe. In der aktuellen Ausgabe gibt es Interviews zum Thema Theater und Literatur, man hat auf dem Wendecover die Wahl zwischen Schlingensief und dieser Berliner Göre, deren altkluges Gefasel im Heft scheinbar ohne größeren Widerspruch hingenommen wird. Natürlich geht es noch mal um die Diskussion, die sich um ihren sogenannten Roman entfachte, bei dem doch, hier insistiert Helene, das fröhlich Herbeizitierte im Quellenverzeichnis nachzulesen wäre. (Ja, liebe Helene. Aber erst nachdem du beim Klauen erwischt worden bist. Erst da hieß es plötzlich, "ich bin doch bloß postmodern, "regietheatermäßig", und Airen selbst hat sich doch auch "inspirieren" lassen..." Die SPEX, notorisch unterinformiert, nimmt dies ohne nachzuhaken hin. Danke, 5,50 Euro gespart.) Überhaupt mißtraue sie dem tatsächlich Erlebten, diesem "Authentischen", das sei "die größte Lüge überhaupt". Liebe Helene, ein ernsthafter Rat: Verlaß' mal für eine Zeit die vollgepupste Theaterkantine, mach' Reiterferien auf dem Bauernhof, wühl' ein bißchen mit den Jungs und Mädels im Heu und nicht in deinen Haaren, laß überall frische Luft ran. Schwimmen gehen ist auch super. Ausbildung machen ebenfalls eine gute Idee.
Gleich auf den Seiten nebenan spricht Busenfreund René Pollesch sich etwas selbstgefällig den Kulturkummer von der Seele. Pollesch, dessen hingerotzten Hörspiel-Dreiteiler über prekäre Arbeitsverhältnisse im Netz-Zeitalter "Heidi Hoh" ich einst sehr gut fand, sitzt ja nun schon lange in den wohltemperierten Subventionsstuben der Berliner Theater, aus denen heraus er sich über die "luxuriöse Position" (aus dem Gedächtnis zitiert) der Literaturkritiker mokiert, die den Roman seiner Freundin Helene zerrissen. Höh, höh, was würde Heidi Hoh dazu sagen, das Echo deiner wilden Jugend, René? Polleschs abfällige Aussagen über "30-jährige Blogger" wie Airen, die sich quasi aus dem Berghain herausschwitzen und ihre Erlebnisse anmaßenderweise in literaturähnliche Form pressen, haben ihren Ursprung möglicherweise selbst in gewissen privaten Aversionen (hier darf ich nur ebenso privat spekulieren), man sollte sie also nicht allzu ernst nehmen. Schön immerhin, wenn er und Helene die Wahrheit darüber gefunden haben, was Literatur nun genau ist. Da können die beiden ein Gläschen oder zwei in der Kantine heben, Witzelchen machen und sich ihren Ekel über stümpernde Blogger und wohlsituierte Kritiker (ach, René, wenn das Heidi Hoh hört) gegenseitig auf die Pappteller malen.
Wenn Geschichte die Geschichte der Sieger ist, ist Literaturgeschichte die Geschichte derer, die als letzte interviewt werden.
Sind wir doch mal ehrlich!
Mich erinnert das an die Zeit, als ich Tourgitarrist bei Danzig war, auch so eine unauthentisch verschwitzte Geschichte, wo ich hinter der Bühne die kleinen überschminkten Axolotl-Girls damit unterhielt, mit ein paar zerkauter Drumsticks auf einer Flaschenorgel aus unterschiedlich hoch gefüllten Flaschen Jack Daniels Lieder wie "Muß I denn zum Städtele hinaus" zu klimpern.
Genug der Betriebsgeräusche, lieber kurz mal Ausstempeln und selbst zum Städtele hinaus: Bevor das mit dem Atmen nicht mehr geht, höre ich auf einen guten Ratschlag, den man mir gab, und gehe eine Weile nach Kansas.

Mittwoch, 25. August 2010
Siehe auch Rock & Wrestling 2010

Montag, 23. August 2010
Eine alte Bauernweisheit besagt: Wenn es mit den Bienen nicht klappt, dann kommen die Wespen. Bei mir sitzen die kessen Ringelsummsen seit neuestem unterm Dach. Warum auch nicht, die Zeiten, in denen ich Fluchtwege über vereiste Dachpfannen suchte, sind ja lange vorüber. Kommt also keiner vorbei, können die Tiere bleiben, bis ihnen die ersten Nachtfröste den langen Schlummer bereiten. Nach etwas unruhiger Nacht döste ich morgens um sieben noch dem Sonntagsgottesdienst entgegen, als ich ein leises Kratzen und Schaben vernahm. Krz, krz, krz ging das, dann kam eine Pause und bald wieder krz, krz, krz. In meinem schläfrigen Hirn suchten klebrige Synapsen nach Zusammenhängen. War es der Geldgott, der mir eng zusammengerollte Euroscheine krz, krz, krz durch das Fliegengitter schob? War es vielleicht das Knarzen der Erinnerung, die mir krz, krz, krz wie mit langen Fingernägeln den verdrehten Rücken hinunterfuhr? Endlich fielen mir Groschen krz, krz, krz in die richtigen Schlitze und lösten die blinkende Joker-Anzeige einer ganz bösen Erkenntnis aus.
Im selben Augenblick, so muß man sich das vorstellen, hockte ich unter der Fensterbank, dort wo die etwas nachlässig verklebte Tapete eine kleine Luftblase bildete. Am oberen Rand ein kreisrundes Loch, daraus tanzten zwei schwarze Fühler hervor, krz, krz, krz knabberte sich eine Wespe in mein Schlafzimmer vor.
Man ist ja verseucht durch schlechte US-amerikanische Filme, in denen digital getrickste Ungeheuer im Auftrage beispielsweise des Sci-Fi-Channels halbnackte College-Girls jagen. Solche waren leider nicht anwesend, die Gefahr einer Attack of the Summing Killer-Wasps aber imminent! Ich also schneller als ein Kollegmädchen ohne Unterwäsche in die Küche geeilt ("ohne Unterwäsche" bezieht sich auf das "Kollegmädchen", bitte, danke), mich mit Essigessenz und einem Schwamm bewaffnet und dem Loch in der Tapete entschlossen zu Leibe gerückt. Essig, das wissen nur die Studierten in den Monsterfilmen beispielsweise des Sci-Fi-Channels nicht, gefällt Wespen so gar nicht, und so waren Fühler und Mandibel schnell verschwunden.
Ich spare jetzt die Stelle aus, an der ich sonntagsfrühmorgens wie sonst nur fischmarktverrückte Touristenschwärmer zum Hauptbahnhof fuhr, um dort im Drogeriemarkt Gift zu kaufen, den mutierten Schlafzimmerspannern Paroli zu bieten. Denn, so viel ist unter allen Umständen klar, Gift ist böse. Sind auch nur Tiere, diese Tiere.
Nutzt auch nichts, wenn so ein Nest erst einmal da ist. Mit einer guten Schicht Spachtelmasse verstärkte ich anschließend die vertrauensarm dünne Tapetenschicht, etwas Abstand zwischen mich und den Summsen bringend, eine Taktik, die als bewährt gelten kann. Nun, nach einer weiteren interessant traumreichen Nacht, heißt es Warten auf die Wespen-Fighter. Es muß leider sein, horrido, jetzt kommt der Herbst, der Nachtfrost ist da.

Sonntag, 22. August 2010
Den Fluß herunterfahren.
Bis sie verschwinden/
Draußen im Ozean.
(Abwärts)
Kein guter Tag. Billige Triumphe werden brühwarm serviert, ich zucke weitgehend still mit den Schultern, es ist nur der kurze Schmerz, wenn bestätigt wird, was man bereits lange ahnt. Was soll man schon sagen, außer eine gute Reise zu wünschen, den Schiffen hinterherzuwinken, zuzuschauen, wie sie den Fluß herunterfahren. Abends lieber Abwärts, Rod Gonzalez bedient dort ja die zweite Gitarre, man betanzt eben gern auch weitere Hochzeiten. Die Punkaltrocker spielen auf dem Rathausmarkt, Witze gen Senatsführung und ehemaliger Senatsführung bleiben naturgemäß nicht aus. Bremer Altpunks, ebenfalls musikbekannt, tummeln sich im Publikum, es ist überhaupt mehr so ein Familientreffen, kleine Schmetterlingstöchter werden geschultert, während Terror, Terror von der Bühne brettert. Überhaupt, nach all diesen miesen Nachrichten, ein schöner lauer Abend.
Nach dem Konzert dann rüber zum Gängeviertel gewandert, man feiert einjähriges Besetzen & Bestehen. Nachmittags schon ein kleines Interview fürs Feuerwehr TV gegeben, so als Mann von der Straße, interessierter Rentner, der mal schaut, was die jungen Leute machen. Ich glaube, ich war, bis auf den Bartschatten und das Krawall-T-Shirt, einigermaßen seriös. Abends also weiter die laue Luft, bunte Lichter, das Stimmengemurmel vieler Menschen und dieser elektrische Hauch von Erwartung, die nicht länger die meine ist.

Samstag, 21. August 2010

Vor fast einem Jahr noch guter Dinge, frisch verheiratet, voller Energie und mit noch mehr Plänen. Ein Schrittmacher, eine Stimme, ein Stachel im trägen Fleisch.49, meine Güte.
Mach's gut.
