
Freitag, 22. Januar 2010
Coilhouse, das Fachmagazin für wesentliche Information, versah mich mit der Nachricht, der Herr Neil Gaiman, (Autor, wird im November 50), habe Frau Amanda Palmer (die von den Dresden Dolls, wird im April 34) mit schönen Worten bezirzt (oder umgekehrt, ist ja egal). Hier wünschen die beiden ein verliebtes neues Jahr, und hier sieht man, wie er ihr aus dem Mantel und mehr hilft. Oder bloß zuschaut, so wie wir.
Bei dem Altersunterschied, so habe ich in einer komplizierten Formel nachgerechnet, könnte ich mich ja mit einer 21-Jährigen einlassen, hätte ich nicht die eiserne Regel: Keine unter 30! Die haben wirre Ideen, und von denen habe ich selbst genug. Niemand indes beschreibt harmonische Beziehungen besser als A Softer World. Das ist doch nun mal wirklich romantisch.
Andererseits, Themenwechsel, gibt es Tage, da möchte man Köpfe schütteln, hat dann aber doch nur den eigenen zur Hand. Man kocht dann aber trotzdem ein wenig vor sich hin, rund ums Haus jedenfalls war es heute morgen praktisch eisfrei, so muß man sich das vorstellen. Vielleicht ist es einfach die richtige Zeit, sich mal stärker selbst ins Gebet zu nehmen, ruhig auch abends, wenn es nämlich an die guten Wünsche geht.
Der Ausblick zum Wochenende ist frostig und klar. Vielleicht möchte man ein wenig Mode schauen. Modeblogs gibt es ja wie Stecknadeln am Arm einer Schnittdirektrice bei Jean-Paul Gaultier, aber dieses hier hat einen hübschen Themenschwerpunkt: Das neue Schwarz ist nämlich Schwarz und Haute Macabre versammelt teilweise so exquisite Düsterfummel und Tragbares für den Gothic-Büroalltag, daß sich Amanda Palmer nie mehr in dünnem Kleidchen was wegholen muß. Herr Gaiman, schauen Sie doch mal rein.

Donnerstag, 21. Januar 2010
Über Schnapszahlen nachdenkend bin ich schnell bei meinem Kneipenroman "Die Ischen und ich" (Hamburg, 2007) gelandet, die Schilderung eines saumseligen Gesellenlebens immer hart am Thekenrand entlang. "Dort, wo es heißt, komm' mach noch einen, wo sich die Geräusche heiseren Lallens vor und dem Gurgeln des Gläserspülens hinter dem kupferbesetzten Trennwall zwischen Service und Austrinken vermengen, spielen die Geschichten zwischen Nacht und Morgengrauen. In "Die Ischen und ich" treffen sich nüchterne Verlierer und trunkene Gewinner, Halb- und Viertelschöne im trübelektrischen Licht der..." usw. usf. (Klappentext).
Es sind natürlich bloß alkoholfahnig wiederbelebte Erinnerungen, ein beschworenes Damals™ also, die Zeit, als einfach alles auseinanderflog, pure Energie, ein Geruch aus Haarspray, kaltem Rauch und billigem, billigem Wein. In der Nacht langes Hocken auf irgendwelchen Treppenstufen, Geräuschfetzen, irgendeine Musik, Sex Beat. Auch schon tot.
Näherungswaisen. Bier- und staubverklebte Oberbekleidung, und das darunter konnte man ja nicht wissen. Halluzinatorische Jahre, von hierhin nach dorthin, immer unterwegs, die Angst vor dem Stehenbleiben, und wenn, dann nur "kurz mal gucken", weil da ein Sternenhimmel war oder ein schrecklicher Unfall. Heute ist man ja beladen und zu ausgefranst auch, um schnittig um die Ecken zu stehen. Die alten Träume längst verhandelt, kauft man billig gebraucht, 3, 2, 1, und dann noch eins. Läßt sich erzählen und erzählt, zwei und zwei und zwei und zwei. Das könnte auch eine falsche Telefonnummer sein, ein Geburtsdatum, ein Nachtbus oder Tip für den nächsten Lottoschein. Immer weiter also. Weiter voran.

Mittwoch, 20. Januar 2010
Während sich draußen Tauwetter durch die Schneewehen bohrt, graue, mäandernde Fraßspuren hinterläßt wie ein verderbenbringender Parasitenbefall, die Erinnerung an den wintrigen Sonntag: Roter Schatten voraus, grau und tapferen Schritts stetig durch den 'chönen 'chnee, so klemmt einem frostig die Kehle. Tief sinkt man ein, wie seit Kindertagen nicht mehr, bis über die Knöchel, stemmt sich voran durch die dunkel umsäumten Pfade, weiß gar nicht, wo man genau steht, auf euren Gräbern, deinen Spuren, den stillen Wegen.

Montag, 18. Januar 2010
Bizarrer Film von Los Mirlos:
Extraterrestrisch große Produktionsbudgets, 3D-Brillen, blau anlaufen und um Bäume tanzen - meine Güte, das geht doch alles einfacher, beschaulicher und doch bewegender, schwingender, liebreizender, exotischer, verblüffender - und runder, sogar ohne Sehhilfen. Die Handlung ist kurz erzählt: eine außerirdische Schönheit vom Planeten Claire landet auf der Erde, um Frieden zu stiften unter den streitenden Menschen. Sie bedient sich dafür einer insektoiden Tanzsprache, die nur wenige verstehen können - weshalb es sich lohnt, diesen Film mehrmals zu schauen. Sie sagt: Wenn es wirklich Liebe ist, werden dich meine Fühler auf dem Kopf nicht stören. Wenn es wirklich Liebe ist, wird sie alle Grenzen überwinden.
Das ist die Botschaft. Danke. Und jetzt die Oscars.

Sonntag, 17. Januar 2010
Frau Milk hatte geladen, da laß ich mich nicht lumpen, nur die Sache mit der Uhrzeit muß ich noch üben. Aber am Ende einer trubeligen Woche, Schneeschieben, Rumschubsen, Wachbleiben, führen die Zeiger auf der Uhr manchmal ein Eigenleben. Und man kann in der Zeit ja auch was dazuverdienen. Carsten Klatte in der Hasenschaukel, Intensivfolk, ein Mann, eine Gitarre, ein Auftrag. Sehr angenehm. Frau Milk ist furchtbar nett, erzählte aber immer was von "Sperrstunde", ein Begriff, den wir Matrosen hier so nicht kennen. Ich habe das überprüft. Um dann auch mal ein wenig Nikotin in die vom Winterfrost geklärten Lungenflügel zu drücken, schlitterte es sich anschließend untergehakt, damit man gemeinsam fällt, und immer schön quer zur spiegelblank gefahrenen Spurrille von Tür zu Tür. Ich werde gehänselt ob meines dicken Wintermantels (Typ erschossener Bär), aber der wird wenigstens nicht gestohlen. Am Ende stehe ich, kurz mir selbst überlassen, in einem Pulk motorölverschmierter Rockabillytypen, channele jedoch spontan den Geist von Gene Vincent, und man rückt respektvoll auseinander. Einen Witz habe ich auch noch erzählt, und der Laden hier ist ja eine echte Entdeckung.

Freitag, 15. Januar 2010
Als ich noch recht jung war, so mit schwarz gefärbten Robert-Smith-Zauseln und düster umflorten Zügen, war ich ja Fan von Xmal Deutschland, wahrscheinlich einer von 3-en in Deutschland, wahnsinnig bekannt waren die jedenfalls, anders als in Großbritannien, hierzulande nicht.
Die Sängerin Anja Huwe hat sich dann irgendwann wieder der Kunst zugewandt, Punkte setzt sie, viel Simultankontrastiges und immer abstrakt. Normalerweise nicht so ganz mein Ding, aber der Abend war recht vergnüglich, großer Bahnhof, viel Gebrumm, Manuela Rickers habe ich, glaube ich, gesehen, die früher Gitarre bei Xmal Deutschland spielte. Es sind ja auch Klassentreffen nach all diesen Jahren. Huwes Bilder haben so etwas hübsch fluroeszierendes, diese bunten Punkte schwingen wie ein Teller Smarties, auf den man zu lange geschaut hat. Vielleicht ist es auch die Müdigkeit in den Augen, und dann hat es natürlich auch etwas Dekoratives. Aber die doch recht großen Tableaus haben eine sinnliche Wirkung, nur haben bloß wenige ein Zimmer dafür.
Zurück durch die Kälte, daheim hat sich unter meiner Spüle Wasser gesammelt. Die Abenteuer nächtlicher Heimarbeit. Das große Still- und Trockenlegen, Abwasserrohre neu verbinden, die Dinge durchgängig ,machen. Und immer im Fluß.
(Anja Huwe. "Listen To The Pictures". Im Westwerk, Hamburg, bis zum 24. Januar 2010.)
>>> Interview mit Anja Huwe von 2005.

Donnerstag, 14. Januar 2010
und seh' nur Ruinen.
(Fehlfarben, "Paul ist tot")

"Am Rhein lebt man erst, wenn es nebelt und näßt", behauptete er einst, aber vielleicht reichte der Hamburger Winter, sich im sehr gepflegten und mir aus der benachbarten Heimat eben gut bekannten Mißmut einzurichten und in einstudierter Lustlosigkeit in den Sessel zu fläzen. "Jetzt, wo das Bier schon mal offen ist", deutete seine offensiv demonstrierte Unvorbereitetheit Spontaneität an, "können wir ja auch mal was lesen und über alte Zeiten sprechen". Ganz leicht machte es Peter Hein seinem Publikum nicht. Mitreißen war nicht das Motto, mitreisen mußte man schon selbst. So las er launige On the Road-Anekdoten und ätzende Ortsbeschreibungen aus "Geht so", sehr Richtiges und vom Publikum anerkennend Goutiertes über Hamburg in der irrigen Meinung, nun eine Beleidigung ausgesprochen zu haben (Nein, Herr Hein, es stimmt, hier ist tatsächlich immer Dom - und wenn nicht Dom ist, dann wird er gerade auf- oder abgebaut). Er riß zahlreiche Erinnerungsfetzen an, erzählte die Düsseldorfer Punk-Historie im Schnelldurchgang, textete sich von Charley's Girls, Mittagspause bis Family Five, allesamt Bands, bei denen er dabei war, und kreiste natürlich immer wieder um die Fehlfarben, die gleichsam bejubelte und immer wieder vergessene letzte große, wichtige deutsche Band seit den Ton, Steine, Scherben.
"Lärm nur mit Drähten und toten Tieren macht nicht sooo viel Sinn" erläuterte er seinen Weg zum Mikro. Seine Geschichte ist die einer ewigen Verweigerung. Ausstieg aus der Band, nachdem diese gerade ihr wichtigstes Album aufgenommen hatte und am Vorabend einer Tournee stand, rastlose Kehrtwenden, andere Anzüge, neue Namen. "Letzter Aufruf Peter Hein", titelte einst die Spex und wünschte sich einen Star herbei. "Fehlfarbe" Hein fügte sich aber nicht ein - was man gut finden kann oder wenig mutig, seine Sache. Oft amüsant, heute aber, die kleinen Seitenhiebe gegen Kollegen und Weggefährten, manches nur in angedeuteten Anekdoten, bei denen es hilfreich war, wenn man die Verhältnisse damals um die 80er herum zwischen Ratinger Hof , Düsseldorf und Wuppertal zu kennen, sich an die kleinen Geschichten und Geschichtchen, Lieben und Liebschaften, Bewunderung und Feindschaften zu erinnern. Jetzt ist alles später, grauer, langhaariger, und als Hein begann, dachte ich für eine Millisekunde, Jürgen Becker eröffne einen Kabarettabend. Aber der ist ja nun Kölner. Der rheinische Sound jedoch ist selten genug hier in der Stadt, und Hein hatte wirklich lustige Geschichten dabei. Erinnerungsware, Rock'n'Roll wird ja immer gern genommen.
Heute lebt er in Düsseldorf und Wien, alles richtig gemacht also. Am Ende schrieb er mit eine nette Widmung unter die andere Widmung in meiner Ausgabe von Geht So. Erinnerungen aus dem Tal . Das war vor Jahren.
>>> Geräusch des Tages: Fehlfarben, Das war vor Jahren
