
Montag, 1. Februar 2010
noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher
und spricht so zu sich leis':
Ich will es einmal wagen,
das Eis, es muss doch tragen.
Wer weiß?
(Friedrich Güll)



Es wird empfohlen, einfach die Perspektive zu wechseln, will man die Welt neu betrachten. Glücklicherweise kommt einem eine arktische Winterkatastrophe zur Hilfe, friert die Alster ein und läßt einen die Stadt von da other side anschauen. Doppeltes Glück: Keine Buden auf dem Eis, nur von ferne versuchen einzelne Glühweinstände am Ufer mit Hilfe eines gewissen Tiroler Antons Skihüttenseligkeit zu erzeugen. Verweht, vergessen.
Die rote Polarcampflagge hissen, Isa wie ein zweites Expeditionsteam anlocken, Schneestürmen trotzen und Menschenansammlungen meiden. Das Eis schwingt, zerlöchert von Walking Sticks, zerschnitten von den Kufen der Schlittschuhe, eine kalte rissige Haut, die trägt, die zittert unter der Stampede der beglückten Menschen.
Daheim dann, später, sich erinnern, donnernde Hufe über endlose Flächen, The Key for Freedom. Soviel Energie, man könnte Herzen ins Eis brennen. Verweht, vergessen.

Sonntag, 31. Januar 2010
Nach dem Schringern der Fabriksirene schnell noch ein paar Grate entfernt, Holzwolle in die Kisten gestopft, zum Wochenende soll die Lieferung raus, dann aber schnell den Scheitel nachgezogen, die Krawatte angelegt und raus, den Hunger unterm Arm. Lady Grey im Café entdeckt, hinaus ins Tauwetter gelockt, durch Eisschlick geschlittert, die Stufen zu einem Italiener hinab. Nachdem uns die Schneekatastrophe schon seit Wochen in Atem hält, ist man froh um ein wenig kerzenschummrige Wärme, den Mann, der die Rosen feilbietet oder ein Polaroid machen will. Gegenseitig lesen wir uns die Listen unserer Hamsterkäufe vor, reden über Haltbarkeitsdaten und wie man das Verdorbene unter den Lebensmitteln findet. Viel gelacht, dabei für die Trüffeltortellonis entschieden, ein bemerkenswert wohlschmeckendes Gericht, das ich mir vormerke für die Zeiten, in denen ein Käsebrot mal nicht verfügbar ist. Es ist eben ein echter Italiener, was man schon daran merken kann, daß auf dem Männerklo eine Flasche mit Haargel ("Wet Look") steht, falls zum Beispiel Luca Toni vorbeikommt und sich ein wenig die schwarzen Strähnen legen will.
Frau Grey trägt ihr derzeit bestes Kleid, ich immerhin ihren bezaubernden Button am Revers. Dann schenkt sie mir, seltene Geste für Männer meines Alters, ein Herz, ich verkneife mir das mit dem pragmatisch!, denn es spart ja wirklich Schmerz & Geld. Statt immer neuer Tätowierungen und deren Überarbeitungen, die wichtigen Initialen einfach durchstreichen oder ganz wegwischen, das ist in einem höheren Sinne wirklich romantisch: Ruinenkult, und doch sieht man - egal wie alt und beladen - völlig neu beschreibbar aus.
Wie der Vollmond über den weißen Schnee kriecht, der die brüchigen Stellen im Eis überdeckt. Wie man nächtliche Alsterüberquerungen meidet, die Dinge lieber annehmen lernt, in ihrer Unvermeidlichkeit, wie man sich das Gute bewahrt, wie man sich gegenseitig die Ohren lang ziehen kann, ohne Arg sein, weiter lernen, mit einem Getränk irgendwo sitzt und sich die Musik immer wieder schönredet.

Freitag, 29. Januar 2010
Die kleinen Wahrheiten, die einfachen Sätze, in denen die weitreichenden Konditionen eines without you gehüllt sind, ausgezogen, nackt, zwei, drei schlichte Worte als feingeschliffene Messer gegen verschleiernd-verkrustete Metaphern. Bis am Ende die stumme Geste bleibt, ein flackerndes Licht auf dem spiegelnden Boden, ein Getränk, das man auf eine Lautsprecherbox gestellt hat.
>>> Geräusch des Tages: Bill Bush, I'm Waiting

Aus dem Fantum bin ich lange raus. Aber Franny & Zooey würde ich alle Zeit zu meinen Lieblingsbüchern zählen, ein Kopfkissen in der Not, das man vollsabbern und ablieben, in das man zur Not auch hineintauchen kann. Ein Überlebenshandbuch, wenn man dem allwissenden Buch von Tick, Trick und Track entwachsen ist und Antworten für die anderen existentiellen Fragen braucht. J. D. Salinger, geliebt, verehrt, gestalked, ein Mysterium, hieß es, ein Unikum, wohl etwas wunderlich auch, hörte am Ende auf zu Bloggen, schrieb nur noch für sich - in endlos fortlaufende und anwachsende Dateien so wie einst Kerouac mit seinem Endlospapier.
(J. D. Salinger, 1919 - 2010)

Donnerstag, 28. Januar 2010
Nach der Arbeit schnell die Sachen in der Waschkaue verstauen, mit frostigem Klirren schließt sich das Fabriktor hinter mir, dann hinaus in den Wind, in den Schnee, das flirrende Treiben. Eingewickelt wie ein Eskimo, das Gesicht zur Leeseite des pfeifenden Windes gewandt, die imaginären Huskies mit der Zunge vorangeschnalzt, hui, fröhliches Stapfen durch unberührtes neues Weiß, immer voran, immer voran, vornübergebeugt, nicht von den Lasten des Tages, vom Wind nämlich und vom Schnee und vom Kampf mit dem eiskalten Element. Und wie die Straßen langsam verhüllt werden, wie überhaupt alles langsamer wird, die Autos kaum schneller als Fußgänger sind, wie man sich fügt in das gemeinsame Schicksal, sich freundlich zuwinkt auf den Kreuzungen, wie alles zum Stillstand kommt. Immer weiter Schnee, in den Haaren, in den Ohren, in der Nase, im Mund. Wie man ihn wegküssen möchte, von den Lidern, den Brauen, dann aber weiterstapft durch das knirschende Weiß, während es schneit, immer weiter, hinein in die Dunkelheit, es schneit und hört gar nicht mehr auf. Für einen kurzen Moment mag man glauben, an das Ende der Stadt, an ein Ende der Welt, an das Ende von etwas, einen sanfteren Abschied.

Dienstag, 26. Januar 2010
Slips the shore
(Sonic Youth, "Leaky Lifeboat")

Ich weiß, ihr seid alle so hart. Aber ich, ich bin härter.
In der Stadt gibt es keine kleinen roten Sportwagen mehr, und die jungen blonden Dinger sind alle vergeben. Also mußte eine Tätowierung her. Sobald der Hafen endlich frostfrei ist, heuer ich wieder an. Große Reise 2010.

Montag, 25. Januar 2010
Die tagesaktuellen Witze fangen heute alle so an: "Sitzen Brad Pitt und Billy Bob Thornton gemeinsam an der Bar. Sagt der eine..." usw. Im Januar weht ein schärferer Wind durch die Herzen, da bildet sich Eis auch um die äußerlich und innerlich Schönen, mögen sie Philantrophen sein allesamt. Schade, Brangelina, es war aufregend, so lange es dauerte. Aber, Uma Thurman hat es bewiesen, nach der Trennung ist vor der Karriere, und so mögen wir uns bitte Brad und Uma gemeinsam in Kill Bill Vol. 3 vorstellen, und zuschauen, wie Herr Pitt einen eskalierten Sorgerechtsstreit auf der Leinwand mit dem Schwert bereinigt. Zuvor ein paar sanfte Erinnerungen. Es ist schon ein paar Monate her, irgendwann im regnerischen August, da erreichte mich folgende Mail. Zwar werde ich den Eindruck nicht los, das alles bereits thematisiert zu haben, aber leider finde ich mich in meinem nur nachlässig strukturierten Blog nicht mehr zurecht. Damals hatte ich anderes im Kopf, dann wollte ich verreisen, dann hatte ich wieder anderes im Kopf - und nun finde ich beim Aufräumen der Elektropost diese zarte Epistel:
Gruchen.
Ich suche die ernste Beziehung. Ich liebe die Kinder, aber leider habe ich keine Kinder. Ich wollte sie haben wenn wurde der zukunftige Partner waschen ebenso wunschte es. Mir die 32 Jahre.
Ich betreibe mehrmals in der Woche Sport. Fur mich in der Beziehung die Hauptsache - die Richtigkeit, die Ehrlichkeit und die Liebe.
Ich denke dass du ebenso meinst du ernst und du willst nur die ernste Beziehung.
Schreibe mir auf meinen e-mail, ich werde dir etwas meiner Fotos senden.
[...]
Ich suche reich nicht, ich suche den richtigen Mann.
Ich hoffe dass du ernst meinst und du wirst mir schreiben.
XXX.
Unterschrieben mit einem Namen, der wie die russische Version von "Angela" klingt, versucht man es, mich im lockeren StudiVZ-Ton ("Gruchen!") auf meiner schwächeren Herzseite kleinzukochen. (Man sieht, wohin der Umgang mit einem Russischlehrer führen kann, auch wenn sich sicher eine beste Freundin findet, die gerne beschwört - und bei allen orthodoxen Heiligen dazu -, daß da nix war. Aber ich bin nicht Billy Bob, ich höre auf mein Bauchgefühl!) Jedenfalls verrät natürlich der gleich als zweites geäußerte Satz "ich liebe Kinder" seine Autorin, nur verstehe ich nicht, wie es weitergeht: Sie will Kinder, aber waschen soll ich? Soll das heißen, Brad wollte die Wäsche nicht hängen? Glaub ich nicht, der weiß genau, wie sexy er aussieht, wenn er, zwei Wäscheklammern lässig zwischen den Lippen, barfuß und in Jeans auf der Wiese hinter dem kleinen Häuschen steht und die seidenen Flüchtigkeiten seiner Frau an die Leine tackert.
"Die Richtigkeit, die Ehrlichkeit und die Liebe", o süßer Dreiklang der Herzensreinheit! Ich weiß allerdings nicht, ob dieser Anspruch die Schreiberin nicht etwas überfordert, wo sie doch ein wenig mit dem Alter flunkert. Aber da heißt es Nachsicht üben, sie ist eine Frau. Reich bin ich wirklich nicht, aber ich habe das Gefühl, dieser Umstand würde bei uns keine Rolle spielen, irgendwie kriegen wir die sechs Kinder, die möglicherweise nach und nach aus dem Hut gezaubert würden, schon satt.
Ausgesprochen dumm nur, daß ich diese Mail so lange liegen ließ. Ob sie mir böse ist, wenn ich jetzt erst antworte? Fotos brauche ich nicht, ich glaube, an denen ist nun wirklich kein Mangel.

Samstag, 23. Januar 2010
Oh, that we know
Darkness makes the night more cold
That's what we know about me
(Sonic Youth, "What We Know")

Während ich mir heute mal gepflegt einen anhänge, wie man mancherorts so sagt, möchte ich mich zu meinem Hang zum late adopting bekennen. Miss Monolog lästert ja gerne, ich könne keine Maschine bedienen, die jünger als 50 Jahre alt sei - woran viel Wahres ist, aber nicht nur - das ist ja eher charmant. Aber selbst in Rosthausen sollte man auch mal neuere Musik hören. In meinem Bemühen, das Schaffen von Sonic Youth noch einmal in gebotener Ruhe nachzuarbeiten, kam ich nun im Jahre 2009 bei The Eternal an und möchte sagen: Das Album kauft ihr bitte am Montag alle. Lieder wie What We Know (an Kim Gordons Geburtstag aufgenommen) zeigen, warum meine inoffizielle Alte-Männer-Woche (Neil Gaiman etc.) die unsichtbare Tagline "Wir Silver-Ager haben noch eine Menge Zitronensaft!" trug. An Tagen wie diesen, wo mancher sich besonders alt, ungeliebt und häßlich fühlen mag, ("I'm in a state of shock", SY) knistern diese Songs eine elektrifizierte Energie durch die frostige Landschaft, daß einem mehr Worte durchs auftaugesalzene Hirn rieseln als man in einen Unterarm ritzen kann.
Verbissen argumentierenden Fans wird das Album vielleicht zu eingängig sein, anderen sei das bitte nur zusätzlicher Anreiz. Ihr werdet jedes einzelne Lied adoptieren mögen und dazu noch manchen Gedanken. Das sanfte Antenna zum Beispiel. Ich finde es schön, daß die 30 Jahre älter als ich sind (oder so um die Ecke herum), das läßt nämlich Spielraum und Hoffnung und die Großzügigkeit, das Irren der Jüngeren mit Nachsicht zu betrachten.
