Donnerstag, 10. Dezember 2009


Niederlage



Irgendwo tief im Herzen steckt, wie in einem dieser ächzenden, rasselnden Zauberautomaten des Robert-Houdin, in mir also immer noch ein ambitionierter, wenn vielleicht auch nicht der geschickteste Illusionskünstler. Mit Hingabe. Aber wie schwer es ist, den Zauber aufrecht zu erhalten, auch diese Erfahrung ergibt sich im Bühnengeschäft leider bald. Das Publikum, leicht abgelenkt, erwartet unruhig bereits den nächsten Akt, während es mir nicht gelingen will, die Taube endlich aus dem Ärmel zu befreien. Schon rieseln Federn, leichte Nervösität steigt auf, ich schwitze am Rande einer Niederlage. Welch schönes Wort auch, wenn man es recht überlegt: Niederlage. Man legt alles dar, Schilde, Waffen und das pochende Brimborium. Sich selbst.

| von kid37 um 10:14h | 8 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 9. Dezember 2009


Lichter der Vorstadt



Wenn man abends wie ein altes Väterchen vom Kohlenklau schwer bepackt und müde die sieben Stockwerke zu seinem Leuchtturm hinaufsteigt, freut man sich ja den Frost von den Fingern, wenn auf der Schwelle schon ein Päckchen wartet. Die formidable Miss Monolog war so freundlich, mich mit köstlichen Keksen aus der Hauptstadt zu versorgen. Wie mondän mein Leben plötzlich ist! Gern würde ich einen Prosecco dazu trinken, mich demonstrativ ans Fenster stellen, die obersten Knöpfe leger geöffnet, und den feschen Nachbarinnen vom Hinterhof keck zulächeln.

Das Leben, das mir eben noch wie sonst nur märkischer Sand zwischen den Zähnen knirschen wollte, hat nun wieder einen gaumenfreundlichen Sinn.


 


Montag, 7. Dezember 2009


The Beautiful and Damned

“I’m like they are — like Japanese lanterns and crape paper, and the music of that orchestra.”

“You’re a young idiot!” he insisted wildly. She shook her blond head.

“No, I’m not. I am like them... You ought to see... You don’t know me.” She hesitated and her eyes came back to him, rested abruptly on his, as though surprised at the last to see him there. “I’ve got a streak of what you’d call cheapness. I don’t know where I get it but it’s — oh, things like this and bright colors and gaudy vulgarity. I seem to belong here. These people could appreciate me and take me for granted, and these men would fall in love with me and admire me, whereas the clever men I meet would just analyze me and tell me I’m this because of this or that because of that.”

(F. Scott Fitzgerald, The Beautiful and Damned. 1922.)

Nach zwei vodkavernebelten Abenden in Folge (diese "letzten Absacker" im Karoviertel können tückisch sein), mußte ich am Wochenende ein wenig ruhen. Ich fand mich im Bücherregal vor dem Buchstaben F wieder und hing dann ein Weilchen im Jazz Age fest, während es sich draußen munter einregnete, trip, trip, trip wie Reiskörner schlug es an die Fensterscheibe.

Beauty und shallowness, so zwei immer wiederkehrende Themen in den Storys und Romanen von Fitzgeralds, den ich... nun ja, in den letzten Jahren völlig vergessen hatte. Dabei habe ich in jüngeren Jahren alles verschlungen, mich berauscht und fasziniert gegruselt an und vor den Gestalten dieser Partywelt der 20er, den kalten Blondinen und eitlen Elite-Uni-Absolventen. Ich schüttelte den Kopf über The Beautiful and Damned, wurde traurig bei The Last Tycoon, diesem wahnsinnig wunderbaren Fragment eines Romans.

Gesellschaftsmelodramen, Spiele vor und hinter dem Vorhang, der kleine Verrat und der große auch, gestohlene Tänze und andere schurkischen Heimlichkeiten, geplatzte Schecks und enttarnte Hochstapelei, die Träume, die sich irgendwo in den Ritzen des sozialen Parketts verlieren, das maskierte Lächeln, die gnadenlose Oberflächlichkeit. Es war alles schon da. Aber wir leben ja ebenfalls in der Zwischenzeit.


 


Freitag, 4. Dezember 2009


Book by its Cover


© Essentially Odd

Robotertränen in Flaschen. Da muß man sich erst einmal setzen, andächtig im stillen Erstaunen. Soll keiner sagen, ein rostiges Herz könnte nicht ein Gefühl von Trauer spüren. Das muß ich natürlich alles haben und schon haben wir mein nächstes Problem aufgeschlagen wie ein Buch: Dieses Blog zeigt so wunderbar gestaltete Bücher und Magazine aus dem Bereich Grafik und Ilustration, das ein einziges Weihnachten gar nicht ausreicht, sein Begehren zu äußern. (Den Satz verstehe ich, glaube ich, selbst nicht, aber egal, kurz: alles toll!) Darunter eben auch Essentially Odd, ein Kompendium, das in keinem Haushalt fehlen sollte.

via Scheinriese


 


Mittwoch, 2. Dezember 2009


Wer hat Angst vor Grau, Grau und Grau?



Heute morgen durch den Rauhreif geschlittert. In der doppelverglasten Welt gibt es ja keine Frostblumen mehr an den Fenstern, die man anhauchen könnte und an die Lippen kleben, um sie irgendwann weiterzuschenken. Klare Luft, sich selbst aus dem Nebel zerren, die Zukunft aus Atemwolken lesen, an der Bushaltestelle trippeln, sich an ein Herzklopfen erinnern. Die Hände tief in die Manteltaschen graben, im Sediment zerfriemelte Nachrichten finden. Wir werden alle...


 


Dienstag, 1. Dezember 2009


Otto e mezzo

...und jetzt habe ich
diesen Traum am Hals.

("8 1/2")

Truth is beautiful, without doubt;
but so are lies.

(Ralph Waldo Emerson)



Am Wochenende endlich Fellinis 8 1/2 gesehen. Ein Regisseur auf dem Lost Highway, verwirrt in diesen ganzen Zirkel aus Oberflächlichkeit, den falschen Versprechungen, den Lebens- und den Liebeslügen, den Zirkus der Schmeicheleien, die Eitelkeiten, die Cliquen, die schalen Possenreißer, bei denen man vorsichtig sein muß, äußerte man laut, man hätte zu ihnen nicht die rechte Relation.

8 1/2 ist natürlich das große Vorbild auch für einen meiner Lieblingsfilme, Stardust Memories, diesen zwar nicht ernsthaften, aber an vielen, den brüchigen nämlich, Stellen traurigen Film, den Woody Allen am Ende seiner eher trivial komischen Anfangsphase machte. Ein Übergangsfilm also, ein Moment des Innehaltens, die im Kino zwangsläufig in Bewegung umgesetzt werden muß. "Ich mag ihre Filme", ruft ein Fan in Stardust Memories dem kriselnden Regisseur entgegen. "Vor allem die frühen, komischen!"

Ähnlich also die Glitzerwelterinnerungen, ins Zwischenreich gelagert, dem Debakel zwischen Losgehen und Durchhängen, leichter Tragik und dunkelmütiger Komödie, in 8 1/2. Blockiert, eingekesselt in die irrwitzige Welt von Cinecitta, wo jeder leichte Sommer wie auf Pappwände gemalt scheint und der mondäne, zwischen surreal und hysterisch schwebende Taumel sich im Kummer zugesperrter Hotelzimmer löst, hält sich der Regisseur (Marcello Mastroianni) eines aus dem Ruder laufenden Filmprojekts in blanker Not den Kopf. Überhaupt, losrudern, weg vom sicheren Terrain, neuen Grenzen entgegen: Im Leben, in der Kunst, in der Liebe. Irgendwann fragt der Regisseur dieses Films im Film seine Ehefrau: "Hat dich etwas verletzt? Es ist doch nur Film?" Am schönsten ist die Liebe im Hafen, heißt es, aber das muß er noch lernen.

Ein Film über den Versuch also, das Leben zurückzuwinden, nach vorne zu holen, dieses Was mach ich hier eigentlich? endlich mit Sinn zu füllen oder wenigstens, man will nicht maßlos erscheinen, mit der richtigen Musik zu unterlegen. Irgendwann versammelt Mastroianni all die Frauen, die er kannte, um sich herum, eine schnurrende Männerfantasie, bei der - nachdem die Katzen erwacht - der Dompteur die lächerlichste Figur abgibt. Das anklammernde Sehnen und Zerren, die Ängste: vor dem Verblühen, dem Altern, den Schatten der Vergangenheit, diese wispernden Geister, hoffentlich ist da bald mal Ruhe. Zum Schluß wird alles ganz groß, Raumschiffe für den Aufbruch zu den Sternen, ein Zirkusfinale zwischen Freakshow und Modenschau im wunderbarsten Schwarzweiß. So als wäre Corbijn der Kameramann von David Lynch, um mal so etwas wie eine These in den Raum zu stellen.

Man kann sich auch den Spaß machen und darin die Worte "Film" und "Filmindustrie" gegen "Blog" und "Blogosphäre" tauschen. Mit ein bißchen Fantasie und weitergehender Vorstellungskraft hat man alle Rollen schnell mit bekannten Internettagebuchschreibern besetzt und hört plötzlich Dialoge, die wie aus dem echten Kommentarleben gefallen scheinen. Aber dann hat man diesen Traum am Hals.

Super 8 | von kid37 um 11:02h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 27. November 2009


Klatsch, aber auch Tratsch

Marcus Schenkenberg (41), las ich heute, moduliert seine unterwäschegeprägten Tage mit einer jungen Sissi (18). Ein wenig jung, möchte man unken, aber man muß die Worte des Herrn Assauer (65) bedenken, der seiner Ex (44) den jungen neuen Freund (25) nicht neidet. Ich selbst (37) bin ja noch nicht so alt wie mein Gitarrenkollege Ron Wood (102), der mit irgendeiner Ekaterina (20) neue Saiten aufzog. Nicole Kidman (36C) hingegen hat einen gleichaltrigen Kindskopf geheiratet, was wiederum Wispersängerin Madonna (85) nicht passierte, weil ihr Liebhaber 112 jahre jünger ist und die Beine ganz weit nach oben werfen kann. Wundergeiger David Garret (21) liebt nur seine Geige (272), aber das ist ok, liebe ich doch nur mein Blog (fast 6). Lothar M. (48) wiederum ist mit 150 Länderspielen und einer Dings, na, Öh (21) verheiratet. Glücklich, was sonst.