
Samstag, 29. August 2009
Endlich! Endlich, endlich, muß ich sagen. Auf irgendeiner ausgeleierten Magnettonkassette hat das Werk bislang bei mir überlebt, und heute fiel mir die CD in die Hände, nachdem es mir nie gelang, die Vinyl-Version zu ergattern. (Plattenindustrie, fragt euch selbst.) Der Abend, der ja nun auch immer früher beginnt, ist gerettet. Charles de Goal, État Général, 1980. Cold Wave. Eine Ewigkeit nicht nur im übertragenen Sinne.
Später dann, ins Blaue der Nacht, wie der schmale Lichtschein einer Kneipe, der auf den schwarzverregneten Gehsteig fällt: Chet.
>>> Charles de Goal, Exposition

Freitag, 28. August 2009
Was ja immer geht, wenn Besuch in der Stadt ist: Hafen zeigen. So zog ich gestern, man kann ja zweimal, nachdem ich zum Schichtende mit dem großen Hauptsicherungshebel die Maschinen stillgelegt hatte, mit Frau Kopffüßler auf das Gelände dieses Subvision-Kunstfestivals. Wetter gut, keine hochbehackten Präsentierteller und deplatzierte Deal-Einfädler unterwegs, da könnte man ja mal einen Blick auf die Kunst werfen. Wir landeten, auch aufregend, in einem halbdunklen Container, in dem Bücher von Frank O'Hara und Thomas Pynchon auslagen und zugleich Dias eines Museumsbesuchs in Berlin an die Wandd projiziert wurden. Fragt mich nicht, es war zum Lesen zu dunkel.
Gleich nebenan hatte jemand eine Hafenkulisse aufgebaut, Liegestühle vors Wasser gestellt und eine untergehende Sonne in den Wolkenhimmel projiziert. Solche Kunst schaue ich mir gerne an, call me loony ("Herr Kid! Total verruckt! Schaut sich an Schiffe und Sonnenuntergang!"). Aber mit charmanten Frauen an der Seite macht man gerne Ausnahmen. Ich möchte also meine Kritik am Subvision-Festival dahingehend differenzieren, daß man wirklich sehr schön dort am Wasser sitzen kann, bis die Nacht ganz Nacht wird. Bier 2,50 plus Pfand. Kartoffelsalat "wie bei Muttern".
Am Vorabend hatte Lu mich gehänselt, weil ich x-mal diesen roten Ball fotografiert habe. Nun kann ich verraten, aus welcher Vorahnung heraus dies geschah. Gestern machte es nämlich plötzlich Bumm - und das war es dann mit dem Ball. Ich nehme an, es handelte sich um eine subvisionversive Kunstaktion, die das Kernproblem der Hafencity auf den Knallpunkt brachte: Die Spekulationsblase ist geplatzt! Toll. Jedenfalls, der Ball ist weg, der Himmel leer. Danach brummelte nur noch das Feuerwerk vom Alstervergnügen durch den lauen Nachthimmel, während vor uns die Hedi mit bunten Lichtern und engagierter Musik übers Wasser schipperte.
"Und da hinten ist das Meer", sagte ich dann noch.

Donnerstag, 27. August 2009
Was ja immer geht, wenn Besuch in der Stadt ist: Hafen zeigen. So zog ich gestern, nachdem ich zum Schichtende mit dem großen Hauptsicherungshebel die Maschinen stillgelegt hatte, mit Lu zur Eröffnung des Subvision-Kunstfestivals. Auf dem bislang unbebauten Strandkai mitten in der Glasstahlbetonwüste Hafencity hat eine kleine Containerstadt Einzug gehalten, die aber keine Asylbewerber oder Wohnungslose behaust, sondern Kunst.
Überragt werden die Containerkonstruktionen von einer riesigen Tafel, die illustre Sponsoren dieses Festivals verzeichnet, der Hauptplatz befindet sich in einer Wagenburg aus Getränkeständen, Bars und Imbißbuden. Der Kunst-Imbiß steht etwas abseits. Man wird den Eindruck nicht los, einer Alibiveranstaltung für die Bewohner dieses künstlich erschaffenen Viertels beizuwohnen, die arm zu nennen, von wahrem Mitleid zeugt. Da ist ja nichts! in dieser Betonwelt, außer gläsernen Balkonen, auf denen man gelhaarige Businesshemdträger beobachten kann, die allesamt aussehen als arbeiteten sie bei einer maroden Landesbank.
Jetzt stehen sie an Häppchentischchen, eine Hand lässig in der Hosentasche, die Chipkarte für die ETW, 102 qm, 2 Balkone, umklammernd, in der anderen eisgekühlt Spritziges, Ziermöhrchenpartner an der Seite, großmännischer Blick aufs Hafenbecken. Kunst sehen sie nicht, das Gedränge um die Container ist groß, die Türen schmal, aus einem Zelt dringt das aus der Zeit gefallene Werk eines Musikunterhalters, bei dem wir darauf wetten, daß er gleich "She's Fresh" von Kool & The Gang spielt, damit ein Fransenslipper wippt. Lu wartet auf "Funky Cold Medina".
Die Kunst, das muß man einräumen, hat es schwer, gegen die imposante Kulisse des Hafens anzustinken. Während die Sonne langsam untergeht (über Bali und Shanghai), sitzt man lieber auf einem gemütlichen Platz, schaut aufs Wasser, lacht über Vergangenes, blickt den auslaufenden Schiffen hinterher in die Zukunft, wickelt sich ein in den letzten Rest der warmen Abendsonne, der milden Luft, genießt die Gegenwart des Augenblicks und malt irgendwelche Zeichen in den Sand.
("Subvision". Hamburg, Hafencity. Bis zum 6. September.)

Dienstag, 25. August 2009
Oh, herrlich ist die Reisezeit! In der wie eine in einem heruntergekommenen Wohnmobil zusammengekochten kristallinen Droge süchtig verfolgten, dennoch bloß flüsternd weitererzählten Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr kommen wir diesmal zum Fisch. Dieses von allen Wassergeistern verlassene Exemplar wurde - mit dem Strom schwimmend, wie es nur tote Fische tun - in Neuseeland an den Strand getrieben und dort von einem Kollegen entdeckt.
Es sind diese kleinen Begebenheiten, die einem das Herz ganz butterweich machen können. Da fährt jemand um die halbe Erdkugel, überfliegt Wüsten und Ozeane und denkt, zwölftausend Kilometer entfernt, inmitten tückischer Gewässer und schönster Sonnenuntergänge gleich an mich, wenn dort ein Ex-Fisch liegt. Andererseits, wer fühlte sich nicht manchmal vom Gedanken an ein Ex verfolgt, gerade auch an unzugänglichen Orten tief im Herzen der Finsternis und anderen touristisch ebenso unerschlossenen Gebieten?
Ein wenig kess schaut er ja schon, dieser Kugelfisch, der in seinem flossenbewegten Leben möglicherweise kein Kostverächter war, so sinnlich wie die vollen Lippen tun. Man sollte aber nicht, wie manche irren, vom schönen Äußeren auf die inneren Qualitäten schließen. Vielleicht war er ein Hallodri, kam notorisch zu spät und dann auch nicht daheim. Wir wissen es nicht, die Toten sind bekanntlich stumm wie der sprichwörtliche Fisch. Tautologisches Schweigen blubbt einem sozusagen entgegen, atemlos dazu. Aber gibt es einen besseren Reisebegleiter als solch einen Fisch, der sich aufblasen kann wie ein Badeboot und beim Sonnenuntergang garantiert nicht dazwischenquatscht? Er hat seinen Urlaub hinter sich. Mir soll es Mahnung sein, nicht lange zu trödeln. Mal die Füße ins Wasser halten, die Flossen.
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Montag, 24. August 2009
Am Wochenende lockten die Abbruchhäuser des Hamburger Gängeviertels zur umfangreichen Kunstbeschau. Der Block aus Wohnhäusern und alten Fabriken steht seit langem leer, nun ist ein Investor gefunden, der letzte Lücken im umliegenden Glas- und Betongeflecht schließen, solventen Mietern schicke Lofts bauen und in Hamburg dringend benötigte Büroräume in diesen Stadtteil setzen will. Letzte Spieltage also für ein paar spontane Ateliers und Galerien, um Löcher in Boden und Wänden herumzumalen, Bilder zu hängen und Installationen zurechtzudengeln, während unten im Hof die Würstchen schmurgeln und ein Soundsystem wabernde Baßfrequenzen durch die maroden Treppenhäuser schickt.
Im Hof singt eine Dame zum Klavier, in den Häusern gibt es Licht, öfter auch Schatten, das trifft natürlich wie immer auch auf die gezeigten Werke zu, aber am Ende zählt ja auch die Atmosphäre des einmaligen, des besonderen, die Energie, die aus den Wänden schwitzt, die Erinnerung an die alten Bewohner, die Geschichten unter den abgerissenen Tapeten. Im Kinderzimmer noch ein Lichtschalter von Winnie the Pooh, ein Mädchen hat in alle Spülbecken Blumen gestellt. In den alten Backsteinfabriken die unwiderbringlichen Details, schmiedeeiserne Fenster, verrostete Feuerleitern aus Metall, kleine Balkone, Industriesicherungen und Meßgeräte, dazwischen Schmetterlinge, die grazil um die Kunst tanzen.
Für ein Wochenende zeigt die Stadt, was möglich wäre, ließe man kreatives Leben in diesen letzten Nischen zu. Gleich nebenan nämlich glotzen neidisch die toten Glasfronten der um diese Zeit geschlossenen Läden und Büros, ausgestorbene Straßen, die auf die Ankunft der Arbeitsameisen am Montag warten.
>>> Webseite vom Gängeviertel

Freitag, 21. August 2009
Es ist Wahlkampf, aber nicht für den Berliner Senat. So mag man sich die von wahrem sozialen Furor getragene Strategie von Aussitzen, Vertrösten und Kürzen erklären, mit der der rot-rote Senat in Berlin das Betreuungskonzept für behinderte Kinder aus den Kassenbüchern drängen will. Der Verein Elternzentrum Berlin, der sich - als gebe es sonst nichts zu tun - unermüdlich mit den "Volksvertretern" über das Recht auf Bildung und Förderung auch behinderter Kinder auseinandersetzt, hat einige Protestaktionen unternommen und ist dringend auf Spenden angewiesen. Moni, selbst Mutter eines autistischen Sohnes, schreibt über die Hintergründe.
Das war übrigens eine Aufforderung. Und wenn ihr es nur macht, um Berlin zu beschämen.

Ich bin nicht weg, nur auf dem Weg. Gerade überlege ich, ob ich nicht mit einem schicken, handgefertigten Rad der britischen Firma Pashley selbständig machen sollte. Die haben nämlich auch eins im Programm, mit dem man Kurze für Junggesellenabschiede durstenden Pilgern Eis verkaufen kann. Für dieses Jahr vielleicht ein wenig spät.
Reifere Bildungsferne bewerben sich für Reality-Shows. Dem zuschauenden Rest der Gesellschaft dient dies zur Unterhaltung, zugleich aber auch als Drohung: Wenn ihr euch nicht zusammennehmt, dann sitzt ihr morgen schon selber im Container.
(Robert Pfaller. "Lust und Prüderie: Vom Sex in der Medienmoderne". Süddeutsche Zeitung, 8.8.2009.)
Für den nächsten Badeurlaub hätte ich gerne einen von diesen hübschen Anzügen. Huhu, ich bin ein gestrandeter Wal eine rostende Kidboje.

Donnerstag, 20. August 2009
Hamburg, so prahlen einschlägige Reiseführer, habe mehr Eisdielen als Venedig. Vielleicht sind es auch Brücken, mein Gedächtnis ist mittlerweile selbst ein morastiger Canal Grande, über den nur selten ein Steg nach Rialto führt. Gestern jedenfalls bummelte ich so durch die Lagunenstadt, einem Zwerg in einem roten Kapuzenmantel folgend, der mein Interesse geweckt hatte. Venedig, so heißt es im Country-Schlager, fängt ja gleich an der Außenalster an, so daß ich es nicht so furchtbar weit habe, will ich einmal den Tag gemütlich ausgondeln lassen. Derzeit nämlich sitze ich gerne am Wasser und lese Reiseführer, eine Lektüre, die wiederum dazu führt, mich kaum noch auf Reisen begeben zu wollen, in der irrigen Meinung, alles nun bereits zu wissen. Sicher kann man auch in Büchern reisen, aber den Geruch fremder Städte ersetzt das nicht.
Heute soll der heißeste Tag des Jahres werden. 37 Grad, was überraschenderweise nicht so ganz mein Wetter ist, außer es geht durch Staub zum Früchteschlagen. In Venedig, käme ich einmal dorthin, würde ich dann gern zu einem Aldi rudern. Ist sicher auch interessant, zumal, nähme ich eine blinde sehende ältere britische Dame mit an Bord. Und alle tippten sich wieder an die Stirne. Eine Bewegung aber, die man heute, angesichts der Hitze, besser auch vermeiden sollte.
