Mittwoch, 19. August 2009


Vormittag allein im Farn

Wer sich nicht vorstellen kann, welche Freiheit Woodstock
wenigstens vorübergehend brachte, soll mal versuchen, seine noch
nicht schulpflichtigen Kinder nackt an einem amerikanischem
Hotelpool herumlaufen zu lassen.

(Willi Winkler über 40 Jahre Woodstock.
Süddeutsche Zeitung, 14.8.2009)


Um auch einmal vom Napf der Freiheit zu kosten, die vor 40 Jahren im Schlammbad Woodstock errungen wurde, tolle ich jetzt in der Mittagspause immer nackt auf der Wiese vor der Fabrik herum, rolle mich durchs Gras, stehle mir pralles Obst und schaue in den Himmel. Dort zieht gerade in düsteren Wolkenbahnen das Schicksal von Robin Wright-Penn vorbei, die erneut, so mußte ich lesen, die Scheidung eingereicht haben soll. Leser dieses Blogs haben das natürlich ahnen können, denn ihre Aussage damals hat nicht von ungefähr so wahrhaftig gewirkt. Da, wie ich heute ebenfalls lesen mußte, optimistische Menschen länger und gesünder leben, bleibt mir nichts weiter als die strahlend blauen Stellen im Himmel zu suchen, Ms. Wright einen Apfel über den Zaun zu reichen und ihr anzubieten, mit mir außerhalb der USA nackt über den Rasen zu tollen.

Gegen Kummer des Herzens, das möchte ich aus eigener Erfahrung beisteuern, hilft ganz wunderbar die wunderbar harmlose Liebeskummerkomödie "Nie wieder Sex mit der Ex", in der Jammerlappen Jason Segel von seiner hohlen Schauspielerfreundin verlassen wird, zum Schreien komisch herumheult und dann im Urlaub auf die Ex und ihren Neuen trifft, einem noch hohleren Schönling, der mit seiner Eitelkeit bald alle zu Tode nervt. Weil diese Geschichten im Leben immer dieselben sind, findet auch dieses harmlose ditty von einem Fim zu vielen homöopathisch klugen und scharfzüngigen Beobachtungen - und nach 90 Minuten fühlt man sich von eigenen trivialen Miseren sehr befreit. Der deutsche Titel ist natürlich bescheuert, aber Ms. Wright kann ihn ja im Original sehen. Es wird besser sein als manch andere Endlosschleife.

Aber so urteilt man natürlich nur aus der Ferne.

| von kid37 um 13:11h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 18. August 2009


Wolkenheime



Liebe Haschrebellen, Gelegenheitszechpreller und auch ihr, die ihr euch von glukosegestrecktem Ice tea Eistee ernährt. Die Wolkennixe im Bikini, die gestern mittag über mir hinwegschwamm, war mir ein deutlich klingelndes aeromantisches Zeichen, ein wetterleuchtendes Signal, Gedanken über einen kleinen Urlaub einzuleiten. Also demnächst, irgendwann. Mal so raus, Wasser, Wolken und Bikinis ein kleiner Stapel Bücher, man muß das alles ja auch mal abarbeiten. Überhaupt: Die Arbeit im Urlaub ist ja von einer ganz besonderen Süße, da kann so ein Eisteegesöff gar nicht gegen ankleben. Aber das nur nebenbei. So wie ich arbeite, möchten manche gerne Urlaub machen, höre ich hin und wieder von Menschen, denen die Belastung durch Lärm, Hitze und Staub der Maschinen, der Brennöfen und hydraulischen Stanzen, unter denen ich sozusagen meinen nach ergonomisch ausgewogenen Gesichtspunkten sandgestrahlten Melkschemel aufgebaut habe, die laktosefreie süße Frucht meiner Ausdenkarbeit zu zapfen, ohne Begriff und Inhalt ist.

Kräftig gebaut wie ich - für blinde Menschen unsichtbar - bin, drängt mich stählerne Muskelmasse zu einem Sturz in wogende Fluten, zum Wälzen in sonnenerhitztem Sand (man muß sich putzige Bilder vergnügt wühlender Warzenschweine vor Augen führen) und abendlichem Abhängen mit einer von Wedekinds dramatisch gezeichneten Figuren (ruhig mit Alkohol!). Danach: Nächtliches Summen bis zur allgemeinen Bewußtseinsumwölkung.

Originell, das räume ich ein, ist das nicht. Aber an so einem Strand sind die fremden Fußstapfen, in denen man latscht, ja jeden Morgen wieder weg. Und alles scheint wie neu.


 


Montag, 17. August 2009


Sonntage

Man hielt diese Männer für "harmlos" und erlaubte ihnen, dorthin
zu gehen, wo anderen der Zutritt verwehrt blieb.
Mit einem aller Hindernisse spottenden Enthusiasmus
erklommen sie die Anden, zogen durch Wüsten, kämpften sich
durch das Gewirr der Dschungeln. Sie zerstreuten sagenhafte
Vorstellungen und brachten dafür Tatsachen ans Licht.

(Victor W. v. Hagen. Südamerika ruft:
Entdeckungsreisen großer Naturforscher
. 1959.)

I never doubted it.
What's for you will not pass you by.

(Moloko, "This Familiar Feeling".)



Langsam schraube ich den Radius etwas größer. Den Arbeitsstaub der Woche gilt es aus den Lungen zu pressen, schnurgerade Linien zwischen spazierenden Hundebesitzern und kurvenden In-Line-Skatern zu ziehen. Aus den enger geschnürten Wochenenden noch etwas Zeit für ein kleines Picknick zu schneiden, erschöpft-hungrige Rast zu machen und die Wespen zu zählen wie Blütenblätter.

Das schmerzhafte Licht der Nacht mit all ihrer Wehmut ablösen durch das schmerzhafte Licht gleißender Sonne und spiegelnder Blitze schnellbewegten Chroms. Ich möchte die Stadt gerade nicht sehen, ich möchte das Surren der Reifen hören, das Zirpen der Heuschrecken an den Wegrändern, wie das Summen von elektrischem Strom, wie das scharfe Sirren im Kopf nach einer durchtanzten Nacht.

Neue Wege entdecken, Entdeckungen machen, nichts Spektakuläres, schmalere Pfade, überraschende Übergänge. Ich schiebe das Rad durch die Brombeerhecke, über Bahngleise, eine Unterführung hindurch und lese neue Ortsschilder. Der Sinn ist, daß nichts passiert. Daß man leer wird, nur Wind spürt und Hunger. Daß man leer wird, und leise, und den Hunger stillt.


 


Sonntag, 16. August 2009


I got one more thing I'd like to talk to y'all about right now

Been down so long,
Getting up didn't cross my mind.

(Bobby Womack, "Across 11oth Street")


Im Grunde weiß kaum jemand besser als ich, wie sich der Wandel der Zeit anfühlt, das Verändern, sich Häuten und Vergessen werden. Meine Güte, wieviele Karrieren habe ich schon gehabt, da zähle ich den Gewinn der C-Jugendstadtmeisterschaft im Fußball gar nicht dazu - schließlich bin zur Hälfte der Saison ausgestiegen, und so gebürt mir nur ein halber Pokal. Das sind Dinge, die sind vergänglich, flüchtiger Glanz äußerer Schönheit, die du so oft besingst. Wer wüßte das besser als Menschen wie Shah Rukh Khan. Oder auch Bob Dylan. So ist das im Alter, da kommen Leute und kennen einen nicht mehr.

Seit ich nicht mehr auf der Straße erkannt werde (anders als zum Beispiel mein alter Kollege Ricky Shane), erlebe ich natürlich auch eine ganz neue Freiheit. Aus dem Vergessen heraus kann ich mir neue Leben erfinden. So kann ich jetzt Musik hören, die mir früher keiner geglaubt hätte. Marvin Gaye stellt die Frage, What's Going on? Vielleicht dringt von gegenüber auch Bobby Womack herüber: I'm not saying what I did was alright. Abendmusik, ein Schuß Schmerz statt einer Droge, Musik für warme Nächte, wenn man sich hinausstehlen kann aus dem affektierten Gekreische der Clubs. Wenn man drei, vier Minuten für sich haben kann. Für sich, die Lichter, die verwehten Klänge, eine letzte verschwitzte Berührung. Für einen Rückblick, wütend oder traurig, mitgenommen oder nüchtern. Und immer wieder berührt. Immer wieder auf Reisen sein, und zurückkehren nur zu denen, auf die man sich verlassen kann. Ich werde die Koffer noch oft packen. Und manches nicht vergessen. Die schönen Momente, und die, als du mich vergessen hast.

>>> Bobby Womack, Across 110th Street


 


Freitag, 14. August 2009


Bonjour, isch 'atte üne Traum



'eute morgen träumte ich, ich sei mit Carla Bruni verheiratet, tastete sogleich in meinem 90-Zentimeter breiten Bett neben mich, und fand sie aber nicht. Verwirrt, vielleicht auch beruhigt, drehte ich mich um, streckte Carla Bruni, also da, wo sie hätte liegen sollen, meinen Hintern entgegen und schlief noch fünf Minuten weiter. Mit der schönen Carla bin ich gar nicht weiter bekannt, nicht einmal ihr Werk ist mir bis auf zwei, drei Lieder nähergekommen. Von daher ist der Ursprung meines Traums ein wenig mysterieux. Derzeit weilt sie, das verriet mir Jürg Altwegg in der FAZ, mit ihrem Mann Sarkozy im Urlaub in Südfrankreich und posiert dort für die Paparazzi. Die Fotos wiederum sind Anlaß mancher Satire, was wiederum Anlaß für Altweggs Artikel war. So hängt ja alles mit allem zusammen. Der kleine Staatsmann, von dem böse Zungen behaupten, er passe auch quer in mein Bett, könnte - so die satirische Vermutung - im Taucheranzug aus den Fluten steigen, ein Froschmann, der von der holden Bruni zum Prinzen geküßt wird. Was für ein Bild! Die Älteren werden sich an Alfred Tetzlaff erinnern, wie er im Taucheranzug in einer Telefonzelle steckte.

Tatsächlich verhielt es sich wohl so, daß Mme Bruni selbst am felsigen Strand lag, als bronzegebräunte Nixe mit Sonnenhut und Schwimmflossen, während der kleine Nick vor ihr im Wasser wartete - man stellt ihn sich ein wenig aufgeregt dabei vor. Aber zurück zu meinem Traum: Schwimmflossen!

Wie also die aparte Carla (wir sind jetzt per Du) mit den Schwimmflossen an ihren zarten Füßchen durch die Wellen meiner zerknuffelten Bettdecke kraulte und dabei mit glockenklarer Stimme eines ihrer noch zarteren Lieder sang, muß mich nicht nur in Urlaubsstimmung versetzt, sondern geradezu à bout de souffle gebracht haben: atemlos also mußte ich mich erst einmal setzen, mir einen Platz suchen, mich und mein soziales Gefüge, das Oben und das Unten neu vermessen, ehe es, ein wenig schlaftrunken noch, in den letzten Tag der Woche ging.


 


Mittwoch, 12. August 2009


Save my Screen



Auf dem Monitor meiner Werkbank in der Fabrik habe ich einige dunkel gestaltete Bilder als Screensaver laufen, die den sensibleren Gemütern unter den Kollegen ab und an ein wenig befremdlich erscheinen. Daher habe ich neuerdings Fotos von Cate Blanchett oder Gwyneth Paltrow daruntergemischt - ich kann die beiden Schauspielerinnen oft nicht auseinanderhalten, außer wenn sie sich Kate Winslet nennen. Cate Blanchett (oder Gwyneth Paltrow), die in Historienfilmen auch schon mal Tilda Swinton spielt, trat ja auch in dem beeindruckend designten Retro-Sci-Fi-Abenteuerfilm Sky Captain and the World of Tomorrow auf, der quasi ganz auf einem Heimcomputer produziert wurde. Na ja, jedenfalls fast. Ein wenig.

Wer den Film kennt, wird in diesen Fotos so etwas wie Vorläufer sehen. Ein wie surreal inszeniert erscheinendes Kinderspiel, man möchte an ein Theater denken, so grausam und unbedacht, reflektierend - nicht reflektiert - wie solche Spiele eben sind. Der Franzose Leon Gimpel, ein Pionier der Farbfotografie, stieß 1915 in Paris auf eine Gruppe Kinder, die in ihrer Straße den Krieg wie gemalt nachspielten. Ein skurriles Grand Guignol mit Fantasieuniformen, aus allerlei Materialien zusammengebasteltem Kriegsgerät, den "Boches" als klar definierte Feinde - es war die Zeit vor den blutigen Cowboy-und-Indianer-Schlachten, die spätere Kindergenerationen nach dem alltäglichen Schulschluß erbittert beschäftigten. Erst hielt ich es für Szenen aus einem neuen Film von Jean-Pierre Jeunet. Dann fragte ich mich, wo sind diese Spiele eigentlich heute? Werden Pfeil und Bogen noch aus mühsam errungenen Zweigen geschnitzt? Oder wird die Bundesrepublik im Hinterhofhindukusch verteidigt, und wer das kürzere Hölzchen gezogen hat, spielt diesen Nachmittag die Taliban? Sitzen die wirklich alle vor dem Computer oder im Uni-Vorbereitungskurs für hochbegabte Grundschüler? Verdächtig wenig Kreidezeichnungen zieren die Straßen und Bürgersteige in meinem Viertel. Vielleicht sind aber auch die bereits institutionalisiert und in museale Bahnen gelenkt.

Mehr Bilder der "Grenata-Armee" von der Ausstellung im australischen Campbell.

via WurzlTumblr


 


Dienstag, 11. August 2009


Freundliches draußen sein

Im roten Laubwerk voll Guitarren
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldener Karren.

(Georg Trakl, "Im roten Laubwerk...". 1913.)



Die Krise zwingt die heitersten Gemüter tiefer in die Baumwolldaunen - Cocooning am heimischen Herd, statt mobil-urbaner Oberstolz-Eß- und Sozialkultur. Nachdem der Herdtrieb nun dazu geführt hat, daß ich locker drei bis sieben Kinder käsebrotsatt machen könnte, müßte ich diesen doch aber auch Auslauf bieten können. Hinaus also treibt es mich in die streng abgezirkelte Grünparzellierung, erstaunlich viele freie Flächen finden sich dort, wo ich endlose Steckrübenfelder sehe. Ein grünwogendes Meer der Möglichkeiten, dort wo derzeit nur Klapperschlangen Heuschrecken rasseln, ich aber mit einem Luftschiff landen könnte.

Die Gegenden heißen "Morgenpracht" (kein Kommentar), "Frühauf" (nichts für mich), "Fortschritt und Schönheit" (bin ich dabei), "Bienenbusch" (muß man aufpassen) und, Knaller, "Wühlmäuse 2000" (sicher mit Turbo). Natürlich bremst die Angst mich vor deutscher Gründlichkeit, den Abwasserkommitees und Gemeinschaftszwangsstunden, den Parzellenbegehungen und Goldenen Zitronen, die man denen verleiht, die aus der Hecke scheren. Vieles habe sich geändert, heißt es, aber vielleicht bin ich noch nicht so weit, vielleicht sollte ich besser ein größeres Boot kaufen, es gibt Blogger mit Motorbootführerschein, die könnten das fahren.



Und doch gibt es wie verwunschene Orte zu entdecken, aufgelassene Geheimdienstzentralen, auf deren Grundstücke man Dipole und Langdrähte spannen könnte zum Detektorradioempfang. Auf denen lange Tische stehen könnten mit Kuchen und Stachelbeerschüsseln und trunkenen Gästen, denen man auf einem flirrenden Elmo La Strada in die Bäume projiziert. Oder Gobbledigook.