Mittwoch, 12. August 2009


Save my Screen



Auf dem Monitor meiner Werkbank in der Fabrik habe ich einige dunkel gestaltete Bilder als Screensaver laufen, die den sensibleren Gemütern unter den Kollegen ab und an ein wenig befremdlich erscheinen. Daher habe ich neuerdings Fotos von Cate Blanchett oder Gwyneth Paltrow daruntergemischt - ich kann die beiden Schauspielerinnen oft nicht auseinanderhalten, außer wenn sie sich Kate Winslet nennen. Cate Blanchett (oder Gwyneth Paltrow), die in Historienfilmen auch schon mal Tilda Swinton spielt, trat ja auch in dem beeindruckend designten Retro-Sci-Fi-Abenteuerfilm Sky Captain and the World of Tomorrow auf, der quasi ganz auf einem Heimcomputer produziert wurde. Na ja, jedenfalls fast. Ein wenig.

Wer den Film kennt, wird in diesen Fotos so etwas wie Vorläufer sehen. Ein wie surreal inszeniert erscheinendes Kinderspiel, man möchte an ein Theater denken, so grausam und unbedacht, reflektierend - nicht reflektiert - wie solche Spiele eben sind. Der Franzose Leon Gimpel, ein Pionier der Farbfotografie, stieß 1915 in Paris auf eine Gruppe Kinder, die in ihrer Straße den Krieg wie gemalt nachspielten. Ein skurriles Grand Guignol mit Fantasieuniformen, aus allerlei Materialien zusammengebasteltem Kriegsgerät, den "Boches" als klar definierte Feinde - es war die Zeit vor den blutigen Cowboy-und-Indianer-Schlachten, die spätere Kindergenerationen nach dem alltäglichen Schulschluß erbittert beschäftigten. Erst hielt ich es für Szenen aus einem neuen Film von Jean-Pierre Jeunet. Dann fragte ich mich, wo sind diese Spiele eigentlich heute? Werden Pfeil und Bogen noch aus mühsam errungenen Zweigen geschnitzt? Oder wird die Bundesrepublik im Hinterhofhindukusch verteidigt, und wer das kürzere Hölzchen gezogen hat, spielt diesen Nachmittag die Taliban? Sitzen die wirklich alle vor dem Computer oder im Uni-Vorbereitungskurs für hochbegabte Grundschüler? Verdächtig wenig Kreidezeichnungen zieren die Straßen und Bürgersteige in meinem Viertel. Vielleicht sind aber auch die bereits institutionalisiert und in museale Bahnen gelenkt.

Mehr Bilder der "Grenata-Armee" von der Ausstellung im australischen Campbell.

via WurzlTumblr


 


Dienstag, 11. August 2009


Freundliches draußen sein

Im roten Laubwerk voll Guitarren
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldener Karren.

(Georg Trakl, "Im roten Laubwerk...". 1913.)



Die Krise zwingt die heitersten Gemüter tiefer in die Baumwolldaunen - Cocooning am heimischen Herd, statt mobil-urbaner Oberstolz-Eß- und Sozialkultur. Nachdem der Herdtrieb nun dazu geführt hat, daß ich locker drei bis sieben Kinder käsebrotsatt machen könnte, müßte ich diesen doch aber auch Auslauf bieten können. Hinaus also treibt es mich in die streng abgezirkelte Grünparzellierung, erstaunlich viele freie Flächen finden sich dort, wo ich endlose Steckrübenfelder sehe. Ein grünwogendes Meer der Möglichkeiten, dort wo derzeit nur Klapperschlangen Heuschrecken rasseln, ich aber mit einem Luftschiff landen könnte.

Die Gegenden heißen "Morgenpracht" (kein Kommentar), "Frühauf" (nichts für mich), "Fortschritt und Schönheit" (bin ich dabei), "Bienenbusch" (muß man aufpassen) und, Knaller, "Wühlmäuse 2000" (sicher mit Turbo). Natürlich bremst die Angst mich vor deutscher Gründlichkeit, den Abwasserkommitees und Gemeinschaftszwangsstunden, den Parzellenbegehungen und Goldenen Zitronen, die man denen verleiht, die aus der Hecke scheren. Vieles habe sich geändert, heißt es, aber vielleicht bin ich noch nicht so weit, vielleicht sollte ich besser ein größeres Boot kaufen, es gibt Blogger mit Motorbootführerschein, die könnten das fahren.



Und doch gibt es wie verwunschene Orte zu entdecken, aufgelassene Geheimdienstzentralen, auf deren Grundstücke man Dipole und Langdrähte spannen könnte zum Detektorradioempfang. Auf denen lange Tische stehen könnten mit Kuchen und Stachelbeerschüsseln und trunkenen Gästen, denen man auf einem flirrenden Elmo La Strada in die Bäume projiziert. Oder Gobbledigook.


 


Montag, 10. August 2009


Handwerker, doo!



Vor Jahren schon überwies mir meine fürsorgliche Frau Mutter im Vorgriff auf das nichtzuerwartende Erbe eine sogenannte Herdprämie, zweckgebunden zum Erwerb einer neuen Kochstelle gedacht. Jetzt endlich, Zins und Zinseszins deckten nun auch die Transportkosten, konnte ich Wunsch, Wollen und Angebot in Einklang bringen, und Samstagmorgen erschienen denn auch in aller Früh zwei wackere Jungs, die schnaufend und schwitzend den edelstählernen Kochfreund die sieben Etagen hoch in meinen Leuchtturm trugen. Dort hatte sich schon ein umlufterhitztes Temperatürchen aufgestaut, der Sommer kommt ja immer zur rechten Zeit und knallt mir hier aufs Dach.

Die Küche wird vom alten Herd entkernt, dahinterdarunter Schmandspuren einer über Jahre geführten nackten Küchenchefkarriere, gute Gelegenheit, hausmännisch aufgetunkten Fettlösezauber zu sprechen. Wenig zauberhaft gehen die Sägearbeiten weiter. 90 Grad sind 90 Grad, wir reden über Winkel, nicht über Temperaturen, die Herren würgen und ächzen, daß mir Angst und auch ein wenig bange wird, läuft, signalisiert man mir, ich habe die drei Sicherungen rausgedreht, die Kabel wechseln ihren Platz, hochspannend finde ich das, dann wird der Stählerne an seinen neuen Platz geschoben. Paßt, paßt nicht, paßt, paßt nicht, lauteres Ächzen, lauteres Stöhnen, kritischerer Blick. Inzwischen ist das Thermometer weiter nach oben gestiegen. "Ich würde mir ein Klimagerät kaufen", schlägt der eine vor. Ich suche nach der ästhetischen Linie, der Herd steht nicht so, wie ich es mir vorstelle. Die Schrauben werden noch mal rausgedreht, ein Ächzen, ein Kippeln, ein Wackeln. "Steht der etwa auf dem Kabel?" frage ich. Nöneineindaskannnichtsein, prüfend wird gekippt, entschlossen wird geschoben. Alles klar im Hinterdeck. Man drückt, man preßt, man schwitzt, die Jungs tun mir leid. So eine alte Küche wie meine, so teilt man mir selbstverzeihend mit, könne sich schon mal verziehen. Dann sei alles schief, erklären sie mildtätig, es sei mir nur nie aufgefallen. Unverstohlen schauen sie auf die Uhr, ich bin es müde, ein wenig enttäuscht. So hatte ich mir das neue Gewerk nicht vorgestellt. Ich gebe Trinkgeld, die Jungs haben mir Mühen abgenommen, vielleicht gebe ich zu viel, man tut nicht überrascht.

Kaum sind die tapferen Gesellen fort, geht für mich die Arbeit los. Ich stapfe in den Keller, die Stichsäge holen, prüfe meinen Akkuschrauber. Der nutzt mir nichts - die Jungs haben die Schrauben völlig ausgefranst, ich muß neue Schlitze schneiden, vorsichtig drehe ich die ausgelutschten Teile von Hand mit meinem Schraubendreher auf. Glück gehabt, sie lösen sich Drehung um Drehung, endlich habe ich den Herd frei, ziehe ihn heraus, drücke die Kochmulde heraus, bearbeite die Schnittkanten nach, 90 Grad sind wieder 90 Grad. Ich schiebe den Herd zurück, er kippelt, er wackelt, ich bleibe mißtrauisch. Ich schwitze nach oben und nach unten. Es ist noch heißer geworden, dabei ist der Backofen noch nicht einmal an. Ich drücke erneut die Kochmulde heraus, ziehe den Herd nach vorne - sieh an. Er steht natürlich auf dem Kabel, kein Wunder, daß es wackelt, kein Wunder, daß es kippt. Als alles berichtigt ist, schiebt er sich wie von selbst in die Öffnung, steht endlich so, wie er soll, wie ich es mir vorstellte. Ich suche zwei stabilere Schrauben aus meinem Werkzeugkasten, ziehe sie fest. Alles auf Linie, von wegen, Küche schief, was ihr meint, ist der Küchenchief. Ich bin durchgeweicht, mein Rücken wird sich am nächsten Tag melden, niemand gibt mir ein Trinkgeld, ich denke an den Spruch - willst du es richtig haben, mach es selbst - erschöpft, aber friedlich. Jetzt können wir Freunde werden.

Darauf erstmal ein Käsebrot.


 


Freitag, 7. August 2009


Mein kleines Regenleed




Diese Jahreszeit ist zu heiß, um brikettdicke Bücher zu lesen. Schneller als wassergestreckte Eissorten zerschmelzen die Wörter und Buchstaben, rinnen in einem bleigrauen Brei die Seiten hinunter, wie eine Sonnencreme, die in Arsen gefallen ist. und so sehr man sich in solche Bücherwelten verlieren möchte, um niemals daraus wieder aufzutauchen, mir ist derzeit nach etwas Schlankerem. Die Welt ein Buch und das Buch eine Welt - sie ist Pixie-klein derzeit. Und so lobe ich mir die lütte plattdeutsche Minibuch-Edition des Antje Steffen -Verlags.

Ich weiß nun ehrlich nicht, warum ausgerechnet einem Sonnenschein wie mir das Regenleed in die Hände fiel - wir müssen die Evidenz des Faktischen in diesem, sicher bloß besonderen Fall, einfach mal undiskutiert so hinnehmen. So sitze ich nun im schönen August mit dem Regenleed unterm heißen Dach: "Regen, Regen druus - wi sitt hier warm in't Huus!" Warm ist es auf jeden Fall, und der Regen kommt sicher bald.

Denn mit dem Sommer sind alle Geschichten vorbei, heißt es.


 


Dienstag, 4. August 2009


Carte de Visite




Daß mich im Grunde keiner kennt, mag vielleicht auch daran liegen, daß ich mich zu selten richtig vorstelle. Natürlich trage ich auf privaten und beruflich veranlaßten Zusammenkünften meine diversen Ordenszeichen, gewonnenen Preise, Geburtsdatum und akademischen Titel gut sichtbar außen am Revers - aber schüchtern wie ich bin, verschmelze ich doch zu oft zu schnell mit meinem eigenen Schatten, werde eins mit der Wand, anstatt mir gleich ein paar Freunde fürs Leben zu adden, wie man es im Internet täte. Was mir fehlt, um die Worte kurz zu halten, ist eine vernünftige Visitenkarte, die Auskunft gibt, über Namen, Rang und soziales Begehr. In meinen Zeiten auf den glatteren Parketts habe ich ja immerhin eins gelernt: Willst du gelten, mach dich nicht selten - und behalte die wichtigen Leute immer schön im Radar, ehe du mit den Nullen statt den Einsen in einer unentrinnbaren Ecke stehst. Zeig, was du hast, heißt es, darf auch gerne etwas mehr sein, wer fragt denn später schon danach. Du kamst als Fremder, heißt es ebenso, und gingst als Freund wichtiger Kontakt - und - schwupps - geht als nächstes die Karriere ab wie die Rakete, mit der ich sonst nur zur Arbeit fahre.

Auf Retropolis Travel kann man sich Entwürfe aus einer Future yet to come anschauen und mit dem eigenen (!) Namen versehen (falsche Telefonnummer und sonstige persönliche Datenschwärzung nur in der Disco gegenüber flüchtigen Zufallsbekannten). Ich schwanke noch und sollte vielleicht besser die Variante mit dem Mad Scientist wählen. Ich muß aber sagen: Als Sky Captain hat man mehr Schlag bei den Frauen.

So. Muß jetzt los. Erwachsen werden.


 


Sonntag, 2. August 2009


Ein, zwei, drei Sonntage




Natürlich wird das öde, die Fotos unspektakulärer Landpartien durch eintönige Landschaften zu betrachten. Nicht einmal ein Picknickkorb schmuggelt sich ins Bild oder ein kleines Paddelboot. So aber sind die endlosen Sommer unserer Internetkindheit, jeder Tag von lichtdurchfluteter Wärme in die stillstehende Zeit der Gleichförmigkeit verklebt. Auf dem Flohmarkt Bücher gekauft, George Grosz liefert den aktuellen Kommentar zur Lage, wie Hartz-IV-Karikaturen kommen die Zwischenkriegsskizzen daher, die wie aufplatzenden Bankenchefs, die Arbeitgeberpräsidenten und Unternehmensverbandsvorsitzenden. Feist wie einst - nur die Huren sind heutzutage nicht mehr so drall, vermute ich. Zurück durch den Park, dann weiter Richtung Osten, Felder schauen und Pferde und die schmucken Bauernhäuser mit ihren Säuleneingängen, als wären sie Paläste.



Brombeeren hängen am Wegesrand, an der Justizvollzugsanstalt warnt ein Schild am Zaun, daß jegliche Kontaktaufnahme verboten sei. Aber niemand ist dort zu sehen. Diesseits des Zauns, auf dem asphaltierten Platz vor dem Tor üben ein paar Menschen, Achten auf ihren Rollerblades zu fahren. Der Gegenwind ist stärker als sonst, mehr aber ist nicht passiert.


 


Samstag, 1. August 2009


I'm not a Ladybug's Man



Ganz Norddeutschland ist derzeit überschwemmt mit krabbelnden Glücksbringern, überall tummeln sich die munteren roten Käfer. War natürlich klar, daß sich in meine Wohnung ausgerechnet eines der selteneren schwarzen Exemplare des Adalia bipunctata flüchten mußte. Warum nicht gleich ein paar Totengräber (Necrophorus vespillo)? Manche dieser Arten kommen auch recht schön in Rot und Schwarz daher. Der dunkle Geselle hockte ein wenig lustlos auf einem offenbar blattlausfreien Blatt auf meinem Fensterbrett und hat, ich war nur mal eben im Weinkeller, inzwischen das Weite gesucht.

So ein Samstag ist mittlerweile dicht gepackt, denn seit ich irgendwo draußen am Rande der Stadt in den feuchten Sumpf- und Marschgebieten arbeiten muß, schaffe ich unter der Woche kaum noch sogenannte "Erledigungen". Großeinkauf im Viktualienmarkt, die Suche nach augenschmerzfreien Haushaltsartikeln, Informationsbesuche in der Konsumwarenwelt und einer Buchhandlung, Flohmarkt und ein kauforientierter Bummel durchs Karoviertel - und dann soll man noch mit Freunden Frühstücken, seit ihr denn Jeck? Wer soll sich um meinen Marienkäfer kümmern? Kein Wunder, daß der entweicht, wenn ich nicht nach Hause kehre, die Taschen voll mit Leckereien, die ich Stück für Stück auspacke, während er mir erwartungsvoll um die Beine streicht. Ich glaube, die Miauen auch, bin mir aber gerade nicht so sicher - wie schnell ist so ein Tier verwechselt!

Während ich also emsig Punkte von meiner Das ist zu tun-Liste streiche und andere hinzufüge, denke ich daran, wie schade es ist, wenn das Glück durchs Fenster entfleucht. Man hofft, er findet irgendwo einen Lausebengel, bei dem es ihm besser gefällt.